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Im verschlafenen Haven Springs wollte Alex einen Neuanfang wagen und die Vergangenheit hinter sich lassen. Aufgrund ihrer mysteriösen Fähigkeiten ist dies beileibe kein leichtes Unterfangen. Als jedoch ein zweifelhafter Unfall ihre Welt aus den Fugen reißt, muss Alex alle Register ziehen und über sich hinauswachsen.

Life is Strange ist eine Singleplayer-Videospielreihe, die von Square Enix veröffentlicht wird. Während der gleichnamige erste Teil der Reihe sowie Life is Strange 2 von Dontnod Entertainment entwickelt wurden, wurde das zwischen beiden Spielen veröffentlichte Prequel Life is Strange: Before the Storm von Deck Nine ins Leben gerufen. Das amerikanische Studio ist auch für den neusten Teil der Graphic-Adventure-Reihe verantwortlich: Life is Strange: True Colors.

Alex Chen ist die Protagonistin von True Colors.

Während frühere Ableger des Franchise episodenweise veröffentlicht wurden, erscheint True Colors an einem Stück. Der Titel ist seit dem 10.09.2021 für PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One sowie Xbox Series X und S erhältlich.

Kann das farbenfrohe Abenteuer der Protagonistin Alex Chen an den Erfolg früherer Publikationen des Franchise anschließen?

Von Neuanfängen und Emotionen: Ausgangssituation und Handlungsverlauf

Alex Chen ist eine junge, asiatisch-amerikanische Frau, die in Haven Springs, Colorado, ein neues Leben beginnen möchte. Hierfür reist sie aus Portland an. Mit diesem Neustart versucht Alex, ihre schwierige Kindheit, die sie in Kinderheimen und Pflegefamilien verbrachte, hinter sich zu lassen. Eine große Hilfe soll dabei ihr großer Bruder Gabe sein, der sie mühevoll ausfindig gemacht hat und bei dem sie einzieht. Neben den Dämonen ihrer Kindheit und Jugend muss Alex sich einem weiteren Problem stellen: ihrer Fähigkeit, die starken Emotionen ihrer Mitmenschen in Form einer farbigen Aura zu sehen und von diesen beeinflusst zu werden. Das bedeutet, dass diese Emotionen wie die eigenen gefühlt werden und entsprechende (Negativ-)Konsequenzen mit sich bringen.

Alex und Gabe haben sich viele Jahre nicht gesehen; es gibt viel zu bereden.
Alex und Gabe haben sich viele Jahre nicht gesehen; es gibt viel zu bereden.

Als Gabe, wie bereits die Produkt- und Klappentexte des Titels verraten, bei einem vermeintlichen Unfall ums Leben kommt, macht Alex sich auf die Suche nach der Wahrheit. Dabei lernt sie, ihre Fähigkeiten zu akzeptieren und gezielter einzusetzen. Gemeinsam mit ihren neuen Freund*innen Ryan und Steph begibt Alex sich in ein spannendes wie auch gefährliches Abenteurer voller Emotionen und gewichtiger Entscheidungen. Darüber hinaus sind kleine Nebenstränge der Handlung, quasi Sidequests, vorhanden: So kann Alex beispielsweise einem Mann in Haven Springs dabei helfen, seinen verlorenen Hund wiederzufinden, oder zwei heimlich Verliebten den Schubs in die richtige Richtung geben.

Life is Strange: True Colors schreckt vor prekären Themen wie beispielsweise psychischen Erkrankungen, toxische Beziehungsmustern oder den Verlust eines geliebten Menschen nicht zurück. Eine Szene im zweiten Kapitel des Spiels hat die Autorin dieses Artikels besonders bewegt. Aufgrund der enthaltenen Spoiler ist sie im nachfolgenden Kästchen beschrieben.

Spoiler

Eleanor ist die herzliche Besitzerin eines Blumengeschäfts in Haven Springs und die Großmutter von Riley. Als Alex nach einem kurzen Besuch des Geschäfts dieses verlassen möchte, spürt sie eine plötzliche, starke Angst in Eleanor aufsteigen. Um ihr zu helfen, lässt Alex sich auf die Emotionen der Blumenhändlerin ein und es gelingt ihr, die Welt durch ihre Augen zu sehen: Vor den Fenstern des Geschäfts versinkt alles in Nebel, die Zahlen fallen aus der Uhr, das Gesicht eines geliebten Menschen verschwimmt auf einem Foto. Alex lernt, dass Eleanor unter Alzheimer leidet. Dies sorgt dafür, dass sie etliche Dinge vergisst und ihre Welt zusammenschrumpft. Sie fürchtet sich vor ihrem eigenen gesundheitlichen Zustand, aber auch davor, dass andere – vor allem Riley – herausfinden, was mit ihr nicht in Ordnung ist. Diese Angst wirkt sich lähmend auf sie aus.

Es gelingt Alex, Eleanor aus diesem Angstmoment zu führen.

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Willkommen in Haven Springs: Spielwelt und Charaktere

Haven Springs ist ein idyllisches Bergbau-Städtchen in Colorado. Der Ort ist von unberührter Natur umgeben und gestattet es dank seiner Größe, dass die Menschen, die hier leben, einander persönlich kennen. Herz von Haven Springs ist die Black Lantern, eine Bar, in der Alex‘ Bruder Gabe als Barkeeper arbeitet. Praktischerweise wohnt er direkt über dem Etablissement.

Obgleich er selbst zugezogen ist, wird er im Ort sehr geschätzt und hat viele Freund*innen. Hierzu zählen unter anderem der Besitzer der Bar, der ruhige, aber väterliche Jed, dessen Sohn Ryan, die hiesige Radiomoderatorin Steph und die Blumenverkäuferin Riley, der er sogar bei ihren Bewerbungen hilft. Darüber hinaus ist Gabe mit der Künstlerin Charlotte liiert, für deren Sohn Ethan er eine Vaterrolle einzunehmen versucht. An diese engen, zwischenmenschlichen Verbindungen kann Alex vor und nach Gabes Unfall anknüpfen. True Colors bietet sogar die Möglichkeit, eine romantische Beziehung einzugehen.

Partners in crime: Alex‘ Freund*innen Steph und Ryan.
Partners in crime: Alex‘ Freund*innen Steph und Ryan.

Alex wirkt zu Beginn in sich gekehrt und unsicher. Sie ist von einer schwierigen Vergangenheit gezeichnet, befindet sich an einem fremden Ort voller fremder Gesichter und fürchtet, dass ihre seltsamen Fähigkeiten ihr Ärger bereiten. Allerdings lässt Alex sich nicht auf die Opferrolle ein; vor allem im späteren Handlungsverlauf präsentiert sie sich als selbstbewusst, willensstark und zielorientiert. Sie zeigt, dass sie austeilen kann – verbal, emotional und physisch.

Spielenden fällt es aufgrund innerer Monologe, beispielsweise beim Interagieren mit Alex‘ Umwelt, leicht, mit der Protagonistin zu sympathisieren. Sie erscheint mit all ihren Stärken und Schwächen menschlich und realitätsnah.

Grafik, Sound, Performance: Die technischen Details

In Life is Strange: True Colors steuern Spieler*innen die Protagonistin Alex. In insgesamt fünf Episoden lernt diese nicht nur Haven Springs und die dort lebenden Menschen kennen, sondern löst auch das Rätsel um den Tod ihres Bruders. Hierbei führt sie Dialoge, trifft wichtige Entscheidungen und liest Emotionen – sowohl von anderen Personen als auch von emotional aufgeladenen Gegenständen. Doch auch mit regulären Objekten sind Interaktionen möglich und vermitteln einen Einblick in Alex‘ Gedankenwelt.

Insgesamt überzeugt die Mischung, allerdings bleibt ein Wermutstropfen: Viele Entscheidungen haben kaum oder keine Auswirkungen auf das, was im weiteren Handlungsverlauf geschieht, was sich negativ auf den Wiederspielwert auswirkt. Schön ist allerdings, dass – wie auch in anderen Teil der Reihe – am Ende jedes Kapitels nicht nur gezeigt wird, wie man sich selbst entschieden hat, sondern ein Vergleich mit den Entscheidungen anderer Spielender hergestellt wird.

Die Steuerung von True Colors ist intuitiv und leicht zugänglich. Dank enthaltener Accessibility-Optionen lässt sich das Gameplay individualisieren. Einstellungen entsprechend der eigenen Bedürfnisse sind beispielsweise hinsichtlich der Sprache und des Untertitels möglich.

Die Spielwelt, vor allem die Charaktere und deren Gesichtsanimationen, beeindrucken mit ihrem Detailgrad. Das Spiel läuft flüssig und präsentiert sich in einer wunderschönen, farbenfrohen Grafik, die Haven Springs lebendig macht. Hinzu kommt eine musikalische Untermalung, die sowohl Indie-Künstler wie beispielsweise Phoebe Bridgers als auch bekannte Namen wie Dido mitbringt. Sowohl das australische Geschwisterduo Angus & Julia Stone als auch Driftwood Drive waren in früheren Teilen der Life is Strange-Reihe vertreten – und begegnen Spieler*innen in Alex’ Abenteuer wieder. Das musikalische Gesamtpaket ist liebevoll und passgenau für die Handlung von True Colors zusammengestellt worden. Das ist vor allem deswegen schön, da die Protagonistin selbst über eine enge Verbindung zur Musik verfügt.

Musik spielt in Alex‘ Leben eine große Rolle.
Musik spielt in Alex‘ Leben eine große Rolle.

Das Durchspielen von True Colors im Rahmen dieses Spieltests hat etwa 13 Stunden gedauert. Hierbei lag der Fokus nicht ausschließlich auf der Haupthandlung, sondern es wurde sich Zeit für Sidequests und Erkundung genommen. Für einen Vollpreis, der je nach Anbieter*in, bis zu knapp 60 EUR betragen kann, ist die Spielzeit etwas wenig. Für Interessierte könnte es sich lohnen, ein Sonderangebot abzuwarten.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Deck Nine
  • Publisher: Square Enix
  • Plattform: PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X und S, später auch für Nintendo Switch
  • Sprache: Sprachausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch Text: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch, Chinesisch (vereinfacht)
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Windows 10 64-bit
    • Prozessor: AMD Phenom II X4 965, 3.40 GHz oder Intel Core i5-2300, 2.80 GHz
    • Arbeitsspeicher: 6 GB RAM
    • Grafik: Radeon HD 7790, 2 GB oder GeForce GTX 750Ti, 2 GB
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 30 GB
  • Genre: Graphic Adventure
  • Releasedatum: 10.09.2021
  • Spielstunden: 13 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: ab 12 Jahren
  • Preis: ab 44,95 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon (PC), Amazon (Xbox One, Xbox Series X|S), Amazon (PS4), Amazon (PS5), idealo

 

Fazit

Life is Strange: True Colors erzählt die Geschichte von Alex, die im beschaulichen Haven Springs, Colorado, von vorne anfangen möchte. Hierfür muss sich nicht nur ihre Vergangenheit hinter sich lassen, sondern auch den Umgang mit ihren seltsamen Fähigkeiten in den Griff bekommen. Diese lassen sie die Emotionen anderer sehen und so spüren, als wären es ihre eigenen, was in Alex‘ bisherigen Leben oft zu Problemen führte. Als jedoch ihr großer Bruder Gabe bei einem vermeintlichen Unfall ums Leben kommt, ändern sich Alex‘ Motivationen – sie will die Wahrheit ans Licht bringen.

Die Handlung ist geprägt von zwischenmenschlichen Interaktionen und Emotionen. Hierbei macht sie auch vor schwierigen oder belastenden Themen nicht halt, was zu bewegenden Spielmomenten sowie schwierigen Entscheidungen für die Protagonistin führt.

True Colors macht seinem Namen alle Ehre und beeindruckt mit einer farbenfrohen, wunderschönen Grafik. Hinzu kommt ein breites musikalisches Angebot, das nicht anders als exzellent beschrieben werden kann.

Zwei Schwächen bringt der Titel jedoch mit sich: Zum einen bleiben einige Entscheidungen ohne (spürbare) Konsequenzen und zum anderen ist die Spielzeit in Relation zum Vollpreis gering. Dennoch: True Colors ist nicht nur für Fans der Reihe ein gefühlsstarkes, lebendiges Abenteuer, das mehr als einmal an die Nieren geht. Haven Springs ist definitiv immer einen Ausflug wert!

 

  • Spannendes, emotional aufgeladenes Abenteuer
  • Lebendige Charaktere und Spielwelt
  • Farbgewaltige Grafik und exzellente musikalische Untermalung
 

  • Kaum oder keine Auswirkung von Entscheidungen
  • Hoher Vollpreis

 

Artikelbilder: © Deck Nine, Square Enix
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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