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Psylocke, Venom, Hulk, Black Widow, Thor und andere in einer Welt der Oni, Kami und Yôkai. Mit Demon Days hat Marvel mit Hilfe von der Zeichnerin Peach Momoko die actiongeladenen Comichelden in eine Welt der japanischen Folklore versetzt. Wir schauen uns das genauer an.

Inspiriert von japanischen Werbedesigns der 1960er bis 1980er und von den Studio Ghibli Filmen, machte sich die japanische Künstlerin Peach Momoko bereits vor Demon Days mit diversen Ausstellungen und eigenen Comics einen Namen. 2019 gestaltete sie dann ein Variant Cover für Marvel Rising #1.

Im Jahr 2021 brachte Marvel Comics die Serie Demon Days von Momoko heraus und schuf damit das, was die Künstlerin selbst als „Momoko-Verse“ bezeichnete, ein Setting, das die Superheldenfiguren von Marvel im Rahmen japanischer Volksmärchen neu interpretierte.

Demon Days wurde als Serie von fünf One-Shot-Ausgaben veröffentlicht, bevor es im Mai 2022 als Taschenbuch herauskam.

Handlung

Eine neue Version von Psylocke als einsame Ronin (ein wandernder Samurai ohne Herrn oder Meister) zieht mit ihrem treuen Wolf Logan durch die Lande. Dabei stoßen sie auf ein abgelegenes Dorf, das von Dämonen und Oni heimgesucht wird. Üblicherweise bleiben Oni (ogerähnliche Wesen) in den Wäldern und Bergen. Da aber die Menschen in ihr Reich vorgedrungen sind und ihre Wälder und somit ihren Lebensraum zerstören, sehen sich die Oni gezwungen die Dörfer und die Menschen anzugreifen, weil sie Hunger haben.

Als sich im Tempel des Dorfes ein Orochi – eine riesige Schlange, die von Venom besessen ist einnistet, erkennt die Kriegerin, dass sie die Hilfe des Onis Hulkmaru benötigen, um den Orochi zu bekämpfen.

Ein Twist am Ende der ersten Ausgabe offenbart, dass dies nicht die eigentliche Handlung des Comics ist. Die eigentliche Protagonistin Mariko selbst liest in einem Comic, als Frau Kuroki – die offensichtlich eine Version von Black Widow darstellen soll – sie auffordert, schlafen zu gehen. Die Handlung entwickelt sich schnell und Mariko findet heraus, dass sie nicht die ist, für die sie sich gehalten hat. In Wirklichkeit ist sie ein Oni und um die Wahrheit über sich selbst herauszufinden, muss sie sich auf die Suche nach Ogin machen, die sich allerdings von Oni Blut ernährt.

Charaktere

Die Protagonistin der Geschichte, Mariko, ist ein junges Mädchen, die in der Schule gemobbt und von Alpträumen geplagt wird. Ihre Großmutter offenbart ihr beim Abendessen, dass sie Mariko mit einem Messer im Wald gefunden hat, neben ihr ihre tote Oni-Mutter. Von ihrem Kindermädchen Kuroki hat sie früh gelernt zu kämpfen und möchte sich nun der Herausforderung stellen, mehr über ihre Vergangenheit und Familie herauszufinden.

Frau Kuroki, das Kindermädchen von Mariko, ist eine neue Interpretation der Spionin Black Widow. Sie wurde von Ogin angeheuert, um Mariko zu beschatten und sie letztendlich zu ihr zu bringen. Allerdings hat Kuroki ihre Zielperson ins Herz geschlossen und konnte somit ihren Auftrag nicht zu Ende bringen.

Auf ihrer Reise begegnet Mariko Freunden, aber auch Feinden, die alle bekannte Marvel-Figuren neu interpretieren. Leider ist aufgrund des raschen Handlungsfortschrittes und des Erscheinens von vielen verschiedenen Charakteren kein Raum, um bei den Charakteren ins Detail und die Tiefe zu gehen. Dies lässt alles ein wenig oberflächlich erscheinen.

© Panini Comics

Zeichenstil und Erscheinungsbild

Den erfahrenen Manga-Leser*innen wird auffallen, dass die Leserichtung anders als bei Mangas nicht von rechts nach links, sondern von links nach rechts erfolgt. Zudem sind die Zeichnungen in Farbe und nicht, wie bei Mangas üblich, in schwarz-weiß.

Momokos Zeichnungen bestehen aus Aquarellmalerei und erinnern an ein japanisches Märchenbuch. Die saubere Linienführung und die erstaunlich guten Charakterdesigns machen Demon Days zu einer einzigartigen Interpretation der Marvel-Superhelden, und Momoko ist in der Lage, ihre gesamte Geschichte zu vermitteln, ohne ein einziges Wort zu sagen, wobei jeder Charakter wunderbar ausdrucksstark ist und die Actionsequenzen völlig flüssig sind und sich von der Seite abheben. Allerdings erscheinen einige sehr actiongeladenen Panels überfüllt und können somit etwas überwältigend auf die Leser*innen wirken.

Die verschiedenen Farbpaletten auf den einzelnen Seiten sind sorgfältig ausgewählt und die einzelnen Panels harmonieren miteinander.

Was genau sind Yôkai, Oni und Kami?

Yôkai haben viele verschiedene Formen. Im Allgemeinen werden sie mit Folklore, kleinen Dörfern, alten Städten oder verlassenen Bergpässen in Verbindung gebracht, aber sie bevölkern auch seit langem die Literatur und die visuelle Bildsprache. Heute sind sie in japanischen Animes, Mangas, Videospielen, Filmen und Rollenspielen zu finden. Vereinfacht kann gesagt werden, dass ein Yôkai eine seltsame oder mysteriöse Kreatur ist, ein Monster oder ein fantastisches Wesen, ein Geist oder ein Kobold. Yôkai sind jedoch weitaus komplizierter und interessanter, als diese einfachen Charakterisierungen vermuten lassen.

Ein weiterer Begriff, der ursprünglich für Gefahr und Angst stand, ist Oni, was heute im Allgemeinen mit „Dämon“ oder „Oger“ übersetzt werden kann. Während der Heian-Periode (ca. 794-1185) war Oni eine Standardbezeichnung für jede Art von böser und bedrohlicher Kreatur, die in der Regel, aber nicht immer, eine menschenähnliche Gestalt hatte.

Ein Schlüsselbegriff im Zusammenhang mit Yôkai ist Kami (oft mit einem Ehrensuffix: kami-sama), was „Gott“ oder „Gottheit“ bedeutet. Übersetzungen wie diese können jedoch irreführend sein, denn Kami werden in Japan zwar verehrt und angebetet, aber sie haben nicht den allmächtigen Status, der Göttern in monotheistischen Religionen zugeschrieben wird. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von Kami, die alle möglichen Dinge in der natürlichen Welt bewohnen. Ein Berg, ein Wasserfall oder ein uralter Baum, kann einen Kami beherbergen oder tatsächlich einer sein; in anderen Fällen kann ein Kami in etwas Kleinem und Lokalen wohnen, wie einem Felsbrocken, einem Stein oder einem rieselnden Bach. Fast alles kann potenziell einen Geist besitzen.[1]

Diese Erklärungen sind natürlich sehr vereinfacht und kurzgefasst. Sie dienen lediglich zur Einordnung und zum besseren Verständnis der oben erwähnten Begriffe.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini
  • Autor: Clay McLeod Chapman, Peach Momoko, Zack Davisson
  • Zeichner: Davide Tinto, Manuel Garcia, Peach Momoko, Rafael de Latorre
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover ca. 330mm (Höhe) x 200mm (Breite)
  • Seitenanzahl: 172
  • Preis: 16,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Panini, Amazon, idealo

 

Fazit

Die Geschichte von Mariko auf der Suche nach sich selbst bietet interessante Interpretationen von einigen Marvel-Helden. Diese mögen in vielen Fällen Leser*innen auffallen, die mit eben diesen Comics vertraut sind. Allerdings ist die Handlung auch ohne Kenntnis über die Marvel-Comics verständlich, aber es entgeht natürlich einiges dadurch.

Für Marvel Comic-Leser*innen könnte das japanische Setting etwas Neues und Ungewohntes darstellen. Trotz neuer Gestaltung und Interpretation der einzelnen Charaktere, ist es jedoch möglich nachzuvollziehen, an wen sie angelehnt sind.

Die einzelnen Geschichten sind sehr vollbepackt mit Handlung, sodass die Charaktere keine wirkliche Tiefe erlangen. Dafür sind die Zeichnungen, die sich auch über einige Panels ausbreiten, ein Augenschmaus. Auch die verschiedenen Farbkonstellationen passen gut zueinander und wirken sehr harmonisch und ästhetisch.

An einigen Stellen wären Informationen in Form von Fußnoten wünschenswert gewesen. Bis auf eine sehr kurze Einlassung von Thomas Witzler zu Beginn, wird nicht mehr auf die verschiedenen Begriffe wie Yôkai, Oni, Kami und Orochi eingegangen. Auch ein Gedicht des berühmtesten Dichters der Edo-Zeit – Matsuo Bashô – wurde rezitiert. Zu seinen Lebzeiten wurde Bashô für seine Werke in der gemeinschaftlichen Versdichtung Haikai no renga anerkannt; heute, nach Jahrhunderten der Forschung und Kommentierung, gilt er als der größte Meister des Haiku.

Auf der Rückseite des Comics ist ein Zitat von AIPT abgedruckt, dass die Kombination der japanischen Kultur mit dem Marvel-Kosmos lobt. Zweifellos findet hier eine Neuinterpretation der Marvel-Figuren in ein japanisches Setting statt, allerdings wird die Kultur Japans durch diesen Comic den Leser*innen nicht nähergebracht.

  • Interessante Neuinterpretation

  • Schöne Zeichnungen, die an japanische Darstellungen angelehnt sind

  • Das (wenn auch sehr kurze) Vorwort zu Beginn

 

  • Handlung schreitet eilig voran

  • Charaktere haben keine Tiefe

  • Panels wirken manchmal überladen

Fußnoten
[1] Foster, Michael Dylan (2015): The Book of Yôkai – Mysterious Creatures of Japanese Folklore. University of California Press.

 

Artikelbilder: © Panini Comics
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Nina Horbelt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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