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Knutpunkt ist die nordische Larp-Konferenz, die jährlich zwischen Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland wechselt. Hier treffen sich Orgas und Interessierte aus der ganzen Welt, um über ihr Lieblingshobby zu diskutieren, Spiel-Designs auszutauschen und über Larp-Theorie zu philosophieren. Der Knutpunkt 2022 fand vom 9. bis 12. September in Linköping statt.

Der Knutpunkt! Die Larp-Konferenz, über die alle in der internationalen Larp-Szene sprechen. Das Who-is-Who der Larp-Organisator*innen, gekoppelt mit wilden Partys und Informationen aus erster Hand darüber, welche coolen Cons das nächste Jahr auf uns warten. Noch nie gehört? Zugegeben, nur wenige Spieler*innen und Organisator*innen aus Deutschland fahren auf die nordische Larp-Konferenz. Denn der Anteil von Larper*innen, der auf geskripteten Larps spielt, ist immer noch recht klein.

Dieses Jahr fand der Knutpunkt in der schwedischen Studierendenstadt Linköping statt.

Und die Ausflüge in internationale Gewässer können sich längst nicht alle leisten, auch wenn die Organisator*innen der Veranstaltungen sich Mühe machen, erschwingliche Angebote zu erstellen. Letztendlich ist die Entscheidung: Fahre ich auf ein cooles Larp oder auf eine Konferenz, wo über Larp gesprochen wird? Nachdem ich von vielen Menschen so viele Legenden über diese Veranstaltung gehört hatte, wollte ich sie zumindest einmal erleben. Aber worum genau geht es da? Im Prinzip ist es ein Austausch von Larpinteressierten und eine Veranstaltung, bei der die Organisator*innen die Plattform bieten, während die Teilnehmenden das Programm gestalten. Es gibt unterschiedliche Formate, für die Punkte angeboten werden können: Talks, Panels, Diskussionsforen, Workshops, Larps, thematische Treffen und „1-h-Roomparties“. Die Veranstalter*innen prüfen die eingereichten Optionen, erteilen Zu- oder Absagen und mischen daraus ein abwechslungsreiches Programm, das vermutlich insbesondere für Menschen, die Larps organisieren oder einfach networken wollen, interessant ist.

Die Veranstaltungen waren bunt gemischt zwischen Talks, Workshops, Diskussionen und Mini-Larps.

Es wird diskutiert, welche Spielmechaniken spannend sind, welche neuen Entwicklungen es gegeben hat, und die Grenzen zwischen Kunst, Wissenschaft und Spiel verschwimmen fließend.

Was ist eigentlich dieses Nordic Larp? Auch hier gab es schon Darstellungen zum Thema und den Versuch, es zu anderen Larp-Veranstaltungen abzugrenzen. Je länger ich dabei bin, desto weniger gelingt es mir, denn es kann unheimlich viel sein. Neben dem Nordic Larp gibt es verschiedene Manifeste, wie das italienische The Southern Way, die versuchen, eine eigene Definition vorzunehmen. Der Begriff stammt aus den skandinavischen Ländern, die als erste Larps mit geschriebenen Charakteren und ohne Sieger*innen, also “Play to lose/struggle” gespielt haben. Ohne die eine Person, die am Ende gewinnt, sondern mit einer Gemeinschaft, die am Ende zusammen ein tolles Spielerlebnis für alle kreieren will. Gerade die nordischen Spiele haben häufiger mehr Drama und Melancholie integriert. Oft steckt auch eine Vision dahinter, künstlerisch oder pädagogisch. Denn schließlich wird in Skandinavien Larp als Bildungsmethode angewendet … und nicht nur von Larper*innen.

Um in Stimmung zu kommen, gibt es am Vorabend des Knutpunkts also traditionell die Nordic Larp Talks, die es online in Kurzfassung zum Ansehen gibt. Auch hier können sich Menschen, denen ein Thema auf der Seele brennt, im Vorfeld anmelden. In diesem Jahr ging es zum Beispiel darum, wie Larp die virtuelle Realität spannender machen könnte, dass Larps in Buchform eine Daseinsberechtigung haben oder wie wichtig ein zeitlich gut getimtes Nickerchen auf einer Veranstaltung sein kann. Egal, ob als Spieler*in oder als Orga: Fomo kann schließlich alle treffen. Insgesamt eine runde Vorveranstaltung, bei der im Anschluss noch gequizzt werden konnte. Zumindest wenn man nicht beschäftigt war, all die Leute zu begrüßen, die man seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Larper*innen im Krieg

Zwischen all den Programmpunkten und der Euphorie, dass 2022 nach den Corona-Jahren wieder das erste “echte” Larpjahr ist (Ja, mit Einschränkungen, aber egal! Lasst uns dankbar sein für das, was wir gerade haben!) gab es ein Thema, das den Knutpunkt überschattete: den Ukraine-Krieg. Denn natürlich gibt es eine ukrainische Larp-Szene. Es gibt ukrainische Larpende und ukrainische Orgas. Menschen, die jetzt kämpfen oder flüchten mussten. Und ja, viele Teilnehmende des Knutpunkts kennen ukrainische Larpende. Haben sie irgendwann auf einem südeuropäischen Piratenspiel oder in einem osteuropäischen Schloss getroffen. Im Vortrag „Ukrainian Larpers: Staying Together in Time of War“ erzählten die ukrainischen Larper*innen Anastasiia Zotova, Anastasiya Kuznyetsova, Daria Kroshka, Kateryna Esterle und Max Tiseyko, wie ihnen Larp geholfen hat, mit dem Krieg umzugehen. Wie ein Hobby ihnen half, unter schwierigen Umständen zu überleben und sich dieser schrecklichen Situation anzupassen. Dabei gab es Tränen bei allen, die im Saal saßen. Dazu kam noch das Fundraiser-Event Ukrainian Human Library, bei dem die ukrainischen Larper*innen gegen Spenden ihre Geschichten und die ihrer Freund*innen erzählten. Die Spenden gingen an die Larper*innen, die in der Ukraine geblieben waren. Besonders bewegend war hier die Fotowand. Eine Gegenüberstellung von Fotos aus der Zeit vor und nach Kriegsbeginn. Larpende aller Genres in bunter Gewandung gegenüber Menschen in Uniformen. Die gleichen Menschen. Nach diesen Programmpunkten haben sich viele erst einmal die Möglichkeit zum Durchatmen genommen.

Workshops, Talks und Theorie

Wie viele Larp-geeignete Schlösser gibt es in Deutschland? Welche Management-Methoden kann ich auf die Organisation meines Larps anwenden? Wie schreibe ich einen guten Charakter? Welche neuen Trends gibt es? Die Themen der Vorträge und Workshops zeigten sich vielseitig und boten für alle Interessen etwas. Wer gemeinsam ein historisches Larp entwerfen wollte, konnte das ebenso tun, wie die Marketing-Strategie für sein nächstes Larp konzipieren. Hier ging es viel ums Fachsimpeln, um den Erfahrungsaustausch und einen fast schon wissenschaftlichen Ansatz. Dabei fiel vor allem auf, dass einige der langjährigen Larporgas geborene Redner*innen sind und fast jedes Thema spannend aufbereiten können. Gerade in den Workshops konnte zum Teil viel gelernt werden, wobei nicht jeder vom Titel und Inhaltstext genau das Erwartete war. Aber zum Glück stand es stets frei zu gehen, wenn eine Erwartung nicht erfüllt wurde. Was im Larp erwartet wird, galt auch für die Veranstaltung: Fürsorglicher Umgang mit sich selbst und anderen. Ein Hinausgehen sollte nie als Ablehnung gewertet werden, sondern einfach, dass etwas anderes erwartet wurde.

Alessandro Giovannucci von der Chaos-League-Orga erklärt, wie wichtig Expectation Management für Larps ist.

Weitere Themen der Programmpunkte waren Feminismus und LGBTQ+ im Larp, aber auch Klimawandel sowie Nachhaltigkeit, und wie hier durch Larp mehr Aufmerksamkeit, aber auch mehr Handlungsbereitschaft generiert werden kann. Natürlich wurden auch innerhalb des Hobbys relevante Bereiche wie mentale Sicherheit im Larp thematisiert.

Mini-Larps zwischen Spannung und Drama

Mini-Larps sind kurze Oneshot-Larps, die in wenigen Stunden gespielt werden. Dazu gibt es einfache Regeln, überschaubar geschriebene Charaktere und häufig eine abstrahierte Handlung. Zum Glück können sie fast überall gespielt werden und erfordern in den meisten Fällen kein Kostüm, sondern kommen mit wenig bis gar keiner Vorbereitungszeit aus. So können auch neue Ideen und Konzepte erst einmal im kleinen Rahmen getestet werden, während andere Inszenierungen direkt nur als Mini-Larp beziehungsweise Drama Game machbar sind. Selbstverständlich gab es auf dem Knutpunkt eine ganze Reihe von Mini-Larps, die grundsätzlich einen Nachteil hatten: Sie waren in den meisten Fällen nur für acht bis zwölf Spieler*innen geeignet, was heißt, dass von den über 350 Teilnehmenden nur eine Handvoll Menschen es in die zehn Veranstaltungen aus dieser Rubrik schaffte. Als Themen gab es Kunst, Krieg, Klimawandel, Teenager an der mexikanischen Grenze oder auch Science-Fiction, häufig mit einer tieferen Botschaft versehen und vor allem emotional. In der etwas abstrakten Bonobo Experience ging es darum, am Beispiel des Gruppenverhaltens in einer Gruppe Bonobo-Affen Nähe und Miteinander anders zu erfahren und einsetzen zu können. Mit Sicherheit ist nicht jedes Spiel etwas für alle Spieler*innen, aber die Mini-Larps wurden für die Kürze der Spielzeit (zwei bis vier Stunden) liebevoll und aufwändig geplant und boten ein breites Spektrum für verschiedene Interessen.

Partys für jeden Geschmack

Wenn ich ehrlich bin: Lange bevor ich von Larp-Theorie und Nordic Talks hörte, erzählte man mir von den Partys auf dem Knutpunkt. Bestimmt einer der Gründe, die mich bewegten, dieses Jahr die Reise nach Schweden anzutreten. An den meisten Abenden gibt es eine etwas größere Mottoparty und diverse „1-Hour-Room-Parties“. Letztere bestehen daraus, dass jede*r sich einen Raum organisieren und eine Party seiner*ihrer Wahl schmeißen darf. Für genau eine Stunde. Hug-me-Party, wo man lernt, ordentlich zu umarmen und Körpersprache richtig zu deuten? Deutsche Party mit ordentlicher Anmeldung und Schlange stehen inklusive? Disney-Sing-a-long? Stroboskop, Nebel und Bass gewünscht? Alles kein Problem, und wem etwas fehlte, konnte der*die es kurzerhand selbst organisieren.

Was etwas störte, war die Location: Im Conference Center von Linköping verliefen sich die Menschen, weshalb gerade in den großen Partyräumen nie richtig Stimmung aufkam, was besonders für die 1920er-Jahre-Speakeasy-Party am Samstagabend oder die True-Colors-Party am Sonntagabend schade war. Auch, dass Freitag und Samstag gegen 1 Uhr das Center verlassen werden musste, unterbrach die Partystimmung. Was aber vielleicht der Konferenz zuträglich war, da pünktlich um Zehn alle Veranstaltungsräume schon wieder gut gefüllt waren.

Die Larp-Highlights 2023 in der Vorschau

Ein Highlight und – wie man mir erzählte – langjährige Tradition ist die Präsentation der Veranstaltungen für das folgende Jahr. Strategisch günstig wird sie auf den Montagvormittag gelegt, sodass alle Teilnehmenden auch noch einen Grund haben, auf jeden Fall bis Montag zu bleiben. Und nicht nur die Partys. Für alle, die wissen möchten, welche Termine 2023 geblockt und wie viel Geld gespart werden sollte, auf jeden Fall eine lohnende Veranstaltung. Zumindest für die Menschen, die internationale Larps organisieren oder solche besuchen. Auch in Deutschland wird es einige Highlights geben: das 80s-queer-Larp Midsummer Disco von der Poltergeist-Orga, das Jane-Austen-Larp Social Season der Austen Allies und natürlich das Cyberpunk-Larp Greylight 2142.

Ruf und Realität

Das war also mein erster Knutpunkt. Nachdem ich 2014 erstmals von der Veranstaltungsreihe hörte, hat es einige Jahre gedauert, bis ich sie selbst erlebte. Tatsächlich war ich positiv überrascht, obwohl nicht immer alles rund lief und die Trennung von Übernachtungsstätte zum Konferenzort nicht nur mir als Neuling unpraktisch erschien. Was ich erwartete, war eine Entschuldigung, um rund um die Uhr zu feiern. Was ich bekam, waren tolle Gespräche, mitreißende Präsentationen, spannende Workshops und entspanntes Socializing am Abend mit selbst zu wählender Partystufe.

The Evening Show und die Morning Show umrahmten jeden Tag perfekt mit teils amüsanten, teils emotionalen Gesprächen und immer interessanten Gästen.

Es handelte sich nicht um die legendärste Party aller Zeiten, sondern um eine ernstzunehmende Konferenz für die Menschen, die Larp auch unter der Oberfläche betrachten und Hintergründe erleben wollen. Wer um des Spielens willen larpt und mit seiner Gruppe durch Deutschland tourt, der*die wird durch den Knutpunkt nicht angesprochen. Aber für Personen, die international larpen und sich mit ausgefallenen Mechaniken für ihre Larps beschäftigen oder wissen wollen, was bei anderen funktioniert hat oder eben nicht, für die lohnt es sich. Für mich wird es sicherlich nicht mein letzter Knutpunkt gewesen sein. Denn ich habe vor allem großartige Menschen aus vielen Ländern kennengelernt oder nach vielen Jahren wiedergesehen. Manche davon sogar aus Deutschland.

Artikelbilder: © Mary Stormhouse und © Larson Kasper
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids
Fotografien: © Mary Stormhouse und © Larson Kasper

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