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Wie kann man Erzählspiele möglichst einfach denen näherbringen, die noch nie etwas davon gehört haben? Mit einem filmischen Spielbuchansatz versucht sich Sascha Wagner mit seinen Kopfkinos genau daran. Im zweiten Band der Reihe geht es um die Jagd auf Böse Biester.

Rollenspiele so einfach zugänglich zu machen wie möglich und Menschen für das interaktive Erzählen begeistern. Autor Sascha Wagner hat zu diesem Zweck eine kleine Reihe gestartet: Kopfkinos. Kopfkinos sind eine Mischung aus Rollenspiel und Film, eine Art Spielbuch mit freien Passagen. Der Autor beschreibt es als eine Mischung aus For the Queen und Fiasko, das ein völlig anderes Spielerlebnis bietet.

Bisher sind zwei Kopfkinos erschienen: 1000 Seelen weit: Letzte Zuflucht und Böse Biester: Erlösung. Für diese Rezension wurde ein „Böses Biest“ gejagt.

Die Spielwelt

„Mach dir deinen eigenen Film-Blockbuster!“

 Kopfkinos haben keine einzelne vorgefertigte Spielwelt, stattdessen geben sie mehrere Möglichkeiten, das Thema der Ausgabe zu erleben. So kann man im zweiten Kopfkino böse Biester in sechs verschiedenen Settings jagen: von Fantasy bis Märchen. Für den Spieltest wurde das Western-Setting „Whiskey & Rauchende Revolver“ gewählt.

Der Einführungstext steckt den Rahmen, und durch die Verbindung zum Medium Film hat man typische Klassiker der entsprechenden Genres im Kopf. So denkt man beim Western-Setting schnell an Spiel mir das Lied vom Tod oder eine humorvolle Parodie wie Vier Fäuste für ein Halleluja. Vielleicht mischt man auch Genres und versetzt sich in die Space-Western-Welt von Bravestarr.

Durch die vielen Möglichkeiten bei der gemeinsamen Erstellung der Welt kommt es im Verlauf der Texte immer wieder zu Ungenauigkeiten, die von der vorlesenden Person ausgeglichen werden müssen. Nichtsdestotrotz macht der gemeinsame Weltenbau Spaß, und die verschiedenen Settings bieten einen guten Wiederspielwert.

Die Regeln

„Hilf mir!

Deine Filmfigur findet einen NSC, der stark verletzt, infiziert oder verwirrt ist: Was genau ist es?

Rette sie!“

Es ist denkbar einfach, das Kopfkino zu spielen, denn man braucht lediglich 2W6 (oder eine digitale Alternative), drei Marker pro Spielenden und einen kleinen Zettel samt Stift. Ein Kopfkino ist für zwei bis sechs Spielende ausgelegt.

Bevor es losgeht, entscheidet man sich gemeinsam für eine „Altersfreigabe“, womit man sich auf einen Spielstil festlegt. Wie gewalttätig darf es sein, gibt es Grusel oder sexuelle Inhalte? Auf der R-Rating-Stufe (18+) darf Drogenkonsum vorkommen und Horror – auch mit sexualisierten Handlungen. Trotzdem wird separat darauf hingewiesen, dass es vom System her Tabuthemen gibt. Darunter fallen auch Vergewaltigungen, Tierquälerei oder Diskriminierung aufgrund verschiedener Faktoren.

Das Spiel teilt sich in sechs Spielrunden: drei Plot- und drei Action-Runden, die sich jeweils abwechseln. In Plot-Runden beantworten die Spielenden Fragen und beschreiben Szenen mit ihren und anderen Charakteren. Das geschieht nacheinander und mit unterschiedlichen Fragen, die man wählt oder auswürfelt.

Für Action-Runden versammeln sich alle Charaktere an einem Ort und bestreiten immer zu zweit eine Aufgabe – auch diese wird ausgewürfelt oder gewählt. Die beschriebene Szene wird durch andere Mitspielende erschwert, indem sie Hindernisse erzählerisch einbauen. Ist alles beschrieben, würfelt man 1W6: 1+2 führen zum Scheitern, 3+4 sind knappe Erfolge, die den Charakter etwas kosten, und bei 5+6 ist man auf ganzer Linie erfolgreich. Gelingt die Aufgabe in der Action-Runde, erhält man eine Münze für die Spielrunde. Je mehr Münzen man hat, desto besser verläuft das Finale.

Im großen Finale erzählen alle Spielenden ein ganz persönliches Ende, bevor durch die erspielten Marker ein Twist in die Geschichte kommt. Alles ist sehr frei und schnell verständlich. Die einzige Entscheidung vor dem Spielstart ist, eine Person zu bestimmen, die vorliest.

Charaktererschaffung

Vor der eigenen Filmfigur legt man die eigene Gemeinschaft fest, wo und wie sie lebt und welches Biest diese bedroht. Aus sechs verschiedenen Rollen wählt man eine aus – das ist dann je nach Setting beispielsweise ein Meister-Schmied, eine Magd, ein Android oder der Geist einer Universalgelehrten –, schreibt sich einen Namen und ein Alter auf das Blatt Papier und legt Beziehungen zu den anderen Spielenden fest. Danach kommen noch ein paar interessante Orte dazu, die im Spiel als Schauplätze dienen können. In wenigen Minuten kann es losgehen.

Spielbericht

„Vorhang auf!

Es gibt einen Ort, an dem sich das Böse eingenistet hat. Die Bestie und ihr Gefolge aus Biestern und Handlangern richten schreckliches Unheil an. Wir müssen das Nest finden und das Grauen vernichten, wenn wir unser Zuhause retten wollen.“

Der Spieltest sollte im Wilden Westen spielen, und das bekannte Kartenspiel Bang! diente als Inspiration für das Setting.

Aufblende, Westernmusik.

In der Wildwest-Kleinstadt Tombstone leben knapp 100 Personen. Es gibt eine Kirche und einen Saloon, einen Laden und eine einzige Kreuzung. Der brutale Revolverheld Clay Miller bedroht mit seiner Bande die friedlichen Bürger*innen. Sieben knallharte Ganov*innen, die ihm treu ergeben sind und allen das Leben schwermachen.

Der alte Barkeeper John und die etwas jüngere Kleinkrämerin Janette geraten immer wieder in Konflikte mit den Häscher*innen Millers. Beide kennen sich schon seit Jahren, da sie zeitweise auf der gleichen Farm lebten. Diese Farm wurde von der Gang zerstört, doch reichte das nicht aus, um die Angst zu überwinden und sich zur Wehr zu setzen.

Während eines Angriffs wird die Ladentür der Kleinkrämerin Janette beschädigt und einige Sachen gestohlen. Die Reparatur gelingt nicht, weil Janette noch mit Vorurteilen zu kämpfen hat, sodass ihr niemand helfen will: eine Frau allein als Ladenbesitzerin? Zu allem Überfluss beschädigen einige Querschläger auch noch den Wasserturm, und das Trinkwasser droht zu verunreinigen. Um das zu verhindern, müssen die Löcher geflickt und der Turm insgesamt instandgesetzt werden. Durch einige Missgeschicke ergießt sich aber gut die Hälfte des Reservoirs dabei sinnlos auf die Kreuzung.

Kurz darauf macht das Gerücht vom Glücks-Goldnugget die Runde. Janette ist davon fasziniert. John könnte dieses Nugget gebrauchen, denn seit einiger Zeit kommt er nicht mehr an den guten Fusel ran – Miller blockiert die Handelsroute zur Nachbarstadt. John ist kurz davor, Tombstone zu verlassen. Warum er bleibt, weiß er selbst nicht so genau, aber das Notfall-Dynamit, das er sich zugelegt hat, hält er seitdem immer bereit.

Immer mehr Unmut macht sich unter den Bewohner*innen von Tombstone breit, und so kommt es nun auch zu ersten Verletzten. Es gelingt kaum noch, die Ruhe zu bewahren. Dann findet John heraus, dass die Gang sich in der alten Mine verschanzt hat – und zum Glück kennt Janette einen Hintereingang. Sie glaubt außerdem fest daran, dass das Nugget in der Mine ist und alles zum Guten wenden kann.

„Unsere Filmfiguren haben geschwitzt, geblutet, alles gewagt. Wir sind bis ins Nest, das Herz des Bösen vorgedrungen: Werden wir es vernichten und erlöst sein? Welche Opfer müssen wir noch bringen?“

Erschöpft von den Angriffen, wütend über Miller und doch hoffnungsvoll schleichen sich Janette und John zur Mine. Sie werden von einer Gruppe ehemaliger Minenarbeiter*innen unterstützt, die sich erhoffen, danach wieder eine ordentliche Arbeit zu haben. Leider sind Minenarbeiter*innen nicht gut im Einbrechen, und der Überraschungsangriff durch den Geheimtunnel misslingt. Die wilde Schießerei endet darin, dass John und Miller in einen Minenschacht stürzen, der kurz darauf von einer Explosion erschüttert wird: das Dynamit! John hat sich geopfert und Tombstone ist endlich von Miller und seiner Bande befreit.

Abspann.

Post-Credit-Szene: Janette steht in ihrem Laden. Durch die frisch reparierte Tür kommt eine Lieferung Fässer mit gutem Fusel. Darauf liegt ein Zettel mit einem Gruß von einem alten Freund.

Ende.

Erscheinungsbild

Das Kopfkino ist ein sehr einfaches E-Book: Das Cover ist auch das einzige Bild im ganzen Band. Danach folgen die Texte mit Verlinkungen zu den entsprechenden Stellen. „Regieanweisungen“ sind in drei Pluszeichen auf jeder Seite gefasst und vorzulesende Texte kursiviert.

Dadurch, dass die Texte der jeweiligen Seiten nicht besonders lang sind und es viele Absätze gibt, lesen sich die relevanten Passagen gut herunter. Einige Schreib- und Anschlussfehler (vor allem durch die einzusetzenden Begriffe aufgrund der verschiedenen Szenarien) schmälern das Gesamtbild. Es traten keine Verlinkungsfehler auf, sodass man ordentlich spielen konnte und gut durch die verschiedenen Spielphasen geführt wurde.

Insgesamt ist das E-Book eine grundlegend solide Arbeit.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Weltenfisch – Werkstatt für Kopfkinos
  • Autor*in(nen): Sascha Wagner
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: eBook (EPUB)
  • Seitenanzahl: 114
  • ISBN: 9783947364442 (EPUB), 9783947364459 (mobi)
  • Preis: 5,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon

Fazit

Das Kopfkino ist kein Hochglanzprodukt, sondern die Leistung eines einzelnen Autors, der für kleines Geld eine eigene Herangehensweise an das Hobby Rollenspiel bieten will. Der filmische Spielbuch-Ansatz funktioniert gut, und trotz einiger Fehler in den Texten kann man viel Spaß damit haben.

Die Regeln sind schnell erklärt, und eine Charaktererschaffung findet lediglich erzählerisch statt. Der klare Aufbau und die Fragen geben eine gute Struktur für Anfänger*innen und lenken die Geschichte in eine Richtung. Es ist ordentlich Improvisationstalent gefragt, wenn man spielt.

Für knapp sechs Euro erhält man eine witzige kleine Idee, die es sich lohnt, mal angeguckt zu haben – gerade für Einsteiger*innen. Für erfahrene Rollenspieler*innen ist ein Kopfkino die sehr abgespeckte Version eines Rollenspiels, kann für Reisen aber eine gute Alternative sein, da weder viel Platz noch Material gebraucht wird. Nach einigen Durchläufen erschöpft sich der Wiederspielwert natürlich.

  • Für Anfänger*innen geeignet
  • Wenige Regeln
 

  • Schreib- und Anschlussfehler
  • Viel Improvisationstalent gefragt

 

Artikelbilder: Cover-Illustration: ©Gordon Johnson, Cover-Gesamtdarstellung: ©Sascha Wagner | Weltenfisch-Werkstatt
depositphotos ©digitalstorm
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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