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Das Verhältnis zwischen den Spielern, ihren Charakteren und der Spielleitung einer Tischrollenspielgruppe ist ein häufig diskutiertes Thema. Verschiedene Systeme fordern Spielleiter auf, sich als Fan der Charaktere zu verstehen. Wer sich am Spieltisch auf diese Methode einlässt, kann die eine oder andere Überraschung erleben.

Fast jedes Regelwerk für Tischrollenspiele enthält ein obligatorisches Kapitel mit Tipps und Hinweisen für Spielleiter. Wer sich nicht an ein einzelnes Spielsystem binden will, liest sich im Laufe der Zeit durch diverse Texte dieser Art. Hat man schon ein wenig Erfahrung im Leiten von Tischrollenspielen gesammelt, könnte man solche Kapitel doch eigentlich geflissentlich überblättern.

Tatsächlich kann es aber sehr lohnenswert sein, auch den x-ten Text zur Spielleitung zumindest zu überfliegen. Denn zwischen Einheitsbrei und Binsenweisheiten lassen sich Perlen finden, die den eigenen Blick auf das Spielleiten verändern.

In den letzten anderthalb Jahren sind die ersten Systeme der Powered-by-the-ApocalypseEngine, kurz pbta, in deutscher Übersetzung erschienen. Alle deutsch- wie englischsprachigen Produkte dieser Art, die mir bisher untergekommen sind, haben sehr lesenswerte Kapitel zum Thema Spielleitung gemein.

Die Agenden und Prinzipien, nach denen ein/e SpielleiterIn laut pbta handeln soll, sind stets auf das Setting des jeweiligen Spiels angepasst. Darüber hinaus enthalten sie aber auch immer universelle Grundlagen erfolgreichen Leitens, die in nahezu jedem System gewinnbringend angewendet werden können.

Ein Prinzip, das immer wieder auftaucht, soll in diesem Text eingehend betrachtet werden. Wie kaum ein anderer Satz hat diese simple Aufforderung meine Art, Rollenspiele zu leiten, beeinflusst.

Sei ein Fan der Charaktere

Dieser einfache Satz ist in allen pbta-Spielen enthalten und wird von den jeweiligen Autoren im Kontext des eigenen Systems weiter erläutert. Der folgende Text soll versuchen, aufzuschlüsseln, warum dieses Prinzip so wichtig für alle Spielleiter ist. Dabei greife ich auf mehrere pbta-Systeme und ihre jeweiligen Erläuterungen zum Prinzip zurück.

Bejuble ihre Siege und beklage ihre Niederlagen – Dungeon World

Bejubel die Erfolge deiner Spieler

Das Spielleiterkapitel von Dungeon World fordert zukünftige Spielleiter auf, sich die Spielercharaktere als Hauptfiguren der eigenen Lieblingsserie vorzustellen. Die Charaktere sollen auf Schwierigkeiten treffen, sie sollen Triumphe erringen, aber auch an Herausforderungen scheitern und die Konsequenzen tragen.

Schließlich möchte man die liebgewonnenen Charaktere aus geschätzten Fernsehserien oder Romanen auch nicht dauernd problemlos gewinnen sehen. Der Erfolg gehört dazu, aber nur in Kombination mit der Niederlage. Ohne gelegentliches Scheitern der Charaktere werden ihre Erfolge langweilig und bedeutungslos.

Ob Sieg oder Niederlage, ein anderer Fakt ist laut den Autoren von Dungeon World sogar noch entscheidender. Die Charaktere sind immer der Mittelpunkt der gemeinsamen Geschichte. Die Handlung entwickelt sich um diese zentralen Figuren herum. Spielleiter sind angehalten, an den Geschichten und Taten der Spieler und ihrer Charaktere teilzuhaben, nicht anders herum.

Diese Forderung erscheint zugegeben etwas extrem formuliert, ordnet sie doch scheinbar die Spielleitung den Spielern unter. Tatsächlich zielt sie aber eher darauf ab, die Geschichten und Aktionen der Charaktere immer als wichtiger als alle anderen Elemente des Spiels zu erachten, die durch die Spielleitung verkörpert werden.

Spieler und Spielleitung können und sollen die Spielercharaktere zum absoluten Mittelpunkt ihres Spiels machen. Trotzdem können sich alle Teilnehmer des Spiels auf gleicher Ebene begegnen. Denn die Aufforderung, Fan der Charaktere zu sein, bedeutet auch, zu erkennen, dass Tischrollenspiel keine Solo-Show der Spielleitung mit den Spielern als Publikum ist.

Spielleiter werden bei dieser Spielweise nicht immer das volle Potential seiner NSC, Plots und Szenen ausschöpfen können. Dieser Umstand sollte aber durch den größeren Spielspaß aller Beteiligten mehr als ausgeglichen werden.

Ein Teil von dir steckt in jedem Charakter der Gruppe – Der Sprawl

Auch das Cyberpunk-Rollenspiel verlangt von seinen Spielleitern, die Spielercharaktere stets zum Mittelpunkt der geleiteten Geschichte zu erklären. Darüber hinaus betont Hamish Cameron, der Autor des Systems, aber auch einen anderen Aspekt in der Beziehung der Spielleitung zu den Charakteren. Denn er ist der Meinung, dass Spielleiter direkt an der Erschaffung und Entwicklung aller beteiligten Charaktere beteiligt sein sollten.

Vorschläge und Einschränkungen der Spielleitung formen einen Charakter bereits vor Beginn
Vorschläge und Einschränkungen der Spielleitung formen einen Charakter bereits vor Beginn des eigentlichen Spiels.

Fragen und Anmerkungen, Vorschläge und Einschränkungen der Spielleitung formen einen Charakter bereits vor Beginn des eigentlichen Spiels. Und auch während der laufenden Kampagne werden niemals die Spieler allein über den Werdegang ihrer Charaktere entscheiden. Die gesamte Gruppe und insbesondere die Person hinter dem Sichtschirm werden ebenfalls Einfluss ausüben.

Diese Einstellung wird für viele Spieler nur schwer zu akzeptieren sein. Der eigene Charakter wird nur zu oft als unantastbar empfunden. Wenn man aber nüchtern über die Abläufe eines Rollenspiels nachdenkt, sollte schnell klar werden, dass das Spiel als Miteinander verschiedener Personen immer Einflussnahme bedeutet. Und der Spielleitung zu erlauben, den eigenen Charakter mitzuformen, macht es ihr oder ihm wesentlich leichter, mit den Figuren der Geschichte mitzufiebern und sie in den Mittelpunkt zu stellen.

Tatsächlich beinhaltet die Forderung an den/die SpielleiterIn, Fan der Charaktere zu sein, im Fall von Der Sprawl auch eine versteckte Aufforderung an die Spieler. Sie sind angehalten, Charaktere zu erschaffen, die in der geplanten Geschichte sinnvoll untergebracht werden können, Figuren, die ihr/e SpielleiterIn allzu gerne in den Mittelpunkt rückt. Wie alle pbta-Systeme nutzt auch Der Sprawl thematisch festgelegte Archetypen, um dieser Forderung leichter nachzukommen.

Aber auch in anderen, „gewöhnlicheren“ Spielen ist es angebracht, bei der Charaktererschaffung mit den Mitspielern und insbesondere der Spielleitung zusammenzuarbeiten. Es gilt immerhin, eine Gruppe zu erschaffen, nicht bloß eine einzelne Figur. In einem solchen Prozess sind Zusammenarbeit und gegenseitige Rücksichtnahme gefragt. Kein Charakterkonzept existiert im Vakuum, sondern steht in Verhältnis zu den anderen Figuren und der Spielwelt.

Wenn Vorgaben und Verbote bezüglich spielbarer Völker, Klassen oder ähnlichem aufgestellt werden, sollte man diese daher als Einschränkung begrüßen, die die Kreativität anfacht. Und wenn die Rückfragen der Spielleitung den Charakter in eine bestimmte Richtung drängen, lohnt es sich wahrscheinlich, sich einfach darauf einzulassen und ihr oder ihm zu vertrauen. Das Spiel zu leiten, heißt schließlich, Fan zu sein.

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Achte den Kern deiner Charaktere – Masks

Ganz das comiclastige Teeny-Superhelden-Rollenspiel, betont Masks wie die vorab behandelten Systeme, dass es in einem gelungenen Abenteuer nur einen Platz für die Spielercharaktere geben kann: Das Rampenlicht. Alle Geschichten sollen sich um die Charaktere herum entwickeln, kein Nichtspielercharakter darf jemals wichtiger sein als sie. Wenn Spielleiter überlegen, was als Nächstes passieren könnte, sollen sie stets aus der Perspektive des Fans entscheiden.

Dabei legt Masks vor allem Wert darauf, den Charakteren Gelegenheit zu beeindruckenden Aktionen zu geben. Diese Gelegenheiten sollen durch Druck entstehen, der auf die Charaktere ausgeübt wird. Jede Herausforderung für die Gruppe bietet also idealerweise immer auch eine Chance, den eigenen Charakter und seinen Erfolg zu präsentieren.

Er scheitert nicht wegen des eigenen Unvermögens, sondern wegen der Größe seiner Aufgabe.
Der Spieler scheitert nicht wegen des eigenen Unvermögens, sondern wegen der Größe seiner Aufgabe.

Darüber hinaus betont das Spieleiterkapitel von Masks, dass ein Charakter bei Misserfolg nicht als dumm, ungeschickt oder inkompetent dargestellt werden sollte. Er scheitert nicht wegen des eigenen Unvermögens, sondern wegen der Größe seiner Aufgabe. Selbst im Versagen behält er die Möglichkeit, beeindruckend zu sein.

Diese Sichtweise ist sehr zugespitzt und auf das überlebensgroße Superhelden-Genre zugeschnitten. Im Kern enthält sie aber einen wichtigen Hinweis für alle Spielleiter. Alle Spielercharaktere sind mit einem festen Konzept erschaffen worden, mit einem Kern. Dieser Kern kann sehr klassisch sein, etwa bei einem Magier, der sich durch Wissen und Zaubersprüche auszeichnet. Er kann aber auch von den typischen Klischees abweichen. Der Magier könnte etwa in seinem Kern der Zauberei misstrauen und sich nach den handfesten Fähigkeiten des Kämpfers sehnen.

Gute/ Spielleiter werden als Fans der Charaktere diesen Kern stets würdigen. Wenn ein Charakter der typische weise Magier ist, darf er im Kampf Mann gegen Mann ruhig im Dreck landen. Beim Erforschen mystischer Runen oder beim Bannen eines Dämons sollten seine Niederlagen aber nur den gewaltigen Dimensionen der Herausforderung geschuldet sein und nicht etwa Inkompetenz. Er sollte also selbst im Scheitern noch beweisen können, was in ihm steckt.

Den Kern eines Charakters so zu betonen und zu fördern, bedeutet, voll und ganz Fan des Charakters zu sein. Und es wird die Spieler der Charaktere glücklich machen, denn ihre Entscheidung für das jeweilige Charakterkonzept wird bestätigt und wertgeschätzt. Wer hingegen die Charaktere der Gruppe im Bereich ihres Kernkonzepts demütigt, darf sich nicht über den Unmut der Spieler wundern.

Fazit

SpielleiterIn zu sein bedeutet, Fan der Charaktere zu sein. Dieser einfache Satz birgt, wenn er analysiert wird, viele interessante Überlegungen zur Rolle der Spielleitung in einer Rollenspielgruppe.

Die Spieler sollten im Mittelpunkt stehen
Die Spieler sollten im Mittelpunkt stehen

Er verlangt von allen Spielleitern, die Spielercharaktere stets zum Mittelpunkt ihrer Geschichten zu machen. Nichtspielercharaktere, Szenen und Plots sollen in ihrer Bedeutung stets den Hauptfiguren untergeordnet sein.

Der Satz fordert aber auch dazu auf, sich des eigenen Anteils an den Charakteren bewusst zu werden. Kein Spieler erschafft und entwickelt seinen Charakter, ohne dass sich der/die zuständige SpielleiterIn durch seine Abenteuer in der Figur verewigt. Diesem Teil der Entwicklung eines Charakters sollten sich Spieler nicht verschließen.

Diese Einflussnahme darf aber niemals das Kernkonzept eines Charakters verletzen. Was die Figur im Innersten ausmacht, soll von der Spielleitung Wertschätzung erfahren. Eine solche Art der Würdigung generiert zufriedene Spieler.

Zu guter Letzt steckt noch eine weitere Erkenntnis in diesem einen Satz: Es lohnt sich, Spielleiterkapitel in Regelbüchern nicht zu überspringen. Zwischen vielen Allgemeinplätzen finden sich immer wieder simple Weisheiten, die den eigenen Rollenspiel-Horizont erweitern können.

Artikelbilder: ©adriaticphoto, ©SIphotography, ©PauloPJ, ©siraanamwong,  ©samuraitop, ©Jirsak | depositphotos Bearbeitet von Jennifer Stramm

6 Kommentare

  1. Habe von dem Systemen keine Ahnung, aber sie sprechen meinen Lieblingsleitstil an…sich für Ideen und Vorstellung der Spieler interessiern und für sie die Bühne zu räumen…Du hast nen supertollen ÜberNSC gebaut..Glückwunsch…kannst du bestimmt auch woanders gebrauchen wenn ein SC eine eigene Lösung parat hat. Bei Lösungsvorstellungen des SC sollte man nicht mit „Das geht nicht, weil..“ sondern mit „was braucht der SC damit das klappt? Hat sie die Skillz, die passende Ausrüstung, hat diese ein anderer Char, der einfach nur nicht auf die Idee gekommen ist, Gibt es einen NSC zu dem die Gruppe Zugang hat die weiterhelfen kann“. Je weniger die Fragen mit Ja beantwortet werden, desto weniger plausibel ist die Lösung und man kann sie ad Acta legen, aber man sollte sie durchgehen anstatt den NSC mit „DER LÖSUNG“ aus dem Ärmel zu zaubern…dem Spieler zu vermitteln welche Skillz und Connections er braucht um seine Ideen auszuspielen hilft auch die Entwicklung der Chars zu lenken. Vor allem wenn man ähnliche Herausforderung regelmässig verwendet.

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