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Der Hugo Award ist einer der weltweit wichtigsten Preise für phantastische Literatur, seine Shortlist ein Garant für neue englischsprachige Lieblingsbücher. In diesem Jahr hält sie aber auch alte Bekannte bereit, die an frühere Erfolge anknüpfen. Wir stellen alle nominierten Romane und natürlich den Gewinner vor.

Die Hugo Awards sind der älteste heute noch verliehene Science-Fiction Preis der Welt. 1953 zeichneten die Mitglieder der World Science Fiction Society erstmalig den besten Roman und die einflussreichste Zeitschrift aus, seit 1955 findet die Verleihung jährlich statt. Was den Preis besonders macht: Nicht nur Autoren und Künstler dürfen die begehrte silberne Rakete mit nach Hause nehmen, sondern auch Fans, die sich mit Fanmagazinen und Fanart um die Szene verdient gemacht haben. In den inzwischen 15 Nominierungskategorien werden neben Romanen, Novellen und Kurzgeschichten sowohl Comics und Filme als auch Podcaster und Blogger gewürdigt. Als Fan englischsprachiger Science-Fiction und Fantasy verfolgt man den Preis natürlich vor allem, um seine Leseliste entsprechend zu erweitern und neue Autoren und Autorinnen zu entdecken. Da der Award nicht von einer Fachjury gewählt wird, sondern alle Mitglieder der WSFS stimmberechtigt sind, zeichnet die Verleihung aber auch ein Bild der Stimmung in den jeweiligen Jahren. So wirkte die Shortlist 2017 geradezu pessimistisch, versammelte sie doch Geschichten von zusammenbrechenden Strukturen und – mehr als einmal – gar dem Ende der Welt selbst.

Die Worldcon fand dieses Jahr in San Jose, Kalifornien, statt, sodass die Hugo-Verleihung zwar im Livestream auf YouTube zu verfolgen war, aber für Fans in Europa der Zeitverschiebung zum Opfer fiel. Trotzdem möchten wir euch natürlich wieder alle Romane auf der Shortlist vorstellen. Dabei fällt sofort auf, dass die Liste dieses Jahr nicht nur besonders Science-Fiction-lastig ist, sondern auch, dass im Vergleich zu 2017 wenig Newcomer dabei sind und dafür viele größere Namen. Vier der sechs Nominierten haben in der Kategorie „Best Novel“ bereits gewonnen – manche sogar mehr als einmal.

Zu den Gewinnern in anderen Kategorien gehörte All Systems Red von Martha Wells als beste Novelle, Monstress, Vol. 2 (hier zur TZH-Rezension von Vol. 1) als bester Comic und Wonder Woman als bester Film. In einem besonders emotionalen Moment wurde der erst dieses Jahr verstorbenen Science-Fiction Ikone Ursula K. Le Guin für die Essay- und Blogpost-Sammlung No Time to Spare: Thinking About What Matters in der Kategorie „Best Related Work“ posthum ihr siebenter Hugo verliehen.

Anmerkung: Die Bücher auf der Hugo-Shortlist sind meist überdurchschnittlich gut. Um überhaupt sinnvoll differenzieren zu können, fallen alle Wertungen hier etwas strenger aus, als sie es in einer normalen Rezension tun würden.

Die Nominierten:

Raven Stratagem – Yoon Ha Lee (Solaris)

Yoon Ha Lees Machineries of Empire Reihe ist nicht, was man als einsteigerfreundliche Science-Fiction beschreiben würde. Komplizierte Kampftechniken und eine Gesellschaft, die auf kalendarischen Berechnungen basiert, sowie ein Feuerwerk an Namen und Faktionen machen es einem beim ersten Lesen nicht leicht. Dennoch wurde Lee, der sich zuvor mit erfolgreichen Kurzgeschichten einen Namen gemacht hatte, 2017 mit seinem Romandebut Ninefox Gambit für den Hugo-, Nebula- und Clarke Award nominiert.

Kel Brezan ist ein Crashhawk, ein Soldat, bei dem der einprogrammierte Formationsinstinkt nicht richtig greift. Dieses tödliche Geheimnis erweist sich als Glück im Unglück, als seine Flotte vom untoten General Shuos Jedao kontaktiert wird, der noch immer den Körper von Captain Kel Cheris kontrolliert. Jedao nutzt den Umstand, dass Kelsoldaten dem ranghöchsten Vorgesetzten blind gehorchen, um die Flotte ohne Gegenwehr zu übernehmen. Brezan entkommt und kann das Hexarchate warnen, dass seine unberechenbare Geheimwaffe einen militärischen Alleingang plant. Während Hexarch Mikodez versucht, die politische Katastrophe einzudämmen, beginnt die in der Flotte zurückgebliebene Generalin Kel Khiruev zu zweifeln: Ist Jedao wirklich verrückt, oder dient der Plan, den er verfolgt, am Ende gar dem Wohle der gesamten Bevölkerung?

Wer von den ungebremsten Informationsfluten in Ninefox Gambit hoffnungslos überfordert war, kann aufatmen, denn man kommt mit Raven Stratagem in deutlich ruhigeres Fahrwasser. Neue Figuren, neue Perspektiven und deutlich übersichtlicheres Worldbuilding bieten endlich einen Rahmen, Lees Kreativität und insbesondere seine subtile Bildsprache angemessen wertzuschätzen. Die politischen Intrigen sind nachvollziehbarer, die Actionszenen pointierter und generell gelingt es Lee, das Niveau, das sein Erstling nur in seinen besten Momenten erreichte, über das gesamte Buch hinweg zu halten. Man ahnt: Hier durchläuft ein zukünftiger Meister der Military-Science-Fiction eine steile Lernkurve.

Die harten Fakten

  • Verlag: Solaris
  • Autor: Yoon Ha Lee
  • Erscheinungsdatum: 13. Juni 2017
  • Sprache: Englisch
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN: 978-1-7810-8537-0
  • Preis: 9,72 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

The Collapsing Empire – John Scalzi (Tor)

Der Name John Scalzi ist Science-Fiction Fans weltweit längst ein Begriff. Der gebürtige Kalifornier blickt auf vier Hugo-Nominierungen zurück, von denen er zwei für sich entscheiden konnte. 2009 gewann er mit Your Hate-Mail Will Be Graded: Selected Writing in der Kategorie „Best Related Book“ und 2013 wurde seine Star Trek-Persiflage Redshirts als bester Roman ausgezeichnet. Dass es auch der erste Band seiner Interdependency-Saga auf die Shortlist geschafft hat, ist insofern keine Überraschung.

Das heilige Imperium der Interdependenten Staaten besteht aus 47 Sternensystemen, die ökonomisch aufeinander angewiesen sind. Als die Ströme, die das Reisen zwischen diesen Systemen möglich machen, zu kollabieren drohen, liegt das Schicksal der Menschheit plötzlich in den Händen dreier Personen, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Jamies Claremont ist ein junger Wissenschaftler im Besitz von Daten, die den anstehenden Kollaps belegen. Doch können er und die reiche Erbin Lady Kiva Lagos die gerade gekrönte Imperatox davon überzeugen, dass dieses Anliegen wichtiger ist als höfische Intrigen und andere politische Brandherde?

Locker, allgemeinverträglich und unkompliziert: Scalzis neue Space Opera ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Lees Machineries of Empire. Allerdings verliert sich The Collapsing Empire (Deutsch: Kollaps, hier die ausführlichere TZH-Rezension) als Auftakt einer Saga gelegentlich in seinen Expositionen, so dass er noch nicht richtig durchstarten kann. In die Prämisse des Romans lassen sich natürlich von den Gefahren globalisierter Märkte zur bürokratischen Unfähigkeit, auf anstehende Umweltkatastrophen zu reagieren, zahlreiche Gegenwartsbezüge hineinlesen. Nimmt man die sympathischen Figuren und Scalzis Kultstatus als Autor hinzu, war ihm ein Platz unter den Nominierten gewissermaßen sicher.

Die harten Fakten

  • Verlag: Tor
  • Autor: John Scalzi
  • Erscheinungsdatum: 23. März 2017
  • Sprache: Englisch
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN: 978-1-5098-3507-2
  • Preis: 7,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

New York 2140 – Kim Stanley Robinson (Orbit)

Niemand sonst unter den diesjährigen Nominierten kann ansatzweise das Renommee für sich beanspruchen, das Kim Stanley Robinson inzwischen als Science-Fiction Autor hat. Ganz sicher aber ist er der einzige Kandidat, nach dem mit (72432) Kimrobinson sogar ein Asteroid benannt ist. Mit seinen Büchern gewann der Wahlkalifornier mehrere Hugo- und Nebula-Awards und nennt sogar einen World Fantasy Award sein Eigen. Internationale Berühmtheit erlangte er vor allem mit seiner Mars-Trilogie über die Besiedelung eines neuen Planeten, die in 24 Sprachen übersetzt wurde. Mit seinem neuesten Roman kehrt er allerdings auf die Erde zurück, genauer gesagt ins Manhattan des Jahres 2140.

Im 22. Jahrhundert hat die globale Erwärmung den Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen lassen. Der Küstenverlauf hat sich verändert, ganze Landstriche wurden ausradiert und New York ist nun eine Stadt aus Inseln und Kanälen. Davon lässt sich der Big Apple natürlich nicht unterkriegen: Als eine neue Attraktion, gewissermaßen ein US-Amerikanisches Venedig, ist die Stadt so lebendig und vielfältig wie immer. Hier treffen die unwahrscheinlichsten Charaktere aufeinander. So etwa die Bewohner des aus dem Wasser aufragenden Met Life Towers, die außer ihrem Wohnort zunächst einmal nichts gemeinsam haben. Doch als aus dem Gebäude unter ungeklärten Umständen zwei Hacker verschwinden, geraten eine Polizeiinspektorin, ein Hedgefondsmanager, eine Anwältin, eine Reporterin und zwei Waisenjungen auf Schatzsuche in eine Verkettung von Ereignissen, die die Welt verändern könnten…

Sprachgewaltig, verspielt und, ja, manchmal auch durchaus etwas selbstverliebt schreibt Robinson eine Liebeserklärung an die Stadt New York und seine Bewohner, die gleichzeitig eine entschiedene Absage an das Denken des Spätkapitalismus ist. Das einzige, was den geheimnisvollen Erzähler, der sich immer wieder in Erinnerung ruft, mehr zu faszinieren scheint, als der Mythos New York mit all seinen historischen Persönlichkeiten und absonderlichen Anekdoten, ist der unendliche Erfindungsreichtum, mit dem Menschen in jedweder Situation ihr Leben meistern und weitermachen, sowie das Potential, das sie entfalten, wenn sie zusammenarbeiten. Insofern ist New York 2140 weit mehr als nur eine weitere Klima-Dystopie, es ist eine soziale Utopie und eine Einladung in die Zukunft.

Die harten Fakten

  • Verlag: Orbit
  • Autor: Kim Stanley Robinson
  • Erscheinungsdatum: 8. März 2018
  • Sprache: Englisch
  • Seitenanzahl: 640
  • ISBN: 978-0-3565-0878-8
  • Preis: 7,71 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Provenance – Ann Leckie (Orbit)

Als 2013 ihr erster Roman Ancillary Justice (deutsch: Die Maschinen) erschien, schlug er ein wie eine Bombe, wurde mit Preisen überschüttet und katapultierte die damals 47-jährige Ann Leckie mit einem Schlag in die erste Liga zeitgenössischer Science-Fiction-AutorInnen. Der erste Band der Imperial Radch Trilogie, der von der KI eines zerstörten Raumschiffs erzählt wird, glänzte durch innovative Erzählperspektive und eine einprägsame Welt, und wurde mit Preisen überhäuft. Zwar fand die Trilogie 2015 mit Ancillary Mercy (deutsch: Das Imperium) ihren Abschluss, doch das bedeutet nicht, dass sich Fans von Leckies Ancillary-Universum verabschieden müssen. Mit Provenance erschien der erste alleinstehende Roman, der erlaubt zu erkunden, was jenseits des Radch-Imperiums liegt.

Auf Ingrays Planeten dreht sich alles um das politische Vermächtnis einflussreicher Familien. Um ihren ehrgeizigen Bruder auszustechen und ihre mächtige Mutter zu beerben, schmiedet sie einen Plan, um ein berühmtes gestohlenes Artefakt zu finden und das Ansehen ihrer Familie zu steigern. Sie rettet den vermeintlichen Dieb Pahlad von seinem Gefängnisplaneten, damit er ihr das Versteck des Artefakts verrät. Doch schnell wird klar, dass die Lage weit komplizierter ist als gedacht. Nicht nur hütet Pahlads Familie finstere Geheimnisse, Ingray und ihr Begleiter werden auch noch Zeugen eines Mordes von außenpolitischer Bedeutung. Als sich plötzlich die Botschafterin der Geck, einer eigentlich völlig unbeteiligten Alienspezies, an Ingrays Versen heftet, ist das Chaos komplett.

Sehr viel gradliniger erzählt ist Provenance eine willkommene Ergänzung zur Imperial Radch Trilogie. Wie der Titel verrät, ziehen sich Fragen nach Herkunft und Vermächtnis als roter Faden durch das Buch und werden in vielen Facetten beleuchtet. Leckie behält außerdem ihren subversiven Umgang mit Geschlechtsdarstellungen bei und lässt mit großer Selbstverständlichkeit auch nichtbinäre Figuren zu Helden werden. Das Ergebnis ist ein wohldurchdachtes und hervorragend geschriebenes Weltraumdrama, das allerdings etwas weniger komplex und provokant ist als Leckies andere Bücher.

Die harten Fakten

  • Verlag: Orbit
  • Autorin: Ann Leckie
  • Erscheinungsdatum: 28. September 2017
  • Sprache: Englisch
  • Seitenanzahl: 448
  • ISBN: 978-0-3565-0696-8
  • Preis: 11,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Six Wakes – Mur Lafferty (Orbit)

Dass Mur Lafferty in diesem Jahr die einzige Person auf der Shortlist ist, die noch nie in einer großen Kategorie nominiert war, bedeutet nicht, dass sie in der Szene eine Unbekannte ist. Seit 13 Jahren produziert und moderiert sie Podcasts. Der erfolgreichste, Ditch Diggers, war dieses Jahr zum zweiten Mal in der Kategorie „Best Fancast“ nominiert und gewann. Außerdem war sie als Autorin für Onlinemagazine tätig, schrieb Novellen und Romane, wie etwa The Shambling Guide to New York City. Six Wakes (deutsch: Das sechste Erwachen) verhalf ihr endlich zu internationaler Bekanntheit.

Maria Arena ist einer von sechs Klonen, die den Raumtransporter Dormire sicher ans Ziel bringen sollen. An Bord: 2000 eingefrorene Reisende, die von einem neuen Planeten träumen. Da die Reise mehrere Lebzeiten dauert, wird das Bewusstsein der Mannschaft im Todesfall in einen Klon ihrer alten Körper geladen. Es ist ein langwieriger Job, doch am Ende winken Freiheit und Unsterblichkeit. Oder so scheint es, bis Maria und die anderen mit großen Erinnerungslücken in neuen Körpern erwachen, umgeben von ihren eigenen Leichen. Außerdem wurde der Bordcomputer sabotiert und das Klonprogramm unterbrochen. Jenseits jeder Funkreichweite und ohne Erinnerung daran, wie sie gestorben sind, müssen die sechs Klone herausfinden, was geschehen ist. Fest steht nur: einer von ihnen hat die anderen ermordet, jeder von ihnen hat eine dunkle Vergangenheit – und die Körper, in denen sie jetzt stecken, werden ihre letzten sein.

Halb Agatha Christie im Weltraum mit Klonen, halb eine ziemlich gute Doctor Who Folge, ist Six Wakes dieses Jahr meine persönliche Überraschung. Geheimnisse und Rätsel werden in genau der richtigen Geschwindigkeit gelüftet und die Spannung hält sich bis zum Schluss. Zugleich erfährt man in Rückblenden nicht nur immer mehr über die Hintergründe der einzelnen Figuren, sondern auch über die politischen Implikationen der Möglichkeit, durch Klone Unsterblichkeit zu erlangen. Da macht es fast nichts, dass das Finale letztendlich etwas hinter Spannung und klugem Worldbuilding zurückbleibt.

Die harten Fakten

  • Verlag: Orbit
  • Autorin: Mur Lafferty
  • Erscheinungsdatum: 31. Januar 2017
  • Sprache: Englisch
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN: 978-0-3163-8968-6
  • Preis: 14,49 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

 

Der Gewinner:

The Stone Sky – N. K. Jemisin (Orbit)

K. Jemisin hat Hugo-Geschichte geschrieben – schon wieder. 2016 gewann sie mit The Fifth Season als erste Afroamerikanerin den Hugo für den besten Roman, nun wurde sie als erste Person überhaupt für jedes einzelne Buch einer Trilogie ausgezeichnet. Die Geschichte von Essuns Suche nach ihrer Tochter Nassun ist eine Geschichte von Hass und Unterdrückung, von Hoffnungslosigkeit und zerstörerischer Wut, aber auch von unerwarteter Freundschaft, von Gemeinschaft und Liebe. Es geht darum, was Jahrhunderte der Versklavung und ein Leben im Verborgenen mit der Psyche machen, und darum, wie man ungewollt Traumata an seine Kinder weitergibt. All das vor der Kulisse eines untergehenden Kontinents, der langsam im Ascheregen versinkt. Jemisins Meisterwerk sucht seinesgleichen.

Erkundete The Obelisk Gate im unterirdischen Dorf Castrima die soziale Dynamik einer Gemeinschaft, die sich in die Enge getrieben sieht, wendet sich The Stone Sky dem Konflikt zu, der die Erde retten oder vernichten könnte. Es ist Essun nicht gelungen, ihre Tochter zu finden, und Nassun ist in der Zwischenzeit Schaffa in die Hände gefallen, ohne zu ahnen, dass dieser Geist aus der Vergangenheit der ärgste Feind ihrer Mutter ist. Schaffa wird von einer Macht kontrolliert, die nur ein Ziel kennt: Alles Leben auf der Erde zu vernichten. Dazu braucht er Nassuns Hilfe und nach allem, was das kleine Mädchen bisher erlebt hat, scheint ihm ein solches Ende eher wünschenswert. Hingegen hat Essun inzwischen einen Weg gefunden, die zerbrochene Erde zu heilen und die Menschheit zu retten. Jahrzehntelanges Leid und alle psychischen Narben können für sie nicht rechtfertigen, eine Welt zu zerstören, in der ihre Tochter lebt. Es beginnt ein Wettrennen zur anderen Seite der Erde – wo sich Mutter und Tochter gegenübertreten werden und das Schicksal des Planeten sich entscheidet.

Ich mach es ganz kurz, habe ich meine uneingeschränkte Begeisterung von dieser Reihe hier schon mehr als einmal hinausgeschrien. Ich habe auch dieses Buch geliebt und es flossen Tränen. Das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern ist kein Thema, das in der Phantastik allzu häufig vorkommt. Essun und Nassun sind einander nicht über den Verlauf der Trilogie hin fremdgeworden, sondern waren es schon immer. In dem Versuch, ihre Tochter auf die Gefahren in der Welt vorzubereiten, ist Essun selbst zu dem Monster geworden, das Schaffa in ihrer eigenen Kindheit für sie war. Wie überbrückt man eine solche Kluft und wie kann es zwischen traumatisierten Eltern und Kindern, die nicht verstehen, weshalb sie misshandelt wurden, jemals zu einer Versöhnung kommen? Große Fragen für ein großes Buch.

Es mag sein, dass in den nächsten Monaten Stimmen laut werden, die behaupten, Jemisins Erfolg liege an ihrer Hautfarbe, an „political correctness“ und daran, dass Leute einfach blind für sie abgestimmt haben. Nichts davon ist wahr. The Stone Sky ist das beste Buch, schlicht und ergreifend, und in einer Zeit, die immer chaotischer, immer zynischer und absurder wird, räsoniert es mit den Menschen. Allerdings ist es kein Zufall, dass die Stimme, welche die Menschen in einer Zeit des reaktionären Rechtsrucks abholt, die Stimme einer Afroamerikanerin ist. Jemisin selbst sagt in ihrer Dankesrede:

„This has been a hard year. A hard few years. A hard century. For some of us things have always been hard and I wrote the Broken Earth trilogy to speak to that struggle and what it means to live in a world that seems determined to break you.“ – „Es war ein schweres Jahr. Ein paar schwere Jahre. Ein schweres Jahrhundert. Für einige von uns war es schon immer schwer und ich habe die Broken Earth Trilogie geschrieben, um diesen Kampf anzusprechen und was es bedeutet, in einer Welt zu leben, die entschlossen scheint, einen zu brechen.“

Dieses universelle Gefühl spricht zu den Lesern und Leserinnen, doch zurecht lässt Broken Earth einen nie vergessen, dass das Fundament dafür die Welterfahrung einer schwarzen Frau ist, dass sie es ist, die uns teilhaben und verstehen lässt. Wenn N. K. Jemesin das Gesicht zeitgenössischer Science-Fiction ist, dann können wir uns glücklich schätzen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Orbit
  • Autorin: N. K. Jemisin
  • Erscheinungsdatum: 15. August 2017
  • Sprache: Englisch
  • Seitenanzahl: 464
  • ISBN: 978-0-3565-0868-9
  • Preis: 8,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

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