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Eine gefährliche Aufgabe wartet auf den besten Schüler des legendären Kai-Meisters Einsamer Wolf: Um die Welt vor Unheil zu bewahren, muss ein machtvolles Artefakt auf die sagenumwobene Insel Lorn gebracht werden. Eine große Herausforderung – wird der Schüler, in dessen Rolle der Spieler schlüpft, das Abenteuer bestehen, oder bei dem Versuch sterben?

 „Fantasy-Spielbuch“, das klingt für den ein oder anderen nach einer längst vergangenen Zeit, vielleicht sogar nach dem Beginn der eigenen Tischrollenspiel-Karriere. Doch ist dieses Genre tatsächlich so angestaubt, wie die sperrig anmutenden Begriffe vermuten lassen, oder haben Spielbücher mehr zu bieten als ein flüchtiges Abenteuer für Rollenspieler mit chronischem Zeitmangel? Mit Die Piraten von Shadaki wird die Fantasy-Spielbuch-Reihe von Einsamer Wolf in der Welt von Magnamund fortgesetzt. Dabei handelt es sich zwar um den zweiten Band aus der Reihe der neuen Kai-Krieger, nichtsdestotrotz ist die Fortsetzung auch für Neueinsteiger spielbar, welche den ersten Band, Jagd nach dem Mondstein – Die neuen Kai-Krieger Band 1, noch nicht absolviert haben. Neben Spielbüchern gibt es auch einige Romane, welche auf Magnamund angesiedelt sind: So kann der Leser beispielsweise in Vermächtnis der Kai mehr über die Vorgeschichte von Einsamer Wolf

Handlung

Es sind 33 Jahre vergangen, seit der Erste Orden der Kai nahezu ausgelöscht wurde und nur der legendäre Krieger Einsamer Wolf überlebte. Er drang in das Reich der Schwarzen Lords ein und zerstörte deren Machtzentrum, die Stadt Helgedad. Die untereinander verfeindeten Armeen des Bösen versanken nach dem Untergang von Helgedad im Chaos und es kam zum Ausbruch eines rebellischen Bürgerkriegs. Dies verschaffte den Armeen der Freien Länder von Magnamund genügend Zeit, um zu erstarken und die Armeen des Bösen letztendlich zu besiegen. Nach dem Krieg wurde die Abtei der Kai wiedererrichtet und ein neuer Orden von Kai-Kriegern gegründet.

Der dunkle Gott und seine Diener konnten jedoch mithilfe des Mondsteins weiterhin in die Welt Magnamund eindringen, bis Einsamer Wolf dieses bedeutende Artefakt erringen konnte. Nach seiner triumphalen Rückkehr verbarg er den Mondstein im Gewölbe der Sonne, tief unter der befestigten Zitadelle der Kai-Abtei in Sommerlund, in der Hoffnung, dass es dort für immer bleiben könnte. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, denn im Land Sommerlund wurde durch den Mondstein das natürliche Gleichgewicht gestört. Getreide wuchs im Überfluss, die Jahreszeiten veränderten sich hin zu einem nie endenden Frühling, Krankheiten, Seuchen und gar der Tod wurden eine Seltenheit. Dies wiederum weckte die Aufmerksamkeit jener Kreaturen, welche dem dunklen Gott Untertan sind. Zudem bat Gildenmeister Banedon, der Anführer der sommerlunder Bruderschaft der Magier, eindringlich darum, dass der Mondstein seinen Schöpfern, den Shianti, zu übergeben sei, zur Wiederherstellung der natürlichen Ordnung. An dieser Stelle beginnt nun das Abenteuer für den Helden des Spielbuchs.

Das Spielbuch bietet einen stimmigen Einblick in die Welt Magnamund. Die Vorgeschichte zum Abenteuer ist spannend und lässt erahnen, dass auf den Spielercharakter eine gefahrvolle Aufgabe wartet. Obwohl es sich bei Die Piraten von Shadaki um das zweite Fantasy-Spielbuch aus der Reihe Die neuen Kai-Krieger handelt, kann der Spieler mit diesem Band einsteigen. Sollte der Spieler mit dem zweiten Band einsteigen, stehen ihm minimal weniger Kampfstärke und Ausdauerpunkte zur Verfügung. Zudem fehlt ihm eine Großmeister-Disziplin und er hat noch keinen Zugriff auf die verbesserten Großmeister-Disziplinen, welche ihm zur Verfügung stünden, wenn er schon das erste Abenteuer abgeschlossen hätte. Spieltechnisch bedeutet dies, dass es lediglich ein ganz klein wenig schwieriger ist, das Abenteuer erfolgreich abzuschließen.

Dem Spielbuch merkt man an, dass es in einer ausgestalteten Welt angesiedelt ist. Der Spieler ist durchaus in der Lage, sich nach Magnamund zu versetzen und er erfährt einiges über die Bereiche der Welt, welche er bereist. Die Informationen sind ausreichend für den Spieler, während überflüssige und ausschweifende Hintergrundinformationen konsequent vermieden werden. Dasselbe gilt für die Textbausteine im Allgemeinen. Die einzelnen Szenen sind leicht nachvollziehbar geschrieben und weisen ausreichend Details auf, sodass man leicht in die Welt eintauchen kann, ohne sich in übermäßigen Beschreibungen zu verlieren. Für den Spieler ergibt sich ein stimmiges, abwechslungsreiches Abenteuer, welches ihn einige Zeit aus dem Alltag entführen zu vermag.

Regeln

Die Regeln werden zu Beginn des Buches nach der Einleitung und vor dem Start in das Abenteuer kurz erklärt. Zunächst erfährt man seine Basiswerte für die Kampfstärke und Ausdauer, wozu man das ermittelte Ergebnis aus einer am Ende des Buches eingefügten Zufallszahlen-Tabelle (W10) hinzurechnen darf. Das jeweilige Ergebnis wird dann auf dem Charakterbogen, hier Aktionsblatt genannt, eingetragen. Danach kann man mit Hilfe besagter Zufallstabelle seinen Kai-Namen ermitteln, welcher aus zwei Namensbestandteilen besteht. Im Anschluss werden noch die Kai-Disziplinen erklärt und der Spieler darf fünf Großmeister-Disziplinen auswählen. Vervollständigt wird die Charakterentwicklung durch Auswahl der Ausrüstungsgegenstände, der Anzahl an Goldkronen und welche Kai-Waffe dem Charakter zur Verfügung steht.

All dies kann auf einem übersichtlichen Charakterbogen eingetragen werden, welcher auf vier Taschenbuchseiten bzw. zwei DIN A4-Seiten Platz findet.

Das Kampfsystem ist bestechend einfach, die Feinde verfügen über eine Kampfstärke (KS), die gegen die Kampfstärke des Charakters abgeglichen wird. Die aktuelle Kampfstärke des Spielercharakters wird dabei aus dem Grundwert der Kampfstärke modifiziert durch Boni aus Disziplinen und/oder Gegenständen ermittelt. Aus der Differenz der Werte ergibt sich ein sogenannter Kampfquotient, genauer gesagt bestimmt das Ergebnis, welche Spalte in der Kampfresultat-Tabelle zu konsultieren ist. Beispielsweise beträgt die Kampfstärke des Spielers 32 (Grundwert), der Charakter verfügt zudem über eine Kai-Waffe, welche +5 auf Kampfstärke gibt. Die Kampfstärke würde somit insgesamt 37 betragen (32+5=37). Der Feind wiederum hat eine Kampfstärke von 30. Im vorliegenden Fall würde die Differenz, im Spielbuch als Kampfquotient bezeichnet, somit +7 betragen (37KS-30KS=7). Dieser Kampfquotient und die Ausdauerpunkte der Beteiligten werden in das Kampfprotokoll eingetragen, welches sich ebenfalls auf dem Charakterbogen findet.

Mithilfe der Zufallstabelle und der ermittelten Spalte in der Kampfresultat-Tabelle wird nun der Verlauf des Kampfes ermittelt. Der Kampf wird solange fortgeführt, bis eine der Bedingungen aus dem Text erfüllt ist oder die Ausdauer des Feindes oder des Charakters auf 0 gefallen ist. Die Ergebnisse lassen sich übersichtlich im Kampfprotokoll eintragen und nachvollziehen. Auch Proben oder zufällige Entscheidungen lassen sich leicht mit der Zufallszahlen-Tabelle am Ende des Buches entscheiden. Da sowohl die Kampfresultat-Tabelle als auch die Zufallszahlen-Tabelle umseitig am Ende des Taschenbuches zu finden ist gehen Proben flott von der Hand und Blättern hält sich in Grenzen.

Wer hingegen auch für Proben und/oder die Kampfresultate nicht blättern möchte, könnte sich die benötigten Tabellen einfach kopieren. Alternativ ließe sich zudem die Zufallszahlen-Tabelle durch einen zehnseitigen Würfel ersetzen. Insgesamt ist das gesamte System sehr einfach und funktional gehalten. Die erforderlichen Proben können mit den Hilfsmitteln am Ende des Buches leicht durchgeführt werden und stören das Spielvergnügen kaum.

Wer aufgrund der Vielzahl an besonderen Fähigkeiten befürchtet, die Übersicht zu verlieren, kann ganz beruhigt sein. Die Grundlagen lassen sich gut merken und wenn im Laufe des Abenteuers eine spezielle Fertigkeit eingesetzt werden könnte, findet sich ein Hinweis darauf.

Schreibstil

Das Spielbuch liest sich leicht und eingängig, wirkt jedoch nicht zu schlicht. Die Textblöcke sind stimmungsvoll geschrieben und der Spieler kann schnell in die Atmosphäre der Spielwelt Magnamund eintauchen. Die verwendeten Namen erwecken nicht den Eindruck, krampfhaft originell oder exotisch klingen zu wollen, und fügen sich harmonisch in den Gesamtkontext ein. Das Abenteuer liest sich spannend und kann dem Spieler einige Stunden kurzweilige Unterhaltung bieten. Geschildert werden die Geschehnisse im Spielbuch aus der Sicht eines allwissenden Erzählers in der 2. Person Singular. Für ein Spielbuch nicht unüblich wird der Fortgang des Abenteuers im Präsens erzählt: „Du ergreifst die Seiten der Leiter und kletterst zur Luke hinauf“.

Autor

Joe Dever war ein preisgekrönter Fantasy-Autor, welcher am 12. Februar 1956 in England geboren wurde und am 30. November 2016 verstarb. Die Fantasy-Spielwelt Magnamund entwarf er zwischen 1975 und 1983 als Schauplatz für seine Dungeons&Dragons-Kampagnen. Sein erstes Spielbuch aus der Einsamer Wolf-Reihe wurde 1984 veröffentlicht. Seither wurden die mehr als 10 Millionen Exemplare weltweit verkauft. Drei weitere Spielbuchreihen entstammen ebenfalls der Feder von Joe Dever, doch nur die Reihe Silberstern der Magier erschien in deutscher Sprache. Seit dem Jahr 2009 hat der Mantikore-Verlag viele Bücher der Einsamer Wolf-Reihe in erweiterter Fassung wieder veröffentlicht.

Erscheinungsbild

Der Einband des Taschenbuchs ist dunkel gehalten. In der Mitte des Covers ist ein Totenschädel mit zwei dahinter gekreuzten Säbeln abgebildet, darunter befinden sich Wellen. Der Titel findet sich oben, der Hinweis auf den Autor, und dass es sich um den zweiten Band aus der Reihe um Die neuen Kai-Krieger handelt, findet sich unten. Das Cover fügt sich nahtlos in die Reihe um die neuen Kai-Krieger ein und passt auch zum Inhalt des Buches.

Das Spielbuch liegt griffig und angenehm schwer in der Hand. Das Papier ist nicht zu dünn gewählt. Die Schriftgröße und insbesondere die Nummerierung der einzelnen Spielabschnitte wurden ausreichend groß gewählt und sind sehr gut lesbar. Die Textblöcke sind gut voneinander abgegrenzt. Lediglich zu Beginn des Buches finden sich zwei Karten auf den Seiten vier und fünf, welche man kräftig in die horizontale streichen muss um diese in Ruhe betrachten zu können, was das Buch jedoch tadellos mitmacht. Es gibt zu einzelnen Textblöcken ansprechende Illustrationen, welche den Text ergänzen und durchaus die Stimmung des Textes unterstützen können.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Autor: Joe Dever
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 340
  • ISBN: 978-3945493717
  • Preis: 14,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Die Piraten von Shadaki enthält das Bonusabenteuer Die Hexen von Shadaki. Der Charakterhintergrund sowie die Fähigkeiten und damit einhergehenden Mechanismen werden zu Beginn leicht verständlich erläutert. Das Kampfsystem gilt unverändert, jedoch gibt es andere Fertigkeiten und das zusätzliche Attribut Willenskraft, mit welchem sich die Hexendisziplinen ausüben lassen. Leider sind dem Lektorat/Korrektorat ausgerechnet zum Abschluss des Abenteuers einige Fehler durchgerutscht.

Fazit

Wenn man den reinen Textumfang eines Spielbuches betrachtet und die Story mit einem Roman vergleicht, könnte man vielleicht vorschnell zu dem Ergebnis kommen, dass es spannendere Geschichten gibt. Geschichten, die einen besseren Spannungsbogen haben oder sprachlich ausgefeilter klingen. Das Spielbuch, welchem der große Durchbruch bisher scheinbar verwehrt geblieben ist, hat dafür andere Qualitäten. Spielbücher bieten für gewöhnlich eine tiefere Immersion. Der Spieler kann aktiv den Verlauf der Geschichte mitgestalten. Er erlebt die Kämpfe nicht durch die Augen des Protagonisten, sondern er ist der Protagonist. Er ist es, der kämpfen muss, der um sein Leben bzw. das Leben seiner Spielfigur bangen muss. Und es sind seine Entscheidungen, welche den Charakter genau an diesen Punkt der Geschichte geführt haben.

Die Piraten von Shadaki bietet genau das, ein spannendes Abenteuer, mit einer gelungenen und unterhaltsamen Story, die nicht zu vorhersehbar ist und genau das Maß zwischen schwierig und potentiell tödlich auf der einen Seite sowie spielbar und unterhaltsam auf der anderen Seite findet. Wer sich für Spielbücher begeistern kann – oder vielleicht in der Vergangenheit begeistern konnte – wird sicherlich nicht enttäuscht werden, wenn er sich mit dem zweiten Band der neuen Kai-Krieger-Reihe ins Abenteuer stürzt. Die 14,95 EUR sind ein durchaus üblicher Preis für Spielbücher und für einige Stunden Lese- und Spielvergnügen ist dies ein angemessener Preis.

mit Tendenz nach unten

Artikelbild: © Mantikore Verlag, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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