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Komm an Bord der INSTABIL, auf eine Reise, die du so schnell nicht vergessen wirst. Doch gib Acht, nicht alle teilen dein Ziel Bluewater Bay. Einige finstere Gestalten wollen das Schiff kapern und in der Piratenbucht von Crimson Cove anlegen. Und dann gibt es noch diesen irren Kraken-Kult…

Der Spielplan der langen Variante.

Social-Deduction-Spiele bleiben weiterhin hoch im Kurs. Und auch auf meinem Tisch sind in letzter Zeit einige Spiele dieses Genres gelandet. Ob seichter Werwölfe-Ableger Versammlung des Bösen oder cthuloider Battlestar Galactica Nachfolger Abgrundtief: Die Jagd nach den versteckten Bösewichten wurde in einigen Formen getestet. Und ähnlich wie bei der genannten Jagd auf die Anhängerschaft von Mutter Hydra und Vater Dagon verschlägt es uns auch bei Feed the Kraken auf die hohe See. Das Spiel des Autorentrios von Spiel Instabil beziehungsweise Funtails weist in seinem Spielablauf durchaus erkennbare Ähnlichkeit zum kontrovers diskutierten Secret Hitler auf. Hat es dennoch das Zeug dazu, aus der Masse der „Finde die Verräter*innen“-Spiele herauszustechen? Wir haben uns das Spiel für euch angesehen.

Funtails hat uns für diesen Test die Deluxe-Version des Spiels zur Verfügung gestellt. Daher werden bei den Ausführungen die Inhalte jener Version erwähnt. Welche Unterschiede die Basisversion bietet, wird im Abschnitt Ausstattung erklärt.

Spielablauf

Vorab möchte ich dringend ans Herz legen, die Anweisung aus der Spielanleitung zu befolgen und während der geheimen Abschnitte des Spiels nicht mit Gesten, Lauten oder Ähnlichem zu arbeiten, um Informationen oder Strategien auszutauschen. In unseren Testrunden haben wir eindeutig gemerkt, dass der größte Spielspaß bei absolutem Misstrauen gegenüber allen anderen auftritt.

Zu Beginn des Spiels müssen, wie es sich für ein gutes Social-Deduction-Spiel gehört, die Fraktionszugehörigkeiten je nach Personenzahl verteilt werden. Neben der Zugehörigkeit zu Seglern, Piraten oder dem Kult erhält jede Person noch eine Rollenkarte. Diese Rollen bleiben geheim und bieten besondere Fähigkeiten, die erst beim Ausspielen verraten werden müssen. Lediglich die Person, die die Rolle des Kapitäns zieht, muss sich zu erkennen geben. Die Fraktionen haben unterschiedliche Ziele, die für einen Sieg erfüllt werden müssen: Die Segler wollen in den sicheren Hafen von Bluewater Bay einlaufen, die Piraten hingegen in den Hafen von Crimson Cove. Der Kult gewinnt auf zweierlei Arten: entweder, wenn der Kultführer auf einem Krakenfeld vom Kapitän über Bord geworfen wird, oder wenn das Schiff exakt das mittlere Feld am Ende des Spielplans erreicht. Um die wilde Fahrt zu den unterschiedlichen Zielen zu beginnen, müssen sich zunächst noch die Angehörigen der Piraten-Fraktion gegenseitig zu erkennen gegeben.

Nun beginnt die eigentliche Partie und der Kapitän ernennt sein Navigationsteam. Dabei werden die Abzeichen für den Lieutenant und den Navigator an zwei Crewmitglieder übergeben. Ist die Wahl getroffen, wird die Crew nach ihrer Loyalität gefragt. Hierzu nehmen alle eine gewünschte Menge Pistolenmarker in die Hand und strecken die geschlossene Faust mit den Markern in die Mitte. Gleichzeitig öffnen alle ihre Hände. Ist die Meuterei gescheitert und die Crew loyal, beginnt die Navigation. Der Kapitän zieht hierzu zwei Karten vom Navigationsstapel, sieht sie sich an und legt eine mit der Rückseite nach oben in das Navigationskästchen. Nun wiederholt der Lieutenant die Aktion und legt somit eine zweite Karte verdeckt in das Kästchen. Die so erfolgte Auswahl geht nun an den Navigator. Diese Person schüttelt das erhaltene Kästchen und sieht sich die beiden Karten an. Eine davon wird wieder abgelegt und die letzte verbliebene Karte wird an den Kapitän zurückgegeben. Nun wird die Navigation auf dieser Karte ausgeführt. Das Schiff wird in die entsprechende Richtung bewegt. Sollte es ein Seefeld mit einer Aktion sein, wird diese noch vor der Aktion auf der Navigationskarte ausgeführt. Auf Seefeldern kann es zu einer Untersuchung durch den Kapitän kommen, wodurch diese Rolle die Zugehörigkeit eines Crewmitglieds erfährt. Ebenso kann es passieren, dass einem Crewmitglied die Zunge abgeschnitten wird, wodurch diese nicht mehr an Gesprächen teilnehmen darf (und ja, Ausdruckstanz haben wir in unserer Spielrunde erlaubt), oder dass eine Person über Bord geworfen wird und somit ausscheidet oder als Kultführer das Spiel gewinnt.

Je nach Personenzahl ändern sich die Bedingungen.

Die Aktionen auf der Navigationskarte sind Fähigkeiten, um gewissen Spielenden eine Einsicht in den Navigationskartenstapel oder Ablagestapel zu ermöglichen, um den betrunkenen Kapitän auszutauschen oder eine Kultkarte zu ziehen. Über diese Kultkarten ist es dem Kult zum Beispiel möglich, neue Anhänger*innen zu rekrutieren oder Pistolen zu verteilen.

Gerade gegen Ende des Spiels hilfreich, hat die Rolle des Navigators noch eine andere Möglichkeit, als sich für eine Karte zu entscheiden. Sollte die betreffende Person mit keiner der Karten einverstanden sein, darf sie den Befehl verweigern und über Bord springen. Die Person scheidet aus, verhindert aber möglicherweise den Sieg einer Fraktion. Der Kultführer darf auf diese Art nicht gewinnen. Kapitän und Lieutenant müssen mit einem neuen Not-Navigator eine komplett neue Navigation durchführen. Eine Meuterei ist nicht erlaubt.

Ist bei der Meuterei jedoch die richtige Menge an insgesamt gezeigten Pistolenmarkern erreicht, ist sie erfolgreich. Wer die meisten Pistolen gezeigt hat, erhält die Rolle des Kapitäns und beginnt eine neue Ernennung des Navigationsteams. Natürlich wieder mit der Möglichkeit einer Meuterei.

Dieses Prozedere wird wiederholt, bis eine Fraktion ihr Ziel erreicht hat.

Ausstattung

Das Team von Feed the Kraken hat bei der Ausstattung nach dem Motto „Klotzen statt kleckern“ gehandelt. In der großen Box erwartet die Spielenden für ein vom Prinzip her eher simples Spiel eine wahre Materialschlacht. Zunächst sei hervorgehoben, dass das Spiel versucht, sprachneutral daherzukommen. Wo es nicht möglich ist (Charakterkarten, Anleitung, Spielhilfen et cetera), gibt es entweder sowohl deutsche als auch englische Versionen des Materials oder Sticker mit den deutschen Angaben, um diese auf die generellen englischen Bezeichnungen zu kleben.

Die INSTABIL.

Das Spielbrett ist doppelseitig und bietet je nach Größe der Spielrunde entweder eine schnelle oder lange Reise. Ein schönes Detail ist hierbei, dass es auf der langen Reise nicht nur stumpf mehr Felder sind, sondern auch neue Aktionen ins Spiel kommen, die es auf der kurzen Reise so nicht gibt. Auf dem Spielplan selbst wird mit einem neun Zentimeter großen Modell der INSTABIL über die Meere gesegelt.

Für die Navigationsphase gibt es das Logbuch als „geheimes Kästchen“, um die verdeckten Karten zu platzieren und weiterzugeben. Und hier ist wirklich sehr viel Liebe mit in die Gestaltung geflossen. Statt einfach die Karten weiterzugeben, wird den Spielenden hier eine magnetische Box mit Filzeinlage an die Hand gegeben, die auf der Rückseite noch einmal den Ablaufplan der Navigationsphase erklärt und im Inneren die Aktionssymbole der Navigationskarten gelistet hat. So weiß man als Navigator zu jeder Zeit, welche Symbole in der Box gerade zur Auswahl stehen.

Pistolen und Aufbewahrung.

Für die Meutereien gibt es pistolenförmige Holzmarker, die zwar im Vergleich zum Rest des Materials erstmal „deplatziert“ wirken durch die Plastikaufmachung aller anderen Komponenten, aber für die geheimen Abstimmungen perfekt geeignet sind. Die Charakterkarten sind wundervoll illustriert, und es ist beinahe schade, dass die Zeichnungen der Alter Egos „nur“ Kosmetik-Gegenstände für die Beschreibung besonderer Fähigkeiten sind.

Einige Beispiele für die Charakterkarten.

Die weiteren Karten des Spiels sind zweckmäßig und die Ikonographie zu jedem Zeitpunkt klar und verständlich. Um anzuzeigen, wer in einer Runde keine Rolle bekommen darf, gibt es drei „Dienstfrei“-Aufsteller. Die Übersichtskarten für die Fraktionsverteilungen, Anzahl benötigter Pistolen für Meutereien und welche Rollen nach einer Runde „Dienstfrei“ haben je nach Personenzahl sind praktisch und klar verständlich.

Unterschiede Basis- und Deluxe-Edition

Bislang bin ich auf die Komponenten, die in beiden Editionen identisch sind, eingegangen. Nun folgt die Betrachtung der Unterschiede und vorweg muss eines gesagt sein: „Brauchen“ braucht die Deluxe-Version niemand. Keine der verbesserten Komponenten ist spielverändernd. Aber (und das sage ich als jemand, der Spielspaß ganz klar über Materialverblendung setzt): Dieses Deluxe-Material ist stark. Angefangen bei dem wirklich guten Insert, welches mehr als genug Platz für alle Komponenten bietet. Statt der Spielfeldaktionsplättchen für die Krakenfelder gibt es in der Deluxe-Version drei massive Miniaturen des Kraken und seiner Tentakel. Ebenfalls in die Dreidimensionalität wurden die Marken für Lieutenant und Navigator befördert. Statt der Pappmarker gibt es nun sehr plastische Auszeichnungen für die beiden Rollen und niemand, wirklich niemand in den Testrunden konnte widerstehen, an dem beweglichen Steuerrad des Navigator-Abzeichens zu drehen. Für Nachzieh- und Ablagestapel gibt es nun zwei kleine Boxen, die zusammengeklappt eine Kiste darstellen. Diese beiden Boxen erleichtern das Weiterreichen der Karten über den Tisch.

Navigationskartenstapel und Logbuch des Kapitäns.

In der Basisvariante gibt es für die Fraktionen Karten, die die Spielenden ziehen müssen und vor sich ablegen. Auch hier gab es ein feines Upgrade, indem die Karten durch haptisch sehr ansprechende Pokerchips ersetzt wurden, welche in einem der elf schwarzen Säckchen zu Geheimhaltungszwecken aufbewahrt werden. Und es fühlte sich einfach verschwörerischer an, in einen dunklen Beutel zu spicken, statt eine Karte umzudrehen.

Die Komponenten der Basis-Edition liegen der Deluxe-Variante ebenfalls bei.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Funtails/Spiel Instabil
  • Autor*in(nen): Dr. Hans Joachim Höh, Maikel Cheney, Tobias Immich
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Spieldauer: 45 – 90 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: (5) (6) 7 8 9 10 11
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Preis: ca. 60 EUR (Basis); ca. 100 EUR (Deluxe)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Funtails, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Webseite des Verlags finden sich neben der deutschen Anleitung auch Fan-Übersetzungen der Charakterkarten in verschiedenen Sprachen. Zudem sind im Shop dort die Neopren-Spielmatte, Kartenhüllen und das Kraken-Stofftier erhältlich.

Fazit

Zu Beginn des Artikels habe ich angesprochen, dass Feed the Kraken sehr dem Prinzip von Secret Hitler zu ähneln schien. Dieser Eindruck hat sich mehr als bestätigt. Aber das Abenteuer auf der INSTABIL geht an eigentlich allen Stellen diese eine Seemeile weiter. Und das funktioniert hervorragend. Das Spielprinzip ist superschnell erlernt und absolut intuitiv. Selbst Regel-Sonderfälle wie die Not-Navigation sind logisch nachvollziehbar und entweder schnell verinnerlicht oder fix nachgeschlagen. Nach wenigen Runden sind auch eher schüchterne Personen schnell im Modus und fangen an, zu diskutieren, sich zu verschwören und an allen Ecken Verrat zu wittern. Hier ergibt sich jedoch ein Knackpunkt vor allem bei größeren Gruppen: Die Diskussionen und Gespräche zwischen den Runden können manchmal etwas ausufern und eine Runde (unnötig) in die Länge ziehen. Hier kommt es auch ein wenig auf die Disziplin aller Beteiligten an, sich nicht in den Diskussionen ständig zu wiederholen. Und es könnte durchaus Sinn machen, eine Hausregel einzuführen für Personen, die anderen ins Wort fallen …

Das Spiel ist für sein einfaches Prinzip fast schon zu ausufernd was Material und Immersion angeht. Aber genau das ist es, was mich persönlich so gefesselt hat. Braucht es eine große Schiffsminiatur auf dem Spielfeld? Nein, auf keinen Fall. Aber eine Navigation fühlt sich einfach richtig gut an damit, als würden wir „echt“ über das Meer segeln. Musste man für die Charakterkarten, die häufig nur eher unbedeutende Einmal-Fähigkeiten bieten, solch aufwendige Illustrationen anfertigen? Nein, auf keinen Fall, aber ich war gerne mal Chefkoch oder Gleichmacherin. Dafür spiegeln sich diese Faktoren leider auch im sehr hohen Anschaffungspreis wider. Die Deluxe-Variante kostet im offiziellen Shop des Verlags circa 100 EUR. Das Material und die Ausstattung sind entsprechend auch Deluxe, aber man muss für sich selbst entscheiden, ob man bereit ist, diesen Preis zu zahlen.

Einige Social-Deduction-Spiele sind in letzter Zeit auf meinem Spieltisch gelandet, aber keines davon hat mir so viel Spaß bereitet wie Feed the Kraken. In seiner Simplizität des Spielablaufs und der hierfür vollkommen ausufernden Materialschlacht hat es mich in seinen Bann gezogen. Das Spiel erfindet das Genre nicht neu und bedient sich bekannter Mechaniken. Doch die einzelnen Rädchen greifen so nahtlos ineinander, dass selbst Nicht-Spieler*innen noch eine Runde spielen wollten. Der Titel ist sehr hochpreisig, aber ich kann dennoch eine klare Empfehlung aussprechen.

  • Sehr einfach zu lernen
  • Wunderschönes Spielmaterial
  • Sehr viel Liebe zum Detail
 

  • Sehr hoher Preis
  • Gesprächsfreudige Gruppen können eine Partie unnötig in die Länge ziehen

 

 

Artikelbilder: © Funtails/Spiel Instabil
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Saskia Harendt
Fotografien: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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