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Die Spinne – König des Verbrechens – das legendäre englische Kult-Comic der 60er kehrt zurück. Geschrieben von Supermans Erfinder Jerry Siegel und in den 70ern im Kobra-Magazin veröffentlicht. In neuer Übersetzung und zum ersten Mal in chronologischer Reihenfolge. Kann der Meisterverbrecher auch 57 Jahre später noch seine Krone verteidigen?

Die Spinne – König des Verbrechens ist ein Stück britischer Comic-Geschichte. Ursprünglich 1965 im Lion Comic-Magazin erschienen, war die Spinne ein Anti-Held, wie ihn England noch nie gesehen hatte. Ein Superkrimineller, der aus dem Nichts auftauchte, um mit seinen Hightech-Erfindungen und seiner Armee des Verbrechens die größten Übeltaten aller Zeiten auszuführen. Die Spinne war höchst ungewöhnlich für die damalige brave Comicwelt, und ähnliche Anti-Helden gab es im UK erst mit Englands bedeutsamster Comicreihe, 2000 AD, ab 1977 wieder.

Die Spinne – König des Verbrechens bewies ihren Einfluss die Jahrzehnte hindurch: Das englische Comic war so erfolgreich, dass sich in Amerika Jerry Siegel, der Schöpfer von Superman, als Autor anbot. Etwas ältere Leser*innen können sich vielleicht an das deutsche Kobra Magazin erinnern, in dem Teile von Die Spinne in den 70ern unter dem Namen „Spiderman“ veröffentlicht wurden (der tatsächliche Spider-Man von Marvel wurde damals in Deutschland ironischerweise als „Die Spinne“ veröffentlicht). Der Schotte Mark Millar (Jupiter’s Legacy) schrieb 1992 eine Spinne Fortsetzung und Comic-Legende Alan Moore setzte dem König des Verbrechens 2005 in Albion ein Denkmal. Aber kann Die Spinne, die vor so langer Zeit begeisterte, auch heute noch überzeugen? Wir haben uns in die Fänge des kriminellen Meisterhirns gewagt…

Handlung

Der berüchtigte Safeknacker Ray Ordini ist in die Falle der New Yorker Polizei getappt. Das Haus, auf dessen Dach er sich befindet, ist umstellt, und die Gesetzeshüter stürmen bereits die Treppen empor. Plötzlich lässt sich eine schwarzgekleidete Gestalt an einem Netz auf das Dach herab. Er stellt sich als „Die Spinne“ vor, und er wird Ordini retten – wenn dieser ihm dafür ewige Treue schwört. So beginnt der Band, mitten in der Action. Die grundlegenden Elemente der Handlung werden hiermit eingeführt. Die Spinne ist ein kriminelles Genie, dessen erklärtes Ziel es ist, der ungekrönte König des Verbrechens zu werden, und dazu sind ihm alle Mittel recht. Auf dem Weg dahin manipuliert er seine Handlanger wie Bauern auf dem Schachbrett und führt die Polizei immer wieder an der Nase herum.

© Rebellion/Panini Comics
© Rebellion/Panini Comics

Zusammen mit Ordini befreit er den verbrecherischen Wissenschaftler Professor Pelham aus dem Gefängnis, der ihm die ausgefallensten Geräte erfinden soll, allen voran den Heli-Car, einen kleinen Raketenhubschrauber. Im Geheimversteck der Spinne, einer schottischen Burg, die sie Stein für Stein in Amerika wiederaufbauen ließ, hecken die drei die größten Raubzüge aus, sowie Angriffe auf die zahlreichen anderen Superverbrecher, die der Spinne ihren Thron abspenstig machen wollen.

© Rebellion/Panini Comics
Die Armee des Verbrechens in Aktion © Rebellion/Panini Comics

Bekämpft werden sie dabei hauptsächlich von den beiden Police Detectives Bob Gilmore und Pete Trask, die aber meistens von der Spinne bloßgestellt werden. Gefährlicher sind die anderen Superverbrecher: Der Trugbilder erzeugende Illusionist, der Monster züchtende Dr. Mysterioso, der „Androidenmeister“ mit seiner Roboterarmee und Kobra, Anführer eines Voodookults.

Soweit hört sich das ziemlich cool an, einige Schwächen müssen aber erwähnt werden. Zum Ersten die allgemeine Form der Handlung. Diese ist durchgehend sehr seicht, mit viel Action, wenig Tiefe und allen zwei oder drei Seiten einem Cliffhanger. Das liegt, wie auch im Vorwort des Comics erwähnt, an der ursprünglichen Veröffentlichungsweise. Die Spinne erschien in Lion, einem typischen englischen Comic-Magazin. Diese erschienen und erscheinen auch heute noch wöchentlich und enthalten zahlreiche einzelne Fortsetzungsgeschichten (in England „Strips“ genannt), vergleichbar zum Beispiel mit japanischen Manga-Zeitschriften. Zur damaligen Zeit war es üblich, in jeder Ausgabe ein bis zwei Dutzend Strips zu veröffentlichen, die jeweils nur zwei oder drei Seiten lang waren. Die erste halbe Seite wurde vom Logo sowie einer Zusammenfassung der Ereignisse der vorigen Ausgabe eingenommen, und am Ende musste ein Cliffhanger zum Kauf des nächsten Hefts anregen. So blieb einerseits wenig Platz für komplexe Geschichten und andererseits entstand ein Erzählfluss, der für moderne Verhältnisse unüblich ist. Nach etwas Einlesen ist die ständige Action aber durchaus spannend.

Zweitens wird beim Lesen deutlich, dass sich das Grundkonzept von Die Spinne während der Veröffentlichung im Wandel befand. Die ersten Geschichten sind eher düstere Kriminalgeschichten, in denen die Spinne mit ihrem Intellekt, ihrem Netzwerfer und ihrer Gaspistole eine unaufhaltsame Bedrohung darstellt. Hier wirkt Die Spinne wie der französischen Fantômas (abgesehen von den lustigen Louis de Funès –Filmen), der italienische Diabolik, Dr. Mabuse oder einer der Schurken aus so manchem Edgar Wallace-Film. Ein hochbegabter Superverbrecher, dessen Gegner in der Polizei ihm nicht das Wasser reichen können.

© Rebellion/Panini Comics
© Rebellion/Panini Comics

Mit der Einführung anderer Superverbrecher ändert sich das. Zum einen werden die Geschichten deutlich phantastischer, mit 3D-Hologrammen, Robotern, Riesenspinnen und dergleichen mehr. Zum anderen verlagert sich der Fokus auf den Kampf der Spinne gegen seine Rivalen. Dadurch hat sie keine Zeit, selbst Verbrechen auszuführen und bekämpft gleichzeitig Schurken, was sie unfreiwillig in einem positiven Licht da stehen lässt. Die Polizei und die beiden Detectives Gilmore und Trask werden hier unwichtiger und rücken weiter in den Hintergrund. Hauptsächlich werden sie von einem der Superverbrecher gegen den anderen instrumentalisiert.

© Rebellion/Panini Comics
Klassische Todesfalle © Rebellion/Panini Comics

Im letzten und längsten Handlungsbogen, dem Kampf gegen den Androidenmeister, verändert sich das Konzept noch einmal. Dies geht wahrscheinlich auf Jerry Siegels Einfluss zurück. Die Polizei spielt kaum noch eine Rolle mehr und im Kampf gegen den Androidenmeister agiert die Spinne praktisch heldenhaft. Die immer mächtigeren Spezialroboter mit immer ausgefalleneren Fähigkeiten des Androiden heben die phantastischen Elemente auf ein neues Niveau. Es kommen Todesfallen zum Einsatz, die Spinne besitzt Statuen von sich und ihren Feinden, die zur Machtdemonstration zerstört werden und der Androidenmeister ist überheblich, arrogant und sieht den Kampf gegen die Spinne nur als Spiel. Alle diese Elemente und wie sie ausgeführt werden, sind typisch für die an Kinder gerichteten, oft unfreiwillig albernen, trivial geschrieben und gezeichneten, mit kitschigen Klischees gespickten DC-Comics der 50er und 60er. Dazu häufen sich zum Ende genug überraschende, sich teilweise widerlegende, Twists für ein Schleudertrauma. In dieser dritten Phase von Die Spinne – König des Verbrechens merkt man klar und deutlich den amerikanischen DC-Einfluss von Jerry Siegel, aber leider nicht zum Besten.

Die dritte große Schwäche ist der Jugendschutz. In den 60ern galten strenge Vorschriften, was für Kinder angebracht war und ein mordender Protagonist gehörte wohl nicht dazu. Trotz ständiger Drohungen entscheidet sich die Spinne stets dafür, ihre Gegner nicht zu töten. Zu einem gewissen Punkt ist es durchaus charakterlich passend, Feinde stattdessen zu blamieren, aber nach einer Weile nimmt es alberne Züge an.

Man merkt eben doch, dass trotz aller Bedrohungen, fieser Pläne und der düsteren Atmosphäre Die Spinne – König des Verbrechens letztendlich für Kinder war. Zu Beginn fällt das noch wenig auf, und auch später gibt es immer noch vereinzelt bedrohliche Situationen und unheimlich surreale Sequenzen.

So kann der Anfang der Androidenmeister-Geschichte noch mit grotesken Monstern punkten, die dem Ganzen eine surreale Gothic-Note verleihen. Aber im weiteren Verlauf nimmt die surreal-alberne Atmosphäre der Silver-Age DC-Comics überhand.

Insgesamt fällt zu oft und zu sehr auf, dass die Spinne, Amerikas Staatsfeind Nr. 1 und ungekrönter König des Verbrechens, oft hinter ihren niederträchtigen Ansprüchen zurückbleibt.

Charaktere

Die Charaktere sind allesamt sehr flach, was aber dem Comic keinen Abbruch tut. Als Aneinanderreihung kurzweiliger Actionsequenzen reichen für Die Spinne – König des Verbrechens simple, einprägsame Charakterisierungen.
Roy Ordini, der Panzerknacker, ist ein feiger, grober Kerl von der Straße, der nur aufs Geld aus ist. Professor Pelham ist ein verrückter Erfinder, aber auch treu gegenüber der Spinne, die er als überlegen bewundert. Die Detectives Gilmore und Trask sind zwei tapfere, clevere Gesetzeshüter, die im Kampf gegen die Superverbrecher an ihre Grenzen geraten, aber trotzdem nie verzagen.

Der Illusionist, Dr. Mysterioso, Kobra und der Androidenmeister sind arrogant, manipulativ, herablassend und herrschsüchtig. Abgesehen vom Androidenmeister sind sie dazu noch feige, wie klassische Verbrecher und Superschurken nun mal so sind.

© Rebellion/Panini Comics
© Rebellion/Panini Comics

Die Spinne als Hauptcharakter ist auch nicht komplexer gezeichnet, kann aber trotz der oben genannten, durch den Jugendschutz erzwungenen, Zaghaftigkeit in den Bann ziehen. Sie ist eine mysteriöse, un-oder übermenschliche Gestalt, über deren Hintergründe oder wahre Identität man nie etwas erfährt – wahrscheinlich ganz wie von ihr gewünscht. Ihre ursprüngliche Ausrüstung hat sie vermutlich selbst erfunden, da sie diese schon vor der Rekrutierung des Professors besitzt. Durch diese kann sie an Wänden gehen, wie der bekanntere Spinnenmensch, und kann auch ein Netz werfen. Die Spinne hat dazu allerdings einen Harnisch mit Tanks und Düsen, die ein Netz nach hinten ausstoßen können, um sich herunterzulassen und eine Netzpistole. Anders als Spider-Man feuert die Spinne aber keine einzelne Fäden, sondern breite Netze aus klebrigem, stahlhartem nylonartigen Material. Neben der Netzpistole ist die Spinne noch mit einer Gaspistole und –granaten bewaffnet.

© Rebellion/Panini Comics
© Rebellion/Panini Comics

Die Spinne ist schroff, ein strenger Anführer, der mit Furcht und Strafe regiert, und von einem unbändigen Ego getrieben wird. Dazu ist er ein gewiefter Manipulator und mit seinem einzigartigen Design einfach eine starke Präsenz. Das schmale Gesicht, der spitze Haaransatz und die spitzen Ohren verleihen ihr etwas Teuflisches. Der hautenge schwarze Anzug sticht umso mehr heraus, da alle anderen Figuren normal gekleidet sind. Selbst in ihrem Burgversteck sitzt die Spinne an der Wand oder in einem selbstgesponnenen Netz, was sie weiter vom Normalen entfernt und ihre unmenschliche Wirkung verstärkt.

Das Figurendesign der Spinne ist exzellent und macht sie zu einer ikonischen Figur, auch wenn die Handlung da nicht immer mithalten kann. Erwachsenen mag auffallen, dass die Spinne weitaus weniger mörderisch handelt als spricht. Es fällt aber leicht, sich vorzustellen, wie Kinder von der Energie und der zeichnerischen Darstellung der Figur so mitgerissen wurden, dass sie diese Inkonsistenz gar nicht sahen.

Zeichenstil

Die Zeichnungen von Reg Bunn verleihen der Geschichte eine besondere Wirkung. Das Comic ist schwarz-weiß, in einem leicht eckigen, aber sehr realistischen Stil. Die durch Schraffierungen geprägten Zeichnungen wirken gleichzeitig düster, aber auch lebensecht. Durch die angenehme Größe der Bilder kann man alle Details gut und klar erkennen. Insgesamt erzeugt Die Spinne – König des Verbrechens durch die Zeichnungen die angenehme Atmosphäre eines Schwarz-Weiß-Films, irgendwo zwischen dem düsteren Realismus von Alfred Hitchcock und den ausgefalleneren Edgar-Wallace-Filmen. Auch in diesen terrorisieren ungewöhnlich verkleidete Verbrecher, wie der Mönch mit der Peitsche oder der Hexer, die Stadt und stellen Polizeibeamten vor Rätsel.

Erscheinungsbild

Die Spinne – König des Verbrechens ist wunderbar verarbeitet. Der feste Umschlag und das dicke Papier fühlen sich sehr angenehm an und machen einen wertigeren Eindruck als ein „normales“ Comic. Das Titelbild im blau-gelben Signalfarben-Kontrast gibt die klassischen Cover des englischen Lion wieder, in denen der schwarze Anzug der Spinne auch gelb gefärbt wurde. Symbolisch im Netz der Spinne gefangen, werden Feinde und Verbündete des Antihelden gezeigt. Das ungewöhnliche Format von 25,1 x 32 cm rührt daher, dass englische Comics in den 60ern in einem Zeitungsformat erschienen und gibt so akkurat die originale Form des Comics wieder. Das Lettering ist deutlich, der Druck klar und die Bilder gut zu erkennen. Durch das moderne weiße Papier stechen die schwarz-weißen Zeichnungen mit einem hervorragenden Chiaroscuro-Effekt heraus. Dieser klare Unterschied von Licht und Schatten, schwarz und weiß, wäre auf dem originalen, billigen gelblichen Zeitungspapier nicht erkennbar gewesen. So holt diese Neuauflage verlorengegangene Qualitäten aus den Zeichnungen heraus.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini Comics
  • Autoren: Jerry Siegel, Ted Cowan
  • Zeichner*in(nen): Reg Bunn
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 150
  • Preis: 35 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

© Rebellion/Panini Comics
Die Spinne hat ihre Prioritäten © Rebellion/Panini Comics

Ein Vorwort von Stefan Volkmer bietet eine Einleitung zu Die Spinne – König des Verbrechens mit Fokus auf die deutschen Übersetzungen. Darauf folgt eine Einleitung vom englischen Comicmacher Paul Grist, der als Spinne-Fan in seinem Kult-Comic Jack Staff (Geheimtipp) eine ältere, zur Ruhe gesetzte Spinne schrieb.

Fazit

Stefan Volkmer fasst es in seinem Vorwort zu Die Spinne – König des Verbrechens treffend zusammen: „Als comic-historisches Dokument ist diese chronologische Sammlung von Die Spinne ein Traum“ und „man muss einfach die Zeichnungen von Reg Bunn feiern“. Langfristig hat Die Spinne britische Comics maßgeblich beeinflusst und die Zeichnungen sind wirklich toll. Aber ist Die Spinne – König des Verbrechens auch jenseits trockener historischer Interessen lesenswert? Ja.

Durch die kurzen Einzel-Strips ist der Lesefluss etwas ungewohnt, und die Geschichte nicht sehr tiefgründig. Dafür gibt es fast durchgängig Action und unterhaltsame Ideen, auch wenn einige Elemente und Handlungsstränge heutzutage eher unfreiwillig lustig sind. Insgesamt aber liegt Die Spinne in dem glücklichen Mittelfeld, dass die Bestandteile des Comics entweder wie geplant funktionieren, wie die Zeichnungen, oder auf ungeplante Art funktionieren, wie die weniger gut gealterten Teile der Geschichte.

35 EUR mögen für ein 150 Seiten Comic vergleichsweise etwas teuer erscheinen. Allerdings muss man beachten, dass Die Spinne – König des Verbrechens ein überdurchschnittlich hochwertig produzierter Band ist, für den dieser Preis durchaus im passenden Bereich liegt.

  • Pulpige Unterhaltung
  • Hervorragende Aufmachung
  • Atmosphärische Zeichnungen
 

  • Vor allem gegen Ende sehr flach
  • Ungewohntes Erzähltempo
  • Sich wandelnde Kernidentität

 

Artikelbilder: © Panini Comics
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Giovanna Pirillo
Scans: Paul Menkel

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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