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Bevor die Bücher einzelner Systeme ganze Schrankwände füllen konnten, fand man oft alles, was man zum Spielen brauchte, in einem oder mehreren dünnen Heftchen. Die Beschreibung der Spielwelt ließ das Meiste offen und es war den SL überlassen, den Faden weiterzuspinnen. Into the Odd ist es ein solches Spiel. Wie schlägt sich ein so liebevoll gestalteter Dinosaurierklon in der rollenspielerischen Postmoderne?

Die Spielwelt

Die vorgegebene Spielwelt von Into the Odd konzentriert sich auf die Gegend um eine Metropolis namens Bastion. In dieser Stadt konzentriert sich zunehmend das zivilisierte Leben, während Ruinen, verlassene Städte und entvölkerte Landstriche die Umgebung darstellen. Bastion selbst bietet einen Mix aus Steampunk, Fantasy und rein bizarren Elementen.

Dem Spiel beigefügt sind eine Beispielsiedlung namens Hopesend Port, ein Hexcrawl der Umgebung und der erste Dungeon, die Iron Coral. Beschrieben ist also nicht die Umgebung von Bastion, sondern eine Gegend nördlich hiervon am Polarmeer. Das wahre Highlight sind dabei die ausgeflippten Zufallbegegnungstabellen und Hexbeschreibungen, die dem Setting sein Flair verleihen. So trifft man beständig auf Kulte und Merkwürdigkeiten rund um die Star Men, die Leute entführen und durch die Luft fliegen. Auch ansonsten verstecken sich hier eine Dosis abgedrehten Humors und einige Popkulturreferenzen.

Den stärksten Eindruck von der Welt gewinnt man durch die beigefügten Tabellen, auch im Anhang. Vieles ist nicht lange beschrieben, sondern gleich in verwertbare Tabellen verpackt worden.

Insgesamt wird das implizite Versprechen des Buchtitels eingehalten: Diese Welt ist merkwürdig und abstrus. Sie will nicht zwingend Sinn ergeben, sondern unterhalten.

Die Regeln

Into the Odd verwendet Altbekanntes leicht anders, um ein besonders schlankes und meiner Meinung nach durchaus elegantes Regelwerk zu erschaffen:

  • Es gibt nur drei Attribute: Strength, Dexterity und Willpower.
  • Jeder Waffe ist ein Schadenswürfel zugeordnet, von W4 bis W12.
  • Jeder Charakter hat ein paar Trefferpunkte.

Tatsächlich gibt es aber nur zwei Proben: die Rettungs- und Schadenswürfe.

Rettungswürfe stellen das Grundgerüst des Spiels dar. Würfelt man mit einem W20 nicht mehr als den Attributswert, wurde die Probe bestanden. 1 ist immer ein Erfolg, 20 immer ein Fehlschlag. Die Bezeichnung „Saving Throw“ ist hierbei historisch zu sehen, denn ähnlich wie die Saving Rolls in Tunnels & Trolls sind diese Rettungswürfe allgemein einsetzbare Proben. Im Gegensatz zu D&D und dessen Varianten gibt es keine separaten Werte für Rettungswürfe – die drei Attribute genügen für alle Proben.

Ebenso im Gegensatz zu D&D gibt es keinen typischen W20-Angriffswurf. Man würfelt seinen Schadenswürfel (durch die Waffe vorgegeben), zieht den Rüstungsschutz (Armour) des Gegners ab und der Rest verbleibt als Schaden. Eine typische Rüstung reduziert den Schaden um 1 Punkt, bei Monstern liegt dieser Schutz höher. Die meisten Attacken gegen leicht gepanzerte Gegner bewirken also direkt Schaden. Wird der Angriff in irgendeiner Weise behindert, sinkt der Schaden auf W4. Wird er durch einen Umstand begünstigt, steigt er auf W12.

Jetzt kommt der Clou: Trefferpunkte fangen zwar Schaden ab, aber das Absinken auf 0 ist noch nicht der Tod oder die Ohnmacht. Stattdessen nimmt man Stärkeschaden. Man muss dann auf den niedrigeren Stärkewert einen Rettungswurf ablegen. Schlägt dieser fehl, hat man kritischen Schaden erlitten. Fällt der Stärkewert auf 0, ist man tot. Das System simuliert also mit einfachsten Mitteln zunehmenden Wundschaden.

Eine kurze Rast von ein paar Minuten stellt alle Trefferpunkte wieder her, eine lange Rast von einer Woche alle verlorenen Attributspunkte. Die Trefferpunkte sind somit ein kleines Polster an Sicherheit, das den Charakter vor Schlimmerem schützt. Mit den Attributspunkten muss man hingegen gut haushalten, da sonst auch die lebensrettenden Proben scheitern.

Ansonsten gilt: Eine Runde (Turn) erlaubt eine Aktion. Deren Ausgang kann über die oben genannten Würfe abgewickelt werden.

Arcana

Spart sich Into the Odd schon den W20-Angriffswurf, so verlässt es die Welt der d20-Spiele endgültig mit seinem gegenstandsbasierten Magiesystem. Das Spiel dreht sich um die Suche nach besonders mächtigen magisch-technologischen Artefakten, den Arcana. Man kann ein Arcanum je nach seiner Beschreibung direkt anwenden, oder versuchen, es mit einem Willpower-Save zu einer ungewöhnlichen Anwendung heranzuziehen.

Das Spiel kommt hierbei mit drei Seiten Beispiel-Arcana von dreierlei Stufen an Mächtigkeit. Diese reichen von einer Art Portal-Gun (Space Folder) bis zur Wetterkontrollmaschine (Weather Altar). Viele Effekte sind vage beschrieben und erlauben es den Spielern, kreative Einsatzmöglichkeiten zu finden. Nicht alle sind durch Spielwerte definiert.

“PHASE KEY: Phase through a wall or floor with any objects you are carrying.“

„GAVEL OF THE UNBREAKABLE SEAL: One door, window, etc. is sealed until you open it.“

„INFERNO DEVICE: Cause a source of fire to explode, causing D10 Damage to all within 20FT.“

„SPIRIT CHAIN: Swap bodies with another that you are touching. They can resist with a WIL SAVE. Retain WIL scores only.“

Bereits im Einstiegsabenteuer fand der Hitzestrahl (Heat Ray) reichlich Anwendung. Sobald Arcana im Spiel sind, erweitern sich die Handlungsmöglichkeiten der Spieler stark.

Der Rest

Das war es im Großen und Ganzen bereits mit den Regeln – interessant wird das Spiel durch die Ausrüstungsliste, die Vielzahl der Arkana und die ebenso merkwürdigen wie gefährlichen Kräfte der Monster.

Eine Besonderheit sticht noch hervor: Es gibt Regeln für das Spiel mit großen Gruppen, den Companies. Wie rekrutiert man, wie kämpft man untereinander, was kann man sich Schönes für sein neues Miniimperium kaufen – all das ist beschrieben. Wer also in seiner Sandkiste selbst zum Gestalter werden will, kann das über diesen Mechanismus tun und zum Krieg gegen ganze Kultisten-Organisationen ausziehen. Das Ganze ist zu kurz, um als voll ausgearbeitet zu gelten, aber man kann damit arbeiten.

Charaktererschaffung

Ein normaler SC wird mit 3W6 für die Attribute erwürfelt. Hierbei darf man Werte gegeneinander austauschen. Zusätzlich erhält man 1W6 Trefferpunkte. Man ermittelt dann das höchste Attribut. Die Ausrüstung bestimmt sich aus einer Tabelle. Man sucht sich die Zeile mit dem passenden höchsten Attributwert und die Spalte mit den eigenen Trefferpunkten, schon kennt man sein Startequipment. Besonders niedrige Werte werden in der Tabelle eher durch die Ausrüstung und Sonderfertigkeiten ausgeglichen, besonders hohe durch leichte Nachteile.

Zusätzlich gibt es noch zwei weitere Arten an SC: Companions werden wie normale SC ausgewürfelt, haben aber nur ein 1 Trefferpunkt und ein Schwert. Damit kann eine Gruppe vergrößert werden, die nur wenige Spieler hat. Hirelings sind da je nach Situation schon besser, wollen aber Geld für ihre Dienste sehen.

Zu guter Letzt der Stufenanstieg: Pro erreichter Stufe erhält man W6 zusätzliche Trefferpunkte und darf für jedes Attribut mit W20 würfeln. Übertrifft man den Attributwert, steigt er permanent um 1 Punkt. Das Erreichen neuer Stufen bestimmt sich darüber, wie viele Expeditionen man bereits überlebt hat. Auf späteren Stufen bildet man zusätzlich einen Lehrling aus.

Auch hier ist das System sehr leichtgewichtig, reicht aber völlig aus.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Das Spiel ist sehr einfach abzuwickeln. Man beschreibt, beantwortet Fragen, weist auf Konsequenzen einer Entscheidung hin und verlangt Proben. Es sind kaum Regeln zu verwalten, daher verschiebt sich der Fokus klar auf das Problemlösen. Der kurze Abschnitt für das Spielleiten ist völlig hinreichend und angenehm zu lesen.

Man kann sich der vielen Tabellen im Buch bedienen, ebenso gibt es einen vorgefertigten Einstieg sowie einen Hexcrawl. Danach bleibt es einem aber weitestgehend selbst überlassen, eine volle Sandbox hinzustellen. Man sollte sich dringend Drittmaterial zum Thema suchen. Der Spaß im Spiel entsteht vorrangig durch Absonderlichkeiten (Tricks), Fallen und ungewöhnliche Schätze. Gerade durch die Arcana-Liste erhält man hier eine entscheidende Hilfe, ansonsten wird man sich viel ausdenken oder aus Modulen von Old-School-Spielen zusammenklauen müssen.

Der Fokus liegt aber nicht so sehr auf dem Monsterverkloppen, sondern auf der Schatzsuche, der geschickten Spielanlage. Es gibt keine echte Belohnung für das Monstererschlagen, ja, nicht mal eine Motivation hierfür, da sie eigentlich nur im Weg sind. Daher muss der Fokus beim Abenteuerdesign auch darauf liegen, das Rätselhafte zu generieren.

Das ganze Spiel scheint auf das Generieren einer Sandbox ausgelegt zu sein, eine wirklich vollständige Anleitung oder Unterstützung dies zu tun fehlt jedoch – keine Checkliste, keine Generatoren, keine ungefähre Beschreibung des Prozesses. (Wer sich hier alleingelassen fühlt, sollte vielleicht mal bei Kevin Crawfords Sine Nomine Games reinschauen.)

Es gibt einen Stall Beispielmonster. Hierbei fällt besonders positiv auf, dass jeder Kreatur im Spiel eine Motivation (Drive) beigegeben ist. Diese ist in nur einem Satz beschrieben, erleichtert aber das Ausspielen ungemein. Schätze und die Generierung neuer Arcana haben ein eigenes Kapitel.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Es gibt hier nicht viel zu sagen: Das Wichtigste kommt nicht vom eigenen Charakterbogen, sondern ist das Interagieren mit dem SL. Verzögerungen und Lärm werden zumeist mit Zufallsbegegnungen bestraft. Eine Mischung aus Vorsicht und Eile ist geboten, und man muss selbst entscheiden, wann sich ein Raubzug gelohnt hat, und wann die Verluste zu groß werden.

OSR-typisch sind Figuren schnell ausgewürfelt, und mit etwas Pech fast genauso schnell verstorben.

Preis-/Leistungsverhältnis

Into the Odd ist ein vollständiges Spiel, mit dem man gleich losspielen kann. Für ein Werk unter 100 Seiten ist der Preis jedenfalls nicht untypisch. Man darf halt kein durchdesigntes Produkt erwarten, das wäre bei einem Indie auch zu viel verlangt.

Spielbericht

Bei Into the Odd dachte ich mir, dass sich dem Spiel am einfachsten auf den Zahn fühlen lässt, indem man es spielt. Also haben wir einen abwaschbaren Bodenplan ausgepackt und das beigefügte Beispielabenteuer The Iron Coral gespielt.

Da das nicht unser erster Ausflug in die Old-School-Ecke war, gingen Generierung und Einstieg flott von der Hand. Auch die Abwicklung der Regeln war ohne echte Lernkurve zu bewältigen, es geht ja immer nur ums Beschreiben, das Stellen gezielter Fragen und das Abwickeln der Würfe. Daher spielte es sich auch nicht anders, als wenn wir wieder Basic/Expert D&D gespielt hätten, nur mit noch weniger Regeln (und ohne Bedarf für Hausregeln). So weit, so gut.

Der Text am Einband des Buches verspricht Folgendes: „This is a fast, simple game, to challenge your wits rather than your understanding of complex rules.“ Das ist für das Buch selbst durchwegs richtig, nicht aber für das Einstiegsabenteuer! Zum größten Teil ist The Iron Coral ein nicht besonders kreativer Dungeon. Das steht leider völlig im Widerspruch zum dreiseitigen Spielbeispiel. Dort geht’s in einem einzigen, clever designten Raum völlig ab!

Nichts von dieser Genialität findet sich im Beispielabenteuer: Herausforderungen beschränken sich auf einige, wenige Räume. Für ein Old-School-Abenteuer ist es zwar okay, wenn es keine größeren, raumübergreifenden Zusammenhänge gibt, aber hier ist einfach zu wenig los. Mehrere Räume sind lediglich zur Spielerverwirrung da und kosten nur Zeit. Die Schatzkammern kann man erst betreten, wenn man mit den Türen das Richtige anstellt. Leider gibt es keinen echten Zusammenhang zwischen dem, was die Tür öffnet und irgendeiner Art von Hinweis. Die Spieler haben denn auch einfach eine der beiden Türen mit Hilfe eines Arcanums demoliert. Generell waren die meisten Räume schlicht uninteressant und zogen das Ganze nur in die Länge, wodurch das Abenteuer auch mehr Zufallsbegegnungen generierte.

Auch bei der Spielvorbereitung hatte ich gemischte Gefühle. Einerseits mag ich kurze, knackige Beschreibungen, damit ich schnell vorbereiten kann. Das hier dargebotene Format bietet für den Flavortext aber nur Schlagworte. Das war dann doch sehr karg. Ich habe denn auch zweimal über die wortkarge Beschreibung aller Räume drübergelesen, bis ich gemerkt habe, dass hier wirklich nicht mehr geboten ist. In Summe hat mich so meine Erwartungshaltung beim Lesen mehr Zeit gekostet, als ich benötigt hätte, wenn der Dungeon etwas stärker ausformuliert gewesen wäre.

Es verblieb der Eindruck, dass das Spiel selbst für Old-School-Abenteuer völlig ausreichend ist, und dass der Blick schnell von den Regeln hin zum Problemlösen geht. Das ist gut, das ist richtig, das macht mir Spaß. Als wuchtigen Einstieg hätte ich mir nur einen smarteren Dungeon gewünscht, wo die Spieler hinterher nach mehr verlangen. Als jemand, der gerne Dungeon Crawl Classics leitet, bin ich vielleicht inzwischen beim Dungeondesign etwas verwöhnt. In Nebin Pendlebrook’s Perilous Pantry oder den Modulen von Goodman Games haben Spieler mit Beobachtungs- und Kombinationsgabe immer etwas zu entdecken, und das hätte ich mir hier auch gewünscht.

Erscheinungsbild

Into the Odd Indie RPG CoverIm Großen und Ganzen ist das Buch hinreichend gut gestaltet. Die Tabellen sind gut lesbar, der Schriftsatz hat einen Hauch von Nostalgie, zumal auch Großschrift anstatt Fettdruck verwendet wird. Es gibt wenige Illustrationen, die meisten in Schwarz-Weiß oder Grautönen. Bei einigen fragt man sich, was abgebildet sein soll, aber das Buch macht einen guten, wenn auch einfachen Eindruck.

Die Beschreibungen für den enthaltenen Dungeon und den umgebenden Hexcrawl sind eher unübersichtlich und nicht wirklich ansehnlich formatiert. Zum Beispiel wurde eine Minidungeon-Beschreibung in den ansonsten recht kurz gehaltenen Hexcrawl hineingepfercht. Aber ganz ehrlich: Ich habe im OSR-Umfeld, gerade in Bezug auf Wildnisbeschreibungen, schon Schlimmeres gesehen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Lost Pages
  • Autor(en): Chris McDowall
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 48
  • Preis: 7,99 USD
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com

 

Bonus/Downloadcontent

Wer nach mehr Spielmaterial sucht, sollte sich dieses Oddpendium ansehen.

Fazit

Into the Odd ist ein starker Indie mit einem hohen Nostalgiefaktor. Das Spiel beweist auch immer wieder Humor. Man kann damit schnell losspielen und Spaß haben. Es bietet dennoch das Potenzial, eine Gruppe für Wochen oder Monate zu unterhalten.

Während das Buch vieles bietet, bleibt es am SL hängen, die Gruppe auf Dauer mit Kniffeleien zu bespaßen. Zwar gibt es ein paar Tabellen, um merkwürdige Orte, Kreaturen und Gefahren zu generieren. Aber schon das Einstiegsabenteuer ist nicht besonders prickelnd und die Spieler werden schnell nach mehr verlangen. Die etwas chaotische Natur der Arcana erweitert die Möglichkeiten der Spieler stetig, so dass auf Dauer Herausforderungen nicht leicht zu planen sind.

Wer Into the Odd auf Dauer viel abgewinnen will, sollte sich mit Büchern wie Grimtooth’s Traps oder Tricks, Empty Rooms & Basic Trap Design bewaffnen, um die Spieler weiterhin zu fordern.

Insgesamt gefällt mir Into the Odd gut, ich werde es wieder spielen, und man kann damit ohne großen Aufwand jederzeit einen Oneshot anbieten. Es bietet Old-School-Spiel in Reinkultur und funktioniert als Spiel trotz und gerade aufgrund seiner Einfachheit hervorragend.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Lost Pages

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