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In einem namenlosen osteuropäischen Land verbreiten organisierte Trolle Fake News und schüren Ressentiments. Zwei Freunde, die im bröckelnden System ohnehin keine Zukunft sehen, wollen das Netzwerk von innen heraus zerschlagen. Der neue Roman des slowakischen Schriftstellers Michal Hvorecky rollt aktuelle gesellschaftliche Fragen auf.

In Fantasyromanen ohnehin schon nicht wohlgelitten, haben Trolle im 21. Jahrhundert einen besonders schlechten Ruf – nicht etwa in Form tumber Dickhäuter, die bei Sonnenaufgang zu Stein erstarren, sondern als Hass und Fake News verbreitende Schreckensgestalten im Internet. Die einstige Devise „don’t feed the trolls“ erweist sich in Zeiten, in denen Populismus verstärkt auch online betrieben wird, längst als unzureichend und bislang haben sich noch keine gesicherten Umgangsformen mit diesem neuen Phänomen etabliert. Nun versucht der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky in seinem neuen Roman, die Innenperspektive der organisierten Desinformation zu skizzieren.

Story

In einem kleinen osteuropäischen Land in einer unbestimmten, aber nahen Zukunft wird ein namenloser Erzähler zum Symbol für alles, was die Menschen hassen. Der Rückblick auf sein Leben offenbart die Geschichte eines Underdogs, der ohnehin nie eine Chance hatte und, statt aufzugeben, einen waghalsigen Plan schmiedet, um die Welt besser zu machen. Nach einer Reihe von Schicksalsschlägen – unter anderem der politisch motivierten Flucht des Vaters und einer durch Impfgegner und Homöopathie ausgelösten Infektion – verbringt er einen Großteil seiner Kindheit und Jugend im Krankenhaus. Schmerzgeplagt und unfähig, sich zu bewegen, schlägt er seine Zeit im Internet tot und recherchiert die Hintergründe seiner Mitpatienten. Eines Tages lernt der inzwischen grotesk entstellte Kranke Johanna kennen, eine auf russische Science-Fiction versessene Drogenabhängige, die mit ihren Buch- und Filmempfehlungen zu seinem Leitstern wird.

Als die politische Lage im Land sich verschärft, wird das Internet, und somit der primäre Lebensraum der körperlich von chronischer Infektion und Heroin völlig zerstörten Freunde, von Falschmeldungen überschwemmt, die die Öffentlichkeit gezielt gegen Minderheiten aufbringen. Johanna vermutet dahinter ein System und schmiedet einen Plan: Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus will sie sich gemeinsam mit dem Erzähler als professioneller Troll anwerben lassen. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit gelingt ihnen dies tatsächlich, aber das Leben als bezahlte Meinungsmacher im Netz ist ganz anders, als sie es sich hätten träumen lassen. Während beide im Rausch des Informationskriegs immer weiter aufsteigen, wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt…

Mit Troll wendet sich Hvorecky einem zeitgenössischen Reizthema zu, das in den kommenden Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Dass die öffentliche Meinung im Internet in einem demokratiegefährdenden Maße manipuliert werden kann, ist dem nach rechts rückendem Europa inzwischen schmerzlich bewusst geworden. Damit geht natürlich die Frage einher, was das für Menschen sind, die den Hass im Internet zu ihrem Beruf gemacht haben. Während Hvoreckys einzelne Psychogramme professioneller Trolle eher an der Oberfläche kratzen und deren vielfältigen Hintergründe einen deutlich längeren Roman gebraucht hätten, treten einem die Strukturen des die Figuren verbindenden Machtgefühls, wenn Spiel und Realität, digitale und wirkliche Welt ineinander übergehen, in aller Deutlichkeit entgegen und mit ihnen auch der Kern des Problems: Die Geldgeber mögen politische Interessen verfolgen, doch die ausführenden Agitatoren selbst haben keine erkennbare Motivation. Es sind Nihilisten, die weder Ideale noch Ideologien vertreten und an nichts glauben. Das Trolling ist ihnen längst zum Selbstzweck geworden.

Diese Erkenntnis stellt auch den Höhepunkt des Romans dar: „Wir begriffen langsam, warum das Trolling nicht aufgehalten werden konnte […]. Weil das nicht nur der Missbrauch von Technik war. Sondern eine Idee. Noch nie in der Geschichte war es vorgekommen, dass Kraft eine Idee besiegt hätte. Eine Idee ließe sich nur bezwingen, indem man an ihrer Stelle einen besseren, attraktiveren und annehmbaren Gedanken böte. Bloß welchen?“ Eine wirkliche Antwort auf dieses Problem bietet der Roman nicht, soviel sei vorweggenommen. Bedenkt man die Komplexität des Themas, bleibt der Plot letztendlich ziemlich simpel, was dem Unterhaltungswert zuträglich ist, aber eben auf Kosten der tieferen Auseinandersetzung geht. Andererseits sind viele Aspekte der Handlung – vom Elend in einem finanziell unterversorgten Krankenhaus bis hin zu den Auswirkungen antisemitischer Gewalt – erstaunlich versöhnlich gehalten. So werden die Leser zwar gepackt und gelegentlich zum Nachdenken angeregt, aber eben nicht verstört. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Schreibstil

Die saloppe Sprache des als Selbstbekenntnis angelegten Romans steht ebenfalls in leichtem Kontrast zu den schwerwiegenden Themen, die er behandelt. Das passt allerdings durchaus zum Konzept, ein bereits in der Rahmenhandlung als solches vorgestelltes, desillusioniertes Opfer des Systems, seine Geschichte erzählen zu lassen, ungeschönt, direkt und ehrlich. Überwiegend gelingt das auch, schafft allerdings eine dauerhafte Distanz zum bis zuletzt namenlosen Erzähler. Dieser hat ohnehin einen schweren Stand, denn schon im Moment ihres Erscheinens ist klar: Johanna ist die eigentliche Heldin des Romans. Was folgt, sind ihre Ideen, ist ihre Geschichte.

Beinahe spannender als die politischen Fragen, die in Troll aufgeworfen werden, ist der Umgang mit Intertextualität. Natürlich wird sich auf alles bezogen, was in der russischen Science-Fiction-Geschichte Rang und Namen hat, auch wenn Alexei Tolstoi oder die Brüder Strugatzki die Handlung selbst nicht offensichtlich inspirieren. Spannender sind da die vorangestellten und auch immer wieder in den Text eingestreuten Zitate russischer Schriftsteller, hinter denen sich vielleicht doch ein Ansatz zur Problemlösung verbirgt. Viele Fragen, die sich im digitalen Zeitalter stellen, sind in anderer Form bereits gedacht worden, und wenn es einer besseren Idee bedarf, die das sinnentleerte Trolling ablöst, sollte diese nicht irgendwo in der Geistesgeschichte bereits zu finden sein? Wie zweischneidig dieser Gedanke ist, merkt man sogar als Leserin, die wenig Ahnung von russischer Literaturgeschichte hat, in dem Augenblick, da zwischen Sergei Dowlatow und Alexander Solschenizyn auch Wladimir Putin zitiert wird.

Der Autor

Michal Hvorecky wurde 1976 in Brastislava geboren und ist einer der bekanntesten Schriftsteller und Journalisten der Slowakei. 2004 erschien mit Jäger & Sammler sein erster Erzählband in Deutschland. 2006 folgte sein erster Roman The City: Der unwahrscheinlichste aller Orte. Außerdem verfasst Hvorecky Beiträge für verschiedene deutsche Tageszeitungen und war Stipendiat des Literarischen Kolloquiums Berlin. In seiner Heimat setzt er sich für die Pressefreiheit ein und ist eine wichtige Stimme gegen antidemokratische Tendenzen.

Erscheinungsbild

Das auffällige schwarzgelbe Cover hat mit dem Inhalt denkbar wenig zu tun, bereitet aber immerhin das Thema politischer Spannungen vor. Das Buch ist qualitativ hochwertig, der Satz angenehm. Eigentlich gäbe es nichts zu beanstanden, wäre da nicht die irritierende Angewohnheit des Tropen-Verlags, seinen Buchdeckeln so spitze Ecken zu verpassen, dass man sich mit einer einzigen unglücklichen Bewegung die Finger daran aufreißen kann (dieses Detail hat in einer Rezension eigentlich nichts verloren, aber glaubt mir, ich wünschte, jemand hätte irgendwann mal darauf hingewiesen).

Die harten Fakten:

  • Verlag: Tropen
  • Autor: Michal Hvorecky
  • Erscheinungsdatum: 4. November 2018
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Slowakischen übersetzt von Mirko Kraetsch)
  • Format: Gebunden
  • Seitenanzahl: 215
  • ISBN: 978-3-6085-0411-8
  • Preis: 18,00
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Troll liefert einen durchdachten, aber gelegentlich oberflächlichen Einblick in eine instabile Gesellschaft, deren mangelnde Medienkompetenz gegen sie ausgespielt wird, und ist damit so aktuell, dass man den Roman kaum mehr als Dystopie bezeichnen kann. Die Geschichte um zwei Freunde, die sich in ein großes Troll-Netzwerk einschleusen, um es zu Fall zu bringen, wartet mit einigen scharfsinnigen politischen Beobachtungen auf und lenkt den Fokus zugleich auf die Personen hinter den Hassaccounts. Dies ist auch der Punkt, an dem die gern angeführten Vergleiche mit George Orwells Klassiker 1984 zum Scheitern verurteilt sind, denn hier geht es nicht um blinde Regimetreue und ein System methodischer Manipulation, sondern um Menschen, die eine totale Sinnzersetzung zelebrieren.

Für die großen Fragestellungen ist die Handlung beinahe zu gradlinig, sodass der Roman auch als spannender Thriller gelesen werden kann, wenn man denn gewillt ist, die politische Komponente auszuklammern. Andererseits erhält er durch die vielfältigen Bezüge auf russische Literaten des 20. Jahrhunderts mehr Substanz, als man bei seinem doch eher schlanken Umfang von ca. 200 Seiten vermuten würde. Alles in allem ein wichtiger Beitrag zu einem Thema, das uns alle noch lange beschäftigen wird.

 

Artikelbild: Tropen, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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