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Fantasy Flight Games bietet mit Genesys ein universell nutzbares Regelsystem an. Der Kern dieser Regeln ist bereits länger bekannt und wurde in der Vergangenheit mit gemischtem Erfolg für verschiedene Veröffentlichungen genutzt. Kann Genesys tatsächlich den Olymp des Universalsystems erklimmen oder droht der Absturz?

Die Geschichte der Regeln, die heute den Kern des Genesys Core Rulebook bilden, reicht bereits einige Jahre zurück. 2009 war es die dritte Edition des Warhammer Fantasy Rollenspiels, in der sich Fantasy Flight Games an einem ungewöhnlichen Regelkorpus versuchte. Die Reaktionen fielen sehr gemischt aus. Vor allem das Einbeziehen diverser Brettspielelemente in ein Tischrollenspiel stieß bei vielen Spielern auf Ablehnung.

Der Würfelmechanismus aber blieb in seinen Grundzügen erhalten und wurde verfeinert, nur um 2013 mit einer gewichtigen Lizenz erneut auf den Markt geworfen zu werden: Star Wars: Edge of the Empire verwendete erneut Spezialwürfel ohne Zahlen, dafür mit allerlei Symbolen. Anders als der frühere Ausflug in die Alte Welt war und ist das Spiel in einer weit, weit entfernten Galaxis ein Erfolg.

Und da Erfolg bekanntlich Recht gibt, soll der Regelkern für weitere Projekte genutzt werden. Das Genesys Core Rulebook dient hierbei als universelles Regelwerk, das durch Settingbände ergänzt werden oder für selbst kreierte Welten genutzt werden kann.

Die Spielwelt

Wie für Universalsysteme charakteristisch liefert Genesys keine spielfertige Hintergrundwelt im Rahmen des Grundregelwerks. Stattdessen werden dem Leser Texte zu sechs verschiedenen Genres präsentiert, die mit dem Regelsystem bespielt werden könnten. In diesen Texten werden die Eigenheiten und Charakteristika des jeweiligen Genres hervorgehoben.

Darüber hinaus bekommt ein interessierter Spielleiter bereits erste Vorschläge für mögliche Ausrüstung und Gegner innerhalb des Settings an die Hand gegeben. Wo möglich, wird außerdem ein Setting aus dem Hause Fantasy Flight Games angeschnitten, das im Genre angesiedelt ist.

Fantasy

Ein Universalsystem, das das Fantasygenre nicht bedienen kann, ist sein Geld nicht wert. Das Regelwerk bietet deshalb selbstverständlich einen knappen Überblick über die Themen, die Fantasy prägen und ausmachen.

Als Starthilfe für interessierte Spielleiter wird in Grundzügen das Setting von Runebound vorgestellt. Descent und diverse andere Brettspiele von Fantasy Flight Games nutzen das Setting bereits. Ein Hintergrundband für die Nutzung mit Genesys ist auch schon erhältlich.

Steampunk

Wer auf den Spuren von Jules Verne und H. G. Wells wandeln möchte wird im Kapitel über Steampunk fündig. Mit Sovereigns of Steam ist bereits ein Settingansatz enthalten, der die üblichen Bestandteile bietet: Viktorianische Mode und abgedrehte Technologie.

Weird War

Das Genre des Weird War nimmt die militärischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts und vermischt sie mit Seltsamkeiten und Übernatürlichem. Okkulte Kampftruppen, abgedrehte Technologie und ein alternativer Verlauf der bekannten Historie prägen das Setting.

Fantasy Flight Games bietet mit Tannhäuser bereits einen Startpunkt für alle, die Lust auf okkulte Schlachten haben. Ein deutsches Kaiserreich unter einem untoten Monarchen, Rasputin als Russlands großer Okkultist und durch UFO-Technologie gestärkte Westmächte – all diese Bestandteile sollten deutlich machen, was Spieler und Spielleiter hier erwartet.

Modern Day

Was auf den ersten Blick die Realität unserer modernen Welt abbildet, versucht eigentlich eher, das Feeling actiongeladener Filme zu vermitteln. Agenten, Polizisten, Soldaten und andere Actionhelden bilden die Vorbilder für die Spielercharaktere. Als einziges Genre wird zu Modern Day kein Beispielsetting aus dem Brettspielportfolio von Fantasy Flight Games geboten.

Science Fiction

Der Abschnitt zu Kampagnen im Genre Science-Fiction betont besonders den wissenschaftlichen Part. Der Spielleiter wird gewarnt, Technologien wie Zeitreisen, Teleportation oder Überlichtgeschwindigkeit zum Teil seines Settings zu machen. Wie eine Science-Fiction-Welt auszusehen hat, wird am Beispiel von Android aufgezeigt, der Hintergrundwelt des gleichnamigen Brettspiels.

Künstliche Intelligenzen in humanoider Gestalt bevölkern hier die nahe Zukunft und die Menschheit hat begonnen, nach den Sternen zu greifen. Fusionsreaktoren liefern die nötige Energie für die technische Entwicklung zum Besseren. Ob sich die Menschen ebenfalls zu entwickeln vermögen, muss sich noch zeigen.

Space Opera

Nach dem Erfolg der verschiedenen Star Wars-Regelwerke ist es nur logisch, dass das zugrunde liegende Genre der Space Opera Erwähnung findet. Trotzdem wird als Beispielsetting Twilight Imperium anstelle von Star Wars vorgestellt.

Das gleichnamige Brettspiel genießt seit langem einen legendären Ruf unter Strategieenthusiasten und spielt in einer riesigen Galaxis voller Alienrassen, die in stetem Konflikt zueinander stehen. Nach dem Fall eines großen Imperiums soll jetzt das entstandene Machtvakuum gefüllt werden.

Die Regeln

Artwork © Fantasy Flight
Artwork © Fantasy Flight

Das Regelsystem von Genesys beruht auf Pools verschiedener Spezialwürfel, die anstelle von Zahlen Symbole zeigen. Für jeden Wurf stellt der Spieler bzw. Spielleiter einen Pool passend zur Situation zusammen. In diesem sind sowohl positive als auch negative Würfel enthalten.

Positive Würfel erhält man vor allem in Form von grünen Achtseitern aus den Characteristics des Charakters. Werden passende Skills beherrscht, dürfen einer oder mehrere dieser Würfel in gelbe zwölfseitige Würfel umgewandelt werden, die bessere Ergebnisse versprechen. Günstigere äußere Umstände liefern schließlich noch blaue sechsseitige Würfel, die zwar weniger einflussreich sind, aber trotzdem das Zünglein an der Waage sein können.

Negative Würfel ergeben sich aus der Schwierigkeit einer Aufgabe. Die violetten achtseitigen Würfel werden bei besonderem Können eines Gegners zu roten Zwölfseitern. Zusätzliche Komplikationen werden mit schwarzen, sechsseitigen Würfeln dargestellt.

Nachdem die Würfel geworfen wurden, wird das Ergebnis anhand der verschiedenen Symbole abgelesen. Dabei beeinflussen jeweils drei Paare aus positiven und negativen Symbolen den Erfolg eines Charakters:

Success und Failure heben sich gegenseitig auf. Wenn mehr Successes als Failures geworfen wurden, gelingt die Probe. Überschüssige Successes können zusätzliche Effekte bedeuten, etwa Bonusschaden.

Auch Advantage und Threat heben einander auf. Je nachdem, von welcher Art mehr Symbole im Wurf enthalten sind, erhält das grundlegende Ergebnis einen kleinen positiven bzw. negativen Nebeneffekt, unabhängig vom eigentlichen Erfolg der Aufgabe.

Triumph und Despair sind die einzigen Symbole, die nur auf den zwölfseitigen Würfeln zu finden sind. Sie zählen wie Success und Failure, bieten darüber hinaus aber noch einen mächtigen Nebeneffekt. Ein erfolgreicher Angriff wird beispielsweise durch einen Triumph zum kritischen Treffer.

Die verschiedenen Arten von Symbolen und Effekten sorgen dafür, dass die Ergebnisse von Proben seltener einseitig ausfallen. Ein Wurf ist kann nicht nur misslingen oder gelingen. Manchmal liegt das Ergebnis im Zwischenbereich. Der Charakter schafft es beispielsweise dank eines Triumph-Symbols mit großem Vorsprung vor seinen Feinden zu fliehen, aufgrund der Threat-Symbole verliert er aber einen wichtigen Gegenstand während seiner Flucht.

Die Mechanik dieser interpretierten Würfelwürfe funktioniert am Tisch sehr gut, verstärkt aber leider auch den Kostenfaktor des Spiels. Wer nicht jedes Wurfergebnis anhand einer Tabelle kleinteilig ablesen will, muss die speziellen Symbolwürfel erwerben. Für ein längeres Spiel benötigt man mehrere Sets, die nicht in anderen Spielen verwendet werden können. Selbst langjährige Würfelsammler müssen hier also nochmal in die Tasche greifen.

Um dem Spiel eine zusätzliche Dynamik zu verleihen, stehen Spielern und Spielleitern Story Points zur Verfügung. Diese Punkte erlauben es, achtseitige Würfel im eigenen Wurf oder im Wurf eines Gegners zu Zwölfseitern aufzuwerten und so die Probe zu erleichtern oder durch das Upgrade eines negativen Würfels zu erschweren. Ein benutzter Punkt eines Spielers wandert in den Pool des Spielleiters und umgekehrt. Jeder Einsatz von Punkten stärkt also die Gegenseite.

Charaktererschaffung

Artwork © Fantasy Flight
Artwork © Fantasy Flight

Wie in fast jedem Spiel beginnt die Charaktererschaffung mit einem Konzept, auf dem der Charakter fußt. Wenn der Spieler sich für ein Konzept entschieden hat, beginnt die eigentliche Charaktererschaffung mit der Wahl einer Spezies oder eines Archetypen, falls das bespielte Setting nur Menschen enthält.

Die getroffene Wahl legt fest, wie viele Punkte der Charakter in den sechs Characteristics besitzt: Brawn, Agility, Intellect, Cunning, Willpower und Presence werden Werte zwischen eins und drei zugeordnet. Außerdem erhält der Charakter eine oder mehrere besondere Fähigkeiten und ein Kontingent von Erfahrungspunkten, die später ausgegeben werden dürfen.

Im nächsten Schritt wird eine Karriere gewählt, die dem Charakter Zugang zu Karriere-Skills gibt, die vergünstigt gesteigert werden können. Einige diese Skills erhalten bereits einen ersten Punkt.

Im Anschluss investiert der Spieler seine Erfahrungspunkte, um Skills und Characteristics zu steigern und Talente zu kaufen. Später im Spiel können die Characteristics nicht mehr durch den Einsatz von Erfahrung gesteigert werden, sondern nur durch den Erwerb hochrangiger Talente.

Talente bieten dem Charakter besondere Boni oder Fähigkeiten und besitzen immer einen Rang zwischen eins und fünf. Um ein Talent höheren Ranges zu kaufen, muss ein Charakter nicht nur mehr Erfahrung investieren, er muss außerdem immer mindestens ein Talent des nächstniedrigeren Ranges mehr besitzen. Wer also ein Rang 5-Talent kauft, benötigt fünf Rang 1-Talente, vier Rang 2-Talente, drei Rang 3-Talente und zwei Rang 4-Talente.

Das Core Rulebook bietet 70 Talente der Ränge eins bis fünf, von denen einige aber nur für bestimmte Settings sinnvoll sind. Dadurch wirkt die Auswahl etwas zu knapp geraten. Zusätzliche Settingbücher schaffen zwar sicherlich Abhilfe, wer selbst eine Welt entwirft, wird hier aber vermutlich nacharbeiten müssen.

Sind alle Erfahrungspunkte verbraucht, erhält der Charakter Startausrüstung, einen Namen und einige Persönlichkeitsmerkmale wie Motivationen und Ängste. Mit diesen letzten Details ist ein Charakter erstellt, der bereits Kompetenzen aufweist, sich aber im Laufe der Zeit auch noch massiv verbessern kann.

Erscheinungsbild

Auf den ersten Blick wirkt das Genesys Core Rulebook ein wenig steril. Das Artwork passt aber zur Thematik, sind die Bilder doch bewusst im Übergang von der Skizze zum fertigen Bild gehalten und stehen damit in Beziehung zum System, dem ja ohne spezielles Setting ebenfalls noch etwas fehlt, um komplett zu sein.

Bei der Beschreibung der Beispielsettings weicht das skizzenhafte Artwork dann passenderweise fertigen Illustrationen des jeweiligen Settings. Diese sind von unterschiedlichem Stil, aber durchweg ansehnlich.

Die Texte des Regelwerks sind angenehm aufgebaut, zu große Textblöcke werden vermieden, indem immer wieder Illustrationen oder Textkästen und Tabellen eingefügt werden. Da kaum Flufftexte enthalten sind, lädt das Buch nicht unbedingt zum entspannten Schmökern ein, die Regeltexte sind dafür aber präzise geschrieben und schnell zu lesen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fantasy Flight Games
  • Autor(en): Sam Stewart
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: A4 Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: 253
  • ISBN: 978-1-63344-320-4
  • Preis: 32,92 EUR (PDF), 39,95 EUR (Print)
  • Bezugsquelle: Amazon, DriveThruRPG. Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Neben generischen Charakterbögen bietet die Homepage Bögen zum Download an, auf denen die Eckdaten eigener Settings notiert werden können. Für das Terrinoth-Setting sind eigene Charakterbögen und ein Gratis-Abenteuer verfügbar.

Fazit

Nicht nur die Lektüre des Genesys Core Rulebook, sondern auch die Nutzung des Regelkerns in einer mehrjährigen Star Wars-Kampagne haben mich überzeugt. Das System der narrativen Würfel funktioniert am Spieltisch und bietet mehr als nur Ja/Nein-Ergebnisse für Würfelwürfe. Andere Settings auf Grundlage dieser Regeln zu bespielen, bietet sich also an.

Die Änderungen im Vergleich zu den bereits erschienenen Spielen mit Star Wars– Lizenz sind sehr gering und betreffen vorrangig die Charaktererschaffung. Stärkere Abweichungen werden wohl andere Settingbände bieten.

Die schwierige Aufgabe eines Universalsystems schultert Genesys in jedem Fall erfolgreich. Der Kern des Systems ist simpel und offen genug, um diverse Welten anzukoppeln. Dabei ist es egal, ob bereits bestehende Settings gewählt werden, oder etwas Eigenes kreiert wird. Wenn keine hauseigenen Settingbände genutzt werden, muss sich ein Spielleiter natürlich auf Arbeit einstellen.

Die Höchstwertung bleibt Genesys am Ende nur aufgrund kleinerer Schwächen verwehrt. Es dürften mehr Charakteroptionen enthalten sein und auch der zusätzliche Kostenfaktor der Spezialwürfel fällt negativ ins Gewicht. Trotzdem erhalten Spieler und Spielleiter mit dem Genesys Core Rulebook ein Produkt, das den Untertitel The Roleplaying Game for all Settings berechtigt tragen darf.

Artikelbild: © Fantasy Flight, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

3 Kommentare

  1. Ich fand das System schon immer sehr gut um es vor allem Neulingen schnell zu erklären. Allerdings hat mich mit der Zeit (und den stärker werdenden Gegnern) die immer geringer werdende Chance auf Erfolg genervt. Da haben sich die Kämpfe plötzlich lange hingezogen, was teilweise ziemlich unnötig war.

  2. schade dass es die regeln noch nicht auf deutsch gibt.
    habe versucht die narrative dice für meine D&D kampagne einzubauen und es macht jetzt schon spaß auch wenn meine adaption vom D20 auf diese würfel noch nicht ganz perfekt ist.

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