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Corona hat bereits zur Absage zahlreicher Events geführt und eine Besserung ist erstmal nicht in Sicht. Doch neben Veranstaltern haben auch all jene damit zu kämpfen, die unmittelbar von den Veranstaltungen abhängen. Wir haben mit der Musikerin Tini und der Gewandschneiderin Nick über LARP in Zeiten von Corona gesprochen.

Christine „Tini“ Rauscher ist 34, freiberufliche Musikerin, Songwriterin  und Traurednerin sowie Teil der Mittelalter-Folk-Bands PurPur und Heiter bis Folkig. Als Geek von ganzem Herzen ist sie nun schon seit ca. 15 Jahren leidenschaftliche Larperin. Auch wenn Musik beziehungsweise Gesang schon immer zu ihrem Leben gehört hat, hat erst ein Barde auf ihrer allerersten Con dazu geführt, dass sie Gitarre gelernt und mit dem Songwriting, hauptsächlich Fantasy und Folk, angefangen hat. Jetzt ist es Teil ihres Jobs. Sie hat acht Alben (mit-)veröffentlicht, streamt regelmäßig auf Twitch Tavernen- und Lagerfeuer-Musik und hält freie Trauungen, vor allem mit mittelalterlichem, keltischem, nordischem oder nerdigem Flair.

Nicole „Nick“ Langer ist 46 und Inhaberin von Atrimo – Gewänder mit Charakter. Vor 9 Jahren gegründet, ist das Anfertigen von LARP-Gewandungen und Brettchenborten nach Kundenwunsch oder für den Verkauf auf Con ihr Haupterwerb. LARP hat sie 2005 für sich entdeckt und ist hauptsächlich im Fantasy-Bereich unterwegs, doch ab und an auch in der Endzeit anzutreffen.
Nick ist seit geraumer Zeit auch parteipolitisch aktiv und setzt sich hier aktiv für Themen ein, die für Larperinnen und Larper interessant sind, wie zum Beispiel das neue Waffenrecht. Aber auch Interessen von Selbstständigen und Solounternehmerinnen und -unternehmern sind oben auf ihrer Agenda.

 

Die aktuelle Lage

Teilzeithelden: Wann wurde euch klar, dass die aktuelle Lage Auswirkungen auf eure Arbeit im LARP hat?

Tini: Anfänglich gar nicht. Zuerst wurden nur die großen Festivals und Hochzeiten im Frühjahr abgesagt, dazu naheliegende Cons – da dachte ich noch, es sei eine Frage von Wochen. Auch das war schon bitter zu Beginn der Saison, aber da habe ich noch fast mehr mit den enttäuschten Fans und Hochzeitspaaren mitgelitten und um meine Freizeitplanung gezittert als mir finanzielle Sorgen zu machen. Als sich die Absagen aber häuften und spätestens mit dem Großveranstaltungsverbot bis August änderte sich das aber schnell. Mit einer Ausfallphase von drei bis vier Wochen sollte man als Selbstständiger leider immer rechnen. Was aber darüber hinausgeht wird schwierig. LARP ist zudem für mich Kontakt- und Verknüpfungsmöglichkeit, sowie Inspiration und Quelle für meine Social-Media-Präsentation – ganz ohne ist schon echt hart.

Nick: Mir eigentlich schon recht früh, konkret zum Beispiel als die IWA Outdoor Classics, bei der ich dieses Jahr im Airsoftbereich als politischer Ansprechpartner eingeladen war, abgesagt wurde.
Sie wäre am gleichen Wochenende wie die Weltenwerker gewesen, und ich hatte bis zum Schluss die Befürchtung, dass auch der WWK abgesagt werden müsste. Dieser fand zwar statt, aber es waren schon weniger Umsätze als in den fünf Jahren zuvor.
Nach dem 8. März ging dann ja alles recht schnell, und schon während des Lockdowns kamen die ersten Stornierungen rein. Hauptgründe waren da noch, dass Kunden aufgrund von Kurzarbeit nun weniger Geld zur Verfügung hatten, oder auch dass sie dadurch nun mehr Zeit hatten und sich die Gewandung selber machen wollten. Einige Aufträge sind auch verschoben bis „man das dann wieder für eine Con braucht“. Da ahnte ich schon: Die Saison ist komplett gelaufen.

Momentan ist zum Beispiel auch ein großes Problem, dass die Lieferketten völlig einbrechen. So dauern Stofflieferungen derzeit circa vier bis sechs Wochen, was es zusätzlich erschwert, jetzt Aufträge bedienen zu können und jetzt Einnahmen zu generieren.

Teilzeithelden: Was ist mit Maßnahmen von Bund und Ländern, helfen die euch nicht über die Runden?

Nick: Nein, nicht wirklich. Was sich in den Medien so toll anhört, ist in der Realität ein absolutes Chaos. Nicht nur, dass in jedem Bundesland etwas anderes gilt, sondern auch dass Regeln ständig geändert werden und Anträge erst nach Wochen, wenn überhaupt, bearbeitet werden, sorgt für Frust. Diese Hilfen dürfen nicht für den Lebensunterhalt genutzt werden – und eine Rechtssicherheit, wie sie überhaupt genutzt werden dürfen fehlt völlig. Außerdem sind die Soforthilfen nur auf drei Monate ausgelegt. Für einige Branchen, wie zum Beispiel für die Veranstaltungsbranche und alles, was daran hängt, ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Und die „Hilfe“ Hartz IV ist noch nicht mal jedem zugänglich, da nach wie vor das Einkommen des Partners angerechnet wird, und dessen Kosten dabei kaum berücksichtigt werden. Insgesamt sind die Hilfen dermaßen ungleich ausgestaltet, dass hier eine massive Wettbewerbsverzerrung stattfindet. Der Betriebsstandort entscheidet darüber, ob Du eine Chance hast, oder unverschuldet in die staatlich verordnete Insolvenz rutscht. Über das Thema könnte ich noch stundenlang antworten, würde aber hier wohl den Rahmen sprengen.

Tini: Wie viele meiner Künstlerkollegen aus dem Alternativ- bzw. Mainstream-Bereich falle ich bisher in keines der Unterstützungsraster: Ich bin zwar in der Künstlersozialkasse, aber die von Herrn Söder für Bayern angekündigte Dreimonatshilfe kann noch nicht beantragt werden und gilt wohl auch nur bei Umsatzeinbußen von nachweislich mehr als 50%. „Nachweislich“ ist hier das Problem, da z.B. Auftritte, die noch gekommen wären, dort nicht hineinfallen. Aus allen anderen Unterstützungen falle ich bisher auch heraus, da ich weder viele Auftritte bei „vom Bund unterstützten Kultureinrichtungen“ wie z.B. Theatern habe, noch als Soloselbstständige Betriebskosten geltend machen kann (erste Soforthilfe), noch Orchestermusikerin bin, noch Mitglied der GEMA, und so weiter. Die einzige Alternative zu den Staatshilfen, das „Sozialpaket“ aka. Grundsicherung beziehungsweise Hartz IV, musste ich zum Glück noch nicht beantragen

Teilzeithelden: Tini, Du sprachst ja bereits davon, dass man eigentlich Rücklagen für drei bis vier Wochen als Selbstständige oder Selbstständiger für schlechte Zeiten bilden sollte. Habt ihr den Eindruck, dass man sich damit im LARP- und Marktbereich schwerer tut?

Künstler in Nöten (c) Nummi

Tini: Ich glaube nicht, dass es in der LARP- und Marktbranche schwerer ist als sonst in allen selbstständig kreativen und handwerklichen Bereichen: Es arbeiten dort oft Menschen, die genau dort ihre Stärke haben, oft mit Herzblut ihr Hobby irgendwann zum Beruf gemacht haben. Dann unternehmerisch zu kalkulieren fällt vielen von uns schwer – was ist es wert, was ich tue, wenn andere es aus reiner Freude ebenfalls tun? Trotz einiger positiver und nötiger Entwicklungen in Richtung Professionalisierung im LARP ist für manche Larper das Thema leider noch immer ein rotes Tuch. Zusätzlich ist Deutschland einfach nicht kleinunternehmerfreundlich.

Nick: Dem kann ich nur zustimmen, das ist nicht nur im LARP- und Marktbereich so, denn es liegt an den Gesetzen in Deutschland. Nehmen wir nur mal die Sozialversicherungen für Selbstständige. Hohe Mindestbeiträge auf fiktive Mindesteinkommen, egal ob diese überhaupt erwirtschaftet werden oder nicht. Dazu -zig Pflichtbeiträge zum Beispiel in Kammern oder Berufsgenossenschaften.
Man hat als Selbstständiger gesetzlich vorgeschriebene Pflichtkosten, bei denen ein Mindestumsatz quasi unterstellt wird, und die eben aber nicht geringer werden, wenn weniger Einnahmen da sind.
Was LARP an sich angeht, ist es ja schon gewissermaßen ein Saisongeschäft: Die Großveranstaltungen sorgen bei jedem von uns für den größten Teil des Jahresumsatzes, auch, was Aufträge angeht. Aber damit müssen dann die umsatzschwachen Monate, vor allem aufgrund der eben beschriebenen Fixkosten, aufgefangen werden.
Rücklagen hatte ich dennoch gebildet, zum Beispiel für Investitionen oder Reparaturen der Maschinen, aber einen solchen staatlich verordneten Ausfall kannst du nicht so lange überbrücken wie eine nur kurze Auftragsflaute.

Ein Blick in die Zukunft

Teilzeithelden: Bis mindestens 31.08.2020 wird es keine Großveranstaltungen mehr geben, ConQuest und Epic Empires haben bereits ihre Events abgesagt. Im Marktbereich sieht es nicht anders aus und pessimistische Stimmen sehen bis 2021 keine größeren Events mehr. Was bedeutet das für euch persönlich?

Kein LARP heisst weniger Umsatz (c) Atrimo

Nick: Geschäftlich der Supergau! Ohne Veranstaltungen geht auch die Nachfrage als solche deutlich zurück, und man kann sich nicht den Winterspeck von den Sommereinnahmen anlegen wie sonst eben üblich. Große Events haben den Vorteil, dass viele Kunden deine Produkte sehen, die nicht gezielt danach gesucht haben, aber eben auf Con durch die Städte bummeln. Dass sie dann anprobieren, anfassen oder Farben vergleichen können. Das kann kein Onlineshop jemals ersetzen!
Als Larper bedeutet das für mich, viele liebgewonnene Menschen dieses Jahr wohl nicht treffen zu können. Und persönlich vermisse ich es jetzt schon sehr, frühmorgens mit Kaffee vor dem Zelt zu sitzen und zu sehen, wie Mythodea erwacht. Das war sonst immer die Woche im Jahr, wo man den Seelenakku wieder aufladen konnte.

Tini: Beruflich bedeutet den Ausfall quasi aller Events dieser wesentlichen Verdienstpfeiler für die komplette Hauptsaison 2020, vielleicht sogar noch der Nebenwintersaison. Das lässt sich nicht schönreden. Ich kann nur versuchen, kreativ zu werden und mein Onlineangebot inklusive Livemusik-Streaming und Patreon auszubauen. Persönlich bedeutet es zusätzlich eine Generalpause meines absoluten Lieblingshobbys und viele liebe Menschen viel zu lange nicht zu sehen. Das in Kombination ist super hart.

Teilzeithelden: Wie versucht ihr der Lage zu begegnen?

Tini: Mit einer, wie ich hoffe, gesunden Mischung aus Pragmatismus, Kreativität, wo sie der Lockdown-Frust nicht frisst und literweise Schokoeis. Nein, ernsthaft: Es gab Phasen, gerade am Anfang, da habe ich auf meinen plötzlich leer gestrichenen Kalender geschaut und geheult. Existenzangst und gefühlte soziale Abgeschnittenheit sind keine gute Mischung. Jetzt versuche ich schlicht das Beste draus zu machen, die Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen und mich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich beeinflussen kann. Eine andere Wahl haben wir ja nicht.

Wandlungsfähig (c) Moritz Jendral

Nick: Wichtig ist mir, dass möglichst viele von uns Kollegen einigermaßen durch die Krise kommen. Ich habe schon vorher jahrelang Kollegen beim Gründen oder bei Gesetzesfragen und dergleichen geholfen. Dieser Bedarf an Hilfe und Unterstützung ist seit Mitte März extrem gestiegen, und so habe ich zwei Dinge kombiniert und ein zweites Gewerbe angemeldet. Mein Plan:Solo erlaubt mir jetzt, auch offiziell und versichert zu beraten und zu helfen.
Dabei arbeite ich auch mit Sponsoren, die durch Spenden dafür sorgen, dass ich Kollegen günstig oder teilweise auch umsonst mit Rat und Hilfe unterstützen kann.

Für Atrimo als solches wird es schwer, sich da komplett anders aufzustellen, daher versuche ich es auf diesem Weg. Ansonsten versuche ich, nicht daran zu denken, dass es bange Monate werden, denn es hängt ja ein extremer Rattenschwanz mit dran. Am meisten belastet dabei die Tatsache, dass man unverschuldet in diese Situation geraten ist, und dem Ganzen irgendwie … ausgeliefert ist.

Teilzeithelden: Wie, glaubt ihr, wird die Situation sich auf die Szene auswirken?

Tini: Auf die Spielerschaft selbst wird es vermutlich erstmal keine schwerwiegenden Auswirkungen haben. Wir Larper sind kreativ darin, uns Ersatzangebote zu beschaffen, wie man gerade schon merkt, und die Vorfreude auf Events wird so nur größer. Viele nutzen die Zeit einfach für Ausrüstungsaufbesserung, Hintergrundarbeit und intensive Plotplanungen. Das könnte uns allen mit Blick auf zukünftige Events zu Gute kommen. Auf der Anbieterseite könnte es aber sehr hart werden, besonders für kleine Händler, Locations und eben auch alle kommerziellen Eventveranstalter. Das ist mittel- bis langfristig unter Umständen ein echtes Problem. Dessen müssen wir uns als Community bewusst sein.

Aufträge gehen zurück (c) Atrimo

Nick: Ganz ehrlich, ich befürchte, dass es einige Kollegen in 2021 nicht mehr geben wird. Gerade jene, die das hauptgewerblich betreiben, werden es enorm schwer haben. Jene, die im Nebenerwerb tätig sind, haben ja noch andere Einkommensquellen und sind meist nicht so auf die Einnahmen im LARP-Bereich angewiesen. Auch befürchte ich, dass die Schwarzarbeit noch mehr zunehmen wird, wodurch wieder die Kollegen im Haupterwerb das Nachsehen haben werden.
Das Positive, was ich aber insgesamt sehe, gerade auch im Vergleich zu anderen Branchen, ist die große Solidarität der meisten Kollegen untereinander. Teil davon sein zu dürfen, gibt einem viel Kraft und ich denke da, werden einige von uns noch näher zusammenrücken.

Was hilft?

Teilzeithelden: Was kann die Community aus eurer Sicht tun, um diese Situation zu überstehen?

Nick: Zusammenrücken und gemeinsam durchhalten. An die Kunden hege ich den Wunsch, dass sie genau hinschauen, wo sie fürs LARP einkaufen. Eine Patentlösung ist derzeit aber schwierig, da sich ja die Lage auch jederzeit in die ein oder andere Richtung ändert.Ich persönlich werde mich aber zum Beispiel auch weiterhin auf der politischen Ebene dafür einsetzen, dass die Bedingungen für Selbstständige insgesamt verbessert werden, denn die Probleme, die jetzt deutlich zu Tage treten, gibt es ja auch ohne Corona. Es ist einfach ein Unding, das Selbstständige in so vielen Bereichen regelrecht benachteiligt sind.

Tini: Wie bei fast allen umfassenden Problemsituationen: Mit Offenheit, Kreativität, Empathie und einer guten Portion Weitsicht. Wir sollten weiter Cons planen und uns dafür anmelden – wenn sie verschoben werden müssen, sollten wir unser Geld, wo es möglich ist, nicht zurückverlangen, damit die Locations ebenfalls ihre Anzahlungen behalten können. Wenn Menschen in unserem Umfeld betroffen sind, beruflich, sollten wir trotzdem überlegen, beispielsweise in unsere Ausrüstung zu investieren – die nächste Con kommt. Und wenn es sie psychisch belastet, sollten wir ihnen glauben. LARP ist für manche eben mehr als „nur“ ein Hobby – auf verschiedenen Ebenen.  Über all das muss und sollte gerade gesprochen werden, zum Beispiel hier. Danke dafür!

Teilzeithelden: Wir haben zu Danken. Wir wünschen euch und uns allen alles Gute in dieser Zeit!

Artikelbild: ©Atrimo, Tini, Moritz Jendral, Nummi

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