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Mit verschiedenen Formaten haben die Raketenbohnen von Rocketbeans.tv das Hobby Pen&Paper-Rollenspiel in eine breite Öffentlichkeit gestellt. Die klassische Tischrunde wurde mit einer gehörigen Portion Entertainment medial wirksam aufgezogen. Die Regeln der ersten Runde wurden jetzt auf Papier gebannt und veröffentlicht. Was das T.E.A.R.S.-Box zu bieten hat, stellen wir euch hier vor.

Die Produktpalette von Rocketbeans.tv hat sich seit der ersten Staffel von T.E.A.R.S. erweitert. Es wurden in Zusammenarbeit mit funk und der Kirche realhistorische Settings bespielt, es gab unterschiedliche, kurze Abenteuer, wie Morriton Manor oder Good Times Island, oder auch die Animal Squad 9/11-Reihe von Florentin Will. Seitdem er die Idee für ein Rollenspiel hatte, war es Hauke Gerdes, dem Spielleiter und jetzigen Autor von T.E.A.R.S., ein Anliegen, aus der bespielten Welt ein kaufbares Produkt zu machen. Das Endprodukt ist eine Box, in der sich das Regelwerk, ein Abenteuer und Loot-Karten sowie kleinere Gimmicks finden lassen.

Einleitend muss an dieser Stelle erwähnt sein, dass bei der Bewertung eines Produktes nur das Produkt für sich steht. Das Drumherum, also die Ausstrahlung der Spielrunden inklusive der Pre-Shows, in denen die Charaktere gemacht wurden und alles andere, sind nicht Teil des Kaufpreises und dürfen daher nicht eingerechnet werden.

Die Spielwelt

Von Endstation und Neuanfang

T.E.A.R.S. spielt in einer fiktiven Version der Realwelt, der Fokus liegt auf Deutschland. Der namensgebende Virus ist 2014 in Mitteleuropa ausgebrochen und hat eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zu blutweinenden Zombies gemacht. Damit ist die Beschreibung der postapokalyptischen Welt des Settings auch schon abgeschlossen. Lediglich der Verweis auf ein Wiki ist noch angemerkt, die kleine Übersichtskarte mit den im beiliegenden Abenteuer relevanten Orten ist da nur ein Trostpflaster.

Es fehlen hier sehr viele Informationen, die auch durch das Wiki nicht geliefert werden. Es wird anscheinend vorausgesetzt, dass der Käufer mit den Inhalten der Ausstrahlungen vertraut ist, was sehr schade ist. Von einer ausreichenden Spielweltbeschreibung kann nicht die Rede sein, denn der Umfang dieser beläuft sich auf eineinhalb DIN-A5-Seiten.

Außer einigen kleinen Infoboxen gibt es keine Hilfestellung für den Spielleiter. Es fehlen Werte für Gegner oder Ausrüstungsgegenstände. Erst auf den beigelegten Loot-Karten finden sich Werte zu den darauf abgebildeten Gegenständen. In drei Seltenheitsgraden (grün, blau, lila) abgestuft sind sie eine Bereicherung des Spieltisches und der Atmosphäre.

Patient Zero-One

Das Abenteuer Patient Zero.One
Das Abenteuer Patient Zero.One

Neben dem Regelwerk ist auch ein Abenteuer mit dem Titel „Patient Zero-One“ enthalten. Dieses Abenteuer ist die Fortsetzung der ersten Staffel T.E.A.R.S. und Inhalt der zweiten. Es ist klar auf die Charaktere der vier Bohnen und deren Erlebnisse zugeschnitten, kann aber auch von diesen losgelöst gespielt werden. Dann geht aber leider viel von dem verloren, was es ausmacht.

Gut sind hier doch die Hilfestellungen bezüglich Loot, wenn man gradlinige Abenteuer mag. Dann erhält man Hinweise und Angaben zur Verteilung von Gegenständen, Werte zu einigen Gegnern und wann eine Probe mit welchem Talent sinnvoll ist. Das Einführungsabenteuer hilft dabei, die Welt zu verstehen, doch zwingt es einen Spielstil auf und ist kein neuer Content, sondern bereits verfilmtes Material.

Die Regeln

Die Grundlagen

Infobox: Falls sich erfahrene Rollenspieler im Folgenden an die Regeln von DSA erinnert fühlen, ist dies kein Zufall. Der Autor ist leidenschaftlicher DSA-Spieler und man kann schlecht leugnen, dass es sich bei T.E.A.R.S. im Prinzip um eine vereinfachte Form des DSA-Kernregelwerks handelt. Ähnlich verhält es sich mit der geistigen Gesundheit, die dem bekannten Call of Cthulhu entlehnt zu sein scheint.

Das Regelkonzept von T.E.A.R.S. basiert auf dem Unterbieten oder Treffen eines Zielwertes mit einem zwanzigseitigen Würfel. Es gibt dabei zwei Arten von Proben: Talent- und Angriffsproben. Angriffsproben werden gegen einen vorher errechneten Wert geworfen, der im Zusammenhang mit der Waffe steht. Für Nahkampfwaffen werden andere Attribute als für Fernkampfwaffen zu Rate gezogen und jeder Nahkampfangriff kann pariert werden, wozu der Verteidiger ebenfalls gegen einen statischen, vorher errechneten Wert würfelt. Ein Wurf genügt, um anzugreifen oder sich zu verteidigen. Waffenschaden wird mit verschiedenen Würfeln gewürfelt, hinzu kommt ein statischer Wert.

Talentproben erfordern mehrere Würfe gegen insgesamt drei Attribute, die als Zielwert gelten. Die in das Talent investierten Punkte können als Ausgleichspool eingesetzt werden. Soll ein Charakter zum Beispiel ein Feuer entzünden, muss er einen Wurf gegen Geschicklichkeit machen, dann noch einen und einen dritten gegen Intelligenz. Die Punkte, die der Charakter in das Talent „Feuer machen“ investiert hat, erlauben es, Fehlwürfe zu kompensieren. Reicht selbst das nicht aus, um alle drei Proben zu schaffen, versagt der Charakter bei der Aufgabe.

Kritische Erfolge und Misserfolge können nur bei Einzelproben zustande kommen, also Proben mit nur einem einzigen Wurf.

1+1=42

Hat man die Grundlagen verstanden, kann man sich mit den variablen Werten und deren Berechnung beschäftigen. Lebensenergie spielt bei T.E.A.R.S. eine wesentliche Rolle, denn Nahrung und Wasser sind selten, andere Ausrüstung ebenso, und so können leichte Verletzungen den Tod bedeuten.

Die Lebensenergie ist die körperliche Gesundheit des Charakters. In verschiedenen Etappen sorgt ein Verlust derselben nicht nur für Narbengewebe und generelle Unattraktivität, sondern beschert dem Verletzten auch Mali auf alle Proben. Je stärker die Verletzung, desto höher der Malus. Sinkt die Lebensenergie auf null, benötigt der Charakter Hilfe, stirbt aber nicht sofort.

Geistige Gesundheit ist ein Mittel, die mentale Belastung zu messen, die auf den postapokalyptischen Helden wirkt. Verschiedene Ereignisse können Angst oder sogar Panik hervorrufen und so ebenfalls dazu beitragen, dass Würfelwürfe schwieriger werden. Sollte dieser Wert auf null sinken, ist der Charakter verrückt geworden und nicht mehr spielbar.

Something Special

Neben Attributen, Talenten und daraus errechneten Werten kommen noch Sonderfähigkeiten und Spezifika hinzu. Erstere sind zum Beispiel die verschiedenen Führer- und Flugscheine, die beweisen, dass der Charakter den Umgang mit solchen Maschinen gelernt hat. Für andere prä- und postapokalyptische Sonderfähigkeiten ist die Kreativität der Spieler gefordert, denn das Regelwerk bietet keine weiteren Vorschläge.

Die Spezifika sind Vor- und Nachteile oder einfach Besonderheiten, die einen rollenspielerischen Wert haben und sich gleichzeitig auf gewisse Talente und Proben auswirken.

Charaktererschaffung

Sag mir, was du machst, …

Bei der Erschaffung eines Überlebenden des Virus spielt die Vergangenheit des Charakters eine entscheidende Rolle. Leider ist das Kapitel sehr konfus aufgebaut, so dass man leicht mehrere Schritte doppelt macht, wenn man nicht aufpasst. Es würde sich also empfehlen, nicht vorne bei den Attributen an, wie es T.E.A.R.S. macht, anzufangen, sondern mit dem Berufsleben vor dem Kollaps. Diese Methode hat man sicherlich nach der Erstellung des ersten Charakters sowieso drauf. Der Aufbau ist dennoch ungünstig.

Berufe verändern Charakterwerte

Nach der Erklärung der Attribute, und eventuell deren erster Verteilung, legt man einen Beruf fest. War der Charakter Maler oder Redakteur, Tischler oder Arzt? Alles ist möglich. Die Zuordnung des vom Spieler gewählten Jobs in ein Berufsfeld obliegt dann dem Spielleiter. Insgesamt acht Berufsfelder steigern zwei bzw. vier der sechs Attribute Körperkraft, Ausdauer, Geschicklichkeit, Intelligenz, Charme und Mentale Belastbarkeit vom Grundwert (8) auf einen neuen, höheren Wert zwischen neun und dreizehn.

Jetzt muss man zurückspringen und die einige Seiten zuvor erwähnten 14 Steigerungspunkte verteilen. Die Kosten für die Steigerung sind gestaffelt. Bis zu einem Wert von 14 in einem Attribut kostet die Steigerung einen, bis 17 zwei und bis 19 drei Steigerungspunkte. Höher als 19 kann kein Attribut gesteigert werden. Nach der Zuteilung der Attribute kann man bereits einige variable Werte berechnen: Lebensenergie und Geistige Gesundheit, die Berechnung steht weiter vorne, und Kampfwerte wie Attacke Nahkampf, Parade Basiswert, Attacke Distanz und Initiative, deren Berechnungen weiter hinten im Regelwerk zu finden sind.

Letzte Berechnungen, bevor gekämpft werden kann
Letzte Berechnungen, bevor gekämpft werden kann

… und ich sag dir, was du kannst

So wie die Attribute steigen, erhält der Charakter auch Talentpunkte für das Berufsfeld. Insgesamt stehen 45 Punkte durch das Berufsfeld zur Verfügung, von denen 40 an Talentgruppen gebunden sind und 5 variabel verteilt werden können. Die Talentgruppen unterteilen sich in körperliche, motorische, geistige, soziale/gesellschaftliche und Kampf-/Waffentalente. Empfohlen wird, zuerst ein dem Beruf nahestehendes Talent mit fünf Punkten zu steigern und dann die restlichen Punkte sinnvoll zu investieren. Waffentalente kosten hierbei doppelt so viel, nämlich zwei Punkte pro Talentpunkt.

Neben den Talentpunkten aus dem Beruf kommen noch Bonuspunkte zweier Hobbys hinzu. Auch hier wird eine sinnhafte Kombination gefordert. Das erste Hobby gewährt fünf, das zweite drei Bonustalentpunkte auf ein hobbynahes Talent.

War es das? Nein. Zehn Punkte für jede der fünf Talentgruppen kommen noch hinzu. Ein Limit für die Talente ist im Gegensatz zu den Attributen nicht angegeben.

Aus den Berufsfeldern ergeben sich außerdem negative Spezifika, die sich rollenspielerisch auswirken und ebenso Talentpunkte bringen. So sind Menschen aus kreativen Berufen nach Ansicht des Autors offenbar schlecht in körperlichen Dingen und erhalten ein negatives Spezifikum in diesem Teilbereich. Ein bisschen weiter hinten finden sich Tabellen mit einer Auswahl dafür. Zusätzlich wählt man ein positives und ein negatives Spezifikum aus, um dem Charakter Kontur zu geben. Oder man wählt noch viel mehr, wenn es der Spielleiter erlaubt.

Gut ausgebildet, schlecht ausgerüstet

Unverteilte Talentpunkte können in die erwähnten Sonderfähigkeiten investiert werden. Neben der Kreativität ist der Spielleiter wieder der limitierende Faktor.

Da es im ganzen Regelwerk keine Ausrüstungstabelle gibt und das normale Wirtschaftssystem durch den Virus ausgehebelt wurde, könnte man meinen, dass es entweder nicht Teil der Erschaffung ist, irgendetwas zu besitzen, was über das Adamskostüm hinausgeht, oder aber die Ausrüstung soll in Absprache mit dem Spielleiter frei gewählt werden. Letzteres erscheint mir in Anbetracht des gesamten Werkes eher der Fall zu sein, erwähnt wird das aber nirgendwo.

Die Loot-Karten bieten hier eine Hilfestellung. Dort sind Gegenstände mit Werten versehen und Spieler haben so die Dinge in der Hand, die ihre Charaktere bei sich tragen. Wie viel das ist, weiß man trotzdem nicht. Erst, wenn man das beigelegte Abenteuer aufschlägt, wird einem eröffnet, dass sechs Dinge aus einer dort aufgeführten Liste mit Kategorien dem Ausrüstungsfundus hinzugefügt werden dürfen.

Die Charaktere können von Gruppe zu Gruppe und Spieler zu Spieler so stark variieren, dass es keine Möglichkeit gibt, eine Aussage darüber zu machen, ob Charaktere stark oder schwach zu Beginn eines Spieles sind. Der Charakterbogen ist einfach gestaltet und bildet die Erstellungsprozedur ab. Zusammengefasst gilt also: Die Charaktererschaffung ist einfach, aber erfordert viel Eigeneinsatz, hat wenige Grenzen und fordert zu unaufhörlicher Herumblätterei auf.

Erscheinungsbild

Für die Illustrationen war Alwin Reifschneider verantwortlich, der bei den Rocket Beans bereits mehrfach sein Können unter Beweis gestellt hat und auch in diesem Werk dieser Linie treu bleibt. Der Stil ist nicht verkniffen, sondern locker und witzig. Die vielen kleinen Bildchen und lustigen Charaktere machen es zu einer Freude, das Regelwerk und Abenteuer durchzublättern, vor allem aber die Loot-Karten zu verteilen und zu bekommen. Alles, bis auf die Charakterbögen, ist vollfarbig gestaltet und auf wertigem, dickem Papier abgedruckt. Die Regeln wurden in ein Hardcover verpackt, das Abenteuer in ein Softcover.

Die Textpassagen sind nicht zu lang und angenehm locker präsentiert. Es gibt keinen Index, was bei der Größe auch Unsinn wäre, und die A5-Büchlein liegen gut in der Hand. Das herausragendste Element sind die 100 illustrierten Spielkarten, auf denen sich plünderbare Beute findet. Die Box hätte kleiner ausfallen können, doch ist sie als Eye-Candy eine schöne Bereicherung für den Rollenspielerschrank.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Rocket Beans Entertainment GmbH
  • Autor(en): Hauke Gerdes, Alwin Reifschneider
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Box
  • Seitenanzahl: –
  • ISBN: 0710535559484
  • Preis: 34,90 EUR
  • Bezugsquelle: Rocket Beans Shop

 

Bonus/Downloadcontent

In der Box ist ein Download-Code enthalten, mit dem alle Abenteuer und das Regelwerk von B.E.A.R.D.S., einer in die Wikingerzeit versetzten Variante von T.E.A.R.S., in digitaler, unbearbeiteter Form erhältlich sind. Dies ist auch ohne ein Konto bei den Bohnen drei Mal möglich, mit Konto gibt es keine Beschränkung. Die Erstellung eines Kontos ist kostenlos.

Fazit

Zwischen dem Regelwerk eines Rollenspiels und der Live-Ausstrahlung einer Tischrunde liegen Welten, das hat auch Hauke Gerdes immer wieder betont. Mit dem Schritt, T.E.A.R.S. als Print zu veröffentlichen, mussten folglich auch viele Änderungen kommen. Leider ist dies sehr oft nicht gelungen. Weder als Einsteiger noch als erfahrener Rollenspieler kommt man hier voll auf seine Kosten.

Eine postapokalyptische Welt mit einem alles bedrohenden Virus, vorgestellt mit einer guten Portion Witz, ist ein guter Ansatz für ein Rollenspiel und darüber hinaus eine im Moment beliebte Thematik. Die Chance, seine Vision dieser Welt mit Gefahren und Unwegsamkeiten, Orten und Personen zu beschreiben, hat Hauke Gerdes hier leider vertan, denn der geringe Umfang der entsprechenden Passage im Regelwerk ist mehr als dürftig.

Das Regelkonstrukt ist einfach und kompliziert zugleich. Zwar kann man schnell einen Charakter erstellen, doch sind dreifache Würfe und das Ausgleichen von diesen langwierig und nicht einfach zu verstehen, wenn man neu ist. Nichtsdestotrotz funktioniert es, vielleicht auch deshalb, weil grundsätzlich die Regeln von DSA verwendet wurden. Doch fehlen immer wieder Informationen und man muss stetig hin- und herblättern, um das zu finden, was man sucht, wenn es denn überhaupt enthalten ist. Für den geringen Umfang ist das ungewöhnlich und einfach nicht durchdacht.

Gestalterisch ist die Box wirklich sehr schön. Es gibt vier Charakterbögen auf festem Papier, das Regelwerk als Hardcover und das Abenteuer als Softcover. Beide sind vollfarbig und mit vielen Illustrationen versehen, sowie mit Hingabe gestaltet. Eine kleine Regionsübersichtskarte zum Abenteuer ist ebenfalls ein schickes Gimmick. Herausragend sind die 100 Loot-Karten, die nicht nur schön aussehen, sondern auch ein Gewinn für den Flair am Spieltisch sind.

Insgesamt erhält man für knapp 35 Euro eine gutaussehende aber nicht zu Ende gedachte Liebhaberbox, die für Fans der Bohnen, und der Rollenspielrunden dieser im Besonderen, sicherlich eine schöne Sache ist, sich aber mit der Konkurrenz im Segment Postapokalypse nicht messen kann.

Der Ersteindruck basiert auf der Lektüre des Regelwerkes und des Abenteuers und der Erstellung einiger Testcharaktere.

Artikelbild: Rocket Beans Entertainment GmbH, Fotografien: Norbert Schlüter, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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