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Hört man Insektenhaus, denken informierte Lesende an tiefsinnige Comics mit häufig melancholischem Gothic-Einschlag. Das ist bei den aktuellen Bänden nicht anders. Taucht mit ab, wahlweise in die Tiefen 20000 Meilen unter dem Meer oder in die Abgründe der menschlichen Seele!

Insekten: schillernde, vielfarbige und dennoch oft im Verborgenen lebende Geschöpfe, die mit zu den großen Kunstschaffenden auf unserem Planten gehören. Manche schaffen monumentale Bauten von gigantischem Ausmaß, andere weben feinste Gespinste und filigrane Kokons. Es ist sicherlich kein Zufall, dass dem Verlag Insektenhaus gerade die Schöpfungen dieser faszinierenden Wesen namensgebend Modell standen.

Bereits mit Der Junge lebt im Brunnen konnte Insektenhaus überzeugen. Anfang des Jahres begeisterte der kleine Verlag mit einem Feuerwerk feinsinniger Erzählungen, die das künstlerische Gespür bei der Titelauswahl bekräftigte. Diesmal nimmt Insektenhaus sich gleich zwei Klassiker vor, die in die Tiefe gehen. Während diese bei 20000 Meilen unter dem Meer wörtlich zu verstehen ist, führt Wie ein Geruch von Teufel die Lesenden in die Abgründe des Menschlichen Verstandes und der menschlichen Seele. Autor Claude Seignolle, dessen Erzählungen hier interpretiert werden, braucht dabei den Vergleich mit Edgar Allan Poe oder H. P. Lovecraft nicht zu scheuen.

Wie ein Geruch von Teufel – Erzählungen von Claude Seignolle

In diesem ungewöhnlichen Comic-Band interpretiert Laurent Lefeuvre einige Erzählungen von Claude Seignolle und überträgt sie in die neunte Kunst. Seignolle war ein französischer Autor, dessen besonderes Interesse der Archäologie und den Volkserzählungen galt. In den 1930er Jahren reiste er durch das ländliche Hurepoix in Frankreich, um den Menschen dort auf den Mund und in die Seele zu schauen. So sammelte er eine Vielzahl teils düster-verstörender Erzählungen, Legenden und Märchen. In Wie ein Geruch von Teufel finden sich fünf dieser Geschichten. Sie handeln von den Ausgegrenzten, den an den Rand Geschobenen, den Unheimlichen und den Verdammten. Sie zeigen die Hässlichkeit, die ihren Platz in der menschlichen Seele nehmen kann, wenn der verarmte Fremde einfach aus Angst erschlagen wird. Sie zeigen die Eigentümlichkeit ländlicher Spuk- und Hexenerzählungen, die so seltsam unaufgeregt und trotzdem grauenerregend wirken. Und sie erfüllen Lesende mit einer tiefen Melancholie, die bei all dem Grauen und der Bedrückung immer mitschwingt.

Diese Melancholie wird auch transportiert durch Lefeuvres ausdrucksvolle Tuschezeichnungen. Die Entscheidung, diese Werke in schwarz-weiß zu lassen und auf eine Kolorierung zu verzichten, lässt die einzelnen Panels in ihrer ganzen, eindringlichen Kraft auf die Lesenden wirken. Gesichter werden mit starkem Strich in groteske Fratzen verwandelt, ohne gleichzeitig das Natürliche zu verlieren. Zeichnungen von gedrungenen kleinen Dörfern erwecken die Atmosphäre von klassischen Gothic-Erzählungen und lassen die Einsamkeit der französischen Provinz spürbar werden. Bei aller Kraft, die den Bildern innewohnt, wissen sie sich so weit zurückzunehmen, dass die Geschichte und das erzählerische Geschehen immer im Vordergrund bleiben.

Die harten Fakten

  • Verlag: Insektenhaus
  • Autor*innen: Claude Seignolle, Laurent Lefeuvre
  • Zeichner*in: Laurent Lefeuvre
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 14,90 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

20000 Meilen unter dem Meer – Jules Vernes großer Klassiker

20000 Meilen unter dem Meer gehört zu den ersten Filmen, an die ich mich bewusst erinnern kann. 1954 nahm sich Walt Disney Productions dem großen literarischen Stoff von Jules Verne an, mit einem sehr eindringlichen James Mason als Kapitän Nemo, dessen Unterseeboot die Seeleute das Fürchten lehrte, und Kirk Douglas als einen seiner Widersacher. Mit dieser Verfilmung machte Disney den Stoff im populärkulturellen Gedächtnis unsterblich. Dabei sind Vernes Utopien ohnehin der Stoff, aus dem Träume und Genres sind. Verne gilt als einer der Vorreiter des Steampunks und als ein Meister der in Richtung Science-Fiction gehenden Abenteuer-Utopien. Sich einen solch großen Stoff vorzunehmen, ist fast genauso ein Wagnis, wie die Irrfahrten, auf die Verne seine Helden schickt. Gary Gianni hat dieses Wagnis auf sich genommen, und er scheint genau der Richtige für ein solches Unterfangen zu sein. Gianni hat bereits an Prinz Eisenherz, Hellboy, Conan und Indiana Jones gearbeitet und mit der Batman-Geschichte Heroes einen Eisner-Award, einen der angesehensten Preise der Comic-Szene, erzielt. Seine Interpretation von Vernes Stoff zeichnet sich durch eine feine Linienführung aus, die das Ende des 19ten Jahrhunderts augenblicklich in den Köpfen der Lesenden lebendig werden lässt. Dabei sind sowohl seine Figuren als auch seine Monstren und Szenerien von einer glaubwürdigen Lebendigkeit und Dynamik durchdrungen. Lesende fühlen sich mitgerissen in einer atemberaubenden Tauchfahrt ins Abenteuer. Der Comic-Adaption gelingt es, die Tiefe der Erzählung einzufangen. Das Portrait des Kapitän Nemo, der alle Zivilisation hinter sich lässt, um den Schrecken einer scheinbar so zivilisierten Welt entschlossen entgegenzutreten, ist in seiner Zwiespältigkeit und seiner moralischen Doppelbödigkeit voll gelungen. Es fällt schwer, diesen Band aus den Händen zu legen. Denn er ist Kunstwerk und mitreißende Erzählung in einem.

Man würde dieser Ausgabe nicht gerecht, würde man nicht auf die Gestaltung des Buches an sich eingehen. Der Comic liegt in einer streng limitierten Hardcover-Ausgabe vor, die in Kunstleder gehalten ist. Auf einem satten Cognac-Braun prangen stilvoll geschwungene Goldlettern. Die Ecken sind mit goldfarbenem Metall verstärkt. Und wem das alles noch zu wenig erscheint, der erhält als Bonus zusätzlich die Geschichte Räuber der Meere, meisterlich von Gianni illustriert. Zudem gibt es eine kleine Skizzensammlung auf den letzten Seiten.

Diese erste Auflage ist jedoch leider ausverkauft. Der zweiten Auflage, unten verlinkt,  fehlen der Softtouch-Einband, die Metallecken und die Skizzensammlung.

Die harten Fakten

  • Verlag: Insektenhaus
  • Autor*innen: Jules Verne, Gary Gianni
  • Zeichner*in: Gary Gianni
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 64
  • Preis: 14,90 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit des Monats

Insektenhaus schafft es wieder einmal, durch künstlerische Tiefe und das besondere Flair seiner Produkte zu überzeugen.

Wie ein Geruch von Teufel © Insektenhaus

Wie ein Geruch von Teufel ist eine Albtraumfahrt in die tiefsten Tiefen der menschlichen Psyche und die dämmrige Einsamkeit des ländlichen Frankreichs. Laurent Lefeuvre interpretiert mit starkem und ausdrucksvollem Tuschestrich fünf Geschichten, die der Autor und Geschichtensammler Claude Seignolle in den 1930er Jahren im französischen Hinterland zusammentragen konnte. Dabei erinnern die Geschichten an Poe und Lovecraft; so eindringlich, intensiv und abgründig wirken sie. Sie beschäftigen sich mit den Ausgegrenzten und an den Rand Geschobenen, mit Mord und Magie und mit dem Teuflischen in der menschlichen Seele. Erzählungen und Zeichnungen bilden dabei eine perfekte Symbiose, die Lesende immer wieder zu diesem Band zurückführt. Dies ist ein Comic, das nicht nach dem ersten Lesen vergessen wird, sondern zur Wiederkehr und zum Verweilen einlädt.

20000 Meilen unter dem Meer © Insektenhaus

Schon die Aufmachung von 20000 Meilen unter dem Meer macht deutlich, dass man es eher mit einem Kunstwerk als mit einem herkömmlichen Comicband zu tun hat. In cognacfarbenes Kunstleder gebunden, mit goldenen Lettern geschmückt, präsentiert sich hier eine hochwertige Neuinterpretation der bekannten Jules Verne-Erzählung. Dabei nimmt die Lesenden niemand geringerer als Gary Gianni, einer der bedeutendsten Zeichner des Fantasy-Genres, mit auf Tauchfahrt. Gianni ist Preisträger des Eisner-Awards und Lesenden aus Reihen wie Prinz Eisenherz, Conan und Indiana Jones bekannt. In diesem Band gelingt ihm eine meisterliche Umsetzung des Romanstoffes. Seine Zeichnungen sind zugleich filigran und dynamisch, was den Geist des 19ten Jahrhunderts zum Leben erwachen lässt. Nicht nur Steam-Punk-Ethusiast*innen kommen hier auf ihre Kosten. Abgerundet wird dieses Kleinod durch eine weitere Verne-Erzählung, zu der Gianni Illustrationen beisteuert, und eine kleine Skizzensammlung. Dieser Band liefert zudem ein atemberaubendes Preis-Leistungs-Verhältnis, denn mit 14,90 EUR ist er fast ein Schnäppchen.

Artikelbilder: © Insektenhaus
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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