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Die Mission: Eine Expedition zu den Fabelwesen Europas. Das Ziel: Eine Erklärung für deren Verschwinden zu finden. Der Forschungsreisende Konstantin O. Boldt nimmt Lesende in seinem illustrierten Reisebericht mit auf diese fantastische Reise. Kann Fast verschwundene Fabelwesen die hohen Erwartungen, die durch diese illustre Beschreibung geweckt werden, erfüllen?

Einhorn, Drache, Bakhauv und Trécouche: Bekannte und eher unbekannte Fabelwesen sind das Ziel der sogenannten Letho-Expedition des renommierten Wissenschaftlers Konstantin O. Boldt. Mit dem Wissen um das Verschwinden dieser Kreaturen nimmt eine Reisegruppe, zusammengestellt aus unterschiedlichsten Professionen wie beispielweise einem Mythoethnologen und einer Scharfschützin, ihre Forschungstätigkeit im Jahre 1862 auf.

Beginnend in Deutschland, wird sie ihre Reise in alle Himmelsrichtungen führen. Boldt legt im Nachhinein den detaillierten Reisebericht Dieser ist zur Veranschaulichung des Erlebten um Illustrationen und Skizzen ergänzt. Der fiktive Autor verfasst sowohl tagebuchartige Einträge, in denen er die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Fabelwesen aus der Sagenwelt Europas schildert, als auch biologische Hintergrundinformationen und Erklärungen seines wissenschaftlichen Handelns.

Seit frühester Kindheit begeistert sich Boldt für Fabelwesen. Mit dem Verschwinden der Wichtel, das er als siebenjähriges Kind mitbekommt, entspinnt sich eine Aufgabe, die ein Leben andauern wird. Fundiert mit den Kenntnissen seines Studiums, ist er, auch dank seines großen Netzwerks, nun in der Lage, eine Anstrengung zu unternehmen, um seinem Ziel der Rettung der Kreaturen, einen großen Schritt näherzukommen. Nicht zuletzt sein umfangreiches Wissen versetzt in ihn die Lage, den Fabelwesen Auge in Auge gegenüberzustehen.

Beileibe sind die Kreaturen nicht die einzige – wenn auch gewaltige – Gefahr, der die Reisegruppe auf ihrer Mission begegnet. Denn nicht jede*r der außergewöhnlichen Expeditionsteilnehmer*innen ist frei von Geheimnissen. Auch manche Einheimischen sehen die Mission kritisch und stellen ein gewisses Risiko für die Expeditionsteilnehmer*innen dar. In anderen Gegenden werden die Forschenden begeistert willkommen geheißen.

Triggerwarnungen

Verletzungen, Körperliche Angriffe

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Mehr als ein Tagebuch

Fast verschwundene Fabelwesen zieht ab der ersten Seite in seinen Bann. Es hält sich nicht mit einleitenden Worten der Autor*innen auf, sondern fängt direkt mit einem Vorwort von Konstantin O. Boldt höchstselbst an, was für Lesende direkt einen Einstieg in sein Denken und die Erzählstruktur des ungewöhnlichen phantastischen Buches bietet.

Nach einem kurzen Einstieg zur wissenschaftlichen Methodik und darüber, wie es zur Letho-Expedition kam, beginnt direkt der Reisebericht. Bestimmte Elemente wie das Tagebuch, die Skizzen und die Informationen über die Fabelwesen kehren immer wieder, werden jedoch scheinbar willkürlich eingestreut, was die Erzählung sehr authentisch macht.

Die Entscheidung, die Geschichte dieses Versuchs der Rettung der Sagengestalten als Reisebericht zu präsentieren, erweist sich als goldrichtig, denn auf diese Weise erfahren die Lesenden Boldts Perspektive als auch vermeintlich sachliche Hintergrundinformationen. Ergänzt werden diese zwei Hauptkomponenten um scheinbare oder tatsächliche Zusatzmaterialien wie Fotografien, Karten (teilweise auf ausklappbaren Seiten) oder Zeitungsberichten. Die Schriftarten variieren hier deutlich, von Fraktur- bis Handschrift.

Das vermeintlich original naturwissenschaftliche Buch macht aufgrund seiner Fülle an vorgestellten Wesenheiten zudem große Lust, sich weiter in die Thematik der europäischen Sagenwelt zu vertiefen. Genauso wie die Reisegruppe lernen auch die Lesenden Fabelwesen um Fabelwesen kennen, manche begegnen sehr plötzlich, andere müssen gezielt herausgelockt werden. Auch die Beschreibungen der Umgebungen sind sehr zeitgerecht gestaltet.

Schreib- und Illustrationsstil

© arsEdition
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Dass die Immersion bei Fast verschwundene Fabelwesen ausgezeichnet gelingt, liegt an zwei Hauptfaktoren: Zum einen gelingt es Florian Schäfer mit seinen Universitätsabschlüssen in Biologie und Internationalem Naturschutz sehr gut, den fachlichen Ton und auch ein Stück Naturwissenschaftsgeschichte zu transportieren. Reiseberichte stellten im 19. Jahrhundert ein sehr gebräuchliches Mittel der Forschungskommunikation dar, und der Ton, der sowohl in den Sach- als auch in den Tagebuchanteilen angeschlagen wird, zieht Lesende sofort in den Bann.

Die vielseitigen Illustrationen von Elif Siebenpfeiffer tun zum anderen ihr Übriges, die Illusion eines tatsächlichen Forschungsberichts zu unterstreichen. Es werden sowohl Skizzen präsentiert, die die Eigenheiten der Wesen hervorheben, als auch prachtvolle ganzseitige Impressionen der Reise. Auf diese Weise gelingt es, den Lesenden den Eindruck zu vermitteln, sich gemeinsam mit Konstantin O. Boldt und seiner Gruppe auf einer abenteuerlichen Reise zu befinden.

Das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Faktoren wirkt geradezu aus einem Guss, sodass Fast verschwundene Fabelwesen wohltuend anders wirkt und somit ein Highlight des Phantastik-Genres darstellt. Die Auszeichnung mit dem Seraph für das beste Debüt belegt dies eindrücklich.

Der Autor und die Illustratorin

© arsEdition
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Florian Schäfers Begeisterung für die Sagenwelt Europas ist jeder Zeile des Buchs anzumerken. Auch seine weiteren Veröffentlichungen, die sich mit der Thematik befassen, wie beispielsweise Hausgeister!: Fast vergessene Gestalten der deutschsprachigen Märchen- und Sagenwelt, laden ein, sich mit verschiedenen Wesenheiten zu befassen. Ein Blick auf seine aktuellen Betätigungen und viele weitere Informationen sind in dem Projekt Forgotten Creatures, an dem er mitarbeitet, zu finden.

Die freiberufliche Illustratorin Elif Siebenpfeiffer hat ein umfangreiches Portfolio, was unter anderem regelmäßige Arbeiten für Das Schwarze Auge umfasst. Wer sich für phantastische Illustrationen begeistert, dem*der sei ein Blick auf ihre Homepage empfohlen.

Erscheinungsbild

In schwarz mit Goldprägung gehalten, bietet das großformatige Werk bereits vor dem ersten Aufschlagen einen Genuss. Ähnlich eines Kupferschnitts werden erste Fabeltiere wie das Einhorn darauf abgebildet und offeriert somit einen ersten Eindruck dessen, was die Lesenden erwartet.

Auch die Rückseite, auf der in der Inhaltsangabe äußerst zutreffen der Inhalt des Buches beschrieben wird, ist in diesem Stil gehalten. Somit gelingt es, dass auch das Erscheinungsbild, analog zu Inhalt und Illustration, passend den Eindruck eines Gesamtkunstwerks vermittelt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: arsEdition
  • Autor*in(nen): Florian Schäfer, Elif Siebenpfeiffer
  • Erscheinungsdatum: 23.10.2023
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Gebundenes Buch
  • Seitenanzahl: 208
  • ISBN: 978-3-8458-4749-8
  • Preis: 32 EUR (Print)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Wer sich einen ersten Eindruck dieses wunderbaren Buchs verschaffen möchte, kann dies auf Amazon tun, wo durch die gekonnte Auswahl an Beispielseiten ein sehr guter Eindruck sowohl auf die textliche Gestaltung als auch auf die Varianz der Illustration vermittelt wird. Zudem ist eine Leseprobe zu finden.

Fazit

Florian Schäfer und Elif Siebenpfeiffer nehmen Lesende in ihrem Gesamtkunstwerk Fast verschwundene Fabelwesen. Die sagenhafte Expedition des Konstantin O. Boldt mit auf die faszinierende Reise zu bekannten und unbekannten Fabelwesen Europas. Ganz im Stile eines Forschungsberichts aus dem 19. Jahrhundert werden unterschiedliche Wesen in tagebuchartigen Einträgen und skizzenhaften Beschreibungen präsentiert.

Die Schilderungen der Erlebnisse der Reisegruppe sind sehr immersiv gestaltet, was für durchweg für ein hohes Vergnügen sorgt, sowohl, was die Bandbreite der textlichen Aufbereitung angeht, als auch für das Auge der Lesenden. Auf den Folgeband Verborgene Fabelwesen der Meere, der im September erscheinen wird, kann sich bereits jetzt gefreut werden.

Während es Florian Schäfer durch seine Expertise gelingt, fachlich fundiert einen Eindruck der Sagenwelt quer durch Europa zu verschaffen, krönt Elif Siebenpfeiffer dieses Unterfangen durch fantastische Illustrationen, die aufgrund ihrer Varianz und vermeintlichen Authentizität ihresgleichen suchen.

Alles in allem ist das Buch seinen stolzen Preis von 32 Euro mehr als wert und eignet sich hervorragend als Geschenk, sowohl für Menschen, die sich für phantastische Literatur begeistern, als auch für Rollenspieler*innen, die ihre Kampagne um interessante Wesen anreichern möchten.

  • Hervorragend gestaltet

  • Interessante Präsentation der Sagenwelt Europas

  • Ein immersives Gesamtkunstwerk

 

  • keine

 

 

Artikelbilder: © arsEdition
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
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