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Glück im Unglück: In Mietling auf Abwegen von System Matters schlüpfen die Spieler*innen in die Rolle von Mietlingen, angeheuerten Fachkräften ohne kämpferisches Talent. Ihnen steht eine rosige Zukunft bevor – falls sie es lebend aus dem Dungeon schaffen. Was das Erzählspiel ausmacht, erfahrt ihr hier.

Das Erzählspiel Mietling auf Abwegen beginnt mit dem vermeintlichen Ende einer epischen Geschichte: Nach einem kräftezehrenden und spannenden Kampf konnten die Held*innen das große Übel des Dungeons besiegen. Ihre heroische Pflichterfüllung hat sie aber auch das eigene Leben gekostet. Übrig geblieben sind nur noch die Mietlinge, einfache Menschen mit einer simplen wie nützlichen Berufsausbildung. Während die Held*innen tapfer gekämpft haben, haben die Mietlinge sich die Taschen mit Goldmünzen vollgestopft und sind nun reich – sofern sie es lebend wieder nach Hause schaffen.

Da eine direkte Konfrontation mit den übrig gebliebenen Gefahren im Dungeon ein sicheres Todesurteil für sie bedeutet, müssen die Mietlinge nun möglichst gewaltfrei zum Eingang zurückgelangen. Das erfordert viel Kreativität, von Spieler*innen wie von der Spielleitung. Mit Mietling auf Abwegen fügt System Matters ihrem Angebot an erzählerischen Spielen wie Geh nicht in den Winterwald und So tief die schwere See ein neues System hinzu.

Die Spielwelt

Die Welt ist allgemein offengehalten, auch wenn die bestehenden Mietlingstypen durchaus an eine klassisch-bunte Fantasywelt angelehnt sind. Das muss die Gruppe aber nicht davon abhalten, das Innenleben des Dungeons anderweitig frei zu gestalten. Da den Spieler*innen kreativer Freiraum gelassen wird, können die einzelnen Räume schnell übernatürlich, witzig oder völlig absurd umgedeutet werden. Zu Beginn der Runde klären alle am Tisch allgemeine Fragen gemeinsam, beispielsweise den Namen des Dungeons, wieso die Held*innen herkamen und wo sie die Mietlinge aufgesammelt haben. Hier darf ruhig mehrere Minuten freies Brainstorming betrieben werden – je mehr Ideen zu Anfang gesammelt werden, desto einfacher ist es später, den Dungeon mit Leben und Gefahren zu füllen.

Die Mietlinge © System Matters
Die Mietlinge © System Matters

Nachdem sich alle ein Bild davon gemacht haben, beschreibt die Spielleitung als “Dunarch” (kurz für “Dungeon-Architekt*in”), wie die glorreichen Held*innen besiegt wurden und die Mietlinge noch schnell ein paar Goldstücke zusammenkratzen, bevor sie versuchen, dem Dungeon zu entfliehen. Da keiner von ihnen kämpfen kann, müssen sie ihre besonderen Talente benutzen, um gemeinsam die Gefahren der einzelnen Räume zu umgehen oder zu beheben. Pro Raum gibt es eine Schwierigkeit, welche der*die Dunarch im Vorfeld bestimmt. Erst wenn genug Aufgaben erfüllt wurden, können die Mietlinge in den nächsten Raum vordringen.

Die Regeln

Was die Regeln für Mietling auf Abwegen angeht, haben die Spieler*innen einen begrenzten Pool an Ressourcen, den sie für die Ausführung unterschiedlicher Aktionen ausgeben können. Da wäre einerseits Gold, was als Ersatz für die Lebenskraft verwendet wird und verloren werden kann, wenn etwas schief geht. Oder Fuchtelpunkte, die seltener auftreten und nur in bestimmten Fällen verdient werden können, dafür aber für besondere Aktionen genutzt werden können. Der Rest wird erzählerisch gelöst; gewürfelt wird nur mit einem normalen W6, um Goldabzüge zu berechnen oder bei einer besonderen Aktion, die weiter unten erklärt wird. Das erleichtert den Spielfluss ungemein und erlaubt, dass die Spieler*innen sich auf die Geschichte konzentrieren können.

Die Regeln für die Flucht aus dem Dungeon sind nach einer kurzen Ansicht gut anzuwenden und zu verstehen. An dieser Stelle ist allerdings anzumerken, dass eine allgemeine, zusammenfassende Übersicht für alle in der Runde hilfreich gewesen wäre. Alle Spieler*innen können nacheinander in einer vorher festgelegten Reihenfolge ansagen, was sie tun wollen, was sie entweder Gold beziehungsweise Fuchtelpunkte kostet oder ihnen Fuchtelpunkte einbringt. Hier eine kurze Übersicht, was Mietlinge alles leisten können:

  • Den-nächsten-Raum-betreten: Hier wird entweder der Raum benannt oder ein Problem beschrieben, was dem Mietling einen wertvollen Fuchtelpunkt einbringt.
  • Es-ist-meine-Spezialität: Die Hauptfertigkeit des Mietlings, die natürlich gelingt, solange der Mietling erklären kann, wieso seine Aktion funktionieren wird. Hierfür muss entweder ein Fuchtelpunkt oder zwei Gold bezahlt werden.
  • Sich-entscheiden-zu-versagen: Anstatt etwas zu schaffen, was der eigenen Spezialität entspricht, kann ein Mietling auch erklären, wieso sein Vorhaben kolossal scheitert. Das kostet ihn 1W6 minus 1 Gold, bringt ihm dafür aber einen wertvollen Fuchtelpunkt ein.
  • Etwas-tun-was-überhaupt-nicht-meine-Aufgabe-ist: Hierunter fallen alle anderen Dinge, die ein Mietling tun kann, insbesondere Aktionen, die andere als held*innenhaft oder kämpferisch bezeichnen würden. Hier können Spieler*innen sich entscheiden: Entweder geben sie zwei Fuchtelpunkte aus und sind wider Erwarten erfolgreich; oder aber sie entscheiden sich, mit einem W6 zu würfeln. Würfeln sie eine 5 oder 6, muss der*die Dunarch erklären, wieso ihre Handlung entgegen aller Erwartung doch gelingt. Bei einem niedrigeren Ergebnis scheitern sie: Sie werden von schlimmen Konsequenzen getroffen und verlieren 2W6 plus 2 Gold, was schnell den Tod eines Mietlings herbeiführen kann.
  • Unterstützen: Sollten Spieler*innen würfeln wollen, können ihre Mietlinge von den anderen Hilfe bekommen, die entsprechend beschreiben, wie sie helfen. Jede Hilfe bringt +1 auf das Würfelergebnis und wirkt kumulativ. So würde der Wurf beispielsweise auch schon bei einer Vier erfolgreich sein. Sollte der Wurf trotzdem schief gehen, verlieren alle Mietlinge, die mitgeholfen haben, die Hälfte an Gold, die es den agierenden Mietling kostet.

 

Neben diesen Hauptaktionen können Spieler*innen weitere Verknüpfungen zur Geschichte einflechten, um ein Goldstück extra zu bekommen, oder versuchen, einen Gefallenen Mietling wiederzubeleben. Letzteres ist mit -2 Fuchtelpunkten sowie -8 Gold allerdings eine sehr teure Aktion, weshalb sie nur selten im Spiel zum Tragen kommt. Meist entscheiden sich die Mietlinge doch dafür, nur ihre eigene Haut zu retten.

Charaktererschaffung

Ein Mietling bei den Dingen, die man so als Mietling tut © System Matters
Ein Mietling bei den Dingen, die man so als Mietling tut © System Matters

Insgesamt gibt es sieben Berufe, denen ein Mietling nachgehen kann, beispielsweise als Bäuer*in, Närr*in oder Wanderprediger*in. Alle Mietlinge haben die ein oder andere einfache Aufgabe zu Beginn der Reise erfüllt: Während etwa Chronist*innen viel Wissen über die Welt angesammelt haben, um den Held*innen zu helfen, verstehen sich Fallenpiekser*innen darauf, mit langen Stäben Fallen im Vorfeld auszulösen.

Wie bei anderen Erzählspielen lässt sich die Charaktererschaffung schnell abhandeln. Zuerst wählen die Spieler*innen einen Mietlingstypen, der eine grobe Beschreibung seines Aussehens und einen Namen benötigt. Für letzteres finden sich im Buch viele humoristische Namen mit Kalauer-Potential, die bereits beim Lesen für ein Kichern sorgen können. Nachdem diese Dinge beantwortet sind, erhalten die Mietlinge 15 Gold als Startgeld, zwei berufsspezifische Gegenstände sowie einen weiteren Gegenstand aus einer vorgegebenen Inventarliste, den sie sich frei aussuchen dürfen. Da alle Charaktere gemäß ihres Berufes nur ein herausragendes Talent besitzen, werden keine weiteren Punkte zur Verteilung benötigt. Zuletzt wählen die Spieler*innen eine von drei vorgefertigten Fragen aus und beantworten diese bei der gemeinsamen Erstellung des Dungeons.

Sollte es dazu kommen, dass der Mietling sein Gold (und damit sein Leben) im Dungeon verliert, bedeutet das nicht zwangsweise das Ausscheiden der jeweiligen Person am Tisch. Es wird nach den gleichen Regeln ein neuer Mietling erstellt, der im nächsten Raum auf die restliche Gruppe trifft. Dieser Mietling startet mit weniger Gold als zuvor (10 Gold für den zweiten Mietling, lediglich fünf Gold für den dritten) und anstatt eine der vorgegebenen Fragen zu beantworten, muss erklärt werden, wieso gerade dieser Mietling zurückblieb oder zurückgelassen wurde.

Als Dreingabe für den Tod behält der*die Spieler*in alle mühsam verdienten Fuchtelpunkte des letzten Mietlings und kann sie auf den neuen übertragen. Dies bringt eine taktische Komponente ins Spiel: Ein Mietling, der nur wenig Gold besitzt, kann bei der Bewältigung der Aufgaben absichtlich scheitern, um Fuchtelpunkte anzusammeln. Die Ausnahme für die Rückkehr mit einem neuen Mietling bildet der letzte Raum im Dungeon, in dem außerdem alle Goldverluste verdoppelt werden. Sollte ein Mietling hier ins Gras beißen, wartet am Ausgang kein neuer Charakter mit den Taschen voller Gold.

Spielbarkeit am Tisch

Da die Geschichte erst zu Beginn des Spiels ausgearbeitet wird und sich entlang der Räume entwickelt, benötigt ein*e Dunarch keine besondere Vorbereitungszeit, sondern kann sofort mit dem Spiel beginnen. Es wird lediglich nahegelegt, im Vorfeld einige W6 zu würfeln, um damit die Schwierigkeitswerte der einzelnen Räume festzulegen. Hier muss nach dem Test aber gesagt werden, dass je nach Größe der Gruppe ein W4 oder eine andere Zählung sich besser auf den Spielfluss auswirkt. Ein Raum, in dem sechs Probleme von den Mietlingen umgangen werden müssen, kann je nach Beschreibung und Wurfglück zum Tod der gesamten Gruppe führen. Für ein gutes Spielgefühl sollte vor allem das Ideensammeln zu Beginn der Runde ausgeweitet werden, da die improvisierte Flucht aus dem Dungeon im Anschluss damit einfacher von der Hand geht. Wichtig ist außerdem, dass alle Spaß an dem gewählten Setting haben: Wer einen klassischeren Dungeon mit Monstern und Fallen erwartet, kann von einem humorvollen Dungeon mit absurden Begegnungen schnell frustriert werden.

Die feste Reihenfolge an Aktionen hilft den Spieler*innen, sich schnell an mögliche Abläufe zu gewöhnen und die Regeln richtig einzusetzen. Trotzdem hätte eine allgemeine Übersicht, was wann getan werden kann, dem Regelwerk im Allgemeinen nicht geschadet. Das Charakterspiel bleibt bei dem gemeinsamen Erzählen, abseits einiger humorvollen Kommentare, jedoch eher im Hintergrund. Lediglich bei der Beantwortung von ein paar Leitfragen oder der Ausführung des besonderen Talents können Mietlinge ihre eigene Hintergrundgeschichte erzählen und damit etablieren. Der Grund für die knappe charakterliche Ausarbeitung liegt nicht zuletzt an der hohen Sterblichkeit der Mietlinge: Wer im nächsten Raum sterben könnte, der benötigt für das Spiel keine ausgefeilte Hintergrundgeschichte. Sollte es ein Mietling allerdings lebendig herausschaffen, gibt es als Belohnung einen Epilog, wo erzählt werden darf, was mit dem geretteten Gold angestellt wurde.

Als Mietling sollte man mutig sein © System Matters
Als Mietling sollte man mutig sein © System Matters

Spielbericht

Um ein Beispiel zu geben, wie eine mögliche Spielrunde ablaufen könnte, hier eine kurze Zusammenfassung einer Testrunde, die insgesamt sehr glimpflich verlief. Alle Ähnlichkeiten zu realen Personen und Marken sind rein zufällig und in keiner Form als Parodie gedacht.

Nachdem die Held*innen mutig in den Kerker des Sternenkäfers gezogen waren, um an den braun-orangenen Sud des Sternenkäferkönigs zu gelangen, der als besonders köstlich galt, konnten sie den König zwar besiegen, erlagen aber ihren Verletzungen. Gemeinsam schnappten sich Fraßkoch Howart Soße, Bauer Qurt und Fackelträger Friedrich Feuerschein ein paar Goldstücke und versuchten den Arbeiterkäfern sowie anderen Gefahren aus dem Weg zu gehen. Sie durchquerten Räume bewacht von allsehenden Insekten, gefährlichen Mühlsteinen und riesigen Kesseln, in denen Sud, Bohnen und andere Zutaten zu einem köstlichen Heißgetränk verarbeitet wurden.

Dann, nahe dem Ausgang, schafften sie es mit letzter Kraft und viel Glück aus dem Raum der nie enden wollenden Schlangen, angefüllt mit langen Konstriktor-Schlangen, welche sich an dem Heißgetränk labten. Howart gründete mit dem Geld im Anschluss ebenfalls ein Restaurant, starb aber im Verlauf der nächsten Jahre, während Friedrich sein Gold nutzte, um weiterhin Insekten anzuzünden. Qurt, dem nur ein einziges Goldstück geblieben war, kaufte seinem Huhn Hinkelotte davon ein mechanisches Bein, damit sie nicht mehr von den anderen Hühnern angepickt wurde.

Erscheinungsbild

Dem Artikel liegt die PDF-Version des Regelwerks zugrunde. Das tut den im Buch enthaltenen Illustrationen von Maria Hecher keinen Abbruch, die in einem sehr quirligen und charmanten Stil den Mietlingen Leben einhauchen. Die einzelnen Texte zu den Regeln, Hinweisen und Ideen sind knapp sortiert und schnell über ein Inhaltsverzeichnis zu finden. Im Anschluss dazu gibt es einen Bonus-Teil, bei dem optionale Regeln vorgestellt werden sowie eine Sammlung an Illustrationen von Thomas Novosel aus dem amerikanischen Original.

Die harten Fakten:

  • Verlag: System Matters
  • Autor*innen: Thomas Novosel (Original)
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: A5
  • Seitenanzahl: 74
  • ISBN: 978-3-96378-061-5
  • Preis: 14,95 EUR (gedruckt)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Sphärenmeister

 

Fazit

System Matters liefert mit Mietling auf Abwegen ein kleines, auf gemeinsames Erzählen ausgerichtetes Regel-Set, das viel Platz für Improvisation lässt. Die sieben Mietlingstypen sind nicht nur humorvoll und sinnig eingeflochten, sondern bieten genug Ankerpunkte, damit die Spieler*innen schnell in ihre Rollen schlüpfen können. Umrahmt wird das Gesamtpaket von den putzigen Illustrationen der Mietlinge und einiger Ideen für Gefahren im Dungeon sowie den Zeichnungen des amerikanischen Originals. Trotzdem hätte eine gesammelte Übersicht für Spielleitung und Spieler*innen, welche Optionen es gibt, nicht geschadet.

Für Runden, die gerne improvisieren und keine Angst davor haben, wenn Charaktere scheitern, bietet das System einen erfrischenden Ausflug in einen unbekannten Dungeon. Wer ernsthaftere Geschichten erzählen möchte oder generell mehr Charaktertiefe möchte, könnte aber Startschwierigkeiten haben. Als Oneshot-System ist Mietling auf Abwegen für kurzen Spielspaß ausgelegt, was mit dem gebotenen Preis akzeptabel ist.

Artikelbilder: © System Matters
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Lukas Heinen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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