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Was wäre, wenn das Römische Reich nicht untergegangen wäre? Und was wäre, wenn Magie und Mythengestalten tatsächlich existieren würden? Eine Idee davon hatten die Autor*innen von Lex Arcana. Wir haben uns der magischen Spezialeinheit des römischen Imperiums angeschlossen und für euch ermittelt.

Rom, die ewige Stadt. Noch heute zieht es jährlich Millionen Menschen in diese große Stadt, um ein bisschen vom mythologischen Flair eines einst nahezu weltbeherrschenden Imperiums zu schnuppern. Was liegt also näher, als diesem Mythos ein eigenes Pen-and-Paper-System zu widmen. Lex Arcana entführt Lesende in eine alternative Realität, in der das Römische Reich nie unterging, sich aber mystischen Gefahren stellen muss, während Barbaren die Grenzen bedrohen.

Die Spielwelt

Wir schreiben das Jahr 1229, aber nicht nach Christus, sondern nach der Gründung Roms, also irgendwann im 5. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung. Dank unvorstellbarer wahrsagerischer Kräfte konnten die Herrschenden jede größere Gefahr vom Reich abwenden und schafften ein blühendes und starkes Imperium. Im Großen und Ganzen entspricht die Spielwelt dem Höhepunkt des Kaiserreiches und spannt sich von der Iberischen Halbinsel über Britannien nach Germania, von Griechenland über Armenien bis nach Nubien. Doch der Glanz des Imperiums ist trügerisch. Hält man barbarische Stämme an den Grenzen ganz gut in Schach, droht die wahre Gefahr durch Magie und mystische Wesen. Eine Gefahr, die sowohl außen als auch im Inneren des Reiches lauert und darauf wartet, die Machtverhältnisse zu verschieben.

Um dieser Bedrohung Einhalt zu gebieten, bittet Kaiser Theodomirus im Jahre 1229 den Senat um die Einrichtung einer Spezialeinheit: Der Cohors Auxiliara Arcana (magische Hilfstruppen). Als Teil der kaiserlichen Eliteeinheit, der Prätorianer, sollen diese Spezialist*innen, arkanes Wissen sammeln, unnatürliche Ereignisse untersuchen und gegebenenfalls Schaden durch solche Umtriebe vom Reich abwenden. Ohne groß darauf einzugehen, werden Frauen absolut gleichberechtigt behandelt und Custodes beziehungsweise Wächter*innen, wie Mitglieder der Cohors genannt werden, können jeglichen Geschlechtes sein. Was zählt, sind einzig und allein ihre Fähigkeiten und ihre unerschütterliche Loyalität gegenüber dem Reich. Gesamtgesellschaftlich befindet sich das Reich in einem Umbruch und es gibt eine allmähliche Gleichstellung. Allerdings ist, je nach Provinz, soziale und politische Teilhabe noch immer unterentwickelt und grade in patriarchal geprägten Gegenden müssen sich nicht-männliche Custodes manchmal als Männer tarnen, um ihren Dienst verrichten zu können.

„Sie werden“, erklärte der Kaiser in seiner berühmten Rede, „in kleinen Gruppen ausgeschickt, um die unerklärlichsten Phänomene zu untersuchen, in den dunklen Gassen unserer Städte zu ermitteln, verbotene Kulte zu infiltrieren, und die Wälle zu überqueren, um nach uralten Quellen der Weisheit zu suchen …“

Die Welt an sich wird auf 27 Seiten intensiv beschrieben. Dies beinhaltet sowohl die Geschichte des Imperiums, reichlich Infos zur Cohors, aber auch einen Überblick über die Provinzen, Glauben und Magie. Ebenfalls Teil des Abschnitts sind Übersichten zur Ausrüstung der Custodes. Ergänzt wird die Vorstellung der Welt noch über einige Einschübe aus Charakterperspektiven, die der Welt auch Leben einhauchen.

Abgerundet wird das Ganze durch zwei spielfertige Abenteuer, um den Spielenden einen ersten Eindruck der Welt zu geben.

Die Regeln

Charaktere in Lex Arcana müssen mit unterschiedlichen Würfeln gegen eine vom Abenteuer vorgegebene oder mit 2W6 ausgewürfelte Schwierigkeit würfeln. Das Ergebnis muss dabei höher als der Schwierigkeitsgrad sein. Die Anzahl der dabei zu verwendenden Würfelaugen ergibt sich daraus, ob die Probe auf ein Virtus (Attribut) gewürfelt wird oder auf die Peritiae (Fähigkeiten). Letztere können zudem noch durch Spezialisierungen modifiziert werden. Hat man nun einen Wert von zum Beispiel 12 muss man diese Zahl mit Würfelaugen darstellen und es dürfen dabei ein bis drei Würfel verwendet werden. In unserem Beispiel ginge also 1W12 oder ein 1W4 und 1W8 oder 3W4. Erreicht man mit einem oder mehreren Würfeln das höchstmögliche Ergebnis, darf man, unabhängig vom Erfolg der Probe, ein weiteres Mal würfeln und das Ergebnis addieren. Außerdem darf man noch den oder die Schutzgött*in der Profession für weitere Effekte anrufen. Dies wiederholt sich im Übrigen bei erneuten maximalen Augenzahlen. Allerdings nur, wenn der Pietas-Wert, also der Wert, der die göttliche Gunst widerspiegelt, über 0 liegt.

Das römische Reich in seiner ganzen Pracht

Kämpfe, die eine wichtige Rolle spielen, werden in Tempora unterteilt. Ein Tempus ist eine undefinierte Zeiteinheit, in der die Charaktere eine Aktion oder einen Schlagabtausch durchführen können. Als eine Besonderheit können die Charaktere mit Fernkampfwaffen noch vor dem eigentlichen Kampfbeginn eine erste Salve abgeben, sofern die Gegner*innen weit genug entfernt sind. Nach dieser ersten Salve folgt die Kampfaufstellung nach festen Regeln. Nun können die Charaktere ihre Aktionen durchführen. Dabei werden zuerst die Charaktere abgehandelt, die sich im Nahkampf befinden und gebunden sind. Danach kommen die ungebundenen Charaktere. Die Aktionen der ungebundenen Charaktere finden dabei gleichzeitig statt, unabhängig davon, wann man sie im jeweiligen Tempus abhandelt.

Ob ein Angriff erfolgreich ist, wird über einen vergleichenden De Bello-Wurf ermittelt. Die Partei mit dem höheren Ergebnis greift an, die andere verteidigt. Bei einem Gleichstand landet niemand einen Treffer. Das Ergebnis der verteidigenden Partei wird von dem der angreifenden abgezogen, woraus sich das Angriffspotenzial (AP) ergibt. Ist der Wert negativ, was durch einen Schildbonus passieren kann, geht der Angriff fehl. Ist das AP positiv, entscheidet der Differenzwert über einen Schadensmultiplikator, der mit dem Waffenwert multipliziert wird. Ein gelungener Angriff und eine vermasselte Parade können dann schon den Tod eines Charakters bedeuten. Insbesondere, wenn auch der Schutzwurf nicht genügend Schaden abfängt. Rüstungen haben nämlich keinen festen Wert, der den Schaden reduziert, sondern müssen auch gewürfelt werden.

Es darf also viel gewürfelt, addiert, multipliziert und nach passenden Würfeln gesucht werden.

Charaktererschaffung

Zur Charaktererschaffung nutzt man ein Arbeitsblatt und einen Charakterbogen. Man beginnt zunächst mit dem Arbeitsblatt. Als erstes werden, wie aus vielen Systemen bekannt, die Werte der sechs Attribute festgelegt. Dabei kann man die Werte entweder per Zufallsprinzip auswürfeln, oder man nimmt einen Standardwert. Hier bietet es sich an, bereits zu wählen, welche Profession man später ausüben möchte, und die Attribute entsprechend zu gewichten. Eine kleine Hilfe dazu gibt es in einem Kasten. Danach wählt man die Herkunftsprovinz. Ebenfalls per Zufall oder gezielt. Die Provinz entscheidet maßgeblich über den Wert eurer Fähigkeiten in der späteren Charaktererschaffung. Besagte Fähigkeiten setzen sich aus den Werten der damit verbundenen Attribute und dem Herkunftsmultiplikator zusammen. Im Anschluss wählt man ein Alter und kann so nochmal die Attribute verändern. Während junge Custodes körperliche Vorteile haben, können ältere Wächter*innen mehr Autorität oder Vernunft an den Tag legen.

Nun werden alle Werte auf den Charakterbogen übertragen. Es folgt noch die Auswahl der Spezialisierungen, die Klasse beziehungsweise das Officium. Danach legt man Kampfstile fest, rechnet Lebenspunkte und Frömmigkeit aus (diesen Wert benötigt man für Magie oder Aktionen des Glaubens). Zu guter Letzt stellt man fest, wie schnell der Charakter in verschiedenen Bereichen Erfahrung sammeln soll.

Die Startcharaktere wirken allerdings wirklich schwach auf der Brust. In einem kurzen Testspiel war die einhellige Meinung, dass man sich im ersten Abenteuer des Grundregelwerks überhaupt nicht wie Angehörige einer Eliteeinheit gefühlt habe, sondern eher wie frisch der Legion beigetreten.

Erscheinungsbild

Lex Arcana ist absolut stimmig gestaltet. Die Zeichnungen sind liebevoll und detailreich und haben im Testspiel absolut überzeugt. Das Regelwerk an sich ist übersichtlich mit einem wirklich guten Index, bei dem man so ziemlich alles auf Anhieb findet. Passend, aber etwas gezwungen, wirkt das ständige Latinisieren von Regeln.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk Verlag (Deutsche Übersetzung)
  • Autor*in(nen): Leonardo Colovini, Dario De Toffoli, Marco Maggi und Francesco Nepitello
  • Erscheinungsjahr: 2022 (Deutsche Übersetzung)
  • Sprache: Deutsch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN: –
  • Preis: –
  • Bezugsquelle: –

 

Fazit

Wunderschöne Illustrationen zeichnen das Grundregelwerk aus

Lex Arcana lässt mich zwiegespalten zurück. Die Welt ist wunderschön beschrieben und die Idee grandios. Eine alternative magische Realität, in der wir Agents of S.H.I.E.L.D.-gleich die Welt vor mystischen Bedrohungen beschützen und streng geheim operieren. Allein das Lesen macht Lust zu spielen. Doch dann gibt es auch ein paar Schattenseiten. Wenn man zum Beispiel schon eine alternative Realität bespielt, hätte man die Rolle der Frau auch gleich ganz gleichstellen sollen, von nicht-binären Menschen gar nicht erst angefangen. Es gibt sicher Spielende, die hier einen Reiz sehen, aber man merkt durchaus, wie schwer sich die Autoren bei diesem Thema taten und heraus kam nichts Halbes und nichts Ganzes. Wobei man diesen Teil des Hintergrundes auch einfach ignorieren könnte, ohne Spielwert zu verlieren.

Schatten ist eher das überkomplexe Regelsystem. Ständig die passenden Würfel zu suchen und zu kombinieren, die Erschaffung eines Charakters nur vernünftig mit Arbeitshilfe zu erstellen oder bereits bei der Erstellung des Charakters zu wählen, wie man diesen später einmal weiterentwickeln will, wirken aus der Zeit gefallen oder für Mathefreund*innen geschrieben. So beschäftigt man sich mehr mit Würfeln, Werten und Multiplikatoren als dem Spiel an sich. Grade in Kämpfen ist ein flüssiger und spannender Ablauf so kaum möglich.

So bleibt eine tolle Spielwelt mit einem Spielsystem, das man mögen muss. Es ist nicht schlecht, aber weder einsteiger*innenfreundlich noch intuitiv und wirkte im kurzen Testspiel auch nicht wirklich spielförderlich. Selbiges gilt für die verkrampfte Latinisierung von Begriffen. Was zunächst charmant wirkt, wird im Spielablauf eher als hinderlich wahrgenommen und erfordert erneut zu viel Aufmerksamkeit auf das System als auf die Geschichte. Wer sich davon aber nicht abschrecken lässt, bekommt eine spannende Spielwelt mit unendlichem Potenzial.

Der Ersteindruck basiert auf dem Lesen des Grundregelwerkes, dem Bau eines Testcharakters und dem Anspielen eines Abenteuers mit vorgefertigten Charakteren.

 

  • Vielfältige Spielwelt
  • Spannende alternative Realität
  • Gendergerechte Sprache im Regelwerk
 

  • Unnötig komplexe Regeln
  • Ansatz zur Gleichberechtigung nicht zu Ende gedacht

 

Artikelbilder: © Uhrwerk Verlag
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Katrin Holst

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