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Vampire, Elfe, Zwerge – im Liverollenspiel gibt es viele Rassen, die sehr alt oder gar unsterblich sind. Aber können alte Charaktere überhaupt glaubhaft dargestellt werden oder ist der Versuch zum Scheitern verurteilt? Du hast Glück: Mit den richtigen Kniffen kann diese Herausforderung gemeistert werden.

Alte Charaktere, die viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alt sind, begegnen uns nicht nur im Vampire Live. Elfen sind je nach Setting ebenfalls unsterblich oder können zumindest so wie Zwerge ein sehr hohes Alter erreichen. Und es sind gerade die alten Vertreter dieser Art, die eine ganz besondere Faszination ausüben – vorausgesetzt, sie werden gut dargestellt.

Mit der Darstellung entscheidet sich, ob ein Charakter eine Bereicherung für das Spiel ist oder nicht. Gut dargestellte alte Charaktere verkörpern den Geist einer anderen Zeit und wecken das Gefühl, mit einem Stück Geschichte zu sprechen. Sie besitzen viel Wissen und können auf einen großen Erfahrungsschatz zurückblicken, mit dem sie zu einem atmosphärisch dichten Spiel beitragen. Wirken diese Rollen allerdings nicht glaubhaft, beeinträchtigt dies die Stimmung des ganzen Spiels: Niemand nimmt einen Vampir ernst, der viele Jahrhunderte alt ist, aber sich wie ein Teenager benimmt und sein Geschichtswissen nur aus Filmen wie Braveheart oder Serien wie Reign zieht.

Da kommt schnell der Verdacht auf, dass der Spieler primär auf die Vorteile aus war, die ein solcher Charakter mit sich bringt, und sich wenig um eine überzeugende Darstellung kümmert. Egal, ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist oder nicht, eines wird deutlich: An die Spieler alter Charaktere werden hohe Ansprüche gestellt.

Das Problem mit dem Alter

Bei einigen Rassen geht das voranschreitende Alter mit deutlich sichtbaren Veränderungen einher: Graue Haare und Falten sind die offensichtlichsten. Zum Glück sind heutzutage die nötige Schminke und Utensilien aus dem Maskenbildnerbereich leicht zu beschaffen, und jeder kann dank Google und YouTube herausfinden, wie ein bestimmter Effekt am besten geschminkt wird. Von Narben über Falten und Altersflecken bis hin zur ätherisch schimmernden Haut magischer Wesen lässt sich quasi alles umsetzen. Perücken und Kontaktlinsen helfen, perfekte Illusionen alter und übernatürlicher Kreaturen zu erschaffen.

Der gesamte Auftritt ist wichtig.

Leider (oder zum Glück?) ist es aber nicht damit getan, nur wie ein alter Charakter auszusehen. Das Äußere spielt eine sehr wichtige Rolle für den ersten Eindruck, aber ebenso wichtig ist der gesamte Auftritt des Charakters: Wie bewegt er sich, wie spricht er, wie denkt und handelt er? Und insbesondere, was weiß und kann er alles? Das Alter verändert eben (oft) nicht nur das Äußere einer Person, sondern insbesondere ihren Geist und ihren Habitus. Und genau dies ist die große Herausforderung für die Darstellung solcher Rollen.

Du musst nur alt wirken

Niemand von uns ist in der Lage, einen 400 Jahre alten Vampir perfekt darzustellen. Auch der beste Rollenspieler kann nur raten, wie ein solches Wesen wohl wäre. Denn selbst, wenn es im echten Leben Vampire gäbe, wären wir selbst keine und hätten keine Erfahrung darin, ein Vampir zu sein. Wir können also höchstens eine Annäherung an das erreichen, was ein so altes Wesen wäre, wenn es existieren würde. Das Gleiche gilt übrigens auch für Priester diverser Gottheiten und andere Fremdrassen, oder auch für Drachentöter und sogar Bauern in einem von Orks gebeutelten Landstrich.

Die gute Nachricht, wenn du einen alten Charakter spielst: Du musst gar nicht im Detail wissen, was genau ein so alter Vampir alles weiß und gelernt hat. Du brauchst weder Geschichtswissen auf dem Niveau eines Universitätsprofessors, noch eine psychologische Abhandlung über die Gefühlswelt uralter Wesen. Du musst nur so überzeugend so tun, als wärst du ein alter Charakter. Und zwar so überzeugend, dass andere Spieler und du selbst durch dein Spiel das gewünschte Gefühl erhalten, nämlich dass dein Charakter schon seit langer, langer Zeit die Spielwelt erlebt.

Der Unterschied klingt im ersten Augenblick unwichtig, kann für dich aber sehr viel Druck aus dem Spiel nehmen. Denn statt die Unmöglichkeit zu versuchen, mehrere Jahrhunderte an Erfahrung realistisch darzustellen, konzentrierst du dich darauf, das Gefühl zu wecken, dein Charakter wäre so alt. Das befreit dich nicht von der Aufgabe, Zeit und Mühe zu investieren, ist aber deutlich besser umsetzbar und befriedigender für alle Beteiligten.

Kniffe für die glaubhafte Darstellung

Einen alten Charakter überzeugend darzustellen, ist keine leichte Aufgabe. Je weiter das Alter des Charakters von deinem Alter entfernt ist, desto schwieriger wird es. Eine Unmöglichkeit ist es deshalb aber nicht.

Dir kommt entgegen, dass keine Regel dafür existiert, dass ein alter Charakter wie ein verstaubtes Relikt seiner Zeit aussehen und auf ewig weltfremd sein muss. Ebenso kann ein alter Vampir sich entscheiden, auf dem neuesten Stand zu bleiben und die Annehmlichkeiten der modernen Welt zu genießen. Mit einzelnen Erwartungen zu brechen, kann sehr spannend sein und neugierig auf deinen Charakter machen.

Dein Outfit

In diesem Fall auch optisch alt: ein alter Magier
In diesem Fall auch optisch alt: ein alter Magier

Die Art und Weise, wie du deinen Charakter anziehst, hat einen entscheidenden Einfluss auf den ersten Eindruck, den du hinterlassen wirst. Je nachdem, wie viel du zu zahlen bereit bist, kannst du historisch korrekte Kleidung sämtlicher Epochen kaufen.

Gleichzeitig ist es im Vampire Live nicht schlimm, wenn deine Kleidung nicht aus authentischen Stoffen besteht und nicht von Hand genäht ist. Wird die Jetztzeit bespielt, kann dein Charakter auf eine Vielzahl von Materialien und Schnitten zurückgreifen. Spiele ein wenig mit den verschiedenen Möglichkeiten und lasse die modischen Elemente in den Stil deines Charakters einfließen, die in seiner Vergangenheit prägend für ihn waren.

Das richtige Wissen

Zeit für eine kurze Selbstbetrachtung: Welche relevanten politischen Ereignisse der letzten 15 Jahre kennst du und kannst sie mit korrektem Datum benennen? Je nachdem, wie deine Interessenslage ist, fällt die Liste vielleicht eher kürzer aus. Dabei hast du sie selbst miterlebt und in unserem digitalen Zeitalter den Zugang zu einer Vielzahl an Hintergrundinformationen gehabt.

Worauf ich hinaus will: Nur, weil man etwas erlebt hat, merkt man es sich nicht unbedingt. Auch dann nicht, wenn es sich im Nachhinein als relevant herausstellt. Genauso geht es auch alten Charakteren: Nur, weil sie geschichtliche Ereignisse miterlebt haben, müssen sie sich nicht im Detail an sie erinnern.

Gleichzeitig ist die Geschichte natürlich nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Sie wurden von ihrer Zeit geprägt und erinnern sich an die Entwicklungen, die über längere Zeiträume hinweg entstanden. Nimm als Beispiel die Digitalisierung unserer Welt: Du weißt vielleicht nicht exakt, in welchem Jahr Handys auf den Markt kamen, aber wenn du älter als 25 bist, hast du die Folgen der Entwicklung dieser Technologie auf unseren Alltag sehr direkt miterlebt.

Statt also Daten und Fakten auswendig zu lernen, konzentriere dich darauf, wie dein Charakter die größeren Entwicklungen und Zusammenhänge seines Lebens erfahren hat.

Wie geschichtlich soll es denn sein?

Diese Frage ist insbesondere im Vampire Live relevant, das in der Jetztzeit spielt. Während auch in einer komplexen Fantasy-Welt die vergangenen Jahrhunderte meist nur vage beschrieben sind, berufen wir uns im Vampire Live auf die reale Historie der Welt. Das bedeutet für Spieler älterer Charaktere die Notwendigkeit, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Und mit „älter“ sind in diesem Fall Charaktere gemeint, die länger Vampir sind, als der Spieler alt ist.

Auch hier gilt, dass du keine langen Tabellen aus exakten Daten auswendig lernen musst, wenn diese nicht wirklich wichtig sind. Allerdings schadet es nicht, ein wenig tiefer in die Materie einzutauchen. Nichts ist peinlicher, als im Spiel vorgeführt zu werden, weil man sich allein auf das Wissen aus Filmen und Serien verlässt.

Gib Anekdoten zum Besten.

Reichere dein Spiel mit Andeutungen und Anekdoten an, um deinen Mitspielern das Gefühl zu geben, durch deinen Charakter einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen zu können. Erzähle davon, wie deine Geschwister an Kinderlähmung erkrankten oder du im Krieg Kartoffeln vom Feld klauen musstest, um zu überleben. Lache darüber, wie lange du gebraucht hast, dich an elektrisches Licht zu gewöhnen und dich noch an die damalige Angst vor dieser unheimlichen neuen Erfindung erinnerst. Schwärme von dem neuen Paar Schuhe, das deine Eltern dir an Heiligabend geschenkt haben, oder wie frivol und unanständig du dich gefühlt hast, als du dem Trend gefolgt bist und Walzer getanzt hast.

Du kannst natürlich niemals vollkommen sicherstellen, dass nicht doch jemand anderes mehr über die Zeit deines Charakters weiß als du. Grobe Schnitzer solltest du aber vermeiden, denn sie schaden der Glaubwürdigkeit deines Charakters sehr. Und auch dir selbst hilft eine etwas gründlichere Recherche dabei, deinen Charakter zu fühlen und besser in ihn einzutauchen. Es ist sehr spannend, sich zu überlegen, wie eine bestimmte geschichtliche Entwicklung sich auf den eigenen Charakter ausgewirkt hat. Also investiere ein paar Abende und stöbere im Internet oder der Bibliothek.

Das geht ins Ohr: Die richtige Sprache

Keine Sorge, du musst nicht althochdeutsch lernen und sprechen. Es reicht schon, wenn du moderne Begriffe und Modewörter aus dem Wortschatz deines Charakters streichst und stattdessen einige Worte seiner Zeit aufnimmst. Du erreichst schon sehr viel, wenn du auf Anglizismen verzichtest und für den Anfang einige „alte“ Begriffe auswählst, die du immer wieder einstreust. Mit der Zeit kannst du diese Art zu sprechen weiter ausbauen. Wichtig ist, dass es so natürlich wie möglich wirkt und nicht gekünstelt. Übertreibe es deshalb am Anfang nicht und steigere dich mit der Zeit.

Körpersprache und Habitus

Ein alter Charakter, sei es ein Vampir, ein Elf oder ein anderes Wesen, hat schon viel gesehen. Das Bewusstsein, dass die allermeisten anderen deutlich jünger sind als man selbst, ist eine prägende Erkenntnis. Sie muss nicht leichtsinnig machen, bringt aber eine gewisse Selbstsicherheit mit sich.

Es schadet also nicht, sich mit Körpersprache und Vortragstechniken auseinander zu setzen, denn so erhältst du viele wertvolle Tipps für ein selbstsicheres Auftreten. Gewöhne dir einen stabilen Stand an, nimm Raum ein und achte darauf, nicht ständig nervös an etwas herumzufummeln.

Sprich ruhig und gelassen, schließlich hast du Zeit. Lege dir ein paar rhetorische Kniffe zurecht, um im Zweifelsfall in einer Diskussion ein wenig Zeit zu schinden und über eine passende Antwort nachdenken zu können. Viele kritische Gesprächspartner lassen sich mit einem abfälligen „Na ja, so kann man das natürlich auch sehen“ abspeisen und bemerken nicht, dass du keine gute Antwort hattest.

Hole dir Tipps

Jede Gruppe und jede Chronik hat einen eigenen Stil und eigene Ansprüche an alte Charaktere, sei es im Vampire Live oder im Fantasy-LARP. Du musst dich nicht als Einzelkämpfer durchbeißen, sondern kannst von der Erfahrung anderer Spieler profitieren. Sei dabei ruhig proaktiv und frage im Vorfeld, wie sie bestimmte Herausforderungen meistern oder welche Aspekte für sie bei der Darstellung alter Charaktere wichtig sind. Der Blick von außen hilft dir, deinen Charakter und dein Spiel weiterzuentwickeln und so noch mehr Spaß zu haben.

Fazit

Alte Charaktere zu spielen ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Die größte Schwierigkeit ist dabei, die über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte gesammelte Erfahrung glaubhaft darzustellen, ohne dass du sie jemals gemacht hast.

Zu deinem Glück musst du keine dicken Geschichtswälzer durchackern, um einen alten Charakter zu spielen. Denn es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass dein Charakter sich seitenweise geschichtliche Daten gemerkt hat. Konzentriere dich stattdessen darauf, wie seine gemachten Erfahrungen den Charakter geprägt haben. Und nutze die Kniffe, mit denen du dir selbst und deinen Mitspielern erfolgreich das Gefühl vermitteln kannst, einen alten Charakter darzustellen.

Artikelbild: ©Wintergrafie – by Marco Winter

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