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Vor Kurzem haben wir bei Teilzeithelden Jannasaras Kartentasche von Donnerhaus rezensiert, einem kleinen Studio aus Berlin. Torsten und Tobias arbeiten bereits an einer weiteren Veröffentlichung – und das nicht erst seit gestern. Im Interview sprachen wir über den Ersten Weltkrieg, das hauseigene Regelsystem und den Live-Stream um Freude, schöner Götterfunken…

Über die Interviewpartner

Tobias Hauser und Torsten Logemann arbeiten seit 2016 zusammen, kennen sich aber schon um einiges länger. Seit 2018 sind sie auch für die Öffentlichkeit präsent. Tobias hat die schöne Schweiz verlassen und ist in Berlin gelandet – nicht nur wegen seines Spielleiters Torsten, sondern auch, weil es leider weder in Italien noch in Frankreich sprachlich für mehr als eine Essensbestellung reichte.

Nach dem Studium gingen beide das Risiko eines Rollenspiel-Studios ein, denn das schien ihnen der beste Zeitpunkt zu sein. Ihre Arbeit zeichnet sich durch Rechercheintensivität aus. Das führte auch dazu, dass der Plan eines Cyberpunk-Systems schnell verworfen wurde – sich jeden Tag mit Dystopie zu beschäftigen schlug auf die Stimmung. Außerdem ist die Fantasy-Szene vielfältiger, auch dadurch, dass mehr Frauen teilnehmen. Torsten ist es seit jeher gewohnt, dass die Menschen um ihn herum vielfältig sind, denn in Berlin ist das Alltag.

Neben den harten und umfangreichen Recherchen sind beiden eine spielerzentrierte Rollenspielerfahrung und der Umweltschutz bei den Projekten ihres Studios wichtig.

Freude, schöner Götterfunken…

Pünktlich zum Vorverkauf mit passendem Stream der Pre-Show am 08.07.21 ab 18 Uhr auf dem Twitch-Kanal von DoktorFroid können wir euch mit umfangreichen Informationen rund um das Projekt versorgen. Nach der Pre-Show kann dann ab dem 15.07.21 jeden Donnerstag von 17 bis ca. 23 Uhr die aufwendig vorbereitete Spielrunde geschaut werden. Insgesamt wird die Runde zwischen sechs- und achtmal zusammenkommen, gespielt wird eine Beta-Version von Freude, schöner Götterfunken… mit einer verkürzten Story.

Was Freude, schöner Götterfunken… ist, haben uns Tobias und Torsten selbst erzählt – und noch viel mehr. Das Gespräch war so umfangreich, dass es leider nicht alles in den Artikel schaffen konnte. Aber verzagt nicht, denn im Wintersturm-Podcast könnt ihr noch mehr von den beiden hören!

Wie ein Geschenk zum Weihnachtsfrieden – Was enthält die Box?

Teilzeithelden: Hallo ihr zwei und danke, dass ihr euch Zeit für uns nehmt. Kommen wir direkt zum Wesentlichen: Was ist Freude, schöner Götterfunken…?

Tobias: Freude ist ein Abenteuerszenario mit einer Mystery-Horror-Kampagne vor dem Hintergrund der österreich-ungarischen Karpatenfront im Ersten Weltkrieg. Wir verstehen es als die erste unserer „Kochboxen für das Rollenspiel“, also eine Stand-Alone-Box für Leute, die zwar gerne frisch kochen wollen, aber nicht ganz so viel Zeit haben, das alles zu planen, neue Rezepte auszusuchen und so weiter.

Teilzeithelden: Man kann also direkt losspielen?

Tobias: In der Box ist tatsächlich alles, was man braucht. Erstmal sind da vier Hefte, die alle etwas dünner sind, damit man sie leicht am Spieltisch herumgeben kann. Das Abenteuerheft richtet sich an die SL, das Regelheft an alle. Das wird auch gar nicht so dick sein, vermutlich 10 bis 15 Seiten Spieltipps und 50 Seiten Regeln im Format B5, das entspricht etwa 25 Seiten A4.

Die Box ist rappelvoll!
Die Box ist rappelvoll!

Das Hintergrundheft enthält Informationen über die Zeit des Ersten Weltkriegs, gerade das besondere an Österreich-Ungarn und auch Dinge aus dem Alltagsleben. Dazu gibt es dann noch das Kompendium – ein Heft mit Tipps & Ratschlägen für die SL. Darin sind auch Listen und Anwendungsbeispiele, die wir aus den Regeln ausgekoppelt haben. Wir wollen auch noch Videos drehen, mit denen man die Regeln noch schneller versteht. Zusätzlich gibt es große und kleine Spielkarten, fünf eigens designte W10-Würfel, Spielmünzen, Charakterbögen, Spickzettel und die von Torsten erstellten Landkarten.

Der Erste Weltkrieg – kein Thema für Freude?

Teilzeithelden: In Freude, schöner Götterfunken… geht es um die österreichische Ostfront des Ersten Weltkriegs, den „Great War“. Bevor wir die Details besprechen: Warum gerade dieses Setting, wenn euch das Cyberpunk-Thema zu sehr deprimiert hat?

Tobias: Ein wichtiger Punkt: Er ist vorbei. Cyberpunk ist, was wir jetzt haben, mit der Idee, wie die Zukunft noch schlimmer werden könnte. Wir wollen eine bessere Zukunft und Leute inspirieren, über Themen nachzudenken und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, die sonst nicht so oft angefasst werden. Alle unsere Settings sind relativ ungewöhnlich und unverbraucht.

Torsten: Also ich sag mal so: Hoffnung, Menschlichkeit und Zusammenhalt spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte von Freude, aber reine Feel-Good-Vibes holen wir uns woanders. Deswegen haben wir ja auch mit Jannasaras Kartentasche im Fantasy-Bereich angefangen und werden da auch weiter bleiben.

Jannasaras Kartentasche gibt Feel-Good-Vibes.
Jannasaras Kartentasche gibt Feel-Good-Vibes.

Teilzeithelden: Wie seid ihr an das Setting herangegangen?

Tobias: Freude, schöner Götterfunken… ist der Auftakt von insgesamt vier Boxen mit Settings, die alle noch nicht so verbraucht sind. Das heißt natürlich, dass wir als Autoren da auch eine Menge Arbeit reinstecken müssen, weil sie halt nicht so im Schulunterricht behandelt wurden. Ich habe Geschichte studiert und musste mich echt nochmal reinfuchsen.

Torsten: Es ist zwar in der ersten Box der Erste Weltkrieg, aber wir haben erstmal geguckt: Welche Front? Die Westfront ist dieser Menschenfleischwolf ohnegleichen gewesen. Das ist für viele Geschichten überhaupt nicht geeignet. Ultimatives Grauen will ja erstmal keiner.

Tobias: Geschichten sind Bewegung, Konflikt und Veränderung. Die Westfront ist das Gegenteil davon: Stillstand.

Recherche und Details

Teilzeithelden: Eure Recherchearbeit ist sehr umfangreich und ihr habt euch sogar von der österreichischen Historikerin Dr. Tamara Scheer beraten lassen. Die Mühe spiegelt sich auch in den vielen Details wie zum Beispiel dem Stempel auf einem Brief wider.

Torsten: Das ist etwas, wo Tobi unglaublich stolz drauf war. 

Tobias: *lacht* Das habe ich aus einem Originalbrief von den Wiener Stadtwerken oder sowas und habe mir gedacht: „Hey, das ist genial, das mache ich auch!“

Mit einem Brief geht alles los.
Mit einem Brief geht alles los.

Teilzeithelden: Eines der vielen schönen und authentischen Details ist der Stempel auf einem Brief, der 1917 in die rumänischen Karpaten geschickt wird, wo die Geschichte von Freude, schöner Götterfunken… beginnt. Zwei Jahre nach der Schlacht in den Karpaten – also zu spät?

Tobias: Tatsächlich spielt die Geschichte im Dreiländereck oder auch Transkarpatien; Ruthenien, wie es so schön im Österreich-ungarischen heißt. Die Geschichte ist keine Kriegsgeschichte und die Hauptcharaktere sind alle so ein bisschen die zweite Wahl, also keine Elitesoldaten.

Teilzeithelden: Wen genau spielt man denn?

Tobias: Die Geschichte beginnt so, dass ein Sturmtrupp losgeschickt wird, eine seltsame Kapelle einzunehmen, wo die Russen sich eingegraben haben. Aber ihr seid nicht diese Soldaten. Ihr seid die, die später Versorgungsmaterialien, Essen und Munition bringen. Ihr seid die anderen, die unfreiwilligen Helden.

Teilzeithelden: Es soll mindestens zwölf Charaktere geben: fünf Frauen und sieben Männer. Eine Charaktererstellung ist also nicht vorgesehen?

Torsten: Ich halte das grundsätzliche Konzept der freien Charaktererschaffung für spezifische Geschichten für eine Fehlkonstruktion der Rollenspielgeschichte. Der Grund dafür ist, dass die stärkste Geschichte, die man spielen kann, immer die Geschichte der tatsächlich gespielten Charaktere ist. Wenn ich also eine Geschichte mit einem festen Rahmen vorgeben möchte, muss ich auch die Charaktere vorgeben. Es hängt darum sehr davon ab, womit man es zu tun hat: Gestaltet man seine eigene Geschichte in einem offenen Setting? Dann ergibt freie Charaktererschaffung Sinn. Bei unseren Abenteuerboxen möchten wir aber, dass alle Charaktere eine starke Bindung zur Geschichte haben, darum haben wir einen Mittelweg gewählt.

A.E.I.O.U.
A.E.I.O.U.

Teilzeithelden: Euer fester Rahmen bei Freude, schöner Götterfunken… ist es, dass man auf irgendeine Art und Weise im Dienst des österreich-ungarischen Kaisers stehen und vermutlich im Heereswesen an der Ostfront sein muss.

Torsten: Nicht alle sind im Heereswesen, aber mehr oder weniger gehören alle Charaktere zur Bagage des 208. Infanterieregiments. Alle davon haben zudem individuelle Verbindungen und Bezüge zur Geschichte. Das macht es sehr persönlich.

Tobias: Es ist wichtig, dass es eben die zweite Wahl ist. Wenn du eine komplett freie Erstellung machst, hast du Charaktere, die überhaupt nicht zur Geschichte passen. Die Geschichte ist überhaupt nicht auf einen Sturmtruppensoldat ausgelegt – auf die Schwierigkeiten und menschlichen Fragen, die aufkommen. Unsere Charaktere sind sehr gut in die Geschichte eingebunden.

Torsten: Wir geben eine große Auswahl und es ist für jeden etwas dabei. Außerdem kann man die Charaktere ein noch individualisieren und anpassen. Rollenspiel wird ja erst durch die Spieler zu Rollenspiel – sie brauchen Agency, also Handlungsfreiheit.

Was erwartet die Charaktere an der Kirche?
Was erwartet die Charaktere an der Kirche?

Teilzeithelden: Sind die Schauplätze in jeder Charakterkombination bewältigbar? 

Tobias: Das Abenteuer ist auf vier Spieler ausgelegt und man kann die Geschichte sehr unterschiedlich spielen. Eine Kampfgruppe funktioniert, aber man kann das Abenteuer mit etwas Glück und Cleverness auch ganz ohne Kampf beenden.

Mythen und Mysterien

Teilzeithelden: Zum Metaplot des Horror-Mystery-Abenteuers gehört auch ein Mythos. Wenn ich „Horror“, „Mythos“ und „Erster Weltkrieg“ in einem Satz höre, denke ich sofort: Cthulhu. Wieviel Cthulhu-Feeling ist denn in der Box?

Tobias: Cthulhu direkt ist gar nicht drin. Es geht nicht um den Mythos, sondern um verschiedene Mythen, für die wir in den vergessenen Nischen der Geschichte gewühlt haben!

Torsten: Der Gedanke der Cthulhu-Spiele hat mir immer gefallen, aber die Ausführung nicht, denn sie kam meiner Meinung nach nie an das ran, was Lovecraft in seinen Geschichten vermittelt hat. Das liegt auch daran, dass wir nicht mehr die Menschen sind, für die er geschrieben hat. „Ob es Fischmenschen im Meer gibt?“ – Das ist kein Thema unseres Lebens mehr. Gleichzeitig dreht sich unsere Geschichte nicht um Wahnsinn. Ich glaube nicht an den fragilen Menschen, denn Psychologie und Sozialwissenschaft sind sich ziemlich einig, dass die meisten Menschen Widrigkeiten eher überkommen als an ihnen zu zerbrechen.

Wider die Zerbrechlichkeit.
Wider die Zerbrechlichkeit.

Teilezeithelden: Es geht also nicht um kosmischen, sondern realweltlichen Horror?

Tobias: Mystik ist mit drin. Wir haben uns an der Historie bedient, weil das unser Ding ist. Wir haben in ganz alte Mythen reingegriffen und uns auch aus der Antike bedient. Es wird nicht überall Dämonen geben, auch wenn es eine gewisse paranormale Komponente gibt. Es gibt eine mystische und eine mythische Komponente, das sind ja zwei unterschiedliche Dinge.

Torsten: Also ich würde es so sagen: Leute, die cthulhuesken Horror mögen, werden damit ihren Spaß haben, aber auch Leute, die diese Art Horror nicht mögen. Es geht einen anderen Weg zu einem ähnlichen Ziel.

Von Schönheit und Krieg – die Gestaltung der Box

Teilzeithelden: Reden wir noch über die Illustrationen. Ihr arbeitet mit Leander Aurel Taubner zusammen, der auch Rollenspieler ist.

Torsten: Richtig. Den verwendeten Stil kann man übrigens als European Graphic Novel bezeichnen, das ist der Tim und Struppi-Stil im Prinzip.

Leander Aurel Taubner hat die schönen Illustrationen zum Projekt beigesteuert.
Leander Aurel Taubner hat die schönen Illustrationen zum Projekt beigesteuert.

Tobias: Leander ist der Illustrator unserer Wahl, die Zusammenarbeit ist unglaublich toll und er ist sehr involviert. Es macht uns eine Menge Spaß, mit ihm zusammen die Bilder zu planen und zu gestalten.

Torsten: Wir haben uns tatsächlich spezifisch für Leander Taubner entschieden, weil er ein sehr vielseitiger Künstler ist. Er beherrscht viele verschiedene Stile und das brauchen wir für die langfristige Planung unserer Module, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Den Graphic Novel-Stil behalten wir bei, aber wir wollen für jedes Modul ein paar spezielle Sachen machen.

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