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Nach dem großartigen Album The Urban Files warteten Freunde von Rollenspielmusik schon gespannt auf den nächsten Akt von Erdenstern. Mit Silicium wagen sie sich nun in eine düstere, postapokalyptische Zukunft. Wir haben die Formation auf ihrer Reise begleitet und einen Blick auf das Ende unseres Seins erhascht.

Erdenstern gilt als zuverlässiger Lieferant für Rollenspielmusik verschiedener Genres. Die meisten Werke der Formation konzentrieren sich dabei auf den Szeneprimus Fantasy in all seinen Formen. Mit The Urban Files haben sie sich aber abseits bekannter Gebiete ausprobiert und ein fulminantes Werk abgeliefert, das zurecht den RPC Award 2017 für die beste Musik ergattern konnte. Nach den gemeinsamen Abenteuern mit Harry Dresden zog es Per, Andreas und Eva-Maria nun weiter. Doch ganz konnten sie dabei der Düsternis nicht entfliehen.

Über das Album

Neben Fantasy-Settings erfreuen sich auch Abenteuer in einer dystopischen oder postapokalyptischen Zukunft einer großen Spielerzahl. Ob Degenesis, Shadowrun oder No Return, die Welt ist nicht mehr, wie wir sie kennen, und dies soll auch die Ambientemusik wider spiegeln. Meistens musste man sich bisher mit Film- und Seriensoundtracks behelfen. Aber diese leiden alle unter demselben Problem: Sie sind hörbar auf bestimmte Filmszenen zugeschnitten und passen häufig nicht zur grade stattfindenden Rollenspiel-Szene.

Mit Into The Grey wagten sich Erdenstern bereits schon einmal in diese düstere Zukunft. Mit Silicium kehren sie nun zurück und entführen den Hörer erneut an finstere Plätze, wo Menschen um ihr Überleben kämpfen.

Der Titel des Albums spielt auf das chemische Element Silizium an. Es ist lebenswichtig für den Knochenbau des Menschen und wird als Basismaterial für viele mikromechanische Produkte wie Sensoren oder Solarzellen genutzt, spielt also eine zentrale Rolle in unserem Leben.

Doch dieser Verweis ist nicht der einzige Grund für die Wahl des Namens, viele Science-Fiction-Settings, so zum Beispiel Star Trek, bringen immer wieder auf Silizium basierende Lebensformen in den Fokus, meist als Bedrohung für uns auf Kohlenstoff basierende Lebewesen. Hier setzt der Titel an: In einer Welt, die dem Untergang nah ist, lauert im Schatten etwas, was schon ewig auf seine Zeit wartete. Eine Zeit, mit welcher das Ende der Kohlenstoffwesen eingeläutet wird, um einem neuen Element die Vorherrschaft zu sichern: Silizium.

 

Tracks

  1. The Future (5:26)

Moment, ist das nicht Blade Runner oder vielleicht doch Oblivion? Der Auftakt des Albums lässt deutlich Anleihen an Klassikern und Perlen des Genres erkennen. Viel Elektronik, gepaart mit Streichinstrumenten und abwechselnd passend einsetzenden Trompeten oder E-Gitarren, lässt erahnen, wohin die Reise gehen wird. Eher schwer, gar bedrohlich eröffnet dieser Titel uns die Welt. Gelegentliche Sonnenstrahlen in Form positiver Abschnitte des Stückes lassen auf eine gute Zukunft hoffen, doch am Ende gewinnt die Bedrohung wieder unsere Aufmerksamkeit. Eine Titel der langsam, aber gekonnt Stimmung aufbaut und Spieler in das Setting holt.

  1. Megalopolis (3:42)

Städte, die so viele Menschen beherbergen, wie heute manch ein Staat – ein Bild, das immer wieder in der Science-Fiction gezeichnet wird. Dieser Titel fängt diese Stimmung erstaunlich gut ein. Helle Klänge im Hauptthema des Stückes mit verschiedenen Varianten, die sich darüber legen, erzeugen unwillkürlich Bilder im Kopf des Hörers: Bilder von Städten, die uns durch ihre schiere Größe und Vielfalt erschlagen und in Staunen versetzen.

  1. The Runners Awake (4:17)

Eine Reminiszenz an ein beliebtes Settings wohnt schon dem Titel inne. Nachdem man sich langsam an die Stadt gewöhnt hat, scheint das Abenteuer zu rufen. Dabei fügt sich der Titel nahtlos an Megalopolis an. Das Stück baut sich langsam auf, das tatsächliche Erwachen wird ab der Mitte des Titels eingeführt. Trommeln, die im letzten Drittel das Stück merklich beschleunigen und voran treiben, laden ein, die Stadt zu erkunden.

  1. Welcome To The Club (3:52)

Auch in The Urban Files führte der Weg die Helden in eine Bar. Hier ist es nun der futuristische Club. Treibend, geradezu ekstatisch sieht man die tanzenden Leiber in diesem elektronischen Stück vor dem geistigen Auge. Im letzten Teil nimmt das Stück nochmal an Intensität zu und erinnert ein wenig an die Party in The Matrix Revolutions, zweifelsohne durch die Trommeln, die eine ganz eigene Melodie spielen, verursacht.

  1. Born Into This World (4:47)

Bereits das letzte Album glänzte damit, das Hauptthema und auch das Ambiente des Albums etwas aufzubrechen. Born Into This World greift dieses Stilmittel auf. Ruhig, mit Klavier und Streichern, lässt es die Helden durchatmen und sich in melancholischen Gedanken verlieren.

  1. Uprising (4:07)

Dieser Titel greift wiederum den eigentlichen Stil des Albums auf. Sehr langsam baut er sich auf, mit einem stark verzögerten Einsatz verschiedener Instrumente. E-Gitarre und Klavier schaffen eine harmonische Symbiose und vermitteln das Gefühl, es lege sich nach und nach etwas Bedrohliches über eine an sich positive Grundstimmung. Im letzten Drittel gewinnt diese erst subtile Bedrohung dann die Oberhand: Die Gitarre übertönt das Klavier, Trommeln treiben den Hörer an und das Uprising, der Aufstand, ist im vollen Gange. Ferne Helikoptergeräusche und die Salven automatischer Waffen beenden das Lied: der Kampf, vielleicht der letzte, hat begonnen.

  1. The Drug Works (3:18)

Anstatt sich aber diesem Kampf zu stellen, lockt das Album nun mit anderem Stoff. Disharmonisch, mit kurzen Flötentönen, die wie das Vorbeifliegen bunter Funken wirken, und mit sphärischen Chorälen übertüncht ein Drogentraum die Realität. Doch im Hintergrund scheint diese unaufhaltsam gegen den Traum anzupochen. Könnte man einen Drogentrip mit Musik beschreiben, dann wäre dieser Titel die richtige Wahl dafür.

  1. Artificial Intelligence (3:15)

Ein beliebtes Thema ist auch immer wieder der Konflikt um und mit künstlicher Intelligenz. Harte und stampfende elektronische Klänge erinnern an ungelenke Roboter, die sich unaufhaltsam ihren Weg bahnen. Plötzlich wird dieser Titel durch sanfte Klänge mit Chorälen unterbrochen, die durch ihre Kunstfertigkeit auf intelligente Schaffensprozesse hindeuten.

  1. The Restricted Area (4:38)

Das Album steuert langsam auf einen von mehreren Höhepunkten hin: Man nähert sich der „verbotenen Zone“. Wer hier nun ein dramatisches Stück erwartet, das an verdeckte Operationen erinnert, wird enttäuscht sein. Das gesamte Stück ist ruhig und plätschert ein wenig vor sich hin. Es erinnert eher an einen Spaziergang, bei dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

  1. Trouble (3:34)

Die verbotene Zone heißt aber nicht umsonst so. Nach dem letzten ruhigen Abschnitt bahnt sich nun Ärger an. Eindeutig erkennt man hier das große Vorbild Hans Zimmer in Form von Anleihen an den Soundtrack von The Rock – Fels der Entscheidung. Streicher und Trommeln geben einen schnellen Takt vor und geben dem Stück eine gewisse „Epik“. Kurz eingeblendete Helikoptergeräusche und Schreie deuten auf Panik und Gewalt hin.

  1. Armed Unmanned Aerial Vehicle (2:55)

Drohnen, vor allem bewaffnete, stellen in vielen Settings eine ernste Bedrohung für die Helden dar. Kein Wunder, dass auch hier die tödliche Gefahr aus der Luft lauert. Weniger dramatisch, aber durchaus so treibend wie Trouble, gibt dieser Titel eine flotte Geschwindigkeit vor, allerdings kommt nicht wirklich eine gefährliche Stimmung auf. Hier passt das Stück nicht gut zu dem davor. Ein großer Teil der aufgebauten Dynamik geht nun verloren.

  1. Hey! Going Down Means Dying (3:10)

Der Tod ist allgegenwärtig in diesem Stück. Langsam, schwer, düster und ohne jede Hoffnung vermitteln Klavier, Posaunen und dunkle Männerchoräle den drohenden Tod.

  1. Blood And Steel (5:38)

Synthesizer-Sounds, garniert mit epischen Posaunen und tiefen Chorälen, lassen bei dem Hörer eine Gänsehaut entstehen. Dabei wird das Hauptthema des Albums gekonnt und episch aufgegriffen. Leider wirkt dies nach einer Weile zu gekünstelt und erinnert eher an ein 8-Bit-Spiel. Hier hätte man am Sound etwas feilen sollen, um mehr aus dem Stück herauszukitzeln und es abzurunden. Doch die Minute 3:30 versöhnt einen schnell wieder mit dem Stück. Schnelle Frauenchöre und Streicher haben eine feine Dramatik, die in einem epischen und positiven Abschluss mündet.

  1. We Lost Them (2:52)

Wenn Blut und Stahl im Spiel sind, bedeutet das meist, dass es Opfer gibt. So auch hier. Nach einem gelungenen Stück für epische Kämpfe, folgt nun die Trauer um das, was verloren ging. Mit seinen melancholischen Streichern und ohne elektronische oder gar hektische Klänge lädt das Stück zu traurigen Szenen ein. Einfach nur im Hintergrund würde es jedoch andere Szenen stören.

  1. Survivors (4:06)

Die Welt scheint eine weite Wüste zu sein. Zumindest fühlt man sich durch die langsame und quietschige Gitarre in Kombination mit Schlagzeugen ein bisschen in eine Westernstimmung versetzt. Doch spürt man eindeutig, dass eine Entscheidung bevorsteht. Ein starkes Stück, das von einer gekonnt eingesetzten Gitarre lebt.

  1. Abandoned Vessel (3:08)

Ein verlassenes Schiff gibt Rätsel auf. Rätsel wollen gelöst werden. Geschickt wird durch wenige und leise Instrumente eine bedrückende und bedrohliche Stimmung aufgebaut, die einen auffordert, sich langsam in das Unbekannte vorzutasten. Knarren, Knarzen und sphärische Laute geben dem Schiff eine Art Eigenleben und lassen Raum für grausige Fantasien.

  1. A Reckless Chase (5:09)

So verlassen war das Schiff wohl doch nicht, denn von jetzt auf gleich beginnt eine erbarmungslose Jagd auf die Helden. Dabei wird mit Gitarren und Schlagzeug erneut das Thema des Albums aufgegriffen und mit Passagen abgerundet, die einen wirklich durch die Gänge treiben. Kurze Momente des Durchatmens werden mit noch schnelleren und stärker treibenden Klängen bestraft, die gnadenlos zum Finale hetzen.

  1. The Uninvited (2:04)

In den Tiefen des Schiffes stößt man schließlich auf das erschreckende Geheimnis. Beeindruckend führt das Stück ruhig, aber zunehmend bedrohlich auf die alles verändernde Entdeckung hin. Dunkle Trompeten und Streichinstrumente fangen die Stimmung perfekt ein.

  1. A New World? (4:02)

Wie geht es weiter? Diese Frage impliziert der Titel und zeichnet als Lied eine Welt, in der alles offen ist. Dazu greift es erneut den Stil des ganzen Albums auf und führt mit seiner Mischung aus Elektroklängen und Orchester die Spieler durch eine Welt, die sich nun ändern wird. Ein ruhiges Stück für den Hintergrund mit einer leicht melancholischen Grundstimmung.

  1. S I L I C I U M (6:02)

Das Lied zum Albumtitel ist eher ein Abspann. Auch das ist ein wiederkehrendes Element bei Erdenstern, die letzten Titel wirken gerne wie das Ende eines Filmes. Das ist nichts Verkehrtes, man sollte es nur bedenken, wenn man seinen Abend musikalisch plant.

 

Verwendbarkeit im Tischrollenspiel oder LARP

Wie die meisten Rollenspielalben wendet sich auch dieses primär an Tischrollenspieler. Vereinzelt passen Stücke, zum Beispiel Welcome To The Club, auch in LARPs. Wie viele Soundtracks wird hier aber eine Geschichte erzählt, die nicht zwingend zum Geschehen am Spieltisch passen muss.

Einige Stücke taugen nicht für das unspezifische Hintergrundgeplätscher, das man manchmal einfach möchte. Wer jedoch Erdenstern kennt, weiß auch ihre Musik gut einzusetzen. Wer Erdenstern nun kennenlernt, sollte sich die Zeit nehmen, das Album vorher zu hören, um es geschickt einzusetzen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für 15,99 EUR bekommt man einen Silberling mit 20 sorgfältig komponierten Stücken. Das sind leider zwei bis drei weniger als in anderen, jüngeren Alben von Erdenstern.

Erscheinungsbild/Umfang

Das Cover ziert eine futuristische Schutzmaske auf sterilem weißem Grund. Bereits hier erkennt man eindeutig das Genre, für das dieses Album geschrieben wurde. Das Booklet enthält, wie gewohnt, eine nette Rahmengeschichte zum Album sowie kurze Beschreibungen zu den Titeln.

Die harten Fakten:

  • Komponist: Erdenstern
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Format: CD und MP3
  • Spieldauer: 79:59
  • Preis: 15,99 EUR
  • Bezugsquelle: Erdenstern Shop, iTunes

 

Fazit

Rollenspielmusik für Science-Fiction und Postapokalypse ist rar gesät, zumindest abseits von Soundtracks oder Two Steps From Hell. Nicht ganz so dreckige Settings werden sehr gut mit Silicium harmonieren, für die richtig üblen Zukunftsszenarien wie No Return wirkt es zu sauber, für Warhammer 40.000 fehlt es an Epik und Dramatik. 

Den Anspruch an das Thema trifft die Formation jedoch erneut gelungen, wenngleich es auch hinter The Urban Files zurückbleibt. Wer sich also gerne in dystopischen Welten der Zukunft herumtreibt, macht mit diesem Album keinen Fehler.

Artikelbilder: Erdenstern
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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