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Krieg ist mehr als nur der bewaffnete Konflikt zwischen Armeen oder die Strategie weniger Offiziere. Er beeinflusst das Leben normaler Menschen auf vielfältige Art und Weise und ändert den Alltag derart dramatisch, dass es schwierig sein kann alle wichtigen Faktoren in seiner Erzählung zu beachten. Oft denkt man als Spielleiter nur an die Panzer, die Explosionen und die dicken Kanonen. Aber der zwischenmenschliche Teil der Geschichte geht dabei verloren.

Kleinigkeiten können großen Einfluss auf ein Abenteuer haben. Sei es die Vorliebe für bestimmte Sportarten oder die sozialen Strukturen innerhalb von Stadtvierteln. Ein Überblick über die Kultur und Geschichte des Austragungsortes kann ebenso wichtig für die Story sein, wie die Beteiligten und deren unterschiedliche Ziele innerhalb des Konflikts. Die Spielhilfe schafft es, Themen hinter dem Tellerrand aufzuzeigen und ermöglicht auch ganz andere Spielarten. Es muss keine Gruppe von stark vercyberten Strassenkämpfern aus den Desert Wars sein. Auch eine Gruppe mit wenig Feuerkraft kann an den Hotspots der Welt einiges verändern.

Der Krieg zwischen Amazonien und Aztlan wird im Besonderen beleuchtet und Bogotá mit vielen Facetten dargestellt. Die Bürger in ihren verschiedenen Schichten und die Machtlosigkeit sowohl der Armen, als auch der Reichen in einer zerrissenen Stadt.

Inhalt

Die Spielhilfe bietet einen guten Überblick über die wichtigsten Informationen der Stadt Bogotá: Wie man sich dort fortbewegen sollte und was die Bevölkerung alles bewegt. Dargestellt wird das Ganze aus der Sicht einiger Runner, die seit längerem dort Geschäfte machen und über Insider-Wissen verfügen. Dieses Wissen geben sie auf ihre eigene Art und Weise an den Leser weiter und Schrecken auch nicht vor Themen wie: „Sex während einer Bombardierung“ zurück.

Der Jackpoint, eine Art Runnerforum in der Matrix, informiert über die wichtigsten Hintergründe zum Krieg. Er bleibt bei Berichten von Augenzeugen, Beobachtungen und Erlebnissen, die von den Verfassern scheinbar selbst gemacht wurden. Jeder Artikel wird natürlich ausführlich von anderen Matrix-Teilnehmern kommentiert und oft werden getroffene Aussagen in den Artikeln dadurch in ein anderes Licht gerückt. Teilweise werden sie relativiert oder auch durch zusätzliche Informationen untermauert. Natürlich sind die unterschiedlichen Foren-Benutzer geteilter Meinung, was viele Aspekte angeht und werfen sich auch mal gegenseitig vor, dass die gelieferte Information so nicht stimmt. (Mehr oder weniger direkt: „Ein Typ, der nicht gern tanzt ist ein Massenmörder? Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?“)

Wer außerdem schon ein paar Quellenbände gelesen hat, hat meist doppelt Spaß am Shadowtalk, da er die Beziehungen zwischen den einzelnen Forenbenutzern schon etwas besser kennt und die eine oder andere Spitze versteht. Wenn Hard Exit ihre offensichtliche Aztlan-Feindlichkeit nach außen trägt und dafür auch mal Gegenfeuer erntet oder Man-of-many-names wieder so mystisch wird, dass er Meister Yoda alle Ehre machen würde.

Hotspot Bogotá

Bogotá wird in den ersten Kapiteln kulturell und geschichtlich aufgeschlüsselt und die Ursprünge des Krieges werden betrachtet. Das Buch richtet sich hier eher an den Spielleiter und kann mit einigen interessanten Informationen zu Gruppierungen, Politik und Schlüsselfiguren im Krieg aufwarten.

Leider zeigt sich hier auch bereits eine Schwäche der Spielhilfe, da die Informationen weit verteilt wirken. Einerseits haben beispielsweise die Freiheitskämpfer natürlich etwas mit der Kultur der Region zu tun, aber als Teilhaber im Krieg hätte man diese Beschreibungen vielleicht eher in ein anderes Kapitel ausgliedern sollen. Auf dieses hätte man dann verweisen können.

Das Kapitel über die Truppenteile hätte sich dafür angeboten. Auch ein Index hätte dem Buch gut getan und das Herumblättern erleichtert. Der überwiegende Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Hotspot Bogotá und ist ansonsten sehr gut sortiert. Der Leser wird sehr gut in das Thema „Krieg“ eingeführt und es gibt viele detailreiche Strategien und Taktiken, die man einer Spielergruppe auf die eine oder andere Art und Weise nahe bringen kann. Beispielsweise wird die Wichtigkeit von Socken in einem Dschungelkrieg besonders betont und dürfte bei jedem, der den Film Platoon gesehen hat, ein Schmunzeln hervorrufen.

Interessanterweise haben auch die Weltreligionen einen Platz im Krieg und so bekommt die Katholische Kirche sogar ein eigenes Kapitel spendiert, sowie eine spannende Kurzgeschichte, die ihre Rolle näher erläutert. Natürlich dreht es sich wieder einmal um Geld und Rassenhass. History repeats itself.

Da die Kriegsführung in den 2070ern nicht nur Technologie, Taktik und Socken umfasst, sondern auch Magie und Geister, wird natürlich auch dieser Aspekt erzählerisch behandelt. Die beiden Feinde verfügen über stark unterschiedliche Arten von Magie und Amazoniens Hauptstreitmacht besteht überwiegend aus Erwachten und Geistern. Mächtige Zauberei ist sowohl notwendig als auch selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass der große Feind Aztlans ein Haufen Drachen und Fanatiker sind, welche den Urwald in seinen natürlichen Zustand zurückversetzen wollen.

Aztlans Truppen hingegen haben Magie vom Fließband und mächtige Blutgeister unter ihrer Kontrolle. Ihre magischen Ressourcen sind weltweit gefürchtet und bekannt. Aztlanische Spezialtruppen mit Astralpanzerungen und Fokusklingen sind jedoch auch nicht alltäglich! Bedenkt man dann noch wieviel diese Truppen abdecken müssen, so wird es bereits knapp gegen ihren Feind in Bogotá. Offiziell darf sich Aztechnology in den Krieg auch nicht einmischen und das wachsame Auge des Konzerngerichthofes sorgt weiter für Ressourcenknappheit.

Nebenwirkungen dieser mächtigen Kräfte sind natürlich immanent und der Astralraum in, sowie um Bogotá herum, ist ebenfalls so stark angegriffen, wie die Stadt in der echten Welt zerbombt ist. Als Faktor für die Hintergrundstrahlung im Astralraum wurden früher immer alte Konzentrationslager oder Tatorte von Morden herangezogen. In einem Kriegsgebiet wie Bogotá möchte man den Astralraum wahrscheinlich gar nicht erst sehen. Dennoch wird das Thema nur im Zusammenhang mit bestimmten Orten angeschnitten. Ein Punkt, der meiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit erhielt.

Begegnungen mit erwachten Tieren oder freien Geistern im Urwald sind ebenso im Bereich des Möglichen, wie auf Blockaden innerhalb der Stadtgrenzen zu treffen. Wahrscheinliche Konflikte und Hindernisse für die Spieler werden vorgeschlagen und angesprochen. Das Beste an diesen Informationen ist, dass sie weder zwingend an Shadowrun gebunden sind, noch an die Stadt Bogotá.

Die meisten Situationen und Abenteuer für eine Gruppe könnten sich an einem beliebigen Krisenort ergeben. Die Wiederverwendbarkeit des Buches ist also recht hoch, wenn man als Spielleiter ein wenig kreativ ist und das nicht nur für Shadowrun.

Hotspots weltweit

Krisenorte gibt es auf der Welt selbstverständlich genug und die wichtigsten werden auf je ein paar Seiten kurz angerissen. In Nepal, Polen, Somalia und dem Konzil von Marienbad kochen Konflikte, und die meisten dieser Orte können getrost als Krisengebiete betrachtet werden.

Als kleiner Bonus wurde in der deutschen Version des Buches ein Kapitel namens Heimatfront eingefügt. Dort wird über die Söldnerorganisation MET2000 sowie die Bundeswehr berichtet. Es gibt sogar eine gesonderte Ausrüstungsliste speziell für die Allianz deutscher Länder und das ist für deutsche Shadowrun-Spieler natürlich sehr nützlich, sofern die Spielgruppe in Deutschland agiert.

Spielinformationen

Das letzte Viertel des Buches ist gefüllt mit weiteren Spielinformationen: Regeln für außergewöhnliche Umstände wie Posttraumatischen Stress und Verweise auf nützliche Regeln aus anderen Büchern samt Seitenangabe.

Es behandelt unterschiedliche Arten von Fahrzeugkämpfen, das Rufen von Luftunterstützung und elektronische Kriegsführung auf militärischem Level. Da man einen Krieg nicht mit einer kleinen Truppe von fünf oder sechs Mann austrägt, ist es auch wichtig die Moral und die psychologische Stärke der NSC zu bedenken. Wie verhält sich eine Truppe unter Artilleriebeschuss? Wie lange hält man eine Stellung gegen anstürmende Geister? Wie kämpft man gegen erwachte Teufelsbäume, ohne den Verstand zu verlieren?

Außer einer Menge an vorgefertigten Schergen und ausgearbeiteten Kontakten passend zur Region/Situation, gibt es natürlich noch die militärische Ausrüstung. Schwere Waffen und ausgefallene Systeme bis hin zu satellitengestützten Raketensystemen sind hier samt Regeln aufgelistet. Eine Fundgrube für den Waffennarren mit lächerlich hohen Schadenscodes und, passend dazu, gepanzerte Fahrzeuge wie Panzer, Schiffe und sogar Kampfjets. Außer schwerem Gerät gibt es natürlich auch andere nützliche Ausrüstung zum Überleben im Dschungel oder ausgefallene Bio-Drohnen, die im Regenwald einen Matrix-Zugang ermöglichen. Es ist schon eine verrückte Idee vercyberte Panther zu benutzen, um Wireless Hotspots im Regenwald zu verteilen, aber nicht weniger genial.

Was mich erschreckt hat, war der Regelpart über „besonders große Würfelpools“. Der Hinweis, dass man bei militärischer Ausrüstung schnell mal über dreißig oder sogar sechzig Würfel werfen muss, bestätigt mich persönlich in meinem Rückzug zu narrativeren Systemen. Wenigstens wurde darauf hingewiesen und es gibt mehrere Varianten, um die Würfel-Orgie zu minimieren. Ein paar militärische Zauber und außerdem ein oder zwei Kräfte für Adepten und Technomancer finden sich ebenfalls dort.

Preis-/Leistungsverhältnis

Der Preis des PDF bewegt in dem normalen Rahmen von ca. zwanzig Euro und für dieses Geld bekommt man in jedem Fall etwas geboten. Die Informationen, die hier über Kriegseinsätze gesammelt wurden, sind nützlich und die gelieferten Abenteuer -Ansätze bieten Stoff für so manche Kampagne unter extremen Bedingungen.

Schade ist nur, dass man den vollfarbigen Milspec-Katalog extra dazukaufen muss. In der Printvariante wird dieser bereits mitgeliefert, dafür kostet diese aber auch gut 15 Euro mehr. Die digitale Version des Waffenkatalogs kostet 10 Euro, womit man also immer noch 5 Euro spart.

Erscheinungsbild

Shadowrun Fronteinsatz CoverDas Layout der Shadowrun-Bücher ist durch alle mir bekannten Quellenbücher hindurch stringent designed und das bereits seit der dritten Edition. Die Texte sind, wie bei Zeitungen, in Spalten gegliedert und werden durch zahlreiche Illustrationen und Darstellungen als „Programmfenster“ aufgelockert.

Die Qualität der Illustrationen ist durchweg gut, es gibt aber auch einige Ausnahmen von außergewöhnlicher Qualität, wie beispielsweise die detaillierten Abbildungen einzelner Charaktere. Eingeschobene Zusatzinformationen in Matrix-Kästchen bieten Abwechslung für das Auge und beleuchten aufgegriffene Themen genauer.

Die gewählte Auflösung und die Schriftarten haben sich bewährt und sind auf unterschiedlichen Geräten gut lesbar. Auf kleinen Tablets oder Handys sollte man jedoch von der Zoom-Funktion Gebrauch machen, um die Augen zu schonen. Das Buch liegt hier als PDF vor und verfügt über ein Bookmark-Verzeichnis. Am Buchende gibt es darüber hinaus ein Tabellenverzeichnis für Waffen, Ausrüstung und Zubehör.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor(en): David Hill et al
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: deutsch
  • Format: DIN A4
  • Seitenanzahl: 199
  • ISBN: 978-3941976320
  • Preis: 14,89 EUR (pdf), 19,95 EUR bis 34,95 EUR (Druck)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (pdf), Amazon (Druck), Sphärenmeisters Spiele (Druck)

 

Bonus-/Downloadcontent

Es gibt keinen Bonuscontent für das Quellenbuch, außer dem bereits erwähnten Waffenkatalog, der aber extra bezahlt werden muss.

Fazit

Das Quellenbuch ist gut geschrieben und umfasst das Thema Krieg in einem für den Spieltisch angemessenen Rahmen. Die Stadt Bogotá steht im Mittelpunkt der Geschehnisse und bietet gute Möglichkeiten für so manchen Shadowrun zwischen Drachen, Geistern und Bombardement. Eine gigantische Stadt im Kriegszustand fordert von Spieler und Spielleiter neue Herangehensweisen und fördert die Abwechslung im Spiel enorm.

Mit der Lektüre dieser Spielhilfe bekommt ein Spielleiter gute Möglichkeiten an die Hand, um eine Kampagne zu realisieren und neue Erfahrungen zu generieren. Die einzige Schwäche des Buches ist seine teilweise schlechte Strukturierung, da die Informationen zu bestimmten Gruppen oder Personen recht weit in dem Buch verstreut sind. 

Weil es keinen Index gibt, führt das sicherlich zu einigem Blättern. Positiv sei angemerkt, dass die deutsche Variante des Buches ein Extra-Kapitel für die ADL beinhaltet und einige Ausrüstungsgegenstände speziell aus Deutschland aufgelistet werden – Bundeswehr in Bogotá gefällig? 

 

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Pegasus Spiele

 

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