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Das Schwarze Auge wird meist geliebt für seine Spielwelt und bisweilen gehasst für sein sperriges Regelwerk.  Das kostenlos erhältliche Fan-Regelwerk Ilaris versucht, schlankere und vor allem schnellere Regeln anzubieten. Für welche Spielrunden eignet sich das? Und fühlt sich das noch nach DSA an?

Die fünfte Version des Schwarzen Auges ist 2015 mit einem hehren Ziel gestartet: die Regeln sollten einfacher und einheitlicher werden. Zwei Jahre und diverse Fokusregelbände später ist das Regelsystem noch immer nicht abgeschlossen und bereits sehr umfangreich. Das von Fans erstellte Regelwerk Ilaris hingegen verdichtet alle Regeln und „Crunch“-Elemente auf nur 164 Seiten. Kann das genügen, um ein vollständiges, verständliches und angenehm lesbares Regelwerk abzubilden? Und wie schlägt sich das Regelwerk am Spieltisch?

Die Spielwelt

Ilaris bezieht sich auf die offizielle Spielwelt Aventurien, ohne diese zu beschreiben. Wer mehr über Aventurien erfahren will, kann die offiziellen Publikationen lesen, beispielsweise den Aventurischen Almanach.

Die Regeln

Auch wenn Ilaris ein eigenständiges Regelwerk darstellt, wurden einzelne Elemente in abgewandelter Form übernommen. So wie die 3W20-Probe, die allerdings vereinfacht wurde: nur der mittlere Würfel wird gewertet und auf den Fertigkeitswert addiert. Je höher gewürfelt wird, desto besser. Als noch schnellere Alternative kann man auf eine 1W20-Probe zurückgreifen, die sich vor allem für Kämpfe anbietet. Damit würfelintensive Situationen noch flotter laufen, empfiehlt das Regelwerk, dass beispielsweise bei Kämpfen allein die Spieler würfeln, während der Spielleiter für Nichtspielercharaktere stets von einer gewürfelten 10 ausgeht. Man bemerkt: der Regelkern ist darauf ausgelegt, das Spieltempo nicht zu bremsen.

Konflikte jedweder Natur werden in Ilaris als vergleichende Proben abgehandelt. Beide Parteien würfeln auf die jeweils für sie relevante Fertigkeit und die Partei mit dem höheren Erfolgswert gewinnt. Das Konzept der aktiven Parade entfällt damit, wodurch die Kämpfe schneller werden.

Die Charaktere lassen sich mithilfe von Eigenheiten, Vorteilen und Kampfstilen individualisieren.
Die Charaktere lassen sich mithilfe von Eigenheiten, Vorteilen und Kampfstilen individualisieren.

Die altbekannten Lebenspunkte ersetzt Ilaris mit einem Wundensystem. Sobald ein Treffer die Wundschwelle des Ziels überschreitet, erleidet es mindestens eine Einschränkung. Ab drei Einschränkungen gibt es Probenabzüge, ab fünf Einschränkungen wird man kampfunfähig. Optional kann dieses System noch verfeinert werden mit Trefferzonen, auf die ein Angreifer zielen kann und die ansonsten über einen sechsseitigen Würfel bestimmt werden, und entsprechenden zonenspezifischen Wunden.

Die Charaktere in Ilaris besitzen die aus dem offiziellen DSA bekannten Attribute wie Gewandtheit, Fertigkeiten wie Athletik sowie die neuen Talente, die feinere Aspekte der Fertigkeiten freischalten, beispielsweise Schwimmen. Alle Werte müssen mit Erfahrungspunkten gekauft werden, deren Startwert der Spielleiter zu Beginn festlegt und die – wie die DSA5-Abenteuerpunkte – in den laufenden Abenteuern erworben werden können. Die Kosten fast aller Charakterwerte steigen nach einem gemeinsamen Schema progressiv an, sodass beispielsweise der erste Punkt Fingerfertigkeit lediglich 16 Erfahrungspunkte kostet, der zweite hingegen bereits 32. Dies macht auf der einen Seite Charakterspezialisierungen relativ teuer, lässt auf der anderen Seite aber auch kaum Schlupflöcher für Zahlenoptimierer.

Ein Element aus den Erzähl-Rollenspielen sind die Charaktereigenheiten, die sich die Spieler frei ausdenken dürfen und die Charakterzüge beschreiben. Immer, wenn einer dieser Charakterzüge in einer Situation ausgespielt wird und dies relevante negative Auswirkungen mit sich bringt, erhält der Spieler einen Schicksalspunkt. Ein Beispiel wäre ein sehr gutgläubiger Charakter, der sich von einem schlitzohrigen NSC über den Tisch ziehen lässt. Diese Schicksalspunkte können eingesetzt werden, um die Erfolgswahrscheinlichkeit von einzelnen Proben zu erhöhen oder, mit zwei Punkten und einer guten Erklärung, gar dem Tod von der Schippe zu springen. Das System greift also das bewährte Schicksalspunkte-System auf und verwebt es geschickt mit dem Charakter der Helden. Die Eigenheiten haben außerdem den Vorteil, dass sich jeder Spieler mit der Erzählebene seines Charakters auseinandersetzen muss und damit reine Zahlenhelden weitgehend der Vergangenheit angehören.

Charaktererschaffung

Die Charaktererstellung läuft vierstufig ab: Zuerst entwickelt man eine Charakteridee inklusive Heldenmotivation. Anschließend erarbeitet man den Hintergrund und formuliert vier bis acht Eigenheiten. Erst danach erwirbt man sich die Charakterwerte mithilfe der vorgegebenen Erfahrungspunkte und ganz am Ende kauft man die Ausrüstung. Die Erschaffung führt also von der Erzählebene graduell immer weiter in Richtung der konkreten Regelebene, sodass sich die Charakterwerte an der Charakteridee orientieren und nicht andersherum.

Die Charaktererstellung dauert ähnlich lange wie in DSA5, obwohl Ilaris fast ohne Sonderfertigkeiten auskommt und auch die übrigen Regelelemente wesentlich weniger kleinteilig sind. Das liegt daran, dass erstens die Eigenheiten ausgearbeitet werden müssen, was natürlich dem Charakter insgesamt zu Gute kommt. Zweitens wurde im Zweifel dem schnelleren Spielablauf Vorzug vor einer schnelleren Charaktererschaffung gegeben, weswegen einige Berechnungen zu Beginn nötig sind. Außerdem hapert es ein wenig am selbstrechnenden Charakterbogen, der die Erfahrungspunkte bislang leider nicht zusammenrechnet. Das sorgt für einige zwar einmalige, aber eben zeitraubende Berechnungen.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Kurz und vollständig: das Alchemiesystem

Die Regeln von Ilaris kann man sich als Spielleiter gut merken, da sie auf wenigen Grundmechanismen basieren, die konsequent auf alle möglichen Situationen angewendet werden können. Natürlich müssen auch diese Mechanismen verstanden und verinnerlicht werden. Die Regelelemente sind meist mit gut gewählten Beispielen erläutert, leider finden sich hier und dort jedoch Unklarheiten, die sich erst nach der sorgfältigen Gesamtlektüre auflösen. Das Nachschlagen am Spieltisch fällt angesichts des auf sehr wenige Seiten konzentrierten Regelwerks hingegen sehr leicht, denn Regeln finden sich fast ausschließlich auf den ersten 80 Seiten des PDF, der Rest sind Zauber, Liturgien und Kreaturen.

Die Eigenheiten der Charaktere können dem Spielleiter Aufhänger bieten für Handlungselemente und sogar ganze Abenteuer. Auf diese Weise können neben den klassischen objektbezogenen Aufgaben ganz leicht subjektbezogene (heldenbezogene) Handlungsbögen aufgegriffen werden. Bei all dem läuft der Spielleiter selten Gefahr, die Spieler zu irgendetwas zu zwingen, da diese über die Schicksalspunkte mittelbar Einfluss nehmen können. Das fördert einen kooperativen Spielleiterstil, der auf die Ideen der Spieler eingeht und diese gewinnbringend nutzt.

Spielbericht

Bislang habe ich mit Ilaris zwei One-Shots, darunter das offizielle DSA5-Heist-Abenteuer Die Gunst des Fuchses und ein weitgehend improvisiertes Drachenabenteuer im DSA3-Stil, sowie eine umfangreiche Themengruppen-Charaktererstellung im Horasreich plus acht dazugehörige Spielabende geleitet.

Das Regelwerk bildete die getesteten Genres hervorragend ab. In Umfang und Vollständigkeit lässt Ilaris kaum Wünsche offen: bei den Magiebegabten stehen mit elf Professionen alle bekannteren zur Verfügung, darunter auch Kristallomanten, Schelme und Geoden. Bei den Geweihten sind es fünfzehn Professionen, darunter alle Zwölfgötter, dazu Swafnir, Ifirn, Nandus, Aves und Kor, jedoch fehlt bislang der Namenlose. Auch Handwerk (darunter auch Alchemie, Jagd und Recherche) wird kurz, prägnant und im Kern abschließend abgehandelt. Das vorgestellte Handwerkssystem bietet viel Freiheit für Spieler wie Spielleiter und ist flexibel zu adaptieren.

In der Praxis fiel auf, dass deutlich weniger Spielzeit für Proben aufgewendet werden muss als bei DSA5. Ganz allgemein tritt die Regelebene in den Hintergrund und macht Platz für die Erzählung.

Die Eigenheiten konnte ich in den ersten Abenden nur selten einsetzen. Es zeigt sich, dass diese zwar den Spielern helfen, ihre Helden zu individualisieren, es für den Spielleiter aber nicht ganz einfach ist, die vier bis acht Eigenheiten pro Held allesamt im Blick zu haben und in passenden Situationen anzuspielen. Glücklicherweise kann dies aber auch von den Spielern ausgehen und nachträglich honoriert werden.

Erscheinungsbild

Das Layout ist außerordentlich gelungen und steht professionellen Produkten in Nichts nach. Das gilt auch für die Illustrationen, die alle in einem einheitlichen Stil gestaltet sind und den Regelteil sinnvoll bebildern. Das sprachliche Lektorat ist ebenfalls geglückt, nicht jedoch der eigentlich gut aufgebaute Index und die Verweise im Text, deren Seitenangaben oft fehlerhaft sind.

Das PDF enthält interaktive Sprungmarken und ist auch für den Druck optimiert, indem etwa der grafische Layout-Hintergrund druckerfreundlich ausgeblendet werden kann und die Seitenanzahl broschürenfreundlich durch vier teilbar ist.

Die harten Fakten:

  • Verlag: –
  • Autor(en): Lukas „Curthan“ Schafzahl, Lennart Sobirey, René Dudziak, Julius Natrup
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: pdf
  • Seitenanzahl: 164
  • ISBN: –
  • Preis: kostenlos
  • Bezugsquelle: Ilaris Blog

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Downloadseite stehen ein teilweise selbstrechnender Charakterbogen, eine Sammlung zwölf spielfertiger Archetypen inklusive Charakterhintergrund, eine Konvertierungshilfe für DSA4.1/5-Charaktere und ein Generierungstool bereit.

Fazit

Ilaris liefert in kompakter Form ein vollständiges, flottes und für ein breites Spektrum an Spielstilen geeignetes Regelwerk. Dabei bleibt es dem gamistisch-simulationistischen Ansatz der offiziellen Regeleditionen weitgehend treu.

Ilaris fühlt sich nicht nur noch nach DSA an, es fühlt sich sogar mehr nach DSA an als jemals zuvor: Weil die schlanken Regeln sich dezent im Hintergrund halten, rücken die eigentliche Handlung und das freie Rollenspiel in den Vordergrund. Ilaris ist zwar kein Erzählregelwerk – aber ein erzählfreundliches Regelwerk. Es ist darauf ausgelegt, die Handlung so selten wie möglich anzuhalten. Die Spieler können sich so auf die Handlung konzentrieren, anstatt sich mit der Anwendung von Regeln auseinanderzusetzen.

Da weniger gewürfelt (und über Regeln nachgegrübelt) wird, schreitet das Spiel spürbar zügiger voran. Die Kämpfe sind nicht nur schneller ausgespielt, sondern wegen des erzählstarken Wundensystems und der meist für alle Helden verfügbaren Kampfmanöver viel dynamischer, taktischer und variantenreicher. Der Nachteil dessen ist, dass man als Spielleiter mehr Material vorbereiten muss und die Spieler nicht mehr stundenlang mit einem einzelnen Kampf beschäftigen kann.

Es gibt wenig zu kritisieren: Stellenweise mangelt es an erläuternden Regelbeispielen und die Querverweise sind oft fehlerhaft. Außerdem sollte ein vollständig selbstrechnender Heldenbogen nachgereicht werden. Abgesehen davon strotzt Ilaris voller kluger Ideen und rückt in den Fokus, was Spaß macht: Erzählung, Taktik und Rollenspiel.

Artikelbild & Illustrationen: Bernhard Eisner

Über den Autor

Matthias Thanos hat zwar in den späten 90ern Das Schwarze Auge kennengelernt, bei der Proberunde jedoch den Plot gesprengt. Erst 2013 hat er Pen-and-Paper-Rollenspiele wirklich für sich entdeckt und ist seitdem vor allem in Aventurien unterwegs. Er leitet gerne regelarme One-Shots für (Wieder-)Einsteiger und findet Gefallen an Antihelden und absurden Charakteren.

 

 

 

 

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