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Marvel Legacy ist jetzt auch bei den X-Men angekommen. Das verspricht große Einstiegsfreundlichkeit und Nostalgie. Die drei X-Men-Teams reisen in andere Realitäten, durch die Zeit und an den Rand ihrer Vorstellungskraft. Also alles wie immer? Oder wird der Kern der X-Men dabei ganz vergessen?

Seit Jahren läuft es bei den X-Men Comics nicht mehr so, wie sich das Marvel erhofft. Zwischenzeitig hielt sich das Gerücht wacker, dass die X-Men ganz abgesäbelt werden sollen und durch die Inhumans ersetzt werden. Doch damit ist jetzt Schluss. Die X-Men sind zurück in der Mitte des Universums, und neben den hier vorgestellten drei fortlaufenden Reihen drängt sich im Dezember mit X-Men Red sogar eine vierte Reihe auf den deutschen Markt. Kann die Qualität bei dieser Veröffentlichungsdichte mithalten? Welche großen Geschichten wissen die Mutanten noch zu erzählen? Wir machen für euch den Check.

Astonishing X-Men #2 – Ein Mann namens X

In der letzten Ausgabe (hier unsere Rezension) kehrte Charles Xavier im Körper von Fantomex zurück. Doch er brachte dabei etwas aus der Astralebene mit: Proteus. Einer der mächtigsten Mutanten, die jemals gelebt haben. Dieser hat die Fähigkeit, die Realität nach Belieben zu verändern. Das will er dazu nutzen, dass sich der Traum jedes Menschen erfüllt, und ein kleines Dorf in Schottland wird als Testfeld ausprobiert. So stehen die X-Men um Psylocke und Rogue vor dem Ende der Realität. Mittendrin ist der Mann, der früher einmal Xavier war und sich jetzt nur noch X nennt. Warum verhält er sich so anders, und kann man ihm vertrauen?

Die Geschichte ist sehr abwechslungsreich erzählt und funktioniert auch ohne große Vorkenntnisse. Spannung wird durch die Ungewissheit über den Antrieb von X erzeugt. Die Kämpfe gegen das Ende der Realität sind viel zu abstrakt, um wirklich spannend zu sein. Leider legt der Comic seinen Fokus genau falsch herum und betont vor allem die Actionsequenzen. Eine parallel erzählte Handlung zu Xaviers Traum hätte die richtige Würze gegeben. Auch die Skizzierung von Proteus hätte ruhig noch mehr Raum verdient.

Gab es im letzten Heft trotz der unterschiedlichen Zeichner immer einen guten Grund für Stilwechsel, so stören mich bei diesem Band die vielen Zeichner. Die realitätsverzerrenden Fähigkeiten des Antagonisten hätten so viel mehr hergegeben als hauptsächlich einfarbig kolorierte Seiten. Diese sind bei Ron Garney sehr düster mit starker Linienführung, bei Matteo Buffagni in einem durchgängigen Lilaton und bei Aco in sehr knalligen unübersichtlichen Bildern gezeichnet. Wirklich originell fand ich nur die Zeichnungen von Gerardo Sandoval, der nur selten klassische Panels benutzt, sondern oftmals die Figuren selbst als Trenner zwischen die Einzelbilder setzt.

Der Comic funktioniert, wie auch schon der letzte Band. Ob man aber wirklich eine weitere Geschichte braucht, bei der die Realität kurz davor ist, aufgelöst zu werden, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden. Proteus als Gegner und X als wiedergeborener Xavier mit neuem Antrieb sind interessante Figuren, denen man in der Geschichte wesentlich mehr Raum hätte geben können, anstatt hauptsächlich auf Action zu setzen. Die vielen Zeichnerwechsel irritieren mehr, als dass sie bereichern. Dennoch ist der Band sehr gut in Szene gesetzt. In Summe ist es weiterhin ein überdurchschnittlicher Comic, der aber leider den Wesenskern einer X-Men-Geschichte verfehlt. Auch wenn die Wertung dieselbe ist wie bei Band eins, so zeigt die Tendenz eher nach unten als nach oben.

Die harten Fakten

  • Autor(en): Charles Soule
  • Zeichner(in): Phil Noto, Paulo Siqueira, Ron Garney, Matteo Buffagni, Aco, Gerardo Sandoval
  • Seitenanzahl: 140
  • Preis: 16,99
  • Bezugsquelle: Panini Shop, Amazon

 

X-Men Gold #3 – Macht‘s noch einmal, X-Men

Seit Band #1 befindet sich die Leitung der X-Men in der Hand von Kitty Pryde (wir berichteten). Doch statt weiteren Abenteuern in dem Hauptuniversum werden hier das Gold-Team als auch das Blue-Team mit einen Mal in die Mojoworld befördert. Diese Realität ist eine Satire auf die Medienlandschaft der 80er und 90er Jahre, und es dreht sich dort alles nur um die Einschaltquote. Mojo lässt die X-Men dabei ihre größten Kämpfe noch einmal durchleben und überträgt auch direkt an die Fernsehgeräte der Erde.

Der ganze Comic wirkt dabei aus der Zeit gefallen. Mit einem großen Nostalgiefaktor wird die Kulisse der Mojoworld benutzt, um noch einmal die größten Events Revue passieren zu lassen. So landen die Teams zunächst in der Zukunft aus Days of Future Past, Asgard und Inferno. Später treffen sie noch auf Magneto aus Finstere Seele, die Marodeure aus dem Mutant Massacre und die Rächer aus Avengers vs. X-Men. Das soll Nostalgie heraufbeschwören, vergisst dabei aber, dass es bei den X-Men niemals wirklich um die großen Kämpfe ging, sondern um Figuren, die damit umgehen müssen, dass es für sie keinen Platz in der Welt gibt. Gleich am Anfang wird mit dem Tod einer Figur eine Fallhöhe beschworen, die nicht eingehalten werden kann.

Zeichnerisch ist der Band knallbunt, cartoonhaft und konstant solide. Man könnte es als Marvel-Durchschnittskost bezeichnen, die weder negativ auffallen, noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Das einzig Herausstechende sind alte Panels, die auf Fernsehbildschirmen in Mojos Schaltzentrale eingebaut wurden. Gerade durch die hohe Nostalgie hätte man hier einiges spannender machen können, indem es auch zeichnerisch eine Tour durch die verschiedenen Comiczeitalter geworden wäre.

Auch wenn der Band unterhält, ist er dennoch erzählerisch wie zeichnerisch zum Vergessen. Es ist kein großer Spoiler, wenn ich sage, dass die Ausgangssituation am Ende des Bandes dieselbe ist wie am Anfang. Das heißt: selbst wenn man tief in den Reihen ist, kann man sich überlegen, ob man diesen durchweg durchschnittlichen Band auslassen möchte. Der Comic erliegt dem Irrtum, dass es die großen Events sind, welche Leser an den X-Men so lieben, und versucht, diese in großer Nostalgie alle wieder aufzuleben zu lassen. Dabei vergisst er, dass es immer die Charaktermomente waren, welche die Reihe früher zur erfolgreichsten Comicserie auf dem Markt gemacht haben. Eine ehrliche Charakterzeichnung findet in diesem Band nicht statt. Macht‘s noch einmal, X-Men, aber beim nächsten Mal richtig.

Die harten Fakten

  • Autor(en): Cullen Bunn, Marc Guggenheim
  • Zeichner(in): Mike Mayhew, Jorge Molina, Marc Laming, Diego Bernard
  • Seitenanzahl: 140
  • Preis: 16,99
  • Bezugsquelle: Panini Shop, Amazon

 

X-Men Blue #3 – Auf der Suche nach der Zeit

Legacy heißt bei Marvel ein Heraufbeschwören vergangener Zeiten. Für das Team der ursprünglichen fünf Schüler, welche in die Zukunft geraten sind, kann dies nur heißen, dass sie sich wieder auf Zeitreise begeben. Notwendig wird dies dadurch, dass plötzlich ihr Lehrer Magneto in einem Paradoxon verschwindet. Zum Glück steht die Zeitmaschine schon bereit. So springen sie von einer Epoche in die nächste und treffen so auch andere Inkarnationen der X-Men, wie die X-Men 2099 oder die Generation X.

Der Aufhänger mit den Paradoxa wirkt stark unglaubwürdig. Viele Comicfans sind die Zeitreisen inzwischen leid. Dennoch schafft es dieser Band, eine spannende Stimmung zu erzeugen, so dass man sich als Leser fragt, was hier plötzlich passiert und was dafür verantwortlich sein mag. In Die neuen X-Men #4 geriet die Truppe das letzte Mal in die Vergangenheit und sah dort, dass sie nicht vermisst werden. Diese Geschichte wird nun noch einmal aufgegriffen. Die Mischung aus Altbekanntem und Neuem ist dabei gut gewählt und weiß somit zu gefallen.

Der Zeichenstil selbst erinnert an die Schnittmenge zwischen Disney und Mangas und soll wohl jüngere Leser anziehen. Dabei ist der Stil durchgängig zu den ersten beiden X-Men Blue-Bänden. Er funktioniert gut, um Sympathie mit den Figuren zu erzeugen, und transportiert die Emotionen der Figuren überzeugend. Die knalligen Farben erzeugen Aufmerksamkeit, sorgen aber nicht unbedingt für herausragende Atmosphäre. Gerade bei der Darstellung der Generation X fallen hier die Unterschiede zu den ursprünglichen Comics der 90er Jahre auf, die selten so klare Strukturen gezeigt haben.

Wer nicht bereits genug von den zeitversetzten Originalschülern und Zeitreise-Geschichten hat, kann sich diesen Band gerne anschauen. Es wird nicht grundlegend Neues erzählt, aber die Zeithüpferei weiß zu unterhalten. Zu großen Wert auf Logik sollte man dabei nicht setzen, und auch zeichnerisch sind hier keine Meilensteine zu erwarten. Für eine gute Mischung aus Nostalgie und Mysterium ist dieser Band aber zu haben. Dabei gefällt er mir besser als die bisherigen X-Men Blue-Comics. Ob ein Neueinsteiger von der Handlung überfordert sein wird, kann ich nicht hinreichend beurteilen. Die geringe Komplexität sollte aber dabei helfen, dass jeder hier seichte Comicunterhaltung findet, die auch Platz für Überraschungen lässt.

Die harten Fakten

  • Autor(en): Cullen Bunn
  • Zeichner(in): Thony Silas, R.B. Silva
  • Seitenanzahl: 116
  • Preis: 13,99
  • Bezugsquelle: Panini Shop, Amazon

 

Fazit des Monats

Fans der X-Men können sich momentan glücklich schätzen, dass die Veröffentlichungsdichte wieder zunimmt. Wirklich herausragende Comics sind aber nicht dabei. Die große Tiefphase der Mutanten scheint also noch nicht überwunden. Astonishing X-Men und X-Men Blue sind aber unterhaltsam genug, dass ein Fan hier gerne zugreifen mag. Der neuste X-Men Gold ist dagegen nur wirklich Schmachtenden zu empfehlen. Bei allen drei Bänden vermisse ich den wirklichen Kern früherer X-Men Geschichten. Man darf darauf gespannt sein, ob die Rückkehr von Jean Grey der Wendepunkt der X-Men Publikationen sein wird. Bis dahin hat man aber genug Material, um sich die Zeit zu vertreiben.

 

Artikelbilder: © Panini Comics, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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