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Vom 19. bis 21. April 2018 fand bereits zum dritten Mal das Branchentreffen der Phantastik-Szene statt. Ausgerichtet wurde die Veranstaltung, wie jedes Jahr, vom Phantastik-Autoren-Netzwerk (PAN). Gemäß dem Motto „Träumen Androiden von Freiheit? Über Gesellschaft und Politik in der Phantastik“ wurden die Diskussionen hitzig und vor allem bunt.

Wenn eine Veranstaltung zum dritten Mal stattfindet, kann man durchaus bereits von einer Tradition sprechen. In diesem Sinne: Auch dieses Jahr fand das traditionelle PAN-Branchentreffen vom 19. bis 21. April statt. 2018 kehrten die Veranstalter zurück zu ihren Wurzeln und buchten wieder das Kölner Odysseum für die dreitägige Branchen-Tagung. Das diesjährige Motto „Träumen Androiden von Freiheit? Über Gesellschaft und Politik in der Phantastik“ ließ bereits intensive und hitzige Diskussionen vermuten. Unsere Vermutungen sollten bestätigt werden …

PAN, hinter dieser Abkürzung verbirgt sich der Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V., ein Verband, der die Interessen von Phantastik-Autoren vertritt. Gegründet wurde er im November 2015, und wir hatten damals schnell die Gelegenheit genutzt, um ein Gründerinnen-Interview zu führen. Hier findet ihr die Berichte zum ersten und zum zweiten PAN-Branchentreffen.

Ein seichter Einstieg

Zuhause unter Nerds, wo Moderator Alexander Waschkau ein Cthulhu-Tshirt trägt
Zuhause unter Nerds, wo Moderator Alexander Waschkau ein Cthulhu-Tshirt trägt

Der Donnerstag-Morgen begann ruhig. Nach der obligatorischen Begrüßung durch die PAN-Mitbegründerin Diana Menschig folgte ein Vortrag zum Thema „Macht und Märchen – Es war einmal politisch“ von Michael Baumann. Der durchaus interessante Vortrag des Phantastikforschers über die politische Bedeutung der Märchen von Grimm und Co. erinnerte leider etwas an eine Uni-Vorlesung. Dennoch war es ein gelungener Einstieg für drei Tage Phantastik-Branchentreffen.

Besaß der Vortrag von Michael Baumann zu viel wissenschaftliche Tiefe, so bemängelten Teile des Publikums, dass der Vortrag von Katja Böhne zu wenig davon besaß. Katja Böhne ist seit nunmehr acht Jahren für Marketing und Kommunikation bei der Frankfurter Buchmesse verantwortlich. Ihr Vortrag „My God, what if …! Science-Fiction ist Geisteshaltung” war ein Loblied auf ihre Liebe zur Science-Fiction und ihr Coming-Out als Nerd. Dabei äußerte sie die gewagte These, Science-Fiction könne alles, was andere Genres (inklusive der Fantasy) nicht könnten. Nach einem kräftigen Gegenwind des Publikums ruderte sie jedoch zurück. Es sei persönliches Empfinden. Belege konnte sie keine anführen. Eines konnte sie jedoch belegen: Großbritannien ist Deutschland im Bereich der Phantastik um Längen voraus. Während die Buchhandlung Hugendubel in Frankfurt gerade einmal zwei Regale für Science-Fiction erübrigt, füllt das Genre bei Waterstones in London mehrere Regalreihen.

Science-Fiction-Abteilung bei Hugendubel in Frankfurt (links) und Waterstones in London (rechts)
Science-Fiction-Abteilung bei Hugendubel in Frankfurt (links) und Waterstones in London (rechts) © Janika Hoffmann

Eines sei an dieser Stelle noch erwähnt: Die Abkürzung SciFi sorgt bei wahren Science-Fiction-Fans für körperliche Schmerzen. Die so geläufige Abkürzung entstand in den 1950er Jahren, analog zum Begriff Hi-Fi. In den 70ern begannen einige Science-Fiction-Anhänger Sci-Fi als Skiffy auszusprechen. Warum ist nicht mehr nachvollziehbar. Allerdings hat diese Unterteilung zu einem Bruch in der SF-Szene geführt. SciFi und Skiffy standen letztlich für schlecht geschriebene, anspruchslose Romane und dienten in gewisser Weise als Abgrenzung zur intellektuell anspruchsvollen Science-Fiction. Wer also eine Abkürzung für Science-Fiction sucht, greift am besten auf SF zurück.

Ein Plädoyer für die gezeichnete Phantastik

Comics, das ist doch dieser Schmuddelkram. Diese weit verbreitete Meinung galt es im Panel „Sprechblasen: Phantastische Comics, Mangas, Graphic Novels“ zu widerlegen. Die Podiumsgäste, Comiczeichnerin Sarah Burrini, Dirk Remmecke (Marketing bei KAZÉ), Achim Schnurrer (Gründer Comic-Salon Erlangen) und Daniel Schreiber (Texter und Zeichner), stammen allesamt aus der Szene.

Die Sprecher: Dirk Remmecke, Daniel Schreiber, Sarah Burrini, Achim Schnurrer (v.l.)
Die Sprecher: Dirk Remmecke, Daniel Schreiber, Sarah Burrini, Achim Schnurrer (v.l.)

Insbesondere Achim Schnurrer, ein wahres Urgestein der Szene, wusste von einigen erschreckenden Dingen zu berichten. Wer erinnert sich nicht an die Geschichtsstunden, in denen von Bücherverbrennungen zu Zeiten der Nazis die Rede war. Auch Comics ereilte dieses Schicksal, zum Beispiel in Aachen. Jedoch nicht zu Hitlers Zeiten, sondern in den 1950er Jahren. Wer glaubt, dass es danach schnell besser wurde, der irrt. Bis in die 90er Jahre hinein waren Zensur und Razzien in der Comic-Szene nichts Ungewöhnliches. Sie galten als Schund, und ihre angeblich immer vorhandenen pornographischen Inhalte mussten zum Schutz der Jugend verboten werden. Nur langsam wandelte sich die Wahrnehmung der Gesellschaft. Spätestens heute besitzen Comics einen wesentlich besseren Stellenwert. Nicht zuletzt dank der Marvel– und DC-Verfilmungen.

Doch die Veränderung der Wahrnehmung geht nicht einzig und allein aus dem Einfluss des Kinos hervor. Galten Comics immer als Kinderkram, so klingt der neue Begriff Graphic Novels doch viel erwachsener. Sarah Burrini hat zu dieser Namenstaufe jedoch eine ganz eigene Meinung. Natürlich sei es für den Buchhandel eine willkommene Gelegenheit, um Comics besser zu vermarkten, doch müssten auch die negativen Seiten des Begriffs beachtet werden. Das Vorurteil, Comics seien lediglich Unterhaltung und dadurch weniger wert, sei keineswegs aus der Welt geschafft worden.

Entwicklungen machen sich auch dank der Manga- und Anime-Szene bemerkbar, die tatsächlich einen schlechteren Ruf genießt als Comics. Doch haben die ebenfalls als Schund geltenden Mangas gegenüber dem Comic einen entscheidenden Vorteil – sie verkaufen sich zu gut, als dass der Buchhandel auf sie verzichten könnte. Was der Buchhandel aber auf jeden Fall noch zu lernen hat: Comic ist ein Medium und kein Genre, deswegen sollten auch die Regale besser mit den passenden Genrebezeichnungen anstatt mit „Comic“ überschrieben werden. Doch für solche Einordnungen fehlt oft das nötige Know-how.

Für mehr Diversität in der Phantastik

Nach der Mittagspause begann bereits das letzte und wie sich zeigen sollte diskussionsfreudigste Panel. Lars Schmeink, Professor für Medienwissenschaft, lieferte mit seinem Vortrag „Von Diversität, Intersektionalität und Repräsentation – Politische Dimensionen der Phantastik“ einen Einstieg in die folgende Diskussionsrunde. Seine Ausführungen zum „moving walkway“ der Diskriminierung brachten das Publikum zum Nachdenken. Jeder diskriminiert – sei es in Bezug auf Rasse, Geschlecht, Sexualität … Dabei geschieht die Diskriminierung zumeist unbewusst. Sie ist tief in unserer Gesellschaft verankert, und erst, wenn man bewusst über seine Entscheidungen nachdenkt, gelingt es, den „moving walkway“ zu verlassen. Auch, oder gerade, in Verlagen ist (un)bewusste Diskriminierung durchaus ein Thema. Wie sonst ließe sich erklären, dass aus N. K. Jemisins farbiger Protagonistin in The Hundred Thousand Kingdoms eine blonde, weiße Frau auf dem Cover wird?

Lars Schmeink über die Auswirkungen des moving walkways am Beispiel von N. K. Jemisins The Hundred Thousand Kingdoms
Lars Schmeink über die Auswirkungen des moving walkways am Beispiel von N. K. Jemisins The Hundred Thousand Kingdoms

Angeregt von seinem Vortrag ging es für ihn und Katrin Lang, Autorin, Maike Stein, Autorin, Akram El-Bahay, Autor, und Gudrun Hoffmann-Schoenborn, Bloggerin, direkt in die Podiumsdiskussion zum Thema „Rassismus – Sexismus – Homophobie – welche Verantwortung hat die Phantastik?“. Schnell wurde klar: Das Thema bewegt das Publikum. Die bis dato eher verhaltenen Wortmeldungen wollten schier kein Ende nehmen. Insbesondere als sich die Diskussion auf die Geschlechterverteilung in der Literaturszene festgefahren zu haben schien.

Während die einen das Thema für unnötig aufgebauscht hielten, konnte es für die anderen gar nicht genug diskutiert werden. Dabei wurde schnell festgestellt: Weiße, heterosexuelle Männer spielen auf der leichtesten Stufe. Auch wenn diese Anmerkung einigen erfolgreichen Autoren sauer aufstieß, hatten sie doch das Gefühl, ihr Erfolg würde durch diese Behauptung gemindert, ihre Leistung herabgewürdigt werden. Verständlicherweise konnte keine Einigung über das generelle Thema erzielt werden, doch das war auch nicht das erklärte Ziel der Diskussion. Wichtig war die (Wieder)Belebung des Themas „Diskriminierung“ in den Köpfen aller Anwesenden und auf diese Weise hoffentlich auch in den Köpfen anderer. Ziel war ein Bewusstmachen des „moving walkways“ und der Möglichkeiten, ihn zu verlassen. Dieses Ziel wurde definitiv erreicht.

Ist die Luft raus?

Das PAN-Branchentreffen ist eine Veranstaltung, auf die sich viele Teilnehmer das gesamte Jahr freuen. Der Austausch, das Wiedersehen, es ist ein wenig, wie nach Hause zu kommen. Dennoch drängte sich am Donnerstag zunehmend die Frage auf: Ist die Luft raus? Im Vergleich zu den letzten Jahren waren die Diskussionen, mit Ausnahme des letzten Themas, verhaltener.  Ist vielleicht alles gesagt oder hatte der Donnerstag einfach Themen, die nicht so intensiver Diskussionen bedürfen?

Bleibt nur zu hoffen, dass der Eindruck trügt. Denn die Phantastik-Szene braucht Veranstaltungen wie das PAN-Branchentreffen, die selbst bei schwerverdaulichen Themen nicht den Diskurs scheuen und gerne den Finger in die Wunde drücken, um eine Lösung näherzubringen.

Artikelbilder: Julia Weber, Janika Hoffmann

2 Kommentare

  1. Warst du nur Donnerstag da? So ein Ärger, den habe ich verpasst! Freitag und Samstag waren aus meiner Sicht (war allerdings auch mein erstes Branchentreffen) ein voller Erfolg mit interessanten, Diskussionswürdigen Vorträgen und vielen sehr spannenden Workshops. Grade die Diskussion um Diskriminierung geht übrigens im Netz munter weiter, sowohl auf Twitter unter #PAN18 als auch auf diversen Blogs, wiederum ausgelöst von Lars Schmeinke unter http://larsschmeink.de/?p=3038, aber inzwischen auch aufenommen von vielen anderen Autoren.

    • Hallo Nils,
      ja, ich war nur Donnerstag da. Marie jedoch auch am Freitag, ihr Artikel folgt in Kürze.
      Im Vergleich zu den letzten Malen, fand ich den Donnerstag tatsächlich etwas ruhig (mit Ausnahme des Diskriminierungsthemas). Das Thema macht tatsächlich nicht nur auf Twitter die Runde, auch Fischer TOR hat inzwischen einen Gastartikel von Lars veröffentlicht. Es ist schön, dass der Diskurs zu diesem Thema auch außerhalb von PAN weiterlebt.
      Vielleicht habe ich mit Donnerstag einfach den ruhigsten Tag erwischt, wo alle erst einmal warm werden mussten.

      Viele Grüße
      Julia

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