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In Catfishing on CatNet sind Steph und ihre Mutter seit Jahren auf der Flucht vor Stephs gewalttätigen Vater und ziehen immer wieder um. Ihre engsten Freunde sind daher die Menschen, die sie auf CatNet kennen gelernt hat. Doch was können diese tun, wenn Stephs Vater plötzlich ihre Spur aufnimmt?

Wieder einmal wurde Steph mitten in der Nacht geweckt. Wieder einmal fährt ihre Mutter sie mit den wenigen Dingen, die in das Auto passen, in eine neue, weit entfernte Stadt. Wieder einmal ist Steph die neue an der Highschool, die nicht einmal Spanisch anbietet. Die einzigen Konstanten in ihrem Leben sind die Angst, dass ihr Vater sie trotz aller Bemühungen doch finden wird, und der kleine, aber enge Freundeskreis, den sie sich auf der Social-Media-Plattform CatNet geschaffen hat. Als die Gefahr, die von ihrem Vater ausgeht, realer wird, muss Steph feststellen, dass sich die digitale und die analoge Welt nicht so einfach trennen lassen, sondern ineinanderfließen.

Story

Die 16-jährige Steph ist die ständigen Umzüge leid und die neue Stadt ist besonders schlimm: kein Spanisch, keine vertiefende Mathematik und dann wird Sexualkunde auch noch von einem Roboter unterrichtet, der bei den meisten Fragen darauf verweist, dass die Schüler*innen sich an ihre Eltern wenden sollen. Steph fasst also mit Hilfe ihrer Freunde von CatNet und Rachel, die sie an der neuen High-School kennenlernt, den Plan, den Roboter zu hacken. Bislang hat Stephs Mutter immer dann wieder alle Sachen gepackt, wenn Steph in irgendeiner Weise unangenehm aufgefallen ist. Was könnte drastischer sein als das Hacken eines Schulroboters? Ein nicht zu verachtender Teil des Planes ist CheshireCat, die KI, die CatNet am Laufen hält und versucht, Menschen besser zu verstehen. Zu Steph baut sie eine besonders freundschaftliche Beziehung auf und tut ihr Möglichstes, um dem Teenager das Leben zu erleichtern. Mit allen Konsequenzen.

Die Geschichte von Catfishing on CatNet ist spannend und gut zu verfolgen. Es ist interessant zu sehen, wie Steph erkennt, dass ihre Mutter Geheimnisse vor ihr hat, und sie daran wächst. Die Bedrohung, die von ihrem Vater ausgeht, ist lange nur ein vages Gefühl, da die Gefahr auch für Steph lange nicht greifbar ist. Es ist interessant zu sehen, wie die Grenze, die zuvor zwischen CatNet und der analogen Welt existiert, im Verlauf der Story immer mehr verschwimmt, bis sie irgendwann nicht mehr vorhanden ist.

Steph und die anderen jugendlichen Figuren wirken sehr greifbar und real. Firestar, Ico und Hermione wirken wie Leute, die sich auch in meiner Social-Media-Bubble aufhalten könnten. Sie haben einen Hintergrund, haben Probleme, die sie beschäftigen, und Motivation, mit der Welt zu interagieren. Diversität wird definitiv großgeschrieben und auch thematisch behandelt. So probiert Bryony, eine Freundin von Rachel, verschiedene Pronomen für sich aus, um zu sehen, was sich passend anfühlt, und bekommt von den Gleichaltrigen durchweg positive Rückmeldungen.

Die Auflösung ist sehr gut gelungen und bringt die Geschichte zu einem runden Ende, lässt aber genug offen, um neugierig auf den zweiten Band zu machen.

Schreibstil

Die Kapitel sind in drei verschiedene Erzählperspektiven aufgeteilt: Steph und die KI, die sich selbst CheshireCat nennt, erzählen jeweils aus der ersten Person, wobei Stephs Kapitel grundsätzlich länger sind. Die dritte Art der Erzählweise besteht in Chat-Transkripten von CatNet, die sich in stark verkürzter Form und vereinzelt auch in Stephs Kapiteln finden. Alle drei Arten lassen sich sehr flüssig lesen und geben unterschiedliche Einblicke in die verschiedenen Figuren.

Die Welt ähnelt der unseren, außer dass Roboter als Lehrkraft-Ersatz im Unterricht eingesetzt werden und selbstfahrende Autos insoweit verbreitet sind, dass auch Studenten sich solche Fahrzeuge leisten können.

Naomi Kritzer schafft es in Catfishing on CatNet immer wieder, Informationen zu künstlicher Intelligenz, VPNs und angewandter Sozialwissenschaft zu vermitteln, ohne die Lesenden zu überfordern oder den Erzählfluss zu unterbrechen. Außerdem schafft sie es, insbesondere zum Ende hin, elementare Fragen zu stellen. Was benötigt es, um lebendig zu sein? Wann ist Handeln ethisch korrekt und gibt es so etwas überhaupt? Durch Catfishing on CatNet ziehen sich ebenfalls popkulturelle Verweise auf beispielsweise Alice im Wunderland, woraus Inspirationen der KI für Nicknames kommen.

Freundschaften und wie diejenigen, die im digitalen Raum begonnen haben, sich auf die analoge Welt auswirken, haben große Bedeutung im Roman. Nur weil Menschen sich im digitalen Raum kennenlernen, bedeutet das nicht, dass daraus keine engen Freundschaften erwachsen können. Sicher, alle können sich zunächst als das darstellen, was sie gerne sein möchten. Auf kurz oder lang lernt man die Menschen jedoch kennen, wie sie wirklich sind. Da hilft es natürlich, dass auf CatNet diejenigen Menschen zusammengeführt werden, die sich aufgrund verschiedenster, von der KI entwickelter Algorithmen höchstwahrscheinlich gut verstehen werden. Ich wäre auf jeden Fall neugierig, mit welchen Menschen CheshireCat mich auf CatNet gruppieren würde.

Die Autor*in

Naomi Kritzer lebte in London und Neapel und wohnt derzeit in Saint Paul, Minnesota. Seit 1999 hat sie eine Reihe von Kurzgeschichten und Romane veröffentlicht. Cat Pictures Please ist die Kurzgeschichte, die 2019 schließlich zu Catfishing on CatNet führte, ihrem ersten Jugendroman. Letztes Jahr erschien der zweite Band Chaos on CatNet, der die Geschichte um Steph, Rachel und CheshireCat weiterführt.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt ein Mädchen mit Katzenohren, das auf ein Handy in ihrer Hand schaut. Die Farben rufen mit den Blau- und Rottönen deutliche Assoziationen zu Digitalem auf. Leider findet sich im Buch kein Hinweis darauf, wer das Cover gestaltet hat.

Der Titel Catfishing on CatNet ist jedoch irreführend. Als „catfishing“ wird allgemein die Aktivität bezeichnet, bei der eine Person sich eine gefälschte Online-Identität erstellt und sich ein bestimmtes Opfer aussucht, um in betrügerischer Absicht zu handeln. Oftmals passiert dies auf Dating-Webseiten, aber auch andere Social-Media-Plattformen sind davon nicht ausgenommen. In Catfishing on CatNet passiert dies jedoch (glücklicherweise) nicht. Dies führt allerdings dazu, dass man als Leser*in mit einer falschen Erwartungshaltung an diesen Roman herangeht und möglicherweise Figuren von vorneherein verdächtigt, nur weil sie einen zur Theorie passenden Nicknamen haben.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Tor Teen
  • Autor*in: Naomi Kritzer
  • Erscheinungsdatum: Oktober 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: E-Book
  • Seitenanzahl: 304 Seiten
  • ISBN: 978-1250165084
  • Preis: 17,25 EUR (Print) + 9,14 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Catfishing on CatNet ist die Art Buch, insbesondere Jugendlichen zu zeigen, dass es sinnvoll ist, nicht jede Information von sich selbst im Netz zu posten: Du weißt nie, wer mitliest. Naomi Kritzer erklärt das jedoch, ohne den belehrenden Zeigefinger zu heben, und vermittelt gleichzeitig noch ein wenig Wissen. Steph und ihre Freund*innen sind allesamt sehr sympathisch und keinesfalls perfekt; eine Reihe Probleme hätte sicher dadurch umgangen werden können, dass sie miteinander sprechen. Allerdings wärmt es mich sehr, zu lesen, wie Figuren, die lediglich die gegenseitigen Online-Identitäten kennen, alles in Bewegung setzen, um einander zu helfen. Nur weil sie vor allem in der digitalen Welt interagieren, bedeutet das nicht, dass sie nicht auch analog Freund*innen sein können.

Der Titel hat mich jedoch dazu verleitet, eine Person in Stephs Chatraum auf CatNet schnell zu verdächtigen, ihr Vater zu sein, der versucht herauszufinden, wo sie sich nun aufhält. Liebe*r X, ich möchte mich hiermit bei dir dafür entschuldigen.

Grundsätzlich kann ich den Roman auch älteren Lesenden, die schon einiges an Lebenszeit im Internet verbracht haben, ans Herz legen. Hin und wieder sollte man sich selbst fragen, ob es wirklich das Foto oder diese Information sein muss, die man gerade in den Äther schreibt.

 

  • Sympathische Figuren
  • Humor
  • Unaufdringliche Wissensvermittlung
 

  • Irreführender Titel
  • Noch keine Übersetzung vorhanden

 

 

Artikelbilder: © Tor Teen
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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