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Ein wunderschöner Strand wird für seine Besucher*innen zu einem unerwarteten Horrortrip: In Sandburg, der Graphic-Novel-Vorlage des Films Old von M. Night Shyamalan, sorgt ein unheimliches Phänomen für die rapide Alterung der Charaktere. Wir haben uns dennoch in unsere Badeklamotten gewagt und einen Ausflug unternommen.

Ende Juli dieses Jahres kam mit Old der neueste Film von M. Night Shyamalan, unter anderem bekannt durch The Sixth Sense, Signs-Zeichen oder Split, in die Kinos. Die Handlung seines neuesten Werks basiert dabei auf der Schweizer Graphic Novel Sandburg von Pierre Oscar Lévy und Frederik Peeters.

Ursprünglich 2013 auf Deutsch aus dem französischen Original übersetzt, erhält die ungewöhnliche Geschichte durch die Verfilmung neue Aufmerksamkeit. Wir haben uns angeschaut, ob sie einen außergewöhnlichen Eindruck hinterlässt oder, wie die Hollywood-Adaption, eher mittelmäßig wirkt.

Handlung & Charaktere

Gemeinsam mit ihren beiden Kindern Felix und Zoe freuen sich Robert und Marianne auf einen entspannten Tag am Strand. Das Fleckchen Natur scheint ein Geheimtipp zu sein, denn bis auf einen weiteren Mann ist die Gegend menschenleer. Das ändert sich jedoch im Laufe des Tages, als es den Arzt Charles mit seiner Gattin, der Schwiegermutter und den beiden Kindern ebenfalls in die Gegend verschlägt.

Der Aufenthalt nimmt eine unerfreuliche Wendung als die Leiche einer Frau gefunden wird. Der fremdenfeindlich eingestellte Charles beschuldigt schnell den aus Algerien stammenden Mann, den Robert und dessen Familie zuvor am Strand angetroffen haben. Doch damit enden die schlechten Nachrichten leider nicht.

Just in dem Moment, als drei weitere Neuankömmlinge eintreffen, rennt Charles Frau panisch auf ihn zu. Ihre Mutter hat plötzlich aufgehört zu atmen. Bei seiner Schwiegermutter angekommen, kann Charles nur noch deren Tod feststellen.

Doch damit nicht genug, denn die Kinder der Familien legen innerhalb kürzester Zeit enorme Wachstumsschübe zurück. All diese Hinweise führen zu einer erschreckenden Entdeckung: An diesem Strand scheint die Zeit unnatürlich schnell zu vergehen. Voller Panik suchen die Betroffenen nach einem Ausweg.

Die Charaktere von Sandburg sind normale Menschen mit ihren eigenen Schwächen und Stärken und wirken beinahe langweilig. Doch dadurch hinterlässt diese Graphic Novel eine solch verstörende Wirkung. Die meisten Leser*innen dürften ein Paar wie Robert und Marianne in den späten Dreißigern kennen, die sich einfach auf einen Urlaub mit den Kindern freuen. Oder möglicherweise werden sogar Erinnerungen an Kindertage mit den eigenen Eltern geweckt?

Umso erschreckender ist es dann, deren körperliche Veränderungen mitzuerleben. Bei den Kindern wirkt das im ersten Schritt harmlos, da sie lediglich im Rekordtempo heranwachsen. Doch sobald bei den Eltern deutliche Alterserscheinungen auftreten, erkennt man den Ernst der Lage. Die Dialoge und die sichtliche Panik aller Beteiligten verstärken dieses Gefühl nochmals.

Generell nutzt Autor Pierre Oscar Lévy viele Andeutungen, um das Kopfkino der Lesenden anzuregen. Es werden bewusst Fragen offengelassen, sodass der Fokus auf den Emotionen der Betroffenen und nicht auf dem übernatürlichen Phänomen liegt. Das steigert die Wirkungskraft, kann an einigen Stellen aber frustrieren. Gerade das Ende wird nicht nur auf Gegenliebe stoßen, wobei ich es als sehr passend empfunden habe.

Zeichnungen & Kolorierung

Die gesamte Graphic Novel ist in Schwarz-Weiß gehalten. Künstler Frederik Peeters war in der Vergangenheit bereits an der Gestaltung von Graphic Novels beteiligt, unter anderem dem autobiografischen Werk Blaue Pillen. In diesem beschreibt er seine Liebesbeziehung mit einer HIV-positiven Frau und die daraus resultierenden Erfahrungen.

In Sandburg bestechen seine Zeichnungen durch die starke Mimik und Gestik der Charaktere. Deren emotionale Reaktionen sind wunderbar nachvollziehbar und tragen maßgeblichen Anteil an der vermittelten Atmosphäre. Das erkennt man deutlich im späteren Verlauf des Bandes, als die Verzweiflung immer größer wird. Darüber hinaus ist es dem Künstler gut gelungen, die Charaktere über wenige Seiten hinweg glaubhaft altern zu lassen.

Dennoch ist Sandburg eine der wenigen Graphic Novel in Schwarz-Weiß, bei denen ich mir eine Kolorierung wünsche. Dies liegt nicht nur am Schauplatz des Strandes, den ich mir als farbenfroh vorstelle. Stattdessen vermute ich, dass mit entsprechendem Spiel von Licht und Schatten die Alterungsprozesse noch deutlicher und atmosphärischer wirken.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Reprodukt
  • Autor*in: Pierre Oscar Lévy
  • Zeichner*in: Frederik Peeters
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 104
  • Preis: 18,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Sandburg ist eine Lektüre, die nach dem Ende zum Nachdenken über die Flüchtigkeit des eigenen Lebens einlädt. Das findet sich bereits deutlich in der Erzählung wieder, da die Charaktere aufgrund des übernatürlichen Alterungsprozesses sich unerwartet ihrer Sterblichkeit bewusst werden.

Somit ist nicht das Phänomen an sich das Faszinierende und Verstörende an der Geschichte, sondern welchen Eindruck es auf die Betroffenen hinterlässt. Deren von Angst bis zu Hoffnung reichende Reaktionen sind der Antrieb für die Lektüre und haben mich mehr als einmal bang werden lassen. Besonders eine Szene mit dem Hund von Roberts und Mariannes Familie hat mich so mitgenommen, dass ich danach erstmal meine beiden Katzen knuddeln musste.

Sandburg hinterlässt als Graphic Novel Wirkung, ist aber nicht ohne Fehler. An einigen Stellen verheddert sich Autor Pierre Oscar Lévy in Andeutungen, was für einige Lesende unbefriedigend sein wird. Besonders das Ende muss als kontrovers bezeichnet werden, wenngleich ich es als passend empfinde.

Darüber hinaus hätte eine Kolorierung geholfen, die Wirkung des Alterungsprozesses durch Licht und Schatten noch weiter zu verdeutlichen. So wird diese bedeutsame Aufgabe allein den Tuschezeichnungen von Künstler Frederik Peeters überlassen, die trotz ihrer hohen Qualität nicht alles leisten können.

 

  • Emotional packende Geschichte mit unheimlichem Horror-Flair
  • Glaubwürdig gestaltete Charakter-Reaktionen
  • Starke visuelle Inszenierung, besonders hinsichtlich Mimik und Gestik
 

  • Verfängt sich an einigen Stellen zu sehr in Andeutungen
  • Kolorierung hätte den Alterungsprozess noch eindrucksvoller darstellen können

 

Artikelbilder: © Reprodukt
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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