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Daedalics erstes PC-Adventure im Universum des Schwarzen Auges, Satinavs Ketten, war bei vielen DSA-Fans beliebt. Die Geschichte um den jungen Andergaster Geron, der eine Fee retten und einen finsteren Magier und seine Armee von Krähen aufhalten musste, überzeugte mit interessanten Charakteren, einer liebevoll gezeichneten Welt und einem guten Mix aus düsterer Unterhaltung und typischer DSA-Atmosphäre.

In unserem umfassenden Vorab-Interview versprachen die Hamburger Entwickler eine noch epischere Geschichte und die angemessene Fortführung des Cliffhanger-Endes aus Satinavs Ketten. Und tatsächlich: Memoria ist ein tolles Spielerlebnis geworden. Ganz ohne Makel ist das Adventure aber dennoch nicht.

Anders als der Vorgänger Satinavs Ketten ist Memoria zwar auch über Steam erhältlich, aber in der Box-Version nicht zwangsweise mit einem Steam-Account verknüpft. Das Spiel hat ein Erfolgssystem, das anscheinend vorrangig für Steam entworfen wurde, aber auch in der Nicht-Steam-Version enthalten ist.

Von Andergast nach Drakonia

Wer Satinavs Ketten gespielt hat, erinnert sich: Am Ende des ersten Teils wurde Gerons Feen-Freundin Nuri in einen Raben verwandelt. Ein Problem, für das der Andergaster Vogelfänger trotz diverser Versuche keine Lösung gefunden hat – bis er auf den fahrenden Händler Fahi trifft. Der Tulamide bietet Geron an, Nuri zurückzuverwandeln. Dafür soll Geron ihm helfen, ein Rätsel zu lösen, das zur Zeit der Magierkriege begann.

Dieses Rätsel dreht sich um eine Prinzessin dieser Zeit. Ihr Name ist Sadja – und ihr Ziel war, für immer in die Geschichte einzugehen. Zu diesem Zweck bereiste sie den Raschtulswall, suchte die Elementar-Festung Drakonia und wollte an der Schlacht in der gorischen Wüste teilnehmen. Doch dann verschwand sie spurlos.

Nun hat Geron drei Tage Zeit, um ihr Schicksal aufzuklären. Gleichzeitig muss er den Tulamiden vor den Übergriffen der abergläubischen Andergaster bewahren. Denn mit der Ankunft des Händlers ist auch eine mysteriöse Bedrohung aus dem Nebel der Geschichte aufgetaucht …

Memorias Schauplätze sind wunderschön gezeichnet und spannend gestaltet.
Memorias Schauplätze sind wunderschön gezeichnet und spannend gestaltet.

Hervorragende Geschichte, schwaches Ende

Eines muss man den Entwicklern bei Daedalic lassen: Geschichten schreiben können sie. Man muss nur einmal darauf schauen, wie differenziert die Charaktere behandelt werden. Da ist Geron, der einerseits aus Liebe handelt, andererseits aber auch zum Egoismus neigt. Da ist Sadja: intelligent, kompetent, aber auch rücksichtslos und getrieben von einer düsteren Vergangenheit. Da ist der Händler Fahi, der sympathisch wirkt – und dennoch etwas verbirgt. Selbst Nebencharaktere (wie eine aus dem ersten Teil bekannte Schankmaid) haben ihre unschönen Geheimnisse.

Die Storyline überrascht mit Wendungen, die man als Spieler nicht erwartet hätte. Sadjas Motivation zum Beispiel, die Natur des Rätsels, Nuris Rabengestalt – all das entwickelt sich im Spiel völlig anders als gedacht. Das motiviert ungemein zum Weiterspielen. Leider enttäuscht (wie schon beim Vorgänger) das Ende. Hier hat es erneut zu nicht mehr als einem Cliffhanger gereicht.

Insgesamt ist die Geschichte sehr linear gehalten. Das ist – wegen des Zeitebenenwechsels – auch nötig, dürfte aber den Fans freier Adventure-Welten à la Day of the Tentacle weniger gefallen. Die von den Entwicklern im Interview erwähnten multiplen Enden laufen auf eine einzige Entscheidung hinaus – die zudem die Fans stark spalten dürfte.

Somit bietet das Adventure kaum Wiederspielwert (was andererseits bei Adventures auch selten das Ziel ist). Dafür gefällt der Kontrast zwischen dem „langweiligen“ Andergast (das natürlich immer noch viel zu entdecken bietet) und dem epischen Zeitalter der Magierkriege. Die Geschichte wechselt immer wieder zwischen den beiden Zeitebenen, um diese dann am Ende zusammenzuführen. Etwa 12 Stunden braucht man dafür, wenn man alle Rätsel selbst lösen will.

Gedankenmanipulation per Zauberstab

An diesen Rätseln haben die Entwickler im Vergleich zum Vorgänger einiges weiterentwickelt. So gibt es jetzt mehr Magie, denn Sadja erhält Unterstützung von einem sprechenden Zauberstab. Das eröffnet neue Möglichkeiten, zum Beispiel die gezielte Versteinerung von Objekten und die Manipulation von Gedanken.

Die anderen Puzzles können sich ebenfalls sehen lassen. Ob man zu Beginn mit Sadja die steinernen Wächter einer Gruft manipulieren muss, sich mit Geron zu einem Tatort schleicht, oder (wieder mit Sadja) zwischen dämonischen Tentakeln die Schwerkraft manipuliert – stets sind die Gehirnzellen gefragt.

Allerdings sind die Gedanken der Entwickler dabei nicht immer nachvollziehbar. So fragt man sich zum Beispiel, warum ein gewisser müder Bote nur auf eine einzige Art zum Einschlafen zu bringen ist. An anderen Stellen sind die Gebiete so klein, dass die Lösungen geradezu auf der Hand liegen. Die erwähnten Gedankenmanipulationen löst man als Spieler sogar oft einfach per Try-and-Error.

Dass der Spieler dennoch bei der Stange bleibt, liegt an den vielen Dialogen, die sich durch die Kombination der herumgetragenen Gegenstände ergeben. Hier zeigt sich, dass auch ein episches Abenteuer nicht ohne Witz auskommen muss. Gerade Sadjas Zauberstab zeigt sich oft als sarkastisch-humorvoller Begleiter.

Sadja sucht den Weg zum Ruhm, findet aber vor allem viele Gefahren.
Sadja sucht den Weg zum Ruhm, findet aber vor allem viele Gefahren.

Eine stimmungsvolle Atmosphäre

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Natürlich hilft es, dass die Dialoge professionell vertont wurden. Zum größten Teil schaffen es die Sprecher, die Stimmung der Figuren glaubhaft zu vermitteln. Allerdings gibt es hier und da Szenen, in denen man die nötigen Emotionen vermisst. Erfreulich für Spieler von Satinavs Ketten: Die Stimmen der Sprecher aus dem ersten Teil wurden übernommen und sorgen so für Kontinuität.

Zur Stimmung trägt auch der Soundtrack bei. Dieser wechselt von mystisch-orientalischen Klängen zu gemütlicher Musik in Andergast, von bedrohlich-dämonischen Tönen bis hin zu dem Stück aus diesem Trailer, das aufgrund seiner Verwendung im Spiel für echte Gänsehaut-Stimmung sorgt. Leider brechen die Stücke gelegentlich in den Szenen einfach ab. Das hätte man besser lösen können.

Der wichtigste Atmosphäregarant ist aber erneut die Grafik des Spiels: Liebevoll gezeichnete Hintergründe und Charaktere ziehen mit ihrem ganz eigenen Stil in die Welt Aventuriens hinein. Besonders in den Dialogszenen wird deutlich, wie sehr die Entwickler um Fortschritte gegenüber Satinavs Ketten bemüht waren: Die Dialoge passen nun genau zu den Lippenbewegungen, auch wirken die Figuren lebendiger. Leider wurde auch die Anzahl der Dialogszenen gegenüber dem Vorgänger verändert: Es sind nun weniger.

Ansonsten können sich Spieler über den Kontrast zwischen Magiermogul-Gruft und aventurischer Kleinstadt, zwischen Wald und weltbekannter Magierfestung freuen. Gelegentlich wechselt der Stil fast in Lovecraftsche Horror-Dimensionen, nur um dann wieder vertraute Marktatmosphäre zu bieten. Besonders beeindruckend: Die weiten Hallen der Elementarfestung Drakonia. Leider wirken die verschiedenen Orte wie im Vorgänger etwas menschenleer.

Ein persönlicher Kritikpunkt zum Schluss: Daedalic hat bei manchen Spielsequenzen nicht das richtige Timing getroffen. Die Eröffnungsszene, in der sich Sadja mit ihren Begleitern durch eine Gruft kämpft, hat definitiv die richtigen Zutaten, aber wirkt gerade beim Title-Drop ungeschickt zusammengesetzt. Dieses mangelnde Timing findet sich auch hier und da in den Dialogsequenzen.

Fazit

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Trotz all den Kleinigkeiten, welche man an Memoria bemängeln kann: Daedalic hat ein wirklich spannendes und gutes Adventure abgeliefert. Sicher, gelegentlich wirken die (eigentlich guten) Sprecher unmotiviert, dann wieder wirkt eine Sequenz zusammengestückelt – und auch das Ende bietet zwar gleich zwei Abschlüsse, aber wirklich befriedigend ist keiner von ihnen. Es scheint, als würde Daedalic bereits eine weitere Fortsetzung planen, denn vom Cliffhanger-Potential kommt Memoria durchaus an Satinavs Ketten heran.

Aber das sind Kleinigkeiten, die aus Memoria statt einem reinen nur einen ungeschliffenen Diamanten machen (oder besser gesagt, einen ungeschliffenen Rubin). Ein kleiner Edelstein des Adventure-Genres ist das Spiel so oder so.

Die liebevoll gestalteten Landschaften, die interessanten Charaktere, die abwechslungsreichen Puzzles und die tragischen und unerwarteten Wendungen in der Geschichte – all das macht Memoria zu einem Fest für DSA-Fans. Und auch andere Adventurespieler können hier bedenkenlos zugreifen, solange sie sich nicht an der Linearität des Spiels stören. Es bleibt zu hoffen, dass Daedalic uns auch mit ihrem nächsten Spiel in der Welt des Schwarzen Auges derart verwöhnen: Das Taktik-RPG Blackguards erscheint am 19. November 2013.

Daumen4Maennlich

 

Artikelbilder: Daedalic Entertainment

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