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Eine große Stärke von John Wicks beliebtem Mantel-und-Degen-Rollenspiel 7te See sind die verschiedenen Völker, die realen Nationen unserer Erde nachempfunden sind. Höfische Intrigen, blitzende Degen, aber auch Wikingerschiffe und die rauen Highlands der Marschlande prägen das Bild der Welt. Können Theahs Nationen die Spieler in ihren Bann ziehen?

John Wick ist talentiert im Bau von faszinierenden Spielwelten. Er war der Kopf hinter Rokugan, der Spielwelt von Legend of the Five Rings, und er ist vor allem der Vater von Theah, der Welt der 7ten See. Theah ist ein opulentes Meisterwerk mit seinen Nationen, die bewusst an das Europa irgendwo zwischen dem 16ten und dem 18ten Jahrhundert angelehnt sind.

Das barocke Flair, das Spiel der heimlichen Dolche in Voddacce, die heiteren Hofintrigen der Musketiere von Montaigne oder die im Krieg der Konfessionen geschaffenen Monstrositäten im Lande Eisen reizen Spieler und Spielleiter gleichermaßen zu Entdeckungen und neuen Abenteuern. Leider bietet das Grundregelwerk des Spiels nur einen sehr dürftigen Einblick in die Nationen und berücksichtigt dabei nicht einmal die wichtigsten Akteure der jeweiligen Länder. Das soll sich nun ändern, denn mit Theahs Nationen – Der Westen liegt der erste Hintergrundband zum Kontinent in deutscher Sprache vor.

Inhalt

Theahs Nationen – Der Westen umfasst vier große Völker des Kontinents. Avalon entspricht in etwa dem historischen England zur Zeit von Elisabeth I. In Theah heißt die Königin Elaine und kämpft um den Erhalt der Einheit ihres Reiches. Denn die immergrüne Insel Inismore ist genauso unruhig wie die nördlichen Hochlandmarschen mit ihren dickschädeligen, Whiskey trinkenden Highlandern. Doch damit nicht genug: Feen durchstreifen in großer Zahl das Land, und bei dem Schönen Volk weiß man nie so recht, was es im Schilde führt.

Castillien ist an Spanien angelehnt, enthält aber auch Elemente, die man Mexiko oder Italien zuordnen könnte. So befindet sich in Castillien der Kirchenstaat, von dem aus Kardinal Esteban Verdugo das Land mit einer Inquisition überzieht. Das gütige Königs-Geschwisterpaar Sandoval ist schwach, und das Land von den letzten Kriegen gegen Montaigne gebeugt, aber nicht gebrochen. Denn die Seele der Castillier ist stolz und ihre Verbindung zu ihrem Land so leidenschaftlich und stark wie ihr Blut.

Montaigne entspricht einem Frankreich unter dem Sonnenkönig. Blühende Kultur und prachtvoller Lebensstil des Adels finden einen bitteren Widerhall in der Armut und der revolutionären Stimmung des Volkes. Musketiere schützen einen alternden Sonnenkönig, dem ein Nachfolger fehlt. Um seine Ausschweifungen zu finanzieren, zieht der König das Land in immer ehrgeizigere Kriege und irrwitzigere Unternehmungen.

Die ungewöhnlichste Kultur des Westens ist die der Vestenmennavenjar. Diese Wikinger leben im rauen Norden und kreuzen auf der grau-grünen Handelssee. Ihr Lebensstil ist in vielen Punkten rückständig. Und doch gelingt es der Vendelischen Liga, einer Art Hanse, die Nation auch wirtschaftlich in eine bedeutende Macht zu verwandeln.

Jede dieser Nationen wird mit einem Kurzüberblick vorgestellt. Es folgt dann eine Darstellung der wichtigsten Persönlichkeiten. Hier offenbart sich bereits ein großer Schwachpunkt des Quellenbandes. Spielwerte sucht man vergebens, auch klare Aussagen sind bewusst vermieden worden, um dem Spielleiter größtmögliche Freiheiten zu lassen. Alles könnte entweder so oder aber auch ganz anders passiert sein. Das ist sehr schwammig und erfordert vom Spielleiter, für seine eigene Kampagne eine Menge Entscheidungen zu treffen. Keine Runde 7te See wird ganz kompatibel mit einer anderen sein.

Auch die Beschreibungen der Geheimgesellschaften sind schwammig und vor allem recht kurz. Hier wünscht sich der Leser mehr Raum, denn das ist der zweite Schwachpunkt des Bandes. Bei 192 Textseiten für vier Nationen ist einfach zu wenig Platz für ausreichende Information. So geht es auch bei den wichtigen Örtlichkeiten weiter: kurze Beschreibungen, Andeutungen, Anregungen. Mehr wird nicht geboten. Die Ergänzungen zur Magie der einzelnen Nationen sind eher geringfügig. Interessant sind die kleinen Artikel über Duelle, zeigen sie doch, wie unterschiedlich Theahs Völker kämpfen. Abgerundet wird jedes Kapitel durch eine kurze Sammlung regionaler Legenden, die nette Aufhänger für eigene Abenteuer darstellen.

Der dritte Schwachpunkt des Buches ist schließlich, dass der Hintergrund sich zum Teil sehr massiv von der ersten Version Theahs aus den 1990er Jahren entfernt hat. Gerade altgediente Fans werden über einige Änderungen staunen. Auffällig ist hier, dass einige Elemente leider sehr offensichtlich nur für eine übertriebene Political Correctness verändert wurden, was sehr gestelzt und wenig liebevoll wirkt. So wurde aus dem guten König Sandoval der ersten Edition wie erwähnt ein Geschwisterpaar aus Bruder und Schwester, was handlungstechnisch wenig Sinn macht.

Alles in allem ist der Quellenband wichtig, um überhaupt sinnvolle Abenteuer in Theah gestalten zu können und ein Gefühl für die Spielwelt und ihre Bewohner zu entwickeln. Wichtige Bausteine eines gelungenen Regionalbandes fehlen aber einfach, was wohl dem mangelnden Platz geschuldet ist. Sitten und Gebräuche etwa sucht der Leser vergebens.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für einen Quellenband ist Theahs Nationen – Der Westen mit seinen knapp 25 Euro nicht teuer. Der Spielleiter erhält eine Sandbox von Ideen, mit denen er sein ganz eigenes Theah entwickeln kann. Die Texte sind stimmungsvoll und gut geschrieben und das Flair der Nationen wurde getroffen.

Erscheinungsbild

Wie bei 7te See üblich, übertrifft die Druckqualität der deutschen Übersetzung die des englischsprachigen Originals deutlich. Ein wertiger Hardcover-Band mit Lesebändchen, gelungenem Layout und sehr schönen Illustrationen lädt zum Schmökern ein. Auch die übliche Prägung des Umschlages ist wieder vorhanden. Hier leistet Pegasus Press tolle Arbeit.

Die harten Fakten:

 

Fazit

Theah ist eine großartige Spielwelt und es macht großen Spaß, ihre bunte Vielfalt zu entdecken. John Wick hat ein Szenario geschaffen, das sich deutlich an der europäischen Geschichte orientiert und es so auch unerfahreneren Spielern leicht macht, sich zu orientieren.

Auch der Quellenband Theahs Nationen – Der Westen ist voll von stimmungsvollen Texten und sehr schönen Ideen. Dennoch weist er deutliche Schwächen auf. Zum einen wurde den Nationen einfach nicht genug Platz eingeräumt und somit musste auf wichtige Dinge wie Sitten und Gebräuche, das gewöhnliche Leben und Ähnliches verzichtet werden. Zum anderen versucht der Band fast zwanghaft, dem Spielleiter größtmögliche Freiheiten zu lassen und wagt es somit nicht, Verbindliches zu schaffen und sich festzulegen.

Zum dritten wurde der Hintergrund an aktuelle politische Standards der USA angepasst, was streckenweise sehr verkrampft wirkt. Dies bezieht sich insbesondere auf das Anpassen der Geschlechter (vormals) bekannter Figuren und das offensichtlich-verkrampfte, und nicht natürliche, Ringen um Gleichberechtigung, das die Kapitel durchzieht. Es wirkt leider lieblos und gekünstelt. Wer über diese Punkte hinwegsehen kann, für den ist das Buch ein unverzichtbarer Begleiter für jeden Reisenden in Theah und gehört zwingend in die 7te See-Sammlung.

Mit Tendenz nach Oben

Artikelbilder: Pegasus Spiele
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

 

5 Kommentare

  1. Man sollte allerdings auch berücksichtigen, dass offene Entscheidungen und großes Spotlight auf Spieler*innen und Spielleitung anstelle der Welt an sich ein Kernelement der zweiten Edition von 7te See sind. Die Kritik, dass hier nicht alle Kampagnen kompatibel sind und die Spielleitung über gewisse Hintergrundinformationen entscheiden muss, sind also glaube ich genau das, was der Verlag bei 7te See erreichen will. Bei 7te See sind die Charaktere der Spieler*innen die unangefochtenen Helden und Protagonisten Théas. Wären sie alle kompatibel, wäre die Welt plötzlich voll von solchen Helden. Es wären nicht mehr „Die Drei Musketiere“ sondern bloß noch „Drei Musketiere“. Das sieht man z.B. auch bei vorgefertigten Abenteuern wie „Die Burg“. Hier muss die Spielleitung entscheiden, welches Schicksal bestimmte NSC im Vorfeld ereilt hat (Ich möchte hier nicht spoilern), was dann Auswirkungen auf den Verlauf des Abenteuers hat. Und das wird explizit damit begründet, dass die Spielleitung das Abenteuer so besser in die Stimmung der eigenen Kampagne einflechten kann. Und so sind vom Verlag her bestimmte NSC eben Schrödingers Katze: Sie können gut oder böse sein, dieses oder jenes. Man findet es erst heraus, wenn sie ins Abenteuer der Spieler*innen geschrieben werden, wie es am dramaturgisch spannendsten ist.

  2. Danke für die Rezension!
    Allerdings: Dein Begriff von Natürlichkeit im Zusammenhang mit Geschlecht, Geschlechterhierarchie und gesellschaftlichen (!) Veränderungsprozessen würde mich mal interessieren. Ich halte es zwar durchaus für möglich, dass Worldbuilding aufgesetzt wirken kann. Da Du aber selber bereits gesagt hast, dass vieles im Vergleich zu 1990 umgeschrieben wurde, verstehe ich nicht, warum nun ausgerechnet die Implementierung einer weiblichen Königin in einen Fantasy-Rollenspiel (die zudem mit Isabella von Kastilien historisches Vorbild hat) „künstlich“ sein soll. Ich halte ich es daher auch für möglich, dass Dir der feministische Reflektionsprozess, den die Phantastisk seit 1990 vollzogen hat, einfach nicht passt?

    • Hallo Filou,

      danke für deine Rückmeldung. Ich finde tatsächlich weniger Charaktere oder einer stärkeren Frauenrolle in der Spielwelt nicht nur unproblematisch, sondern, wenn es gut gemacht ist, sogar wünschenswert. Hier finde ich es aber eben gerade nicht gut gemacht, da ein bestehender Charakter verbogen wurde. Hätte man sich für völlig neue Charaktere entschieden, wäre da wohl auch kein Problem. Ich finde auch den Umgang der Spielwelt mit Homosexualität großartig. Ich bedaure sehr, dass bei dir der Eindruck entstanden ist, ich sei mit meiner Einstellung rückwärtsgewandt. Das ist nicht das, was ich aussagen wollte. Ich hoffe, ich konnte dies hiermit klarstellen.

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