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7te See von Jon Wick gilt als herausragendes Piraten-Fantasy-System, doch wer sich nur das Grundregelwerk zu Gemüte geführt hat, mag etwas verwirrt zurückgeblieben sein. Keine Piraten, dafür jede Menge Nationen und ihre Angehörigen erwarteten den Leser. Das wird nun anders, denn mit Piraten-Nationen kommen karibische Spannung, Kanonendonner und viel Har-Har! ins Spiel.

Wer sich 7te See in der zweiten Edition schon einmal angeschaut hat, dem wird aufgefallen sein, dass zwar mit viel piratischem Flair geworben wird, jedoch Regelwerk und Hintergrund wenig in dieser Richtung bieten. Zwar wird ein tolles Bild eines Pseudo-Europas im etwa 17ten Jahrhundert entworfen, das Fluch-der-Karibik-Feeling fehlt jedoch. Doch nun hat das Warten ein Ende, denn der mehrfach preisgekrönte Hintergrundband Piraten-Nationen bietet alles, was Spieler und Spielleiter bisher vermissen mussten. Neuer Hintergrund, Regeln für Piraten als Spielercharaktere, jede Menge neue Ausrichtungen der Magie und ein brandneuer, aber mächtiger Feind machen dieses Buch für die 7te-See-Runde nahezu unverzichtbar.

Inhalt

Piraten-Nationen ist ein Quellenband, der Spielern und Spielleitern gleichermaßen viel zu bieten hat. Präsentiert werden verschiedene Piratenvölker und Inselsysteme. Als erstes erkundet der Leser das alte Numa, eine an Griechenland erinnernde Zivilisation, die längst zu einem Schmelztiegel der Völker von Theah und dem Halbmondreich geworden ist. Hier herrscht noch die Magie der alten Götter vor und antike Relikte warten auf ihre Entdeckung.

Weiter geht es nach La Bucca, wo die Buccaniere ihr Unwesen treiben. Diese nahe an  Theah gelegene ehemalige Gefängnisinsel ist nun Heimstatt der gefürchteten Allende, die die Insel mittels der Legende vom Kraken kontrolliert. Hier werden Freibeuterverträge verhandelt, hier blüht die Spionage und die Abenteuer nehmen kein Ende.

Dann geht es mit großen Schritten in das Atabische Meer (ich persönlich hätte die Übersetzung „Atabische See“ stimmungsvoller gefunden), wo sich eine Vielzahl von Piratenvölkern tummelt. Das Meer der Monster wird von den Ureinwohnern vom Stamm der Rahuri bewacht, doch diese kämpfen längst nicht mehr nur gegen die Ungeheuer der See. Die wahren Monster sind Menschen aus weit entfernten Ländern, die mit Schusswaffen und moderner Technik die alten Völker bedrohen und in die Sklaverei führen. Die Dschungel von Jaragua mit ihren Eingeborenen, uralten Kulturen und Artefakten stellen einen weiteren Teil des Atabischen Meeres dar, um den sich ausführlicher gekümmert wird.

Und natürlich darf Aragosta nicht vergessen werden, das nicht zufällig an die real-irdischen Piratennester Nassau und Tortuga erinnert. Hier tummeln sich die Glücksritter und Freibeuter der Bruderschaft der Küste, hier tobt das legendäre Piratenleben um Freiheit und Gold. Doch hier treibt auch der höllische Devil Jonah, der böse Geist der Tiefe, sein Unwesen und verführt die Skrupellosen zu diabolischen Pakten, die Körperteile und Seelen kosten können.

Doch während man in Aragosta zecht und plündert, breitet sich längst der Schatten des Untergangs über die Piraten-Nationen, denn die Atabische Handelskompanie gewinnt mehr und mehr an Macht. Sie lebt vom Sklavenhandel und vom Handel mit Artefakten und Rohstoffen des Atabischen Meeres, und in ihrem kapitalistischen und imperialistischen Streben ist sie gnadenlos. Die Piraten sind ihr ein Dorn im Auge und so mancher Kapitän wendet sich durch Bestechung oder Druck gegen seine einstigen Brüder. Von Fort Freedom aus knüpft die Kompanie ein Netzt von Ränken und Verträgen, die sie zu einer neuen Macht in der Welt der 7ten See machen.

Jede dieser „Nationen“ kommt mit einer eigenen Magieform und eigenen Regeln zur Charaktererschaffung. Sei es das von den alten Göttern befeuerte Mystirios, die Kunst der magischen Tatoos, die Geheimnisse des Mohwoo oder die Magie, die aus den Charta-Schwüren der Bruderschaft der Küste hervorgeht.

Auch an weiteren Regeln wird nicht gespart. Es gibt Regeln, die es spannender machen, ein Schiff zu gestalten und Seeschlachten zu führen, indem man Eigenschaften des Schiffes anhand seiner Geschichte festlegt, Ideen und Regeln für Seemonster und Schiffsbesatzungen, für Reisen und Piratenchartas. Ja, selbst Anregungen für den stimmungsvollen Einsatz von Piratenslang werden geboten. Man möchte diesen Band als unverzichtbar feiern.

Aber gerade eingefleischten Fans der 7ten See mag dies nicht so recht gelingen. Der Grund: Gendering mit der Holzhammer-Methode. Viele Figuren, die man aus dem alten Hintergrund von 7te See kannte, sind plötzlich verweiblicht. Sei es der einst charismatische Allende, der sich nun weiblich in Rock und Zylinder präsentiert, oder aber der absolut ikonische Captain Rice, der plötzlich weiblich wurde: hier wurde die ganz grobe Kelle angesetzt. Bei Rice geht es sogar so weit, dass die Figur, die einst das Cover des Spielleiterhandbuches zierte, nun möglicherweise ein Hochstapler sein könnte, der sich die Identität der nunmehr neuen legendären Kapitänin gestohlen haben könnte. Das macht gerade erfahrenen Spielern in dieser Spielwelt doch einiges kaputt. Interessant ist hier auch die Reaktion der weiblichen Spieler in meiner Gruppe.

Diese waren wie folgt: Anstatt sich nun als Frauen gut repräsentiert zu fühlen, gingen die Gefühle eher in Richtung Ablehnung. „Wo ist denn noch das Besondere an weiblichen Spielercharakteren, wenn die große Mehrheit der Nichtspielercharaktere ebenfalls weiblich  ist? Damit geht ein doch wichtiges Element des Spiels, ein Alleinstellungsmerkmal der SC über die Planke.“ (sinngemäße Zitate) Hier gibt es nur zwei mögliche Lösungsansätze: auf alten Fluff zurückgreifen oder das neue Setting so akzeptieren, wie es sich jetzt präsentiert.

Erscheinungsbild

Die deutsche Ausgabe des Quellenbandes präsentiert sich wertiger als das englischsprachige Original. Das geprägte Hardcover hat eine schöne Haptik und wirkt mit seinem mattierten Einband edel. Karten und Layout sind stimmig, die Papierqualität sehr angenehm fest. Die Illustrationen sind stimmungsvoll und unterstützen den Text gut

Die harten Fakten:

 

Fazit

Zunächst einmal stellt Piraten-Nationen einen unverzichtbaren Quellenband zu 7te See dar, der zu einem sehr fairen Preis daherkommt. Wer eine Kampagne über Piraten, fremde Gewässer und Inka-Schätze plant, wer neue Magie und neue Charakterideen in seine Kampagne bringen möchte, wer karibisches Feeling sucht, der wird diesen Band nicht umschiffen können. Die Texte sind sehr stimmungsvoll geschrieben und weitestgehend gut übersetzt. Der Band fesselt bereits beim Lesen, und das wird durch die Illustrationen noch unterstützt. Die vielen Regeloptionen, die neuen Magieformen und die bewusst teilweise offenen Ideenvorschläge bringen frischen Wind in abgeschlaffte Segel.

Der Kurs geht deutlich in Richtung großartige Abenteuer. Doch liegt da auch ein dunkler Schatten unter der strahlenden Oberfläche. Denn John Wick hat versucht, sein Buch mit dem Holzhammer politisch korrekt und unangreifbar in der Gender-Diskussion zu gestalten. Dabei sind viele alte Konzepte über Bord geworfen worden und wurden nur unzureichend mit befremdlichen neuen Ideen kalfatert. Das mag für neue Leichtmatrosen kein Problem sein, alte Seebären macht das schon einmal grummelig.

Anm. der Redaktion: Bei Teilzeithelden stellen die Artikel die Meinung der jeweiligen Redakteure dar. Dieser Artikel kritisiert keinesfalls die Rolle der Frau im Spiel oder dem zeitgenössischen Geschehen, sondern kritisiert, dass zuvor männliche Charaktere nun plötzlich weiblich sind – die Hintergründe dessen können nur mutmaßt werden und es wirkt so, als ob das Buch damit „politisch korrekter“ wirken sollte.

Artikelbilder: Pegasus Spiele
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

14 Kommentare

  1. Na wenn die einzige Kritik an einem Hintergrundbuch darin besteht, dass es ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei den NSC vorweist, kann es so viel ja nicht falsch gemacht haben.
    Und wenn die Änderung des Geschlechts ein größeres Problem ist als die teilweise komplette Änderung der Hintergrundgeschichte (z.B. bei Allende, was ich schade finde), dann können die Geschichten, die hier für den Rezensenten und die anderen beschworenen „alten Hasen“ kaputt gemacht werden, ja so viel Geschichten nicht enthalten haben.

    • Ja, aber das liegt an der Änderung der Vorgeschichte und nicht an der Änderung des Geschlechts. Ist halt schade, wenn sich dann in der Kritik lieber auf plumpe Polemik zurückgezogen wird. Bei allen anderen Themen (z.B. dem Regelwerks und anderen Hintergrund-Dingen) regt sich auch niemand auf, wenn sie an moderne Anforderungen angepasst werden. Und ein Hintergrundband mit ausgewogenen Geschlechterverhältnissen sollte 2018 kein Grund zum Aufregen, sondern Normalität sein.

    • Komisch. Wo liest du denn „billige Polemik“, also etwas, das per Definition

      [1] öffentlicher, meist scharfer und unsachlicher Meinungsstreit im Rahmen politischer, literarischer, gesellschaftlicher, religiöser oder wissenschaftlicher Diskussionen
      [2] unsachlicher Angriff

      ist.

      Ich lese sachliche Kritik daran, dass man scheinbar ohne Grund, ausser dem der „quantitativen Geschlechtergleichstellung der NPCs durch Gendchange“ weibliche Charaktere“ ohne viel Fantasie produzierte.

      Ich bezeichne mich durchweg als Feministen und finde sowas schlicht plump.

      Was hätte dagegen gesprochen NPCs zu streichen und durch neue weibliche zu ersetzen?

    • Ich finde die Definition, die du gepostet hast, sehr passend.

      Was genau ist der Unterschied, man man einen NPC streicht und einen neuen einführt oder ob man einen NPC streicht und einen neuen mit demselben Namen einführt? Das scheint mir ziemlich egal.
      Ich find’s halt schade, dass sich in der Kritik nur auf das Geschlecht bezogen wird. Denn es gibt eine NPC, die in der 2. Edition cooler sind und einige, die langweiliger sind. Das ist natürlich am Ende des Tages auch Geschmackssache und alle, die beide Editionen kennen, werden sich wohl sowieso die rauspicken, die führ ihr Spiel am besten passen, aber darüber hätte man differenzierter sprechen können. Das wäre auch ein netter Diskussionsstarter gewesen.

    • Ich sehe da durchaus einen Unterschied, denn mit dem Namen wird ja bereits eine Geschichte verknüpft die vielfach erzählt wurde und daher im Gedächtnis der Spieler haften geblieben ist.
      Einfach das Geschlecht tauschen wirkt halt ein bisschen Ideenlos und scheint einem vermeintlichen Zwang des Genderproporz geschuldet zu sein.
      Ich hätte ja schöner gefunden, auch in den vorliegenden Fällen, einfach neue unverbrauchte und interessante weibliche Charaktere zu schaffen.

    • Ich glaube, das Problem an der ganzen Sache geht tatsächlich total an mir vorbei. Aber vielleicht spiele ich auch auch anders. Ich hab NSC schon immer so angepasst, wie sie mir eben in mein Spiel gepasst haben. Man merkt auch an dem anderen Review zu den Nationen Theahs, dass der Autor sich wohl eher detaillierte Informationen wünscht, an denen er nichts mehr ändern muss. Wenn man davon ausgeht, dann muss ein Hintergrundbuch ja zwangsweise immer irgendetwas falsch machen, denn es kann nie jedem passen. Aber das nimmt dann halt auch wieder die Fantasie aus dem ganzen Rollenspiel-Ding raus, so ein bisschen.
      Der Autor wirkt im letzten Absatz seines Reviews auf mich wie ein persönlich angegriffener Internet-Fanboy – was ich ihm nicht unterstellen möchte, ich fand die restlichen Gedanken durchaus interessant. Aber gerade deswegen ist es halt schade, weil (wie weiter unten schon erwähnt) unprofessionell und auf der Ebene mag ich keine Reviews lesen.

    • Das ist ja wiederum eine Frage des ganz persönlichen Rollenspiel-Stils. Lore-Fanatiker und Freigeister, sowie viele Stufen dazwischen, gab es ja schon immer und wird es auch immer geben.
      Sowas macht sich dann eben auch in Rezensionen bemerkbar, das wird man aber bei jedem Portal und jedem Autor finden.
      Ich habe mir jetzt auch mehrfach die Rezi und vor allem das Ende durchgelesen. Ich sehe da einfach nichts unprofessionelles. Leander schreibt ganz klar, dass das Stimmung aus seiner Spielrunde ist und merkt zum Schluss an, dass sich alt gediente Lore-Fans schwer tun könnten.

    • Zudem habe ich die Möglichkeit des Anpassens auch aufgeführt. Aber „Kanon“ sind eben in dieser Edition die neuen Versionen, die bei uns zum größten Teil nicht so gut ankamen. Eine Rezension soll bei der Kaufentscheidung helfen, und vorbehaltslos empfehlen könnte ich nur ein perfektes Produkt. Dieses hier hat kleine Schwächen. Deshalb habe ich 4/5 Punkten bei unserem Bewertungsdaumen gegeben. Damit ist es noch immer ein tolles Produkt, aber für mich eben nicht perfekt.

  2. Die Kritik, dass NSC plötzlich geändert werden ist an sich nicht verkehrt. Aber die Begründung der Spielerinnen lässt mich doch stark stutzen. Was ist denn bitte das für ein selten dämliches Argument, zu sagen „Mein Charakter ist etwas besonderes, weil er eine Frau ist. Jetzt bin ich unzufrieden, weil Frauen vorkommen“? Wenn das das einzige Alleinstellungsmerkmal ist, würde ich den kompletten Charakter einmal überdenken.

    Genau so kann ich mich doch jetzt außerdem freuen: Jetzt sind meine männlichen Charaktere eben besonderer als vorher.

  3. Anm. der Redaktion: Bei Teilzeithelden stellen die Artikel die Meinung der jeweiligen Redakteure dar. Dieser Artikel kritisiert keinesfalls die Rolle der Frau im Spiel oder dem zeitgenössischen Geschehen, sondern kritisiert, dass zuvor männliche Charaktere nun plötzlich weiblich sind – die Hintergründe dessen können nur mutmaßt werden und es wirkt so, als ob das Buch damit „politisch korrekter“ wirken sollte.

  4. Vielleicht hätte man in der Rezi zwei unterschiedliche Empfehlungen abgeben können: Eine für die alten Fans, eine für Neulinge. Ich bin seit Jahren (Jahrzehnten) um die Siebte See rumgeschlichen und habe nun die Neuauflage gekauft. Für mich ist es völlig egal, was es da für Änderungen des Hintergrunds im Vergleich zur alten Edition gibt. Ich kenne die Version aus den 90ern schlicht nicht.

    Dass sich „alte Hasen“ über so etwas aufregen, ist denke ich nomal. In einer Rezension würde ich dann aber auch darauf hinweisen, dass es hier auch eine Sicht der neuen Spieler gibt, die vielleicht ganz positiv auf den Quellenband reagieren. Ansonsten fand ich die Rezi sehr angenehm geschrieben und gut argumentiert.

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