Kurzcheck: New Hong Kong Story – Licht, Kamera, Kung Fu!

Martial Arts, Wuxia, Heroic Bloodshed – mit brutaler Waffengewalt, knallharten Sprüchen und vor allem überzogenen Klischees wird sich durch die Genres chinesischer Filmkunst geprügelt. Ziel? Der nächste große Award! New Hong Kong Story ist eine Hommage an fernöstliche Filmklassiker im Pen & Paper-Format.

Von Once Upon a Time in China und The 36th Chamber of Shaolin bis hin zu Tiger and Dragon und House of Flying Daggers – klassische Hongkong-Filme begeistern durch actionreiche Kampfszenen, waghalsige Stunts und vor allem eines: Logikfehler!

Bei New Hong Kong Story handelt es sich um ein actiongeladenes Cinematic-Rollenspiel. Die Spieler schlüpfen in die Rollen von Schauspielern, die in klassischen Kung-Fu-Filmen auftreten. Hierbei beweisen sie sich vor allem durch spannende Stunts und actiongeladene Kampfszenen. Der Spielleiter, hier Regisseur, plant die Film- und Serienproduktionen, veranstaltet Castings und setzt unzählige Waffenarten, Martial-Arts-Stile und Charaktereigenschaften in Szene.

Das System lädt zu ausschweifenden Beschreibungen gerne auch überzogener Kampfhandlungen ein und erinnert somit zumindest in Teilen an Feng Shui/Feng Shui 2 (Atlas Games) oder auch Hong Kong Action Theatre! (Guardians of Order).

Die Spielwelt

Die Spielwelt ist keine andere als unsere heutige. Die Spieler erschaffen sich Charaktere, die wiederum allesamt Schauspieler sind. Als Teil der chinesischen Filmindustrie streben diese an, erfolgreich durch eine Blockbuster-Produktion nach der anderen zu gehen, um mehr und mehr Auszeichnungen wie Awards und Filmpreise anzuhäufen. Der Umstand, dass die Spieler in die Rolle von Schauspielern schlüpfen, die wiederum eine Rolle innerhalb eines Films darstellen, mag verwirrend erscheinen, erschließt sich jedoch rasch vor allem aufgrund der Trennung von „Charakterbogen“ und „Rollenbogen“.

Um auch Spielern, die keine langjährigen Fans klassischer Kung-Fu-Filme sind, einen Einblick in das Genre und die entsprechenden Subgenres zu geben, beinhaltet das Grundregelwerk von New Hong Kong Story mehr als 100 Filmbesprechungen auf 35 Seiten. Black Mask setzt damit den Schwerpunkt des Systems auf eine atmosphärische Stimmigkeit mit markantem Charakter.

Auch werden realweltliche Aspekte wie das geografische Know-How in Bezug auf Hongkong, Macau und das übrige Festlandchina vorgestellt und bedeutende Zeitperioden der Volksrepublik aufgeführt. In Relation zu der wenigen zur Verfügung stehenden Literatur des Rollenspiels, welches sich auf ein einziges Regelwerk beschränkt, nehmen inhaltliche und stimmungsträchtige Elemente großen Raum ein.

Dieser Umstand zeigt sich auch bei der Aufführung aller nutzbaren historischen und modernen Nah- und Fernkampfwaffen. New Hong Kong Story ist in sich schlüssig gehalten und weist unzählige Details auf, die vor allem für Filmekenner spannend sind.

Die Regeln

In New Hong Kong Story legt der Regisseur eine Film- oder Serienproduktion fest, die er drehen möchte. Hierfür definiert er bereits vorab die darin beinhalteten Rollen und hält diese auf den Rollenbögen fest. Im Rahmen eines sogenannten Castings wählen die Schauspieler die gewünschte Rolle aus. Der Schauspieler mit der eindrucksvollsten Erfolgsgeschichte, gemessen an seinen erworbenen Starruhmpunkten, darf hier zuerst wählen. Der Schauspieler mit der wenigsten Erfahrung wählt zuletzt. Sind alle Rollen vergeben, kann die Produktion beginnen. In dieser streben die Schauspieler nunmehr an, mehr oder weniger treu dem Drehbuch zu folgen und durch spannende Darstellungen zu beeindrucken.

Um eine Handlung vorzunehmen, wird im Regelfall eine Fertigkeitsprobe notwendig. Diese setzt sich aus dem Wert der entsprechenden Fertigkeit sowie dem dazugehörigen Attribut zusammen. Für eine erfolgreiche Probe muss ein W20 geworfen werden und die Summe von Fertigkeit und Attribut getroffen oder unterwürfelt werden. Eine gescheiterte Fertigkeitsprobe liegt vor, wenn der gewürfelte Wert höher als die Summe von Attribut zuzüglich Fertigkeit ist.

Ein kritischer Erfolg ist gegeben, wenn eine 1 oder eine 2 gewürfelt werden. Ein Patzer hingegen tritt dann auf, wenn eine 19 oder eine 20 auf dem Würfel stehen. Die Entscheidung über Erfolg und Misserfolg ist entsprechend schnell getroffen und umfangreiche Rechenoperationen oder Nachblättern innerhalb des Regelwerks entfallen.

Beispiel: Dao On möchte sich ungesehen an einigen Wachmännern vorbeibewegen, um in eine Lagerhalle zu gelangen. Hierfür verwendet sie die Fertigkeit Schleichen, in welcher sie über einen Wert von 3 verfügt. Schleichen ist mit dem Attribut Geschicklichkeit verknüpft, dessen Wert 7 beträgt. Werden beide Werte zusammengerechnet, ergibt sich ein Wert von 10. Dieser muss nun mit dem Wurf eines W20 entweder unterboten oder getroffen werden.

Findet sich keine geeignete Fertigkeit innerhalb einer Situation oder ist ein Attribut mehr als nur prädestiniert für die Verwendung, so kann der Schauspieler einen Attributswurf vornehmen. Hier ist der Wurf dann erfolgreich, wenn der Spieler mit seinem Würfelwurf die Summe von dem jeweiligen Attribut zuzüglich eines festen Wertes von 4 unterschreitet bzw. trifft.

Beispiel: Dao On ist weitergeschlichen und möchte sich nun innerhalb der Lagerhalle auf einen großen Lastencontainer ziehen. Hierfür verlangt der Regisseur eine Probe auf das Attribut Stärke von ihr. In diesem hat Dao On einen Wert von 8. Zuzüglich der 4 weiteren Punkte, die für Attributswürfe obligatorisch sind, ergibt sich nunmehr ein Wert von 12, der für eine erfolgreiche Probe ebenfalls entweder zu treffen oder zu unterbieten ist.

Während die Grundidee des Rollenspiels sich amüsant und innovativ zugleich zeigt, sind die Regeln schlicht gehalten und erfahrenen Tischrollenspielern vertraut.

Je nach Erfolgsgrad der Produktion vergibt der Regisseur am Ende sogenannte Starruhmpunkte an die Schauspieler. Mit ihnen können die Schauspieler ihre Fertigkeiten verbessern oder bei einem Casting besser dastehen als ihre Konkurrenz und in der Folge eine spannendere Rolle erhalten. Für besondere Leistungen können diese zudem mit sogenannten Award-Punkten in den Kategorien „Action“, „Martial-Arts-Choreografie“, „Schauspielerische Leistung“ und „Stunts“ ausgezeichnet werden.

Auch können die Schauspieler Filmpreise gewinnen, hierfür werden zum einen ihre Award-Punkte berücksichtigt und zum anderen mit dem Wurf eines W10 ein Zufallsaspekt eingeführt.

Ein Element zur spielerseitigen Manipulation von Proben sind die Take-2-Punkte. Misslingt ein Würfelwurf, können die Schauspieler mit dem Einsatz von Take-2-Punkten den Wurf wiederholen. Je nachdem, ob der Wurf zuvor nur misslungen war oder einen Patzer darstellte, verändern sich die Kosten hierfür.

Charaktererschaffung

Bevor der Schauspieler in feste Werte gepackt wird, empfiehlt es sich, dass der jeweilige Spieler sich einige grundlegende Gedanken macht. Die Herkunft des Schauspielers und sein Aussehen sind ebenso wichtige Aspekte wie sein Name – eigens hierfür bietet das Regelwerk von New Hong Kong Story beispielhafte Namen aus dem chinesischen, japanischen, koreanischen und thailändischen Kulturkreis an.

Die eigentliche Charaktererstellung folgt einem Punktesystem. Jeder Schauspieler erhält zu Beginn seiner Karriere 125 Starruhmpunkte, die er zur Erstellung und Individualisierung seines Charakters nutzt.

Die Schauspieler verfügen über sechs grundlegende Attribute, die zu Beginn auf einem Wert von 5 festgelegt sind. Sie können unter Einsatz von Punkten bis auf einen Wert von 10 angehoben werden. Während die Attribute Stärke, Ausdauer, Geschicklichkeit und Wissen sich einem erfahrenen Rollenspieler erschließen mögen, ist dies bei den Attributen Coolness und Chi eher nicht der Fall. Deren Definition gestaltet sich wie folgt:

Coolness Wie wirkt der Schauspieler auf seine Kollegen? Wie auf das Publikum? Der Coolnesswert gibt hierfür einen klaren Anhaltspunkt. Er wirkt sich zudem unmittelbar auf den Initiativewert aus.

Chi Das Chi ist die Lebensenergie oder auch die spirituelle Kraft, die dem Organismus innewohnt, und vor allem in der chinesischen Medizin relevant. Doch auch, wenn es um einen Schlagabtausch geht, kommt die Chi-Kraft nicht zu kurz: Sie beeinflusst alle Kampfattribute des Schauspielers sowie seine Chi-Punkte. Bei dem zuletzt genannten Wert handelt es sich um ein Punktekonto, welches temporäre Verbesserungen der körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Schauspielers gestattet.

Sind die Attribute festgelegt, werden im Anschluss die abgeleiteten Werte wie beispielsweise die Trefferpunkte, der Initiativewert und die Werte zum Nah- und Fernkampf definiert. Diese stehen in unmittelbarer Abhängigkeit zu den zuvor bestimmten Attributen. Die Formel zur Errechnung der Trefferpunkte, die hier als Beispiel vorgestellt wird, lautet wie folgt: (Ausdauerwert + 4) x 10.

Sodann wird der Schauspieler mit Vor- und Nachteilen ausgestattet. Einige hiervon sind mit zuvor getroffenen Charakterentscheidungen verbunden, so in etwa der Nachteil „Zweite Riege“, den Schauspieler dann automatisch erhalten, wenn sie nicht aus China stammen.

Der Erwerb von Vorteilen kostet Starruhmpunkte, das Auswählen von Nachteilen hingegen fügt einige Starruhmpunkte dem Punktepool zu, der für die Charaktererstellung angedacht ist. New Hong Kong Story beeindruckt mit mehr als 100 unterschiedlichen Vorteilen sowie knapp 40 Nachteilen, aus welchen die Schauspieler wählen können.

Final stattet sich jeder Schauspieler mit Fertigkeiten aus. Hierfür erhält er eigens 200 Fertigkeitspunkte; diese sind nicht gleichwertig mit den Starruhmpunkten anzusehen – so sind später erhaltene Starruhmpunkte im Verhältnis 1:5 in Fertigkeitspunkte umwandelbar. Es gibt insgesamt 20 Fertigkeiten für Schauspieler sowie neun Kampffertigkeiten und acht Martial-Arts-Stile (z. B. Ba Gua Zhang, Tiger Kung Fu und Wing Chun).

Zu Beginn seiner Karriere verfügt jeder Schauspieler über mindestens einen Martial-Arts-Stil. Hierfür erhält er zusätzlich zum ursprünglichen Punktepool weitere 15 Starruhm-Punkte, die ausschließlich für den Erwerb eines Kampfstils aufgewendet werden dürfen.

Neben den Vor- und Nachteilen sowie Fertigkeiten für die Schauspieler selbst existieren in New Hong Kong Story noch weitere Vor- und Nachteile und Fertigkeiten, aber auch spezielle Martial-Arts-Stile und Wuxia-Techniken, die mit einzelnen Filmrollen einhergehen können. Der Schauspieler erhält diese demnach nur, solange er diese eine Rolle spielt. Spielt er im Anschluss oder in einer Drehpause eine andere Rolle – egal, ob mit dem gleichen Regisseur oder nicht – so besitzt er die auf die jeweilige Filmrolle bezogenen Aspekte nicht mehr. Eine Auswahl dieser findet bei der Festlegung der Filmrollen durch den Regisseur statt.

Insgesamt existieren 30 Vorteile sowie 20 Fertigkeiten, die ausschließlich für Filmrollen anwendbar sind. Mit Adlerklaue und Drunken Master finden darüber hinaus zwei Martial-Arts-Stile Eingang in die Welt von New Hong Kong Story, die sogar ausschließlich für Filmrollen und eben nicht für einen Schauspieler zur Verfügung stehen.

Informationen zu einer Filmrolle, die nicht mit dem Schauspieler selbst in Verbindung stehen, werden im Rollenbogen aufgeführt. Dieser liegt einerseits dem Regelwerk bei und steht außerdem auf der offiziellen Website zum Rollenspiel zur Verfügung.

Zu Beginn seiner Karriere ist ein Schauspieler alles andere als besonders talentiert – eine wachsende Filmographie ermöglicht jedoch eine rasche Ausweitung der Fähigkeiten. Der ansprechend gestaltete Charakterbogen, der sich auf eine einzige Seite beschränkt, überzeugt in Sachen Übersichtlichkeit und reflektiert das einfache bis mittelschwere Baukastensystem der Charaktererstellung. Diese ist, sofern man sich in die umfangeichen Individualisierungsoptionen (z.B. Vor- und Nachteile. Martial-Arts-Stile) eingelesen hat, nicht sehr zeitaufwändig.

Erscheinungsbild

Das Regelwerk von New Hong Kong Story verfügt über 333 Seiten, weist ein Format von 19 cm x 25 cm auf und ist, die Limited Edition ausgenommen, ausschließlich als Softcover-Variante mit mattem, folienkaschiertem Cover erhältlich. Bis auf wenige Hervorhebungen ist das Buch schwarz-weiß gehalten – dies gilt auch bis auf wenige Ausnahmen für die ca. 80 enthaltenen Illustrationen. Diese erinnern an klassische asiatische Tuschezeichnungen und fügen sich somit nahtlos in das aufgeräumte, eher schlichte Design ein.

Die gute Lesbarkeit hat sich Black Mask bei Erstellung dieses Regelwerks auf die Fahnen geschrieben: Das Layout ist den Aspekten der Übersichtlichkeit bzw. Ordnung unterworfen, auf störende Textpassagen (Negativtext, Text auf gemustertem Hintergrund) wurde verzichtet. Die Papierqualität ist einem angenehmen Durchblättern zuträglich.

Sowohl ein detailliertes Inhaltsverzeichnis als auch ein alphabetisch sortierter Index sind vorhanden.

Die harten Fakten:

• Verlag: Eigenverlag (Black Mask)
• Autoren: Christian Blaßmann, Elfi Heck
• Erscheinungsjahr: 2018
• Sprache: Deutsch
• Format: Softcover
• Seitenanzahl: 333
• ISBN: Keine
• Preis: 25,00 EUR
• Bezugsquelle: New Hong Kong Story

Bonus/Downloadcontent

Auf der Website von New Hong Kong Story stehen Schauspielerbögen sowohl in Farbe als auch Schwarz-Weiß zum Download bereit. Auch Rollenbögen, ebenfalls in farbiger bzw. schwarz-weißer Ausführung, werden dort angeboten. Des Weiteren lassen sich Fahrzeugbögen, vorbereitete Schauspielerbögen zur schnellen Nutzung auf Cons sowie das Setting „Under Fire“ nebst Kurzregeln und Filmrollen finden. Letzteres wurde im Rahmen des Gratisrollenspieltags 2018 erstellt und angeboten.

Fazit

New Hong Kong Story präsentiert sich dem Leser gegenüber informativ und leicht verständlich. Es bietet ein festes Fundament von Informationen über die chinesische Filmbranche und ihre Meisterwerke an, sodass auch für Laien ein hohes Maß an Zugänglichkeit gewährleistet ist. Dieser Umstand wird von dem aufgeräumten und eher schlichten Design verstärkt. Mit einer großen Auswahl von Fertigkeiten und Individualisierungsoptionen wie Vor- und Nachteile sowie der Aufforderung zum Brechen von logikdefinierten Grenzen und Ausreizung bekannter Klischees schafft Black Mask ein Rollenspiel, welches bereits bei der ausschließlichen Lektüre, die die Grundlage für diesen Ersteindruck darstellt, Spaß verspricht. Und dies, ohne sich selbst den Ernst der Sache abzusprechen – alle Inhalte sind detailgetreu recherchiert und an ihre Vorbilder von der großen Leinwand angelehnt. Das Verpacken in ein kompaktes wie auch übersichtliches Regelsystem macht dieses Rollenspiel auch für Anfänger attraktiv.

Problematisch ist die Nischenhaftigkeit dieser Rollenspielidee bzw. die eingeschränkten Abenteuer-/Filmideen: Bereits nach einigen Filmproduktionen am Spieltisch verlieren sie ihren Reiz, da sich wiederholende Elemente unausweichlich sind und sich im Laufe der Spielstunden exorbitant vermehren. Der Wiederspielwert ist damit leider gering, sodass New Hong Kong Story für eine längere Kampagne ungeeignet ist. Ein Umstand, der von einer wenig innovativen Regelgrundlage eher getragen statt gemindert wird. Angesichts des niedrigen Preisniveaus des Regelwerkes, über welches hinaus nichts weiter zum Spielen benötigt wird außer vielleicht Ausdrucke der Charakterbögen, sind diese Schwächen jedoch mehr als hinnehmbar.

Alles in allem ist New Hong Kong Story vor allem für Kenner und Liebhaber klassischer Hong Kong-Filmproduktionen interessant und mehr als nur unterhaltsam. Mit atemberaubenden Kämpfen und Stunts, taffen Kommentaren und exotischen Martial-Arts-Stilen wie dem Drunken Style Kung Fu ist nicht nur für Spannung, sondern vor allem für humorvolle Unterhaltung gesorgt. In diesem Sinne: Licht an, Kamera läuft – und Action!

mit Tendenz nach oben

Artikelbilder: New Hong Kong Story, Black Mask Verlag, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.