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Mit dem Auftauchen der Magie wurde im Dezember 2012 die Sechste Welt eingeläutet und Magie ist nach wie vor eines der bestimmenden Elemente im Genremix von Shadowrun. Natürlich gehört es da zum immer wiederkehrenden Ritual, dass mit dem Start einer neuen Edition ein neues Magiebuch auf den Markt kommt – inzwischen zum fünften Mal. Pegasus hat mir dankenswerterweise das Straßengrimoire als gebundene Version überlassen. An passenden Stellen will ich es mit meiner englischen PDF-Variante vergleichen.

Inhalt

Das Regelwerk zum Thema Magie (engl: Core Magic Rulebook) umfasst 277 Seiten in einem Dutzend Kapiteln und ist, wie üblich, hauptsächlich aus der Sicht von in der Sechsten Welt lebenden Figuren geschrieben. Hier will ich Stück für Stück einen Überblick der einzelnen Kapitel bieten und auf jeweilige Besonderheiten eingehen.

Die erwachte Welt

Das erste Kapitel bietet einen Blick auf die kulturelle Integration von erwachten Metamenschen in die Welt von Shadowrun. Die meisten Bereiche werden auf den 14 Seiten nur knapp angerissen, religiösen Implikationen oder Magie unter Shadowrunnern allerdings etwas mehr Platz eingeräumt.

Man gewinnt beim Lesen unweigerlich den Eindruck, dass ein erwachter Charakter schnell dazu neigt, den Bodenkontakt unter seinen Füßen zu verlieren, um mit einer an Arroganz grenzenden Überlegenheit auf alles Weltliche herabzublicken. Aber so subjektiv der Text geschrieben ist, so stark relativieren vor allem die Regeln der fünften Edition von Shadowrun jeden magischen Höhenflug.

Magie in der Welt

Nun bietet sich dem Leser eine wilde Mischung aus Texten, die erklären wollen, was Magie ist oder nicht ist. Anfangs postuliert der Autor (natürlich eine fiktive Person) einige sogenannte Gesetze der Magie, bei denen es mehrheitlich darum geht, dass sich Magie schwer erforschen oder kontrollieren lässt. Auf den weiteren Seiten des Kapitels werden – sozusagen als Beleg dafür – verschiedene astrale Phänomene vorgestellt und die Regeln für die bereits aus früheren Editionen bekannte Hintergrundstrahlung eingeführt.

Einem Spielleiter bieten sich hier eine Menge Ideen, die sich in die eigene Kampagne einbauen ließen. Gleichzeitig dürfte der Spieler eines erwachten Charakters mit Grauen die Möglichkeit fürchten, dass der Spielleiter beinahe jedem Viertel im Sprawl in Abhängigkeit von Tageszeit und aktuellen Vorkomnissen eine eigene Hintergrundstrahlung verpasst und so das Magieattribut des Erwachten reduziert und die Möglichkeiten des Zauberers oder Adepten beschneidet.

Magische Traditionen

Hier wird es erstmals für Spieler interessant, denn nun werden die unterschiedlichen magischen Traditionen vorgestellt, nach denen man seinen erwachten Charakter ausrichten kann. Es werden eine Reihe von klassisch-kulturellen Traditionen beschrieben, z.B. Sioux, Voodoo, Shinto, wie aber auch neue und exotische, z.B. Chaosmagie, Faustianer, Straßenhexen. Zu jeder der Traditionen werden die zu den Magiebereichen passenden Geister, der Entzugspool sowie typische Zauber oder Adeptenkräfte vorgestellt. So ist dieses Kapitel eine Ergänzung für die Ausgestaltung der eigenen Spielrunde, ohne neue Regeln zu bieten. Stattdessen wird sich darauf beschränkt, die Grundregeln stimmungsvoll zu interpretieren.

Und dennoch verbergen sich ein paar Neuerungen in diesem Kapitel. Bei einigen Traditionen werden nämlich Geisterarten, Zauber oder Kräfte aufgeführt, die wir erst in späteren Kapiteln kennenlernen – ohne dies entsprechend kenntlich zu machen.

Magische Gesellschaften

Öffentliche oder geheime, konzerneigene, hysterische, religiöse oder örtliche magische Gruppen werden hier beschrieben und erweitern damit potentiell den Hintergrund einer Kampagne; ob als Antagonisten oder als Unterstützung für die Runner oder nur die Erwachten unter ihnen. Ergänzt wird das Kapitel durch einen kleinen Abschnitt, in dem Aufgaben weltlichen Personals in solchen Gesellschaften aufgeführt werden.

Es verbergen sich auch hier viele gute Ideen und besonders gefallen mir dabei die Gesellschaften, die auf den Straßen entstanden sind und mehr einen Gangcharakter haben.

Dunkle Magie

Nun folgt mit Fug und Recht das Horror-Kapitel des Straßengrimoires. Es werden eine Reihe von Magiepraktiken beschrieben, bei denen es quasi eine Anfangsvoraussetzung ist, dass die Zauberer ihre „Metamenschlichkeit bei der Verfolgung ihrer Ziele verloren haben“. Es geht um toxische Magie, Blutmagie und Insektenmagie, um deren Einstellung, deren Fähigkeiten, eigene Schutzgeister, spezielle Geisterarten sowie einige unabhängige Schreckensgestalten.

Hier bietet sich dem Spielleiter das richtige Werkzeug für rabenschwarze (oder blutrote) Geschichten und Antagonisten. Die Geschichten um die Insektengeister sind bei Shadowrun über viele Editionen hinweg praktisch legendär.

Erweitertes Grimoire

Das Grimoire bietet insgesamt weit über 100 Zauber in den fünf bekannten Kategorien. Dabei verstecken sich die neuen zwischen denen aus dem Grundregelwerk, die hier erneut abgedruckt wurden und das Grimoire damit zu einem runden Ganzen machen. Unter den neuen Zaubern sind viele gute bekannte aus früheren Editionen, aber auch ein paar frische. Es finden sich beispielsweise Zauber, die mit der in der fünften Edition etablierten Regel des Limits arbeiten oder aber die Zauber „Rauschen senken“ oder „Rauschen erhöhen“, die dem Magier eine Art Eingriff in die Welt von Decker, Technomancer oder Rigger gewähren.

Schattenrituale

Eine der großen Veränderungen von Shadowrun 5 zu seinen Vorgängern ist die spieltechnische Etablierung von Ritualen. Manche frühere Mechaniken, wie beispielsweise das Beschwören von Watchern oder das Erschaffen von Hütern, wurden dahin verlagert, andere wurden so erst für alle Zauberer verfügbar gemacht, z.B. Homunkuli. Dementsprechend dürfen neue Rituale nicht fehlen, die in diesem Kapitel vorgestellt werden. Wie schon im Kapitel zuvor werden die Rituale des Grundregelwerks ebenfalls abgedruckt.

Geheimnisse der Initiaten

Die sehr kurzen Regeln zur Initiation aus dem Grundregelwerk werden hier deutlich erweitert. Dabei werden Optionen vorgestellt, um die recht hohen Karmakosten bei der Initiierung durch das Bestehen verschiedener Prüfungen zu reduzieren. Im Anschluss kann man dann auf eine Vielzahl spezieller magischer „Künste” zugreifen, die Zugang zu weiteren metamagischen Techniken sowie Ritualen gewähren. Nur so lassen sich beispielsweise einige der im Kapitel „Schattenrituale” vorgestellten Rituale wie auch einige der Verzauberungstechniken aus dem noch folgenden Kapitel über Alchemie erlernen.

Auch Adepten kommen als Initiaten in den Genuss besonderer Fähigkeiten, hier in Abhängigkeit davon, welchem „Weg” sie folgen.

Körperliche Magie

Wurden im vorherigen Kapitel die erweiterten Besonderheiten der „Wege” eines Adepten nach der Initiation geschildert, werden hier dann auch die „Wege” an sich beschrieben, denen ein Adept folgen kann. Dabei handelt es sich um Philosophien, die als Vorteile gewählt werden können und, die vom Zugang zu den jeweiligen Initiatenkräften einmal abgesehen, eine Menge spannender Einflüsse auf den Charakter haben können wie zum Beispiel die Senkung von Kosten für Adeptenkräfte.

In das Kapitel gehört dann natürlich auch eine Beschreibung aller Adeptenkräfte aus dem Grundregelwerk und 41 neue Kräfte.

Immaterielle Welt

In diesem Kapitel geht es um die Helfershelfer der Erwachten, um Geister, ihren Nutzen und ihre Fähigkeiten. Es geht nicht nur um die Arten, die beschworen werden, die hier um ein paar neue Typen erweitert wurden. Es geht auch um Freie Geister, Schutzgeister und mehr. Dazu werden ergänzende Regeln zum Beschwören und einige neue Geisterkräfte vorgestellt. Außerdem gibt es hier einen neuen Vor- und einen neuen Nachteil für Beschwörer.

Hier finden sich auch die von früheren Versionen bekannten Regeln für das Binden oder Erschaffen eines Verbündeten, also eines mächtigen Geistes, der einem quasi permanent beisteht. Und es kostet noch immer eine obszöne Menge Karma.

Der in meinen Augen allerdings spannendste Teil ist der über die Reputation eines Beschwörers in der Geisterwelt. Nach dieser Regel sammelt der Beschwörer – je nach Umgang mit Geistern im Großen und Ganzen – nach und nach Geisterschuld an und diese wiederum erzeugt einen schlechten astralen Ruf, der dann direkt den Würfelpool eines Beschwörers bei entsprechenden Aktivitäten senkt. Was mich daran so begeistert, sind allerdings weniger die Einschränkungen, die der Erwachte in seinem Handwerk erfährt, als die daraus potentiell entstehenden Geschichten, wenn dieser versucht, die Schuld durch das Sühne-Ritual abzuarbeiten.

Von Blei zu Nuyen

Ich gebe zu, ich habe mich nie viel mit Alchemie bei Shadowrun beschäftigt. In früheren Editionen war dieser Aspekt meist viel zu aufwändig für den geneigten Shadowrunner, der dreckige Dinge tut, um am Leben zu bleiben. In der fünften Edition ist der Zugang zu diesem Bereich ja deutlich erleichtert worden und in diesem Kapitel werden weitere Dinge vorgestellt, die jeder Runde von Runnern helfen können. Nicht nur besondere Gegenstände, auf die sich der Träger zwar magisch eingestimmt haben muss, die allerdings nicht gebunden werden müssen, sondern auch eine Handvoll spezieller magischer Drogen oder Gifte.

Das Leben eines Taliskrämers

Im letzten Kapitel wird das Wirken eines Taliskrämers beleuchtet, der für den erwachten Charakter aus der Spielrunde eine wichtige Quelle für Foki und Reagenzien ist. Dazu werden kleine Regelerweiterungen für das Sammeln von Reagenzien vorgestellt und ein paar berühmte Foki beschrieben.

Preis-/Leistungsverhältnis

Die Preispolitik von Pegasus ist bekanntermaßen einzigartig auf dem deutschen Markt. Für 19,95 EUR erhält man ein gebundenes Magieregelwerk, das zudem noch in wichtigen Teilen um die Dinge aus dem Grundregelwerk ergänzt wurde, damit das Suchen und Nachschlagen erleichtert wird. In dieser Konstellation ist das Buch absolut unschlagbar.

Erscheinungsbild

Wie alle gebundenen Bücher von Shadowrun 5 weist auch dieses hier eine edle Erscheinung auf. Prägungen auf dem Buchdeckel sowie der Rückseite, eine aufwändige und vollfarbige Gestaltung im Inneren und das Lesebändchen machen das Straßengrimoire zu einem optisch edlen Werk. Die Bilder treffen zwar nicht immer meinen Geschmack, sind aber überwiegend ansprechend und angenehm platziert. Der Text ist sauber zweispaltig gesetzt, durch Überschriften und Absätze gestaltet und hier und da durch graue Tabellen oder rote Kästchen unterbrochen, in denen sich weitere relevante Informationen finden lassen.

Unnötig viele Kästchen
Unnötig viele Kästchen

Es sind tatsächlich extrem viele rote Kästchen in dem Buch verbaut. Und deren Informationen haben oft nicht nur nebenbei einen Bezug zum sonstigen Text an der Stelle. Stattdessen hätte man die dort enthaltenen Informationen, z.B. die regeltechnischen Eigenheiten der magischen Traditionen, jeweils in den Text zu diesen Traditionen setzen können. Sie optisch und räumlich abseits anzuordnen, wirkt irgendwie unnötig und tut der Übersichtlichkeit keinen Gefallen.

Was mir zum Thema „Erscheinungsbild” auch aufgefallen ist, ist eine Zeichnung von Earl Geier im Abschnitt über Insektengeister. Ich mochte seinen Stil zwar nie, aber er gehörte für Shadowrun über viele Editionen zur Familie. Sein Bild wird dort offenkundig verwendet, seine Signatur ist deutlich zu erkennen, im Impressum wird er jedoch nicht erwähnt. Übrigens ähnlich wie im Schnellstarter zu Earthdawn 4 von Ulisses. Will der Mensch nicht mehr namentlich auftreten oder sind das zufällige Fehler?

shadowrun5-strassengrimoire coverDie harten Fakten

  • Verlag: Pegasus Spiele GmbH
  • Autor(en): Jason M. Hardy et al.
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: DIN A4 Hardcover oder PDF
  • Seitenanzahl: 277
  • ISBN: 978-3-941976-97-9
  • Preis: 19,95 EUR Hardcover, 14,95 EUR als PDF
  • Bezugsquelle: Amazon, Pegasus Digital, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Es gibt keinen, wenn man mal von der Errata-Sammlung im Pegasus-Forum absieht.

Fazit

Ich habe das Buch nun mehrfach vor und zurück gelesen und durchblättert. Und ich frage mich, wieso die Kapitel derart erratisch angeordnet sind. Natürlich sind alle Themen irgendwie miteinander verwoben. Aber wieso muss das Kapitel über Initiation nach dem Grimoire und der Übersicht der Rituale, aber vor der Übersicht der Adeptenkräfte kommen?

Nein, das ist kein Grund, um das Buch schlechtzumachen. Auch nicht die Menge an roten Seitenkästchen. Oder dass man den Illustrator Earl Geier nicht namentlich erwähnt. Das Buch hat eine Menge für Spieler von erwachten Charakteren zu bieten, die ihre Möglichkeiten mit dem Dargebotenen ausbauen wollen – und über lange Kampagnen hinweg können.

Wenn allerdings auch der Spielleiter einen Blick hineinwirft, sollte man als Zauberer oder Adept in Deckung gehen. Zu verlockend könnten die Möglichkeiten sein, dem Erwachten das Leben schwerzumachen. Natürlich kann die ganze Spielrunde mit allerlei magischen Geschichten oder Gegnern bewerfen werden – und da bietet das Buch seitenweise spannende Ideen und Ansätze, von Horror zu klassischer Fantasy. Aber wer glaubte, dass das magische Potential eines Erwachten von der vierten zur fünften Edition gelitten habe, der wird mit Hintergrundstrahlung oder Geisterschuld vermutlich neue Tiefpunkte erleben. Da bleibt nur zu hoffen, dass der Spielleiter diese Möglichkeiten behutsam einsetzt, um Akzente zu setzen und nicht so wie offeriert, immer und überall.

Was mich wiederum an dem Buch über und über begeistert, sind die kompletten Übersichten von Zaubern, Ritualen und Adeptenkräften. Gegenüber dem englischen Werk hat das Team um Tobias „Tigger” Hamelmann wiedermal einen draufgesetzt und nicht nur eigenen deutschen Inhalt beigesteuert, sondern die entsprechenden Kapitel zu einer Referenz gemacht, bei der man sich das Suchen in unterschiedlichen Büchern erspart.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Pegasus Spiele
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt

 

2 Kommentare

  1. Für meinen SK sind all die üblen Sachen zu regellastig also gaben wir jetzt eine Hintergrundstrahlung die mehr einem regionalen Manavorkommen gleicht und wiederum nur die Spruchzauberei betrifft. BRAVO CGL BRAVO!

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