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Ob in der Politik, Schule oder Wirtschaft, Fehler werden negativ betrachtet und meistens sanktioniert. Fehler zu machen gilt als Versagen und schon gar nicht als erstrebenswert. Das gilt auch für das LARP. Doch aus Fehlern kann man viel Positives ziehen, und nirgends wird das so sichtbar wie im LARP.

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Nur die ganz Jungen werden sich an den legendären Auftritt von Gerhard Schröder bei der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 nicht mehr erinnern. Der Rest dürfte diesen Moment des Fremdschämens nicht vergessen haben. Da saß ein soeben sehr deutlich abgewählter deutscher Bundeskanzler und deutete seine Niederlage in einen Sieg um, zur vollkommenen Fassungslosigkeit aller anderen Diskussionsteilnehmer und vermutlich auch der meisten Zuschauer. Statt die Niederlage einzugestehen, wurde laviert und umgedeutet.

Ein etwas jüngeres Beispiel ist die Diesel-Affäre. Zunächst schlug diese bei VW mit großer Wucht ein. Der Vorstand wollte von nichts gewusst haben, und als dann Mercedes ebenfalls in den Fokus gelangte, hüllte sich der sonst so kommunikative Dieter Zetsche in Verschwiegenheit.

Die Beispiele könnte man wohl endlos fortführen und vermutlich jeder dürfte in seinem Umfeld bereits die Erfahrung gemacht haben: Fehler gesteht man sich ungern ein und macht sie erst recht sehr ungern. Aber warum ist das so? Und warum lohnt es sich, daran etwas zu ändern?

Spurensuche – Die Schuldfrage

Begibt man sich auf die Spurensuche nach der Fehlerkultur, stößt man schnell auf große nationale Unterschiede. Der Psychologe Michael Frese hat vor einigen Jahren eine Studie zur Fehlerkultur in 61 Nationen durchgeführt. Das Ergebnis für Deutschland ernüchternd: Platz 60. Wesentlich intoleranter geht man mit Fehlern nur in Singapur um. Zur Erinnerung: Dort werden vergleichsweise harmlose Vergehen, die in Deutschland Ordnungswidrigkeiten darstellen, auch schon mal mit Rohrstockhieben geahndet.

Die Frage nach der Schuld (c) FPS Design
Die Frage nach der Schuld © FPS Design, Tales Inside

Dass in Deutschland eine Fehlerkultur quasi nicht vorhanden ist, dürfte nun wenige überraschen. Die Ursache liegt im Kern darin, dass Fehler immer eng mit Schuld verbunden sind. Und zu Schuld haben Menschen ganz generell ein eher angespanntes Verhältnis. Diese enge Verbindung zur Schuldfrage führt dann auch direkt zum Umgang mit Fehlern. Denn Fehler werden in der Regel sanktioniert. Manch einer oder eine mag nun anmerken, dass es ja durchaus sinnvoll ist, Fehler zu sanktionieren. Ganz konkret, wenn ich zum Beispiel viel zu schnell mit dem Auto fahre und dafür bestraft werde, denn immerhin habe ich andere und mich gefährdet. Aber bereits hier beginnt eine essenzielle Problematik. Wir unterscheiden nicht zwischen Fehler und Fehlverhalten. Fehlverhalten beruht auf einer unangebrachten Haltung und ist in der Persönlichkeit begründet. In diesem Beispiel wäre es Fehlverhalten, wenn mir vollkommen bewusst war, dass ich zu schnell fahre und damit eventuell den Straßenverkehr gefährde. Fehlverhalten ist es zudem auch, Fehler zu verschleiern und Verantwortung von sich zu schieben, wie in obigem Beispiel mit der Diesel-Affäre. Nicht die Vorstände wurden zuerst ausgetauscht, sondern die beteiligten Ingenieure.

Fehler hingegen kann man meist auf unklare Kommunikation, mangelhafte Prozesse oder Ähnliches zurückführen. Daraus ergibt sich nach etwas Nachdenken eigentlich ein großes Potenzial, Dinge zu verbessern. Ein Potenzial, das man nutzen sollte. Im Beispiel mit dem Zuschnellfahren habe ich vielleicht nur eine Begrenzung der Geschwindigkeit übersehen. Bemerke ich den Fehler, werde ich hoffentlich daraus lernen und mehr auf Verkehrsschilder achten.

In vielen anderen Ländern geht man genau so an Fehler heran. Zum Beispiel in den USA. Natürlich gibt es hier regionale Unterscheide, aber wirtschaftlich erfolgreiche Regionen, wie zum Beispiel Kalifornien, haben eine ausgeprägte Fehlerkultur. Man betrachtet sie als Teil eines wichtigen Lernprozesses, wenn nicht sogar als Möglichkeit für Innovationen. Max Levchin, Gründer von PayPal, ist vor seinem großen Erfolg dreimal krachend gescheitert. Heute ist PayPal wohl der größte westliche Zahlungsdienstleister der Welt. Diese Geschichte ist in den USA für viele große Namen eher Regel denn Ausnahme und liegt in einer ausgeprägten Fehlerkultur begründet. Fehlverhalten wird sanktioniert, Fehler werden als Vorteil begriffen.

Man muss Fehler auch mal geschehen lassen. © Nabil Hanano, Zeit der Legenden

In Deutschland hingegen findet diese Trennung von Fehlern und Fehlverhalten nicht statt, und das obwohl man auch in der Breite bereits erkannt hat, dass wir etwas an unserer Fehlerkultur ändern müssen. Fehler werden also weiter sanktioniert, und spätestens in der Schule werden wir zur Fehlerintoleranz erzogen. So prägen sich schon in jungen Jahren Fehler als etwas Negatives ein, die es zu vermeiden gilt und mit denen man auf gar keinen Fall in Verbindung gebracht werden möchte. Wird ein Fehler doch bekannt, drohen verschiedene Sanktionen, besonders gesellschaftlicher Natur, inklusive Spott und Demütigung. Nichts, was man gerne erlebt.

Fehlerkultur im LARP

LARP ist hier keine Insel der Glückseligkeit, auch wenn das manchmal propagiert wird. Schlüpfen wir in eine Rolle, können wir gar nicht all unsere Prägungen wie ein Kleidungsstück abstreifen. Natürlich nehmen wir auch unsere Fehlerkultur in die Rolle mit.

Öfter mal wegschauen

Bei der nachfolgenden Betrachtung ist OT-Fehlverhalten nicht relevant, da dies ein anderes Thema ist.

Die Mehrheit der LARPs, besonders in Deutschland, verfolgen einen gamistischen Ansatz. Es gilt, das Böse (TM) aufzuhalten oder Geheimnisse zu lüften, und am Ende steht ein Erfolgsgefühl durch den Sieg oder das gelöste Rätsel. Ein Fehler, zum Beispiel, dass ein Plotgegenstand falsch verwendet wurde, kann dazu führen, dass der Erfolg ausbleibt. Selbst auf Cons, die auf Play to lose oder Play to struggle ausgelegt sind, gibt es regelmäßige Situationen, in denen man krampfhaft versucht, Fehler zu vermeiden oder für Fehler gefühlt OT-Missachtung erfährt. Die Unzufriedenheit entlädt sich dann auf Spieler oder Spielerin und manchmal auch die Orga.

Wegschauen, obwohl mal hinschaut. © Live Adventure _ Stefan, Conquest of Mythodea

Wenn aber bereits unbeabsichtigte Fehler sanktioniert werden, ist es nicht verwunderlich, dass sich Spieler und Spielerinnen umso seltener trauen, ganz bewusst Fehler zu machen, ganz zu schweigen davon, bewusst IT-Fehlverhalten an den Tag zu legen. Dabei wird viel Spiel erst durch solche Fehler möglich. Man nehme einen Dieb, der sich an Wachen vorbei an Vorräte oder Munition schleichen will, oder einen Saboteur, der sich des nächtens an Wehranlagen zu schaffen macht. Die wenigsten Larperinnen und Larper dürften eine entsprechende Ausbildung oder Vita haben. Oder plakativ gesagt: Der krasse Ninja im LARP ist meist leider kein krasser OT-Ninja.

Diese Rolle lebt davon, dass alle anderen sie als solche bespielen, und dazu gehört auch, Fehler zu machen, also wegzusehen, um ein Eindringen in die Basis oder das Lager zu ermöglichen oder im Kampf vielleicht eine Parade ungeschickt auszuführen. DKWDK-Puristen (Du kannst, was Du kannst) mögen hier vielleicht aufschreien, aber LARP ist zu großen Teilen immer noch eine narrative Simulation.

Und selbst, wenn wir uns hier nun auf diesen Purismus einlassen, berauben wir uns vieler interessanter Spieloptionen. Ich kann besagten Saboteur weil er leider etwas zu laut schleicht gleich am Eingang abpassen und vertreiben, festsetzen oder gar ausschalten. Oder ich lasse ihn oder sie gewähren, um das Eindringen später zu bemerken. Nun könnte ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel beginnen, aus dem viel mehr Leute etwas ziehen. Oder ich lasse den Saboteur ganz gewähren. Die Sabotage selbst führt zu weiterem Spiel.

Ähnliches gilt für die beliebten „dunklen Charaktergeheimnisse“, die ja irgendwie nur sinnvoll sind, wenn man mit ihnen spielt. Also warum nicht bewusst einen Fehler machen, damit das Geheimnis bespielt wird? Man muss ja nicht gleich die ganze Geschichte ans Licht zerren. Happen für Happen kann so etwas über mehrere Cons für Spiel sorgen.

Bei den genannten Beispielen darf, ja, soll es natürlich auch zu Reaktionen auf die Fehler kommen. Das können auch Sanktionen sein. Doch sollte man darauf achten, dass diese sich gegen den Charakter und keinesfalls den Spieler oder die Spielerin richten. Leider verwischen hier schnell die Grenzen, was wiederum den oder die BetroffeneN künftig nicht unbedingt zu Fehlern ermutigen wird. Im Blick sollte man auch die Härte der Sanktionen haben. Nicht jeder Spieler und nicht jede Spielerin möchten gleich eine ausgeprägte Eskalation bespielen. 

Spuren legen statt verwischen

Dasselbe gilt auch für Plotschreiber und Orgas. Insbesondere bei komplexeren Geschichten wie einem Kriminalfall muss der Täter oder die Täterin Fehler machen. Echte kriminalistische Ermittlungen kosten Zeit und benötigen Erfahrung. Selbst fiktive Vorbilder wie Hercule Poirot, Miss Marple oder Inspektor Columbo lösen Fälle selten in unter 30 Stunden, und wenn doch, dann nur weil der Autor es so wollte. Auf einem LARP hat man meist nicht mal diese 30 Stunden, zumindest nicht, wenn man etwas Schlaf braucht und die Tat gleich nach Time In geschah. Auch wirken Plots in den Augen derer, die sie schreiben, meist gut verständlich, lösbar und liegen doch sowieso auf der Hand. Die LARP-Realität widerspricht dem jedoch Mal auf Mal. Hier gilt also: Ein Hinweis zu viel platziert kann nicht schaden. Wenn dieser nicht zu konstruiert ist, werden auch alle glücklich damit sein.

Nur wenn Dinge auch mal schief gehen, entsteht neues Spiel. © Nabil Hanano, Zeit der Legenden

Ein schönes Beispiel dafür war ein Mordfall auf einer Fantasycon einer Conreihe, die es leider nicht mehr gibt. Im Trubel der Verteidigung eines Dorfes vor den Bösen (TM) fand man plötzlich etwas tiefer im Wald die Schreiberin des Bürgermeisters tot auf. Ort und Verletzungen deuteten darauf hin, dass dies nicht während des Angriffs geschehen sein konnte, sondern jemand die Gunst der Stunde genutzt hat, um in den Kriegswirren einen Mord zu begehen. Eine ausführliche Untersuchung des Leichnams förderte nicht viel zutage, außer leichten Kampfspuren und einem silbernen Knopf in der Hand des Opfers. Man kann sich nun denken, auf was es hinausläuft. Im Laufe der Ermittlungen konnte der Kreis der Verdächtigen eingeschränkt werden, da viele ein Alibi hatten und bei den Kämpfen gesehen wurden. Bei den übrigen Verdächtigen gab es dann einen, dem exakt so ein Knopf an der Weste fehlte, und im Verhör gestand dieser dann auch die Tat.

Simpel gelöst, aber im Kriegstrubel dennoch eine Herausforderung. Konstruiert wirkte das nicht, da man sich hier eines ganz klassischen Vorgangs aus Kriminalgeschichten bediente. Ohne diese Spur wäre es sicher auch möglich gewesen, den Täter zu enttarnen, aber ohne jeglichen sonstigen Anhaltspunkt auf gewisse Art mühsam, was wenig Spielspaß generieren würde.

Natürlich hätte es auch eine weniger offensichtlichere Spur getan. Wichtig war hier: Es gab eine Spur, die man auch ohne Ausbildung bei Horatio Caine verfolgen konnte.

Con war geil, aber die Orga hat nichts dazu beigetragen (?)

Auch losgelöst von Intime-Geschehen sollte man sich eine Fehlerkultur aneignen, was den Umgang mit Orgas zeigt. Nach wie vor werden alle Live-Rollenspiele von Orgas auf ehrenamtlicher Basis oder unter deutlichem ehrenamtlichen Einsatz veranstaltet. In Deutschland ist uns zumindest keine Con bekannt, bei der alle Helfer und Teammitglieder vollständig für ihre Arbeit bezahlt werden. Klar, die Professionalität in der Szene nimmt stetig zu, und das ist absolut zu begrüßen. Dennoch sollte man seine Ansprüche und vor allem die Möglichkeiten einer Orga hinterfragen. Manchmal scheint die Erwartungshaltung ähnlich hoch zu sein, wie bei einem Exklusivurlaub auf einer Yacht mit 24/7 persönlicher Rundum-Betreuung. Auch wenn das nun überspitzt formuliert ist, so weit weg von der Wahrheit ist das nicht.

Ohne ehrenamtliche Helfer keine Con. © Nabil Hanano, DrachenFest

Die meisten Orgas arbeiten komplett ehrenamtlich, und Event-Organisation ist nicht ihr täglich Brot. Natürlich passieren da Fehler in Kommunikation oder Ablauf. Diese sind aber selten auf Fehlverhalten zurückzuführen, sondern vielleicht mangelnder Erfahrung oder auch einem Tunnelblick geschuldet, der in Projekten schon mal entstehen kann. Und selbst Orgas, deren Kernteam das Ganze beruflich macht, können manchmal schlicht einen Fehler machen. „Niemand ist perfekt“ und „Irren ist menschlich“ mögen Platitüden sein, aber mit einem wahren Kern.

Statt also eine Orga für Fehler, gerne auch mal öffentlich, zu zerreißen, ist es viel sinnvoller, in Fehlern Potenzial für Verbesserungen zu sehen und auf diese konstruktiv hinzuweisen. Das bringt selbstverständlich mit sich, dass man auch als Orga Fehler eingesteht und mit ihnen positiv umgeht.

Lasst Fehler zu!

Aus moderner Führungskultur kann man hier eine Menge lernen, denn man hat erkannt, dass eine gute Fehlerkultur eine Gesellschaft voranbringen kann. Dazu ist es nötig, dass wir ganz offen und ehrlich unseren eigenen Umgang mit Fehlern hinterfragen. Das beginnt mit der Akzeptanz, dass niemand perfekt ist, Fehler passieren und wohl kaum eine charakterliche Schwäche sind. Ermutigen wir andere, auch durch unser Handeln, Fehler zu akzeptieren und im Spiel und außerhalb für etwas Positives zu nutzen! Vielleicht müssen wir dafür auch unser inneres Kind mehr herauslassen, denn als Kind haben wir unfassbar viele Fehler gemacht und vermutlich aus den meisten eine Menge gelernt. Fehler sind eben nur dann schlimm, wenn man nichts daraus lernt oder macht.

Risiken eingehen ohne Angst vor Fehlern. © Live Adventure _ Ingo Turnwald

Artikelbild: © Nabil Hanano, sonst wie gekennzeichnet

2 Kommentare

  1. Schöner Artikel. Außer die ersten zwei der aufgeführten Beispiele.
    1. Die SPD unter Führung von Gerhard Schröder war damals die stärkste Fraktion und hätte in der großen Koalition auch den Kanzler stellen müssen. Die CSU sagt und belegt durch Ihr Verhalten immer wieder, dass sie eine eigenständige Partei sind die nur lokal antritt und daher fest mit der CDU koalieren. Das ist CSU Aussage. Wenn man aber die CSU aus der Gesamtprozentzahl rausgerechnet hat war die SPD stärkste Fraktion. Die Aussagen Schröders waren damals sehr umstritten,- aber hatten auch viele Befürworter, micht zum Beispiel. (Zur Info: ich wählte damals weder CDU noch SPD).
    2. Paypal ist erfolgreich. Das ist das mexikanische Drogenkartell auch. Größter Drecksladen den ich kenn. Ich zahle lieber 50 EUR bevor man mich zwingt Paypal zu nutzen.

  2. Kann nur unterschreiben, was Micha so schön analysiert hat.
    Die deutsche Fehlerkultur lässt einiges zu wünschen übrig und man tendiert weithin schnell zu extremen, wenn ein anderer vermeintlich „falsch“ liegt. Sei es in Handlung oder Meinung. Es wird schnell ein Schuldiger ausgemacht, der dann die volle Härte des „Fehlers“ (Gesetzes) zu spüren bekommt.

    Da können wir in DE sicherlich noch einiges aufholen und auch im LARP mehr Toleranz und weniger Perfektion fördern.
    Denn dieser perfektionistische Ansatz, der Fehler per definitionem ja ausschliesst, wird uns Deutschen ja überall vorgelegt, wenn man fragt was Deutsche so ausmacht. Habe da von meinen vielen ausländischen Kollegen nie was anderes als Erstes gehört. Perfektionismus war immer unter den ersten Worten.

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