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Im Jahr 2147 sind Teleportation, Künstliche Intelligenzen und Nanotechnologie nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Joel Byram teleportiert sich, wie viele andere auch, in den Urlaub, doch nach einem Unfall gibt es ihn plötzlich doppelt. Daraufhin machen sowohl Anhänger als auch Gegner der Teleportations-Technologie Jagd auf ihn.

In Der Zwillingseffekt werden viele in Forschung und Gesellschaft relevante technologische Entwicklungen weitergedacht und diskutiert. Der Aufhänger des Romans ist dabei ein bereits in zahlreichen anderen Büchern und Filmen verarbeitetes Thema: Was passiert, wenn es plötzlich eine weitere, identische Version meiner selbst gibt? Identität ist daher ebenfalls ein bestimmendes Motiv des Romans. Der Autor versucht, eine zugleich spannende und witzige Geschichte zu erzählen. Kann er diesen Balanceakt meistern?

Story

Die Welt im Jahr 2147 beschreibt Tal M. Klein sowohl als strahlend als auch als düster, je nachdem, welchen Blickwinkel man einnimmt. Einerseits verhelfen die großen neuen technologischen Errungenschaften den Menschen zu einem langen und gesunden Leben; Hunger und Obdachlosigkeit sind praktisch beseitigt. Andererseits wird die Welt von Konzernen und nicht mehr von Regierungen beherrscht, die keinerlei Legitimation außer ihrer wirtschaftlichen Macht besitzen. In der Regel betreiben diese Konzerne auch öffentliche Institutionen wie die Polizei.

Der Protagonist Joel Byram hat als Salter einen für diese Zeit typischen Beruf: Salter sind, vereinfacht erklärt, Trainer für Künstliche Intelligenzen. Sie versorgen diese mit menschlich-kreativem Input, damit sie lernen, besser mit Menschen interagieren zu können. Dabei erzählen Salter den Künstlichen Intelligenzen beispielsweise Witze oder geben ihnen kleine Rätsel auf. Joels Frau Sylvia arbeitet als Quantenmikroskop-Technikerin für International Transport, den Erfinder der Teleportation.

Der Zwillingseffekt
Der Zwillingseffekt

Da die Ehe von Sylvia und Joel in einer Krise steckt, beschließen sie, Urlaub in Costa Rica zu machen. Bei der Teleportation von Joel gibt es jedoch einen Vorfall, bei dem ein Doppelgänger entsteht. Zudem entdecken sie, dass die Teleportation nicht so funktioniert, wie es sich die meisten Menschen vorstellen. Daraufhin machen verschiedene Interessengruppen Jagd auf die beiden Joels, seien es religiöse Fanatiker, Agenten der Regierung oder International Transport selbst. Alle verfolgen ihre eigenen Ziele und wollen die beiden Joels entweder unter ihre Kontrolle bringen oder töten.

Der Zwillingseffekt besteht eigentlich aus zwei Abschnitten. Im ersten Teil des Buches wird neben der Einführung der handelnden Charaktere in erster Linie die Veränderung der Welt im Jahre 2147 geschildert. Dabei verwendet der Autor fast immer Fußnoten, um die erwähnten Technologien und gesellschaftlichen Entwicklungen näher zu beschreiben.

Die Ideen des Autors zur Zukunft der Menschheit sind sehr vielfältig. Genetisch veränderte Moskitos, die die Luft reinigen, sich situativ verändernde Kryptowährungen und Replikationsdruck, mit dem man praktisch alle existierenden Produkte am heimischen Drucker herstellen kann, sind nur einige der innovativen Ideen. Auch wenn manche Einfälle starken Bezug zu bereits existierenden Konzepten aus anderen Science-Fiction-Werken haben und andere etwas unlogisch sind, so macht der Einfallsreichtum des Autors doch fast durchgängig Spaß und ist sehr erfrischend.

Im zweiten Teil des Buches geht es fast nur noch um die eigentliche Story des Romans, weitere Beschreibungen technologischer Entwicklungen werden sehr selten. Hier offenbaren sich auch die Schwächen des Werks. Zwar ist vor allem der erzählende Joel Byram ein witziger und interessanter Charakter, jedoch bleiben die anderen Handelnden eher blass. Die Gespräche zwischen den Künstlichen Intelligenzen und Joel sind der witzigste Teil des Buches, hier gelingt es dem Autor, den Leser hin und wieder zum Schmunzeln zu bringen. Der Twist hingegen, der sich auf die Funktionsweise der Teleportation bezieht, ist mehr als vorhersehbar und wird die meisten erfahrenen Science-Fiction-Leser eher enttäuschen.

Auch klaffen in der Geschichte mehrere große Logiklücken. Das mindert die Spannung und sorgt für Frust beim Leser. Einige Gags, die der Autor eingebaut hat, zünden leider überhaupt nicht und sorgen eher für genervtes Kopfschütteln. Insgesamt fühlt man sich beim Lesen des Buches aber doch gut unterhalten, auch wegen spannenden und durchaus gut geschriebenen Szenen. So zum Beispiel eine wilde Fahrt mit einem gesalteten Krankenwagen und Kämpfe mit religiösen Fanatikern. Der Zwillingseffekt gehört jedoch nicht zu den Büchern, die man nicht mehr aus der Hand legen kann.

Schreibstil

Kleines Gedicht als Einleitung
Kleines Gedicht als Einleitung

In Der Zwillingseffekt schildert der Ich-Erzähler Joel Byram dem Leser seine eigene Geschichte und die seines Doppelgängers. Das gesamte Buch ist dabei als Aufzeichnung des Protagonisten gestaltet, die sich an einen Leser richtet, der diese Aufzeichnungen in einer (fernen) Zukunft findet. So bringt der Autor auch seine zahlreichen Anmerkungen und Fußnoten zu technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unter. Tal M. Klein versucht mit Joel Byram eine sarkastische und stets witzige Figur zu gestalten, wirkt dabei jedoch leider oft zu bemüht.

Der Schreibstil ist flüssig und gut zu lesen, allerdings tut sich der Autor manchmal etwas schwer mit der Erklärung von technologischen Entwicklungen, insbesondere, wenn sie die Quantenphysik betreffen. Dies liegt natürlich auch an der grundsätzlichen Komplexität dieser wissenschaftlichen Theorien; nichtsdestotrotz stört es oft den Lesefluss.

Die Beschreibung der Welt von 2147 erzeugt beim Leser gemischte Gefühle. Einerseits vermittelt die lebendige Beschreibung neuer Technologien und neu erfundener Wörter, welche die Charaktere benutzen, einen interessanten Eindruck über eine mögliche Zukunft. Andererseits bleibt das Bild ein unvollständiges Mosaik. Überall fehlen Teile, der Leser kann beispielsweise die politischen Verhältnisse und die Entwicklungen in anderen Technologiebereichen, die Tal M. Klein nicht erwähnt, nur schwer abschätzen. Damit verpasst der Autor die Möglichkeit, ein ganzheitliches Bild der Zukunft zu malen.

Der Autor

Der Zwillingseffekt ist das Debüt von Tal M. Klein. Der Autor und Musiker wurde in Israel geboren und ist in New York aufgewachsen. Laut eigener Aussage liebt er die New Wave der 80er Jahre und ist sehr schlecht im Schreiben von Sexszenen jeder Art. Inspiriert wurde er für Der Zwillingseffekt vor allem durch Star Trek. Er lebt mit seiner Familie in Detroit. Ansonsten ist der Autor bisher eher als Musiker und DJ und nicht im literarischen Bereich in Erscheinung getreten.

Erscheinungsbild

Das Cover ist relativ schlicht gestaltet, weiß aber dennoch zu gefallen, da es auf das Wesentliche reduziert und trotzdem elegant ist. Die beiden verschwimmenden Gestalten visualisieren einen Teleportationsvorgang und geben dem Käufer einen ersten Eindruck, worum es in dem Buch gehen wird. Ansonsten erfüllt das Buch einen hohen Qualitätsstandard, wie man es vom einem Verlag wie Heyne auch erwarten darf. Die Schrift lässt sich angenehm und leicht lesen, und auch die zusätzliche Herausforderung, Fußnoten einzubauen, wird problemlos gemeistert. Das Lektorat ist, wie für Heyne üblich, tadellos.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Heyne Verlag
  • Autor: Tal M. Klein
  • Erscheinungsdatum: 10. April 2018
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Kempen)
  • Format: Paperback
  • Seitenanzahl: 416
  • ISBN: 978-3-453-31928-8
  • Preis: 14,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonuscontent

Bei Amazon kann man vor dem Kauf einen Blick ins Buch werfen. Im Nachwort führt der Autor ein kleines Interview mit seinem Freund Joe Santoro, einem Medizinphysiker, der ihm bei der wissenschaftlichen Recherche zu dem Buch geholfen hat. Damit versteht der Leser die Hintergründe und wissenschaftlichen Zusammenhänge des Romans etwas besser.

Fazit

Der Zwillingseffekt zeichnet sich vor allem durch die gedanklichen Innovationen des Autors aus. Auch wenn, wie Tal M. Klein selbst bemerkt, die Zeit einige seiner Vermutungen über die Zukunft widerlegen wird, sind sie doch inspirierend. Beim Lesen freut man sich schon auf die nächste Fußnote und ist gespannt, welche Idee dort beschrieben wird. Das sorgt für Lesespaß und regt den Leser zum Nachdenken an.

Jedoch hätte der Autor durchaus noch mehr seiner (sicherlich vorhandenen) Ideen einbringen können, um das Bild für den Leser abzurunden und ihm zu ermöglichen, sich vollständig auf die Welt von Der Zwillingseffekt einzulassen. Leider behandelt Tal M. Klein bei weitem nicht alle Entwicklungen, die es in 129 Jahren gegeben haben muss, sondern konzentriert sich auf einige ausgewählte Bereiche. Zudem hätte es dem Buch gut getan, wenn die Beschreibungen von der Welt und dem technologischem Fortschritt besser auf die Kapitel verteilt gewesen wären. Diese Entwicklungen werden vor allem im ersten Teil des Buches behandelt, während sich der zweite Teil des Buches vornehmlich der Story und den Charakteren widmet.

Man kann Der Zwillingseffekt allen Fans von Hard-Science-Fiction bedenkenlos empfehlen. Die wenig durchdachte und glaubwürdige Story dürfte jedoch bei allen Lesern für Enttäuschung sorgen. Der immer wieder gewollt witzige Protagonist, der langweilige Twist in der Mitte des Buches sowie die Logiklöcher mindern den Lesespaß doch sehr. Hier hätte der Autor definitiv mehr Mühe in die Entwicklung glaubwürdiger und interessanter Charaktere sowie einer logischen Story stecken sollen. Der Versuch, einen Spagat zwischen Witz und Wissenschaft zu schaffen, gelingt dem Autor eindeutig nicht. Nichtsdestotrotz ist Der Zwillingseffekt ein unterhaltsames Buch, auch wenn es vielleicht kein Page-Turner ist.

Artikelbild: © Heyne, Bearbeitet von Verena Bach

 

Über den Autor

David Gieges ist Sohn zweier Buchhändler und hat selbst diesen wunderbaren Beruf ergriffen. Wenig überraschend liebt er Literatur und ist über Tolkien, Perry Rhodan und Douglas Adams zur Phantastik gekommen. Er schätzt  möglichst komplizierte Brettspiele, Pen&Paper und alles, was nerdig ist. David lebt in Hamburg und schreibt neben Artikeln für die Teilzeithelden auch gerne Kurzgeschichten.

 

 

 

 

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