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Eine Dame aus gutem Hause, die sich gegen gesellschaftliche Konventionen stellt, um die Natur zu erforschen. Sie begibt sich auf eine Expedition, die gefährlicher wird als erwartet – und begegnet Drachen. Lady Trents Memoiren erzählen vom aufregenden Leben der Drachenforscherin und der Geschichte der Naturwissenschaften.

Die Geschichte der Wissenschaften ist voller Pionier*innen, die sich gegen gesellschaftliche Zwänge behaupten mussten. Lady Trents Memoiren erzählen in phantastischer Form von einer solchen Pionierin. Die Naturgeschichte der Drachen ist der erste Band der vierteiligen Reihe.

Triggerwarnungen

Fehlgeburt (erwähnt), Sezieren (von Tieren), Tod, Verletzungen

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Story

Lady Trent ist die wichtigste Drachenforscherin der Welt und Pionierin auf diesem Gebiet, doch in diesem Buch berichtet sie von ihrer allerersten Expedition und wie sie überhaupt zur Wissenschaftlerin wurde. Wie es sich für Memoiren gehört, beginnt die Ich-Erzählerin mit ihrer Kindheit, als sie noch Isabella Hendemore hieß, und ihrem ersten Interesse an Drachen. Diese Zeit handelt sie relativ schnell ab, bereits im dritten Kapitel folgt ihre Einführung in die Gesellschaft und die Suche nach einem passenden Ehekandidaten. Bis dahin hat sie schon jede Menge ihr verbotene Bücher gelesen, sich mehrfach in Schwierigkeiten gebracht, Zeichnen gelernt (immerhin etwas Damenhaftes), einen Funkling namens Grüni konserviert und die Lesenden mit lockerer Sprache begeistert.

Lady Trent ist die wichtigste Drachenforscherin der Welt[..]

An der ihr zugedachten Rolle als Ehefrau hat Isabella jedoch ebenso wenig Interesse wie schon als Kind am langweiligen, aber für Damen angemessenen Klavierunterricht. Sie will die Natur erforschen und interessiert sich besonders für Drachen. Zu ihrem Glück findet sie einen Ehemann, der diese Interessen nicht nur teilt, im Gegenteil – er lässt sie im Gartenschuppen forschen. Als er zu einer wissenschaftlichen Expedition nach Vystrana zur Erforschung der dortigen Felswyme eingeladen wird, ist er auf ihr Drängen hin sogar bereit, sie mitzunehmen. Ihre Aufgaben als einzige Frau in der Expeditionsgruppe bestehen im Sortieren der Aufzeichnungen und im Zeichnen der Drachen, doch wie immer läuft es nicht ganz so glatt wie gedacht. Bald müssen sich die Reisenden mit ganz unerwarteten Problemen auseinandersetzen.

Isabella entwickelt sich während des Buches von einem naturbegeisterten, neugierigen Kind zu einer Wissenschaftlerin, obwohl sie immer wieder darum kämpfen muss, ernst genommen zu werden. Die naturkundlichen Bücher aus der väterlichen Bibliothek gelten nicht als angemessene Lektüre für ein Mädchen und öffentlich das eigene Wissen zu zeigen ist blamabel. Auf der Expedition soll Isabella meistens im Hauptquartier zurückbleiben, da selbst das Kartografieren der Umgebung als zu gefährlich für eine Dame angesehen wird. Einer der Teilnehmer stellt in Frage, warum Isabella überhaupt dabei ist.

Im Aufbau folgt das Buch, ganz wie es sich für Memoiren gehört, dem Zeitablauf: Von der Kindheit in die Ehe bis zur Expedition nach Vystrana. Die Spannungskurve plätschert anfangs etwas dahin, aber ab einem gewissen Punkt gibt es mehr Fragen als Antworten – nicht nur im wissenschaftlichen Sinne – und man will wissen, was es denn nun mit den Felswyrmen auf sich hat und wie Isabella das nächste Mal mit den Konventionen aneinandergerät.

Manchmal droht der Konflikt der Hauptfigur mit den gesellschaftlichen Regeln leider doch etwas ins Klischeehafte abzurutschen, besonders was das Thema Hosen angeht. Dieses kleine Manko tut der Lesefreude jedoch keinen Abbruch.

Schreibstil

Lady Trent verfasst ihre Memoiren selbst und zwar rückblickend als alte Frau. Deswegen ziehen sich Kommentare, Nebenbemerkungen zum aktuelleren Forschungsstand über Drachen, Buchempfehlungen und selbstkritische Anmerkungen durch den ganzen Text. Doch nicht nur diese Einwürfe lockern den Text auf. Zwar werden zwischendurch wissenschaftliche Begriffe verwendet, zum Beispiel für einzelne Knochen, insgesamt ist die Sprachwahl locker, entspannt und voller Humor. Lady Trent ist eine alte, erfolgreiche Frau, die sich nicht mehr darum schert, welche Wortwahl für eine Dame angemessen ist – falls sie das je in ihrem Leben getan hat (was sich mitunter bezweifeln lässt).

Der Weltenbau in allen Teilen von Lady Trents Memoiren ist genial.

Die Übersetzung von Andrea Blendl liest sich flüssig und entspannt. Es ist der Übersetzerin gelungen, den leichten, lustigen mit wissenschaftlichen Begriffen garnierten Sprachstil zu erhalten.

Der Weltenbau in allen Teilen von Lady Trents Memoiren ist genial. Da die Erzählerin für ein Publikum ihrer eigenen Welt schreibt, wird natürlich wenig erklärt, lange Passagen mit Weltenbeschreibungen fehlen. Dennoch wirkt die ganze Welt vertraut, ähnelt sie doch der Erde zu viktorianischer Zeit. Was Geschlechterrollen und die Überheblichkeit der Forscher angeht, ließe sich genauso gut die Biographie einer realen Wissenschaftspionierin lesen. Auch die Hürden, die gesellschaftliche Rollen, Vorgaben und Druck, sowie die Notwendigkeit der Finanzierung der Forschung betreffen, sind absolut aus dem Leben gegriffen. Nur dass es hier um die Erforschung der Drachen geht und die Hauptfigur aus Scirland stammt statt aus England.

Die Autorin

Marie Brennan ist das Pseudonym von Bryn Neuenschwander. Die US-amerikanische Autorin und Rollenspielerin studierte Anthropologie und Archäologie und lässt diesen wissenschaftlichen Hintergrund in ihre Bücher einfließen. Dies gilt besonders für die Lady-Trent-Reihe, die 2018 als beste Serie bei den Hugo Awards nominiert war.

Auf ihrer Website informiert die Autorin nicht nur über ihre Bücher, sie bietet Leseproben, Gedichte und Texte über das Schreibhandwerk.

Erscheinungsbild

Im Buch sind immer wieder einzelne Zeichnungen eingestreut, die vorwiegend Drachen zeigen. Sie sollen offensichtlich wirken, als seien sie von Lady Trent persönlich angefertigt und ihren Memoiren hinzugefügt. Angefertigt wurden die Bilder jedoch eigentlich vom renommierten Künstler Todd Lockwood. Für das Verständnis der Geschichte sind sie nicht notwendig, doch sie tragen zur Stimmung bei und werten das Buch auf.

Beim Cover wurde das gesamte Design des amerikanischen Originals übernommen, was eine sehr gute Entscheidung war. Auf dem Einband ist die anatomische Zeichnung eines Drachen zu sehen: Kopf und Vorderbeine sind mit Schuppen bedeckt, von Hinterbeinen und Flügelansatz wurde die Muskulatur gezeichnet und vom Schwanz und einem Teil der Flügel wird der Skelettaufbau präsentiert. Das Bild zieht sich von vorn über den Buchrücken bis nach hinten, um den Drachen komplett zu sehen, muss man das Buch aufschlagen. Diese anatomische Zeichnung wurde ebenfalls von Todd Lockwood angefertigt.

Alles an diesem Buch ist aus einem Guss, sogar der Klappentext tut so, als wäre er für die Memoiren der bekannten Drachenforscherin. Ein Zitat Lady Trents weist darauf hin, dass dieses Buch ebenso wenig für schwache Nerven sei, wie die Drachenforschung und weckt damit direkt Neugier.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor*in: Marie Brennan
  • Erscheinungsdatum: 6. November 2017
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Blendl)
  • Format: Klappbroschur
  • Seitenanzahl: 360
  • ISBN: 978-3959815031
  • Preis: 14,00 EUR (Print) + 8,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon (deutsch), Amazon (englisch), idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Vorne im Buch warten zwei gezeichnet wirkende Karten von Rhys Davies auf die Betrachtung, eine vom Ort Drustanev mit Umgebung und eine von Anthiopien. Beide sind für das Verständnis der Geschichte nicht notwendig, jedoch hilfreich.

Auf der Webseite der Autorin werden Triggerwarnungen und Leseproben – nicht nur für Lady Trents Memoiren – zur Verfügung gestellt.

Fazit

Lady Trents Memoiren 1: Die Naturgeschichte der Drachen gelingt es, Wissenschaftsgeschichte neu zu erzählen. In lockerer Sprache berichtet die Drachenforscherin humorvoll von ihrer ersten Expedition und ihrem Konflikt mit gesellschaftlichen Erwartungen. Dabei bewegt sich die Geschichte durch das Spannungsfeld zwischen vorgegebener Geschlechterrolle und Forschungsdrang und lässt die Lesenden mit dem Gefühl zurück, die humorvolle Biographie einer echten Pionierin der Naturwissenschaft gelesen zu haben. Nur, dass sich diese mit Drachen beschäftigt und aus Scirland stammt statt dem viktorianischen England.

Zeichnungen von Todd Lockwood runden das Gesamtpaket ab. Wir vergeben fünf von fünf vystranischen Felswyrmen.

  • Drachen

  • Wissenschaftsgeschichte phantastisch verpackt

 

  • Manchmal etwas klischeehaft

 

 

 

Artikelbilder: © Cross Cult
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
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