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„Die 80er, die es nie gab“ ist das Thema von Tales from the Loop. Teilchenbeschleuniger, Fahrzeuge, die durch Magnetrin-Technologie schweben können und autonome Roboter treffen auf eine Zeit, in der Kinder noch das Titellied von DuckTales mitsingen konnten. Ulisses hat den Loop nach Deutschland geholt und ihn im Taunus errichtet.

In Tales from the Loop von Fria Ligan geht es um Kinder in den 1980er Jahren, die Abenteuer erleben. Es sind aber andere 80er als man sie kennt, denn die Magnetrin-Technologie hat das Gesicht der Welt verändert. Die riesigen Teilchenbeschleuniger, die Loops, von denen es einen in Schweden und einen in den USA gibt, bilden die Herzstücke dieser Technologie. Die Menschen sind die schwebenden Fahrzeuge, großen Kühltürme und Roboter der Anlagen gewöhnt.

Ulisses Spiele hat die Lizenz zur deutschen Übersetzung von Tales from the Loop ergattert und inzwischen auch Things from the Flood, den Nachfolger mit Teenagern in den 90ern, herausgebracht. Das neueste Werk ist eine Eigenproduktion, die sich mit dem deutschen Raum beschäftigt. Ulisses erdenkt sich einen Loop in Hessen und erwähnt marginal auch einen in der DDR.

Inhalt

Das schlanke Buch umfasst sechs Kapitel, von denen sich das erste mit der historischen Realität Deutschlands in den (fiktiven) 1980ern beschäftigt. Im zweiten Kapitel geht es dann um den Taunus-Loop und das umliegende Gebiet. Die restlichen Kapitel bilden eine Kampagne, die aus vier Abenteuern besteht. Das Grundregelwerk ist zum Spielen unabdingbar.

Geschichtsstunde

In den 80er Jahren stand Deutschland kurz vor einem erneuten Umbruch: dem Mauerfall. Vom Zweiten Weltkrieg rutschte man in den Kalten Krieg, erlebte Spaltung und Aufschwung. Im ersten Kapitel wird Deutschland aus vielen Perspektiven beschrieben und so ein Gesamtbild gezeichnet, das es Spielenden ermöglichen soll, dieses vergangene Jahrzehnt im Spiel hautnah zu erfahren.

Man liest vom Unterschied von Land- und Stadtkindern, vom Fußballspielen im Verein und den alten Wählscheibentelefonen. Man erinnert sich an Hausmannskost und Brausepulver, an die Yps und TKKG. Im Fernsehen gab es anfangs nur drei Sender, E.T. und Crocodile Dundee liefen im Kino und Rio Reiser war im Radio der König von Deutschland.

Wer kennt noch alle Titellieder auswendig?
Wer kennt noch alle Titellieder auswendig?

Gleichzeitig wird der drohende Weltuntergang durch das Wettrüsten der Atommächte angesprochen.

Es wird von den „Gastarbeiterkindern“ erzählt und von jenen, die als Kinder stationierter Soldaten zur Welt kamen. Die Jugend führt den „Häuserkampf“ und auf Fahndungsplakaten werden RAF-Terroristen gesucht.

Die DDR wird etwas stiefmütterlich behandelt, aber für einen groben Überblick reicht es. So erfährt man etwas von den Jungpionieren und erhält ein paar Details darüber, was die Muttis und Vatis „drüben“ so beschäftigte.

Das erste Kapitel fasst die Situation in Deutschland allgemein gut zusammen, bleibt aber oberflächlich, was vielleicht dem Umfang des Buches geschuldet ist. Wenn man die Zeit selbst nicht erlebt hat, könnte es sein, dass die Beschreibungen eher böhmische Dörfer sind. Die amerikanischen 80er sind durch die Medien auch jüngerem Publikum noch heute sehr präsent, was man von den 80ern in der BRD nicht behaupten kann. Hat man aber einen Bezug zu der Zeit, kommt Nostalgie auf jeden Fall auf.

Der Loop im Westen

Der Taunus-Loop und die Umgebung werden im zweiten Kapitel beschrieben. Im Gegensatz zum amerikanischen Loop in Boulder City am Hoover Damm und mit direkter Nähe zu Las Vegas, sind die Voraussetzungen in Deutschland gänzlich anders. Der Loop fand einigen Widerspruch bei den Besatzungsmächten und die politische Lage sowie das Misstrauen den Deutschen gegenüber ist deutlich zu spüren.

Die Region ist von vielen kleinen Ortschaften durchzogen, wodurch eine dörfliche Atmosphäre entsteht. Bewirtschaftet wird der Loop von der Königskron GmbH und ein paar ihrer wichtigsten Persönlichkeiten sind ebenfalls beschrieben: darunter Militärs, Forscher und Politiker – und die Schulleiterin des konzerngeförderten Gymnasiums.

Die Entscheidung, den Loop im Taunus zu platzieren, wirkt an vielen Stellen schlecht nachvollziehbar. So musste für den modernen Reaktor zum Beispiel ein künstlicher See angelegt werden und sich durch den Taunus zu graben, ist bestimmt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Es gibt zwar Argumente dafür (Spionage- und Katastrophenschutz durch den Abstand zur Grenze zum Beispiel), aber in Bezug auf die Standortfaktoren ist die Lage des deutschen Loops insgesamt weniger gut begründet als die des schwedischen oder des US-Loops.

Vielleicht liegt es daran, dass Ulisses seinen Sitz in Waldems hat und so die Umgebung besonders gut und glaubhaft darstellen konnte, was durchaus gelungen ist. Die Chance darauf, den Ost-West-Konflikt mit einem grenznahen Loop zu manifestieren, wurde aber verschenkt, auch wenn auf das Gespenst DDR-Loop verwiesen wird.

 

Im zweiten Kapitel findet sich außerdem die sogenannte Mysterienlandschaft, ein Konzept, das bereits aus dem Grundregelwerk bekannt ist. Im Prinzip handelt es sich um Plothooks, die neben einer Kampagne genutzt werden können oder eine solche ergänzen. Dabei gibt es Orte wie den Musik-Club Vox von Martin Adler, der als Disco vielen Jugendlichen und auch Kindern bekannt sein könnte. Oder der verlassene und baufällige Bauernhof könnte die Aufmerksamkeit der Kinder erregen, denn hier finden oft Mutproben statt. Außerdem ist seit einiger Zeit etwas mit dem Kornspeicher seltsam.

Die Orte der Mysterienlandschaft eignen sich hervorragend, um den Kindern spannende kleine Abenteuer zu präsentieren, manchmal ergeben sich daraus sogar ganze Kampagnenstränge. Es gibt immer eine Ortsbeschreibung, ein bisschen Hintergrundwissen und Beschreibungen der Auswirkungen des Mysteriums. Relevante Personen werden beschrieben. Zu detailliert sollten solche Beschreibungen sowieso nicht sein, da Tales from the Loop vorsieht, dass Spielende den Ort der Kinder aktiv mitbeschreiben und -gestalten.

Die Ideen aus Deutschland in den 80ern sind interessant und passen gut in das Setting. Abschließend wird die Kampagne „Kaiserspiel“ eingeführt, die die letzten vier Kapitel des Buches füllt.

Kaiserspiel

Auf Spoiler soll an dieser Stelle größtenteils verzichtet werden, wer aber ganz und gar unbefangen ins Kaiserspiel starten möchte, sollte diesen Teil des Artikels trotzdem überspringen.

Die Kampagne Kaiserspiel umfasst ganze vier Kapitel und nimmt damit zwei Drittel des Buches ein. Man kann gut acht oder zehn Spielsitzungen damit verbringen, das Mysterium zu lösen. Zu Beginn werden die Kinder vorgestellt, also im Setting verankert, hierfür gibt es einige Vorschläge für mögliche Szenen. Diese sind durchdacht und mit der Kampagne mehr oder weniger dicht verwoben, was den Einstieg erleichtert und die Kampagne am Ende sicherlich abrundet.

Auch der Taunus-Loop hat die ikonischen Kühltürme.
Auch der Taunus-Loop hat die ikonischen Kühltürme.

Der weitestgehend lineare Aufbau des ersten Abenteuers der Kampagne ist untypisch für Tales from the Loop, da vorherige Abenteuer in der Regel eine Vielzahl an Kombinationen der verschiedenen Schauplätze zulassen. Die anderen drei Abenteuer machen das aber besser, teils sogar verwirrend komplex.

Die verschiedenen Schauplätze sind ordentlich beschrieben und immer finden sich die Abschnitte „Ärger“ und „Hinweise“, womit alles gut strukturiert wird. Ein Beispiel hierzu findet sich in der Spoilerbox.

Hinter der Fassade

Im zweiten Mysterium gibt es einen Spielwarenladen, der von der freundlichen Frau Engel geführt wird. Frau Engel ist nicht komplett ausgearbeitet, hier kommen also die Spielenden zum Zug, sie im Aussehen und Verhalten genauer zu definieren. So gestalten sie die Spielwelt mit und sind allgemein involvierter. Eine Grundriss-Skizze zeigt den kleinen Laden mitsamt Lager, Pausenraum und Laderampe.

Im Abschnitt „Ärger“ wird beschrieben, wie die Kinder die Situation im Laden einschätzen können, welche Proben sie brauchen, um sich ungesehen umzuschauen und wie sich das Scheitern eines solchen Versuches auswirkt.

Hinweise, die sie einen Schritt näher an die Lösung des Mysteriums heranführen, finden sich im gleichnamigen Abschnitt. So können die Kinder zum Beispiel die Lieferintervalle der gefragten Werbekuscheltiere, der Loop-Bärchies, herausfinden und noch einiges mehr.

Mit wenig Aufwand kann aus diesen Beschreibungen und mit Hilfe der Karte eine schöne Szene für die Kinder geschaffen werden, in der sie sich austoben können. Was die Geschehnisse im Spielwarenladen, dessen Namen sich die Spielenden ebenfalls am besten selbst ausdenken, mit der Kampagne oder dem Abenteuer zu tun haben, verraten wir an dieser Stelle aber nicht.

[Einklappen]

Auf einer kleinen Karte der Taunus-Region werden wichtige Schauplätze markiert, einige Gebäude sind auf dem typischen Karopapier aufgemalt und NSC und Kreaturen finden sich am Ende der jeweiligen Abschnitte. Die einzelnen Abenteuer lesen sich spannend und sind sehr stimmig. Mit verschiedenen Countdowns wird es spannend gehalten und wie die kleinen Geschichten enden, kann ganz unterschiedlich sein. Es wurde sich bei der Gestaltung gut am Grundspiel orientiert und so entsteht in dieser Kampagne das typische Gefühl von Tales from the Loop.

Erscheinungsbild

Deutschland in den 80ern ist ein festes Hardcover mit atmosphärischem Coverbild. Die vier abgebildeten Kinder tragen bunte Jacken und auch die ikonische Latzhose darf neben den Converse nicht fehlen. Ein Fahrrad liegt im Gras, daneben lehnen Schulranzen an einer alten Steinmauer, über die die Kinder ihren Blick auf die Kühltürme des Taunus-Loops werfen. Man erkennt die Kopfhörer eines Walkmans oder ähnlichen Noname-Modells und ein tragbares Gerät mit Funkantenne.

Dem Stil von Tales from the Loop bleibt auch Deutschland in den 80ern mit den orangenen Überschriften und Kapiteleinteilungen treu. Die Texte werden immer wieder durch Hinweis-Boxen im Stil von Schreibmaschinenabschriften unterbrochen oder mit anderen Elementen aufgelockert. Einige NSC und Kreaturen wurden illustriert, wobei lediglich die Veränderung des Zeichenstils zum Grundregelwerk irritiert. Die Beschreibungen der Charaktere sind in einer anderen Schriftart abgedruckt, um sie auch visuell abzusetzen.

 

Eine Karte des Gebietes des Taunus-Loops schmückt den Anfang und das Ende des Quellenbandes, kleinere Kartenausschnitte sind in den Abenteuerabschnitten zu finden. Die Seiten des A4-Buches sind fest, aus ungestrichenem Papier und fühlen sich angenehm in der Hand an. Gestalterisch ist Deutschland in den 80ern ein sehr ausgewogenes Produkt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele
  • Autor*in(nen): Thomas Michalski et. al.
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Druck
  • Seitenanzahl: 112
  • ISBN: 978-3-96331-508-4
  • Preis: 29,95 EUR (Hardcover), 14, 99 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Leider sind die Grundrisse nicht als separate Handouts im Buch abgedruckt und es gibt auch keine digitalen Downloads auf der Seite von Ulisses.

Die Karte des Taunus-Loops ist als PDF für 0,99 EUR und die gedruckte Version im A2-Format für 4,99 EUR erhältlich.

Fazit

Im Quellenband Deutschland in den 80ern für Tales from the Loop spielt man Kinder in einer spannenden Zeit, die durch das fiktive Element der Loop-Technologie erweitert wurde. Statt der amerikanischen oder schwedischen Jugend widmet man sich den Kindern im geteilten Deutschland. Unter dem Damoklesschwert eines Atomkrieges und dem Ende der Welt erleben die Kinder eine recht sorgenfreie Zeit, in der die Frage nach dem besten Brausepulver (Waldmeister!) dringlicher ist als nach der politischen Realität.

Die idyllische Landschaft des Taunus.
Die idyllische Landschaft des Taunus.

Ulisses beschreibt in einem gut gestalteten Quellenband das geteilte Deutschland. Ein Deutschland mit solidem Wohlstand, voller Widersprüche und Misstrauen – sowohl von und zu anderen als auch untereinander. Die beschauliche Taunus-Idylle, in der der Loop platziert wurde, kann viele spannende Geschichten bieten, wenngleich auch die Chance auf eine Ost-West-Thematik liegengelassen wurde. Stattdessen wird die DDR am Rande oder als Gespenst behandelt.

Die spannende Kampagne ist umfangreich, orientiert sich gut am bisher vorhandenen Material und lässt jene nostalgisch zurückblicken, denen die 80er noch in Erinnerung sind. Ob es auch andere packt, ist fraglich. Trotz der Nische handelt es sich bei Deutschland in den 80ern um einen gelungenen Quellenband.

  • Gute Erweiterung der Spielwelt
  • Spannende Kampagne
  • Schöne Gestaltung
 

  • Vergebene Chance bei der Loop-Position
  • Wirkt nur mit persönlichem Bezug zu den 80ern

 

Artikelbilder: ©Ulisses Spiele
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Giovanna Pirillo
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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