Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Es gibt Bücher, die sich lohnen besprochen zu werden, und es gibt Bücher, bei denen dies nicht der Fall ist. Mitternachtsrot von Bianca M. Riescher ist ein absolutes Mittelding. Es ist ein Roman, bei dem der Klappentext bereits den Inhalt verrät und nur kleine Geheimnisse bleiben. Ob die Geschichte dennoch lesenswert ist, erfahrt ihr in dieser Rezension.

„Eine Erzählung aus Dschanor“ lautet der Untertitel des Romans, und passend dazu umfasst die Geschichte auch nur 220 Seiten. Eine kurze Erzählung, die es unter die Top 3 der Nominierungen für den Seraph 2016 in der Kategorie „Bestes Debüt“ geschafft hat. Der Seraph wird jährlich von der Phantastischen Akademie, im Rahmen der Leipziger Buchmesse, in drei verschiedenen Kategorien vergeben (Bestes Debüt, Bestes Buch, Bester Independent-Autor).

Story

Die Geschichte dreht sich im Groben um die Liebesgeschichte zwischen der jungen, kreedanischen Kriegerin Lisaan und dem trijanischen Söldner Tareq. Wie viele Völker genau es in der Welt Dschanor gibt, geht aus der Erzählung nicht hervor. Jedoch ist eindeutig, dass es mehr als zwei sind, sowie dass es sich bei den Kreedan und den Trijan um erbitterte Feinde handelt. Die Kreedan sind ein kriegerisches Waldvolk, während die Trijan die Herren der Wüste sind.

Lisaan befindet sich auf einer morgendlichen Erkundungstour mit den jungen Rekruten ihres Dorfes durch den angrenzenden Wald, als sie von trijanischen Söldnern überfallen werden. Mit Mühe schafft sie es, die Söldner in Schach zu halten, so dass die Rekruten fliehen können. Doch für sie sieht es nicht gut aus. Von ihrer Überzahl überwältigt wird Lisaan ins Lager der Söldner geschleppt und zu deren Anführer Tareq gebracht. Tareq ist angetan von der starken, eigenwilligen Kriegerin und beschließt, sie zu seiner Aleschu, seiner Sklavin, zu machen. Doch Lisaan ist nicht so leicht zu brechen. Ab ihrer ersten Begegnung herrscht eine sexuelle Spannung, auch wenn sie anfangs nur einseitig zugegeben wird. Und wie sich herausstellt, war ihre Begegnung nicht ganz zufällig. Ohne es zu ahnen, erhält Tareq mit Lisaan den Schlüssel zu ihrer beiden Schicksal. Denn Tareq, dem vor vielen Jahren das wichtigste Artefakt seines Volkes gestohlen wurde, will die Ordnung in seiner Heimat wiederherstellen. Er will seine Verbannung rückgängig machen und das Heilige Schwert von Saïfa´Har seinem Volk zurückbringen. Aus diesem Grund begibt er sich zum Orakel von Anc´Be. Doch anders als erwartet, verrät ihm das Orakel nicht, wo sich das Schwert befindet. Vielmehr schickt es Tareq und Lisaan zurück in die Vergangenheit, in die Wüste der Trijan, um die heiligen Artefakte ihrer beiden Völker zu retten.

Vom Prinzip her kann man der Story gut folgen. Allerdings gibt es einige Aspekte, die es erschweren. Der erste Punkt, der auf den Leser anfangs sehr verwirrend wirkt, ist die Erzählperspektive. Anstelle eines normalen auktorialen Erzählers, der das Geschehen von außen beschreibt, springt die Sichtweise zwischen Tareq, Lisaan und einigen weniger wichtigen Charakteren hin und her. Während in einem Satz noch aus der Sicht von Lisaan berichtet wird, erfährt man im nächsten alles aus dem Kopf von Tareq. Dabei bemerkt man diesen Wechsel als Leser nicht immer sofort, was zu einigen Verständnisschwierigkeiten führt.

Ein anderer Aspekt ist die Art der Zeitreise. Ganz entgegen dem eigentlich allgemein bekannten Gesetz – sprich als Zeitreisender niemals mit deinem früheren Selbst und erzähle ihm bloß nicht von der Zeitreise – arbeiten Tareq und Lisaan sogar mit Tareqs jüngerem Ich zusammen, und auch andere Personen verfolgen dieses Schema. Dies hat natürlich zur Folge, dass es mehrere Charaktere mit demselben Namen gibt. Leider macht die Autorin nicht immer deutlich, um welches Exemplar es sich gerade handelt, so dass es auch hier oftmals zu unverständlichen Vorkommnissen kommt, die sich erst klären, wenn der Leser seinen Fehler bemerkt.

Positiv anzumerken ist, dass die Story einen roten Faden verfolgt, den man die ganze Zeit gut verfolgen kann. Es gibt ein klares Ziel, das einen berechtigten Grund hat. Was mich persönlich jedoch gestört hat, ist die Art der Liebesgeschichte. Mal ganz davon abgesehen, dass der Klappentext von Anfang an keinen Zweifel an dem Ablauf dieser Liebe lässt, ist sie in meinen Augen unglaubwürdig. Von wahrer Liebe kann man nicht sprechen, beurteilen die Protagonisten ihre Zuneigung zueinander doch immer nur aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des jeweils anderen. Es ist mehr sexuelles Verlangen als echte Liebe, auch wenn die Autorin versucht dem Leser etwas anderes weiszumachen. Besonders nervig fand ich das ständige Hin und Her von Lisaans Gefühlen. Aus absolut nichtigen Gründen will sie immer wieder von Tareq weg, nur um dann fünf Seiten weiter doch wieder von seinem wunderschönen, starken Körper zu schwärmen. Außerdem erinnerte mich die Liebesgeschichte anfänglich doch sehr an das Stockholmsyndrom – die gefangene Kriegerin fühlt sich zu ihrem Peiniger sexuell hingezogen. Im weiteren Verlauf verschwindet zwar zumindest dieser Eindruck, glaubhaft wird die Liebe, in meinen Augen, bis zum Schluss jedoch nicht. Und obwohl man früh erfährt, wie es ausgehen wird, ist man als Leser mit dem Ende des Romans nicht ganz zufrieden.

Zu den Charakteren kann man sagen, dass sie sich ähnlich verhalten wie die Liebesgeschichte, jedoch mit wenigen Ausnahmen. Man erfährt über Lisaan und Tareq zwar relativ viel, allerdings wirkt Lisaan hinter Tareq etwas blass. Während Tareq in seinen Beweggründen absolut nachvollziehbar ist, fragt man sich als Leser doch, warum Lisaan dem Mann hilft, der sie zur Sklavin machen wollte. Nur wegen seines Adonis-Körpers? Und auch die Beschreibungen von Lisaans Cousin Brektaar, der eine wichtige Rolle in der Geschichte einnimmt, wirken etwas flach. Ganz abgesehen von seinen Beweggründen, die ich selbst am Ende des Romans noch nicht verstanden habe, weil sie nicht genauer erläutert werden.

Auch wenn die Liebesgeschichte in diesem Roman präsenter ist und deutlicher hervorgehoben wird als in anderen Fantasyromanen, bin ich mir nicht sicher, ob man ihn zur Romantasy zählen kann. Vielleicht einfach, weil mir die Liebe nicht glaubwürdig erscheint. Was einem allerdings klar sein sollte, bevor man zu diesem Buch greift: Wenn man keine Lust auf sexuelle Spannung, Beschreibungen muskelbepackter Arme und der einen oder anderen Liebesnacht hat, sollte man zu einem anderen Buch greifen. Es spielen zwar auch Kämpfe, Verrat und Ehre eine große Rolle in diesem Roman, die Liebesgeschichte ist allerdings allgegenwärtig. Alles in allem hält es sich jedoch die Waage, und die Story an sich ist spannend zu verfolgen.

Schreibstil

Bianca Riescher bedient sich eines sehr einfach Schreibstils, was angenehm zu lesen ist. Keine unnötig komplizierten Schachtelsätze, keine hochtrabenden Begriffe. Das einzige, was etwas verwirrend ist, sind die bereits erwähnten Sprünge in der Erzählperspektive, die gerne auch durch Gedankengänge begleitet werden. In diesem Beispiel folgt ein Gedankengang Lisaans (gekennzeichnet durch Kursivierung) ohne Ankündigen direkt auf die wörtliche Rede von Tareq: „Es wäre hilfreich, wenn du deinen“, Tareq schnalzte mit der Zunge, als ob ihm nicht gleich das geeignete Wort einfiel, „Widerwillen mir gegenüber verbergen könntest. Wenigstens solange wir im Lager meiner Familie sind.“

Widerwillen? Nein! Das klingt falsch. Trifft Verwirrung es nicht viel besser? Lisaan antwortete mit einem unbestimmten Knurren. Ohne Zweifel, er war gutaussehend und ein hervorragender Kämpfer.

Die Autorin

Nichts macht einen Journalisten bei der Recherche über einen Autor glücklicher, als auf die Autoren-eigene Homepage zustoßen, und nichts lässt ein unbefriedigenderes Gefühl zurück, als festzustellen, dass der Autor keine Kurzbiografie auf seiner Seite veröffentlicht hat. Dafür findet man auf Bianca Rieschers Homepage alle möglichen Informationen zu ihrem Schreibablauf, ihrer Recherche und zu ihren Werken. Wobei es sich bei ihrer Homepage eher um eine Art Blog handelt.

Mit Mitternachtsrot veröffentlichte sie 2015 ihren Debütroman, woraufhin im Mai 2016 eine Kurzgeschichte in der Anthologie Der Dampfkochtopf – Geschichten und Rezepte aus der Steampunk-Küche folgte. Auch eine zehnseitige Kurzgeschichte zu ihrer Welt Dschanor findet sich auf ihrem Blog zum kostenlosen Download. Laut eigenen Angaben hat sie noch viele weitere Kurzgeschichten in der Schublade liegen, doch ob eine von diesen den Weg zu einem Verlag beschreiten wird, steht in den Sternen.

Zu ihrer Person lässt sich herausfinden, dass Bianca M. Riescher 1969 geboren wurde. Die studierte Diplom-Geographin lebt mit ihrer Familie im Kanton St. Gallen und ist passionierte Bogenschützin. Wenn sie sich nicht gerade in der Ersinnung neuer phantastischer Geschichten verliert, beschäftigt sie sich mit Archäologie und der Geschichte des Mittelalters sowie der Antike.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit 12,49 EUR ist Mitternachtsrot für ein 220 Seiten dünnes Buch recht teuer. Leider ist dies bei kleinen Verlagen sehr oft der Fall, da die Auflagezahlen nicht mit denen der großen Verlage zu vergleichen sind. Und auch wenn das Papier eine gute Qualität aufweist, reicht bei diesem Roman die E-Book Version vollkommen. Obwohl man sich auch bei dem E-Book vor Augen halten sollte, dass es mit 7,49 EUR ebenfalls sehr teuer ist. Alles in allem bin ich der Ansicht, dass sowohl der Druckpreis, als auch der E-Bookpreis für die Qualität der Geschichte nicht gerechtfertigt sind. Angemessen fände ich beim Druck einen Preis zwischen 8 EUR und 10 EUR, und beim E-Book zwischen 3,50 EUR und 5 EUR.

Erscheinungsbild

Mitternachtsrot Roman Review CoverVom Material her, handelt es sich bei Mitternachtsrot um ein qualitativ hochwertiges Buch. Der Einband fühlt sich angenehm glatt, nicht kalt und gleichzeitig etwas weich an. Das Papier ist erstaunlich dick und fühlt sich ebenfalls sehr weich in der Hand an. Das Cover jedoch lässt sehr zu wünschen übrig. Vom Prinzip her verfolgt es den Ansatz „Weniger ist mehr“, jedoch trifft dies nicht bei einer schlechten Qualität zu. Der abgebildete Umriss einer Frau, der wahrscheinlich Lisaan darstellen soll, ist unscharf, ebenso wie der Verlagstitel.

Ein weiterer Minuspunkt ist die Marginalspalte. Wo der Bundsteg genug Platz lässt, damit man das Buch gut aufschlagen kann, weist die Marginalspalte umso weniger Platz auf. Dies hat zur Folge, dass der Daumen beim Halten des Buches einige Buchstaben verdeckt. Textsatz und Textgröße tragen ansonsten zu einem angenehmen Leseklima bei.

Ein absoluter Pluspunkt ist die herausnehmbare Karte von Dschanor, die in jedem Buch vorhanden ist. Ebenso wie der Roman an sich, weist auch die Karte eine vom Material her hohe Qualität auf.

Die harten Fakten:

  • Verlag: ohneohren Verlag
  • Autorin: Bianca M. Riescher
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch A5
  • Seitenanzahl: 220
  • ISBN: 978-3-903006-32-4
  • Preis: 12,49 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Auf Amazon kann man den mittlerweile fast obligatorischen Blick ins Buch erhaschen, und sich gleichzeitig die Weltkarte ansehen.

Fazit

Mit 220 Seiten ist Mitternachtsrot eines der kürzesten Bücher, das ich seit langem gelesen habe. Es ist erfrischend, endlich mal wieder eine abgeschlossene Geschichte zu lesen, ohne Angst haben zu müssen, dass der nächste Band noch Monate bis zur Veröffentlichung benötigt. Und dennoch kann ich es nicht uneingeschränkt empfehlen.

Der Plot des Romans, die heiligen Artefakte zu retten, ist zwar an und für sich spannend zu verfolgen, jedoch stört die, in meinen Augen, absolut unglaubwürdige und allgegenwärtige Liebesgeschichte, die lediglich auf körperlicher Begierde beruht. Der Schreibstil ist einfach und unkompliziert, einzig die springende Erzählperspektive sorgt für unnötige Verwirrung. Das Erscheinungsbild des Romans ist zwiespältig. Während das Papier eine sehr gute Qualität aufweist, ist der Druck des Covers einfach schlecht, und auch der Preis ist mit 12,49 EUR relativ hoch angesetzt.

Alles in allem kann ich Mitternachtsrot weder empfehlen noch davon abraten, für einen Debütroman ist er allerdings in Ordnung. Wer jedoch keine Lust auf eine allgegenwärtige Liebesgeschichte mit Plot hat, der sollte tunlichst die Finger von diesem Buch lassen.

Daumen3weiblichNeu

Artikelbild: ohneohren Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein