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Wenn sich Spieler*innen und Spielleitung uneins sind, muss jemand das letzte Wort haben. Manchmal sind diese Entscheidungen schwierig. Allzu oft können aus kleineren Unstimmigkeiten größere Konflikte entstehen, die nicht notwendig sind. In diesem Artikel sollen dir Ideen und hilfreiche Tipps gegeben werden, wie man so manche problematische Situation lösen kann.

Einleitung: Ein misslungener Spieleabend

Der Spielleiter zu einem Spieler: „Du wachst auf. Du befindest dich in einem kahlen, weiß gefliesten Raum mit mehreren Bahren. Auf diesen liegt jeweils eine Gestalt unter einer weißen Decke. Als du näher kommst, bemerkst du, dass diese Füße zu deinen Kameraden gehören. Du trägst übrigens – so wie sie – ein weißes Operationshemd.“

Der Spieler: „Äh… ich untersuche die Körper.“

Der Spielleiter: „Sie atmen. Du bemerkst, dass sie um ihre Köpfe eine Naht entlang der Schläfe haben. Anscheinend haben sie alle – inklusive dir – eine schwere Operation am Kopf hinter sich…“

Eine Spielerin: „Das kann es jetzt aber nicht sein! Was soll das?“

Manches Mal geraten die Spielleitung und ihre Gruppe im Pen-and-Paper-Rollenspiel aneinander. Seien es die Verteilung oder Menge von Erfahrung oder die Härte und die Tödlichkeit von Fallen und (feindlichen) Begegnungen. Vielleicht ist es auch eine Myriade anderer Gründe, die das Spielen miteinander verkomplizieren. Wenn die Spielleitung und die Mitspielenden nicht gemeinsam an einem Strang ziehen, kann kaum ein schönes Rollenspiel zustande kommen.

Andererseits hat die Spielleitung trotz aller Sympathie, Unterstützung und gutem Willen eine fundamental andere Rolle als die Spieler*innen auszufüllen:

Die Spielleitung schafft Probleme, die Charaktere lösen sie.

Aus dieser simplen Prämisse resultiert die Erkenntnis, dass sich Spielleitung und Spieler*innen in einem gemeinsamen Tanz befinden, in welchem eine Seite führt. Moderne Ansätze räumen Spieler*innen Erzählrechte ein und geben somit Gestaltungsmacht über die bespielte Welt. Durance – Gefangen! wäre hier als ein nicht sehr bekanntes Rollenspiel zu erwähnen. Dieses Spiel inkludiert sämtliche Mitspielende beim gemeinsamen Welten- und Basisbau. Letzten Endes hat die Spielleitung doch mehr Hoheit über die bespielte Welt und die darin lebenden Nichtspieler*innencharaktere als die Spieler*innen. Diese spielen „lediglich“ einen einzigen Charakter und können ihm dafür umso mehr Leben einhauchen.

Die Spielleitung hat mehr Erzählrechte als die Spieler*innen. Das ist gut. Meistens.

Letzten Endes muss jemand eine Entscheidung fällen, damit Rollenspiel geschehen kann. Der große Vorteil der Pen-and-Paper-Rollenspiele gegenüber ihren digitalen und als Spielbuch verfassten Gegenstücken ist, dass die Spielleitung ein echter, lebender Mensch ist. Somit kann dieser kreativ auf die Ideen, Wünsche und Vorstellungen der anderen reagieren. Niemand muss bei Pen-and-Paper im Vorhinein unzählige Eventualitäten abdecken und programmieren beziehungsweise schreiben. Daraus folgt allerdings eine weitere Erkenntnis:

Aus der Freiheit des Pen-and-Paper-Rollenspiel ergibt sich die Notwendigkeit einer Spielleitung mit Entscheidungsgewalt.

Nachdem also festgelegt wurde, dass die Spielleitung Entscheidungen fällen und durchsetzen kann und muss, bleibt die Frage, inwiefern sie diese Macht auch durchsetzen soll. Speziell, wenn die Entscheidung die Gruppe frustrieren oder vor den Kopf stoßen kann.

Eine Anekdote…

Niemand fühlt sich gerne als Marionette.

In dem anekdotenhaften Beispiel zu Beginn des Artikels konfrontierte ich als Spielleiter die Spieler*innen mit einer nicht geringen Prise Body Horror. Wir spielten im Fallout Setting von Bethesda mit einem selbstgemachten System. Und in Anlehnung an den Beginn der Erweiterung Old World Blues von Fallout: New Vegas wollte ich die Charaktere mit der Entnahme ihrer Gehirne konfrontieren. Diese sollten sie im weiteren Verlauf der Kampagne wieder zurückerobern können – natürlich mit einer Konfrontation mit dem eigenen Gehirn, das sich standhaft weigern würde, wieder in den eigenen Körper zurück verpflanzt zu werden: „Spinnst du? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie gefährlich es da draußen im Ödland ist?!“.

Leider hatte ich über meiner Begeisterung für diesen Plot nicht bedacht, dass ich Leute in meiner Runde hatte, welche mit dieser Art Geschichte absolut nichts anfangen können. Vielmehr lehnten sie jede Art von Body Horror und Übernahme ihrer Charaktere durch mich als Spielleiter ab. Zunächst wurde die Entscheidung an sich kritisiert, dann die Methode und Durchführung der Gefangennahme der Charaktere.

Ich brach den Abend frustriert ab, bevor ich selbst aufgrund meiner Frustration mit der Situation dumme Entscheidungen treffen würde. Ein paar Tage später konnte ich dann die Situation in Ruhe wieder besprechen und gemeinsam mit einem anderen Spielleiter auf eine befriedigendere Lösung kommen, ohne allerdings diesen Plotstrang weiter zu verfolgen. Eine Spielerin formulierte folgenden Satz, der mich besonders zum Nachdenken brachte:

Du hast als Spielleiter die Kontrolle über die gesamte Welt! Lass uns Spielern wenigstens die Kontrolle über unsere Charaktere!

– eine Spielerin, zu mir im Streit.

…und ihre Folgen

Aus dieser persönlichen Anekdote kann man mehrere Ansätze für das eigene Spiel mitnehmen:

  • Erkenne, wann es genug ist.
  • Wisse, was für deine Gruppe zu viel ist.
  • Beende einen Abend, bevor er die Kampagne beendet.
  • Sei bereit, deine Entscheidungen zu revidieren.
  • Du bietest die Bühne. Die Charaktere bereiten das Spiel.

 

Durch die ganze Macht, die man als Spielleitung über das Geschehen im Rollenspiel hat, ist es manchmal sehr verlockend, die Charaktere einfach in furchtbare Situationen zu werfen und mit morbider Faszination zuzusehen, wie sie versuchen, sich freizustrampeln. Beziehungsweise ihnen Handlungen aufzuzwingen, die man als Spielleitung als passend oder cool empfindet. Ebenso ist es spannend, die Bühne mit farbenfrohen und interessanten NSC zu füllen und die eigentlichen Charaktere etwas verblassen zu lassen. 

Beide Vorgehensweisen zeugen nicht von großartigem Rollenspiel. Ex-Kollege Felix Hensell hat bereits formuliert, wie viel spaßiger es sein kann, wenn die Spielleitung vielmehr ein Fan der Spieler*innen ist und sie gewinnen sehen möchte. Die hohe Kunst des Spielleitens ist also, die Spieler*innen gerade so zu frustrieren und ihnen Hindernisse in den Weg zu legen, dass sie sich über den letztendlichen Sieg über die Gegenseite umso mehr freuen können.

Ohne Hindernisse kein Ziel, ohne Herausforderungen kein Spiel.

Wann sage ich als Spielleitung Nein?

Um den Beteiligten ein interessantes Spielerlebnis bieten zu können, muss man als Spielleitung des Öfteren auch „Nein“ sagen können und dürfen. Eine Spielrunde, in welcher alle versuchten Aktionen der Charaktere gut ausgehen, verliert sehr schnell ihren Reiz. Aber vielleicht ist „Nein“ auch eine langweilige Antwort, die Widerspruch und ein „Ja, aber ich kann dafür dies oder jenes tun“ oder Resignation herausfordert.

Einen viel interessanteren Ansatz bieten Spiele wie Itras By mit einem Kartensatz, mit dessen Hilfe man Entscheidungen ziehen kann. Diese reichen von „Ja, aber…“ über „Nein, und…“ bis „Ja, und…“. Sie fordern somit Spielleitung wie Spieler*innen dazu heraus, nicht einfach nur ein „Nein“ oder „Ja“, sondern eine fortführende Aktion zu formulieren.

Versuche ein „aber“ oder „und“ an dein „Ja“ und „Nein“ anzuhängen. 

Mithilfe dieser Bindewörter schafft man zwei Dinge: Zum einen wird die Handlung im Falle eines Neins nicht einfach abgewürgt, sondern organisch an eine andere weiterführende Situation angebunden. Und zum anderen wirkt die Welt gleich viel lebendiger und trägt einer spannenden Weltbeschreibung viel eher Rechnung, in welche die Charaktere Handlungen setzen können.

Dies mag nicht immer realistisch erscheinen, aber wir befinden uns im Pen-and-Paper-Rollenspiel auf einer Bühne, auf welcher die Charaktere schließlich die Held*innen darstellen sollen. Ab und an mag es ganz interessant sein, wenn die Charaktere im Großen und Ganzen nicht im Zentrum der eigentlichen Handlung stehen. Auf Dauer sorgt dies aber nicht für zufriedene Spieler*innen.

Und wann muss ich wirklich nein sagen?

Als Spielleitung muss man in lediglich zwei sehr unterschiedlichen Fällen regulierend eingreifen. In den meisten Fällen werden die Spieler*innen bestrebt sein, produktiv und sinnstiftend am Spiel der Spielleitung und der anderen teilzunehmen. Sollte dies nicht der Fall sein, handelt es sich entweder um eine Konfrontation der Charaktere oder ihrer Spieler*innen.

Sollte jemand Probleme mit anderen am Tisch haben, ist es notwendig, als Spielleitung regulierend einzugreifen, sofern die Beteiligten das nicht selbst unter sich ausmachen können oder wollen. Als Spielleitung ist man Schiedsgericht zwischen den Spieler*innen und trägt somit ein größeres Maß an Verantwortung dafür, dass das Zusammenkommen für alle harmonisch abläuft.

Wenn dies nicht der Fall ist, ist es unbedingt notwendig zu wissen, was der Grund für die Irritation ist. Hat jemand ein Problem mit der durch Blödeleien unproduktiv verstrichenen Zeit? Ist man in ein Gruppenmitglied unglücklich verliebt? Ist man beleidigt, weil die eigenen Ideen von der Gruppe nicht akzeptiert werden und man sich deswegen unnütz fühlt? Ein klärendes Gespräch abseits der Gruppe kann in manchen Fällen Klarheit schaffen.

Wenn man sich dieses Gespräch selbst nicht alleine zutraut, ist das Hinzuziehen einer weiteren Person auch nicht die schlechteste Idee, da eine dritte Perspektive in das Geschehen mit einfließen kann. Letzten Endes liegt es jedoch an der Spielleitung, eventuell nicht passende Spieler*innen als letzten Ausweg aus der Gruppe zu entfernen, auch wenn es hart sein mag.

Sollte die Problematik innerhalb der Spielwelt bestehen, kann der Konflikt vielleicht etwas leichter gelöst werden. Schließlich hat man die Welt als Spielleitung entworfen, wem sonst würde es also leichter fallen, sie wieder an die Bedürfnisse und Erwartungen der Gruppe anzupassen? Gibt es zu viele/wenige/tödliche/langweilige Kämpfe? Dreht sich alles nur um politisches Intrigenspiel, obwohl der Großteil der Gruppe lieber Monster töten möchte? Hängt den Spieler*innen eine Stadt/Insel/Nation schon zum Hals raus und sie brauchen einen Tapetenwechsel? Solche Probleme lassen sich leicht dadurch lösen, dass man in der ewigen Queste der Charaktere ein neues Kapitel aufschlägt und sie auf neue aufregende Abenteuer ausschickt.

Sollten die Spieler*innen allerdings wichtige Questabschnitte noch nicht abgeschlossen haben, ist es nur allzu legitim und angemessen, sie diese lose gelassenen Fäden auch passend spüren zu lassen. Ein Assassine, den die Held*innen entkommen ließen, wird irgendwann wieder einmal auftauchen, stärker und mit mehr Verbündeten. Versuche auch in diesem Falle, aus einem „Nein“ ein „Ja, aber…“ zu machen.

Es gibt mehr als nur eine Art, „Nein“ zu sagen.

Etwas komplizierter wird es, wenn die Gruppe mit dem Meisterstil der Spielleitung ein Problem hat. Erzählspielbegeisterte, denen ein reines Hack-and-Slay serviert wird, werden sich wahrscheinlich mit ebensolchem Grausen vom Spiel abwenden, wie begeisterte Shadowrunner*innen, die auf einmal ein würfelloses Rollenspiel vorgesetzt bekommen. In allen Fällen ist eine „Session Zero“ eine tolle Idee, um gegenseitige Erwartungshaltungen abzustecken und eventuellen Enttäuschungen vorzubeugen.

Fazit

Pen-and-Paper-Rollenspiel ist ein unglaublich vielseitiges und facettenreiches Hobby, das so viele Arten zu spielen hat, wie es Spieler*innen gibt. Zwischen all den Erwartungen und Wünschen an eine gut laufende Spielrunde muss man sich schon fast wundern, wie viele Spielrunden trotz all der unterschiedlichen Menschen doch im Wesentlichen harmonisch und lustig verlaufen.

Wenn ihr als Spielleitung und als Spieler*innen merkt, dass etwas nicht gut läuft, sprecht es an. Seid nicht zu schüchtern, eure Bedürfnisse zu artikulieren und eure Erwartungen zu formulieren. Eure Gegenüber können nur so auf euch und eure Wünsche reagieren.

Und wenn trotz vorgebrachter Ideen und Anregungen partout nicht darauf eingegangen wird, ist es vielleicht Zeit für einen Gruppenwechsel. Das soll kein Freibrief für reines Abhaken von Wunschzetteln sein. Aber irgendwann ist es für jeden Charakter und alle Spieler*innen mal an der Zeit, im Rampenlicht zu stehen und eigene Ideen verwirklicht zu sehen. Im Gegenzug muss die Spielleitung aber auch mal ab und an „Nein“ sagen.

Oder möglicherweise etwas eleganter: „Ja, aber…“

 

Artikelbilder: © marish, © Marinka, © ursus@zdeneksasek.com, © oksana2727 | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Maximilian Düngen

1 Kommentar

  1. Da Facebook recht unzuverläßig zum Meinungsaustausch ist, poste ich hier ein paar Argumente bzw. Ergänzungen.

    1. zu dem Satz: „Die hohe Kunst des Spielleitens ist also, die Spieler*innen gerade so zu frustrieren und ihnen Hindernisse in den Weg zu legen,…“
    Die Formulierung „gerade so zu frustrieren“ finde ich merkwürdig. Ist „frustrieren“ ein Ziel des Spielabend oder ist es eine ironische Umschreibung für „Herausforderung“. Frust ist meiner Meinung nach, kein anstrebsamer Gefühlszustand während des Spielabends. Spannung und Aufregung schon eher.
    2. Die Argumentation rund um die Worte „Nein, und…“ und „Ja, und…“ ist sehr gut und werde ich übernehmen.
    3. Anmerkung: Persönlich tendiere ich dazu, von der traditionellen verliehene Autorität der SL Abstand zu nehmen und eine demokratischen Entscheidung in der Gruppe zu treffen. Dabei ist allgemeiner Spielspaß die oberste Direktive.

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