Kurzcheck: Schloss der Tiere 1 & 2 (Splitter) – Nieder mit dem Stier

Schloss der Tiere ist eine Hommage an George Orwells bekannte Fabel Farm der Tiere. Die Handlung spielt auf einem Gehöft in Frankreich, auf dem ein Stier und seine Hundemiliz die anderen Tiere kontrollieren. Warum die Graphic Novel mehr ist als nur ein simpler Abklatsch, erfahrt ihr in unserem Kurzcheck.

In Fabeln übernehmen oft Tiere menschliche Eigenschaften, um eine belehrende Geschichte zu erzählen. Innerhalb Europas sind besonders Äsops Fabeln, wie beispielsweise Vom Fuchs und Raben und Das Lamm und der Wolf bekannt. Doch eine der heutzutage berühmtesten Tiergeschichten stammt aus der Feder von George Orwell, dem legendären britischen Schriftsteller. Die Rede ist selbstverständlich von Farm der Tiere.

Deren Handlung folgt der Revolution von Farmtieren gegen ihren menschlichen Besitzer, was schlussendlich zur scheinbaren Freiheit führt. In der darauf entstehenden Gesellschaft reißen nach und nach die Schweine die Macht an sich. Schlussendlich entsteht ein brutales Regime, in dem die anderen Bewohner*innen der Farm noch mehr leiden als unter den Menschen. Die 1945 veröffentlichte Fabel wird aufgrund der Parallelen oftmals als Anspielung auf die russische Revolution im 20. Jahrhundert und die Schreckensherrschaft von Stalin gesehen.

Schloss der Tiere ist eine offensichtliche Hommage an Orwells bekanntes Werk. Dennoch gelingt es der Graphic Novel, ihren eigenen Charme zu entwickeln. Wie das funktioniert, erfahrt ihr in unserem Kurzcheck.

Schloss der Tiere 1: Miss Bengalore

Ein von den Menschen verlassener Bauernhof bietet die Lebensgrundlage für eine Gruppe von Tieren. Die Führung dieser Gesellschaft obliegt dem Stier Silvio und seiner Hundemeute, die ihre Vormachtstellung mit ihrer körperlichen Stärke als einzigem Schutzfaktor der anderen Bewohner begründen. Zu diesen gehört die Katze Miss Bengalore, die sich regelmäßig bei Bauprojekten abmüht, um ihre beiden Kätzchen mit Futter zu versorgen. Denn wer sich nicht an „Projekten zum Gemeinwohl“ beteiligt, kann auch keine Versorgung erwarten.

Eines Tages führt eine willkürliche Bestrafung gegen ein „verbrecherisches Huhn“ zu einem Krawall, in dessen Verlauf auch andere Tiere sterben. Die Verbliebenen müssen umso härter arbeiten, um das geplante Pensum zu erfüllen. Mehr und mehr Unmut regt sich, doch die Hühner, Gänse, Ziegen, Hasen und weiteren Tiere sind der Körperkraft von Silvio und den Hunden nicht gewachsen. Eines Tages findet eine Wanderratte den Weg in das Schloss und erzählt den verzweifelten Bewohner*innen die Geschichte eines Menschen, der ohne Gewalt sein Volk zur Freiheit geführt hat. Durch diese Erzählung inspiriert, beginnen Miss Bengalore, der Rammler Cäsar und weitere gewillte Tiere, den Plan zu einer friedlichen Revolution zu schmieden.

Diente der Farm der Tiere die Geschichte Russlands als Inspiration, so ist es bei Schloss der Tiere die indische Unabhängigkeitsbewegung durch Mahatma Gandhi. Diese Anspielung wird ebenfalls klar in die Graphic Novel eingebettet, wundervoll dargestellt durch ein Schattenspiel der Wanderratte. Wie in der Einleitung durch Autor Xavier Dorison klar wird, ist diese Revolution für ihn ein Paradebeispiel für Kämpfe um Freiheit und Gerechtigkeit. Die Held*innen dieser Bewegungen waren bereit, für ihre Sachen zu sterben, aber nicht zu töten. Ebenso sieht es mit Miss Bengalore und ihren Verbündeten aus.

Schloss der Tiere beginnt mit einer Einführung in die Unterdrückung der anderen Tiere durch den Stier und seine Hunde. Xavier Dorison gelingt es in kurzer Zeit, die Brutalität und Heuchelei des Regimes zu etablieren und die scheinbare Hilflosigkeit der anderen Tiere aufzuzeigen. Die Wahl von Miss Bengalore als Protagonistin ist gelungen, da die schmächtige Katze in fast jeder Situation benachteiligt wird. Ihre gleichzeitige Sorge um den Nachwuchs erzeugt von Anfang an Mitgefühl bei den Lesenden.

Die Handlung lässt sich Zeit, den Freiheitskampf zu etablieren. Graduell erlebt man, wie zunächst das Fass zum Überlaufen gebracht wird und allmählich der erste Funke des Widerstandes entfacht. Anschließend gehen die rebellischen Tiere nach und nach kleine Schritte, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Diese friedliche Revolution und die brutalen Reaktionen des Regimes sind spannend inszeniert und begeistern zum Weiterlesen.

Die visuelle Gestaltung von Félix Delep brilliert mit den ausdrucksstarken Tieren. Dem Zeichner ist es gelungen, die Mimik vielsagend und dennoch nicht unnatürlich wirken zu lassen. Man sieht die Bewohner nicht nur als Tiere, sondern als individuelle Charaktere und Persönlichkeiten. Dadurch entfesseln die brutalen Szenen, die durchaus explizit sind, solch eine niederschmetternde Wirkung.

Auch in handwerklicher Hinsicht überzeugen die Zeichnungen. Die Illustrationen setzen auf eine dominante Lineart der äußeren Konturen, durch die Charaktere deutlich hervorstechen. Die Kolorierung nutzt eine weitestgehend ungesättigte Farbpalette, was der Graphic Novel eine melancholische Stimmung verleiht. Dem gegenüber stehen die wenigen Panels mit intensiver Farbgebung, die aufgrund dieses Kontrastes noch mehr Wirkung entfalten.

Die harten Fakten

• Verlag: Splitter
• Autor*in: Xavier Dorison
• Zeichner*in: Félix Delep
• Seitenanzahl: 72
• Preis: 17,00 EUR
• Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

Schloss der Tiere 2: Margeriten im Winter

Der Winter hat begonnen, und die Tiere müssen neben ihren normalen Aufgaben noch Feuerholz beschaffen. Doch auch hier nutzen Stier Silvio und die Hunde ihre Vormachtstellung aus, um die übrigen Tiere auszubeuten und zu schikanieren. Eine perfekte Voraussetzung für Miss Bengalore und ihre Mitstreiter*innen, um noch mehr Tiere für die friedliche Revolution zu begeistern.

Doch die kalte Jahreszeit hält die bisher schwerste Prüfung für die Rebell*innen bereit. Die Temperaturen, harte Arbeit und Organisation des Widerstandes fordern alsbald die ersten Opfer. Gleichzeitig hecken Miss Bengalore und Cäsar einen Plan aus, der Silvio und den Hunden klarmacht, dass ihre Macht ohne die Unterstützung der anderen Tiere nur eine Illusion ist.

Wie im ersten Band wechseln sich hoffnungsvoller Optimismus und niederschmetternde Verzweiflung als Gefühle bei der Lektüre ab. Schloss der Tiere 2: Margeriten im Winter hat einige herzerwärmende Momente, um wenige Seiten danach die Brutalität des Regimes in Erinnerung zu rufen. Dabei ist interessant zu beobachten, wie die friedliche Revolution innerhalb der Elite mehr und mehr zu Problemen führt. Silvios Frustration mit den mangelnden Erfolgen der Anführer seiner Hundemiliz führt zu internen Machtkämpfen zwischen den Hunden. In diesem Band wird deutlich, dass die Hunde neben der Verteidigung ihrer Vormachtstellung auch Angst antreibt.

Miss Bengalore steht währenddessen vor der Herausforderung, den Eifer der anderen Tiere bremsen zu müssen. Rufe nach einer gewalttätigen Lösung werden nach den ersten friedlichen Erfolgen lauter, um die Unterdrückung endlich zu beenden. Die Katze erkennt als eine der wenigen die Gefahren eines solchen Schrittes: Zum einen sind die Aufständischen körperlich immer noch unterlegen, zum anderen besteht das Risiko eines Teufelskreises, in dem mit Gewalt nur ein anderes Regime an die Macht gelangt. Über den gesamten Band hinweg steht die Frage im Raum, ob ein weiteres Blutbad verhindert werden kann.

Die Handlung bleibt auch im zweiten Teil ungemein fesselnd und spannend. Nach dem hoffnungsvollen Ende des ersten Bandes wird nun klargestellt, dass die notwendigen Veränderungen nicht schnell erfolgen werden. Schloss der Tiere 2: Margeriten im Winter betont die möglichen Opfer einer Revolution und mit welchen Mitteln sich die Mächtigen an ihre Privilegien klammern.

Gleichzeitig ermöglichen Einblicke die Feststellung, dass selbst unter den Hunden Ängste und Sorgen bestehen. In einer der emotionalsten Szenen dieses Bandes kommt einer der Hunde nach Hause, um freudig von seiner Familie begrüßt zu werden. Die Welpen zeigen ihren ehrlichen Stolz über den Vater, der das Schloss vor bösen Tieren beschützt. Dieser stimmt heuchlerisch zu, während er im selben Moment mit Gewissensbissen über seine letzte Tat hadert.

Die hohe Qualität der Zeichnungen setzt sich im zweiten Band fort. Aufgrund der winterlichen Zeit wird die Kolorierung von kalten Farbtönen dominiert. Besonders in Nachtszenen entstehen dadurch Panels, die bei der bloßen Lektüre einen Schauer hervorrufen. Demgegenüber stehen die wenigen Szenen voller Wärme und Gemeinschaft, die in sanften Orangetönen erstrahlen.

Die harten Fakten

• Verlag: Splitter
• Autor*in: Xavier Dorison
• Zeichner*in: Félix Delep
• Seitenanzahl: 56
• Preis: 16,00 EUR
• Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

Abschließendes Fazit

Schloss der Tiere hält uns als gelungene Fabel einen Spiegel zu den Konflikten vor, in denen wir Menschen uns seit Jahrhunderten immer wieder befinden. Es behandelt Themen wie Freiheitskampf, Zusammenhalt und Opferbereitschaft, aber auch Unterdrückung, Grausamkeit und Brutalität. Dabei gelingt Autor Xavier Dorison die schwierige Balance, Momente der Hoffnung mit der grausamen Realität des Regimes in der Handlung zu platzieren. Das Resultat ist eine packende Lektüre um den Freiheitskampf Unterdrückter, die ihre Leser*innen stets im Unklaren über die nächsten Ereignisse lässt.

Die Charaktere verbinden typische Eigenschaften von Tieren mit einzigartigen Persönlichkeiten. Dadurch werden sie so nahbar, wie es auch menschliche Protagonist*innen sein könnten. Großen Anteil daran hat die visuelle Gestaltung, die allen Akteur*innen eine ausdrucksstarke Mimik ermöglicht. Generell gelingt es den Zeichnungen mit Bravour, durch Illustration und Kolorierung die komplexe Stimmung der Handlung aufzugreifen.

Schloss der Tiere hat eindrucksvoll bewiesen, dass es mehr ist als nur ein billiger Abklatsch von Orwells bekannter Fabel Farm der Tiere. Eigene Ideen und der brillant gestaltete Handlungsbogen machen die Lektüre zu einem Lesevergnügen, das gleichzeitig zum Nachdenken über unser eigenes Handeln anregt. Ich erwarte mit Ungeduld die letzten beiden Bände, die die Handlung zum Abschluss bringen.

Artikelbilder: @Splitter
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Rick Davids
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.