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Da kann Katniss Everdeen nur staunen: Zélie Adebola heißt die Heldin des neuen Young-Adult-Hits Children of Blood and Bone. Sie kämpft gegen rassistische Unterdrückung, für das magische Erbe ihres Volkes und muss sich bösen Prinzen und schwerwiegenden moralischen Fragen stellen. Ist dies das afrofuturistische Jugendbuch, auf das alle gewartet haben?

Ein Blick auf die Buchrückseite
Ein Blick auf die Buchrückseite

Rezensionen zu Young-Adult-Romanen haben die Eigenart, immer zuerst eine Art Disclaimer voranzustellen, dass hier nun ein Jugendbuch besprochen werden soll, das aber natürlich dennoch wie ein „richtiger“ Roman behandelt wird. Das mag gelegentlich herablassend klingen, ergibt aber durchaus Sinn. Jugendbücher sind oft der Ort, an dem gerade junge Leser und Leserinnen bestimmten Ideen zum ersten Mal begegnen. Sie ziehen ihre Bedeutsamkeit nicht zwingend aus literarischer Qualität, sondern daraus, wie sie an Themen heranführen und sie zugänglich machen, und können wie kein anderes Genre ganze Generationen prägen.

Was sie so wichtig macht, macht sie aber zugleich auch extrem Hype-anfällig. Dass gewisse Leserschaften dem Thema Young Adult mit Vorbehalten begegnen, liegt auch daran, dass hier regelmäßig das beste Buch der Welt ausgerufen wird und sich nach so mancher Enttäuschung eine gewisse Vorsicht eingestellt hat. Langer Rede kurzer Sinn: Tomi Adeyemis Children of Blood and Bone ist das Young-Adult-Phänomen der Stunde und wir fragen uns natürlich, ob es sich hier mal wieder um eines der Jugendbücher handelt, die man auch als Erwachsener gelesen haben muss.

Dass der erste Band von Adeyemis Saga, der bei uns den Titel Goldener Zorn trägt, in den USA bereits für Furore sorgte, noch bevor er überhaupt erschienen war, ist nicht verwunderlich. Die nigerianisch-amerikanische Autorin beantwortet mit ihrer westafrikanisch geprägten Fantasywelt den Ruf nach phantastischen Jugendbüchern, in denen sich auch nicht-weiße Leser wiederfinden können.

Wie dringend das nötig war, zeigte etwa der Backlash weißer Fans gegen die Hunger Games-Verfilmung oder die Empörung, als vor zwei Jahren bei der Uraufführung von Harry Potter and the Cursed Child Hermione Granger von einer schwarzen Schauspielerin gespielt wurde. Vergleichbares dürfte unter Fans von Children of Blood and Bone nicht auftreten und es steht zu hoffen, dass sich nun eine ganze Lesergeneration frühzeitig von der Vorstellung verabschiedet, die Hauptfiguren in phantastischen Romanen müssen zwingend weiß sein. Das allein macht den Roman bereits zu einem Meilenstein. Da er im englischsprachigen Raum sehr positiv aufgenommen wurde und eine Verfilmung bereits in Aussicht steht, darf man nun zum deutschen Erscheinungstermin durchaus gespannt sein.

Story

Einst wurde das Land Orisha von mächtgen Magiern bevölkert. Sie beherrschten die Elemente, Licht und Schatten, Leben und Tod. Als Zeichen ihres Bunds mit den Göttern wurden diese Maji mit schneeweißem Haar geboren und alle Menschen verehrten sie. Heute jedoch sind sie selten geworden und werden von ihren Nachbarn gehasst und gefürchtet. Die Männer König Sarans machen erbittert Jagd auf sie und es kommt eine Nacht, da die Magie endgültig aus der Welt verschwindet und die Götter ihre letzten Anhänger schutzlos zurücklassen. In jener Nacht lässt Saran alle erwachsenen Maji des Landes hinrichten. Ihre Kinder wachsen ohne Zauberkraft in Angst und Unterdrückung auf.

Die Karte von Orisha
Die Karte von Orisha

So auch die junge Zélie Adebola, die mit ihrem Vater und Bruder in einer kleinen Küstenstadt lebt und die Ermordung ihrer Mutter nie verwunden hat. Sie träumt von Rache, muss jedoch tagtäglich mitansehen, wie ihre Familie unter den erdrückenden Steuern verarmt. Doch eine zufällige Begegnung verändert Zélies Leben für immer: Prinzessin Amari, Sarans Tochter, hat ein mächtiges Artefakt gestohlen, das die Magie zurück in die Welt bringen könnte. Abgestoßen von den Verbrechen ihres Vaters wendet sie sich an Zélie und deren großen Bruder Tzain. Bald macht sich das ungleiche Trio auf, die Wahrheit über die Maji und den Pakt mit den Göttern herauszufinden. Dabei sind ihnen die Soldaten des Königs dicht auf den Fersen, angeführt von Prinz Inan, Amaris Bruder und Thronerbe von Orisha.

Auf ihrer Reise durch die Welt von Orisha begegnen die Helden vielen jungen Menschen, die wie Zélie das Zeichen der Göttin tragen und entweder in Sklaverei oder im Verborgenen leben müssen. Zélie, so stellt sich heraus, ist nicht die einzige, in der sich die alte Magie wieder regt. Vor der Kulisse von verfallenen Gebirgstempeln und kargen Wüstenstädten raufen sie sich zusammen und schließen erste Bündnisse mit jenen, die wie sie vom Aufstand träumen.

Dabei gilt es, zahlreiche Abenteuer zu bestehen. Tatsächlich steht die Handlung vom ersten Kapitel an nie still, sodass man sich hervorragend mitreißen lassen kann, ohne allzu viel nachzudenken. Da stört es kaum, dass der Plot gelegentlich gewissen Genrekonventionen gehorcht, die beispielsweise verlangen, dass in einer Situation gekämpft wird, die sich auch ganz anders hätte bewältigen lassen, weil nunmal der Zeitpunkt gekommen ist, an dem Zélie die wahren Ausmaße ihrer Kräfte entdecken muss. Für das hohe Tempo der Erzählung – auch das soll gesagt sein – kommt der finale Showdown etwas abrupt und das Ende bleibt recht offen. Wer auch nur ansatzweise in sich geschlossene Geschichten bevorzugt, sollte bedenken, dass Goldener Zorn eben nur ein erster Teil ist.

Wie viele phantastische Jugendbücher ist Children of Blood and Bone vor allem eine Heldengeschichte, die erzählt, wie eine Hauptfigur zur Auserwählten und zur Galionsfigur einer Revolution wird. Zugleich erinnern viele Elemente der Grundhandlung massiv an Avatar – The Last Airbender, sodass sich vieles nicht ganz neu anfühlt. Allerdings verleiht Tomi Adeyemi diesen altbewährten Strukturen erfrischend viel Substanz.

Ein Artwork aus dem Roman
Ein Artwork aus dem Roman

Zum Einen setzt der Roman auf verschiedene Blickwinkel. Er ist nicht nur die Geschichte von Zélie, die ihre eigenen Kräfte entdecken und entwickeln muss, sondern zugleich auch die von Prinzessin Amari, die alles aufgibt, um das Richtige zu tun, ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein. Nicht nur hat Amari keinerlei magische Begabung und mit dem Verrat an ihrem Vater außerdem auf jeglichen politischen Einfluss verzichtet, sie hat ihr Leben lang direkt von der Unterdrückung anderer profitiert und muss nun einen Weg finden, die Taten ihrer Vorfahren wiedergutzumachen.

Doch auch Prinz Inan, der die beiden Heldinnen hartnäckig verfolgt, ist nicht einfach nur der verlängerte Arm seines grausamen Vaters, sondern trägt einige Geheimnisse mit sich herum. Dass er die schöne Zélie am liebsten gar nicht zur Feindin hätte, ist dabei noch das ungefährlichste. Seine Hoffnung für die Zukunft ist eine friedliche, die er durch die Aussicht auf einen Aufstand der Maji bedroht sieht. In den unterschiedlichen Perspektiven spiegeln sich natürlich – und das ist die andere Stärke des Romans – gegenwärtige US-amerikanische Rassismusdiskurse, was dem Buch Bedeutungsebenen eröffnet, die in diesem Genre üblicherweise zu kurz kommen. Das relativ komplexe Verhältnis zwischen den Figuren speist sich direkt aus deren jeweiligem Verhältnis zu Unterdrückern und Unterdrückten, Mördern und Ermordeten, ohne dass sich eine einfache Lösung abzeichnen würde.

Dass Adeyemi gleichzeitig von verschiedenen westafrikanischen Mythen und der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA hat inspirieren lassen, verleiht dem Roman sowohl einen hohen Wiedererkennungswert als auch beklemmende Aktualität. Eine erfolgreiche Reihe mit nicht-weißen Protagonisten war im Young-Adult-Bereich schon lange überfällig und Zélie ist eine gerade für Genreverhältnisse sehr zugängliche Heldin mit klarer Motivation. Das Prinzip der zehn verschiedenen Magietypen, mittels derer die Elemente, aber auch Licht und Schatten, Tiere oder die Zeit selbst beherrscht werden können, lässt einen ehrlich hoffen, dass es ihr gelingt, die Magie in die Welt zurückzuholen.

Schreibstil

Children of Blood and Bone ist extrem leicht zu lesen. Es wechselt in kurzen Kapiteln zwischen den drei Ich-Erzählern Zélie, Amari und Inan hin und her, die sich stilistisch kaum unterscheiden. Die einfache, im Präsens gehaltene Erzählweise erinnert an erfolgreiche Jugendbücher wie Die Tribute von Panem und setzt auf möglichst wenig Distanz zwischen Leser und Handlung. Da auch der Plot nicht übermäßig komplex ist, stellt sich nie das Gefühl ein, dass irgendwelche Zusammenhänge oder Feinheiten dabei auf der Strecke bleiben. Hier profitiert das Buch sehr davon, auf bekannte Narrative und Settings zurückzugreifen, denn ohne dass es sich beispielsweise mit ausschweifenden Landschaftsbeschreibungen aufhalten würde, erwacht Orisha mit seinen Gebirgen, Wüsten und Wäldern sofort zum Leben.

Ein besonders schöner Aspekt ist, dass die magischen Beschwörungen nicht einfach aus wahllos aneinandergereihten Silben bestehen, sondern auf tatsächliche Sprachen zurückgehen. Obwohl sie sehr fremd klingen, haben die meisten Begriffe einen hohen Wiedererkennungswert und fügen sich so gut in die Geschichte ein, dass keinerlei Verwirrung entsteht. Etwas schade ist, dass die Figuren nicht wirklich eigene Stimmen haben. Obwohl Zélie aus armen Verhältnissen kommt und Amari und Inan im Palast aufgewachsen sind, merkt man den Kapiteln sprachlich kaum an, wer gerade erzählt.

Die Autorin

Tomi Adeyemi wurde 1993 als Tochter nigerianischer Migranten geboren. Sie studierte Literatur in Harvard und Westafrikanische Mythologie und Kultur in Salvador, Brasilien. Dort kamen ihr die ersten Ideen zu Children of Blood and Bone. Goldener Zorn ist ihr erster Roman. Adeyemi lebt in San Diego, Kalifornien, wo sie aktuell an der Fortsetzung arbeitet.

Erscheinungsbild

Mit 624 Seiten ist Goldener Zorn in der gebundenen Fassung kein Buch für die Handtasche, macht aber optisch einiges her. Das Cover zeigt eine schwarze Frau mit grauen Augen – zweifellos Zélie – deren weißes Haar fast das ganze Bild füllt. Bemerkenswert ist, dass das Buch auch unter dem Schutzumschlag aufwändig mit silberner und goldener Prägung gestaltet ist und so edel aussieht, dass man den Umschlag beinahe weglassen möchte. Der Druck ist groß und komfortabel lesbar, die Kapitel jeweils hübsch verziert. Die Qualität ist so hoch, wie man es von einem großen Verlag erwarten kann und übertrifft diese Erwartungen in mancherlei Hinsicht.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fischer FJB
  • Autorin: Tomi Adeyemi
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch (aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer)
  • Format: gebunden
  • Seitenanzahl: 624
  • ISBN: 978-3-8414-4029-7
  • Preis: 18,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, auch in der englischen Originalversion und als Hörbuch

 

Bonus/Downloadcontent

Es gibt eine sehr schön gestaltete Karte, die man zwar zur Orientierung nicht wirklich braucht aber dennoch gerne anschaut.

Dem Roman ist eine Übersicht über die verschiedenen Clans der Maji und deren Fähigkeiten vorangestellt. Allerdings weckt diese Übersicht fast schon falsche Erwartungen, da man im ersten Band deutlich weniger Maji begegnet, als sie vermuten ließe, sodass man sie eigentlich nie verwendet.

Es gibt eine umfassende Danksagung sowie eine Anmerkung der Autorin, in der sie den Inhalt des Romans mit der allgegenwärtigen rassistischen Polizeigewalt in den USA in Verbindung bringt.

 

Fazit

Children of Blood and Bone ist ein sehr gelungener Young-Adult-Roman, dessen afrofuturistische Einflüsse ihn stark vom Mainstream abheben und der es durchaus verdient hätte, ähnlich große Erfolge wie The Hunger Games oder Divergent zu feiern. Es ist aber auch ein kurzweiliges und sehr unterhaltsames Buch für alle Altersklassen, das mit seiner Figurenkonstellation an Erfolgsserien wie Avatar: The Last Airbender erinnert. Der Plot ist nicht unbedingt neu, aber sehr solide und stellenweise recht tiefgründig. Zélie und ihre Gefährten müssen nicht nur die Magie zurück in die Welt bringen, sondern auch eine Möglichkeit finden, das Kollektivtrauma eines Genozids zu überwinden. Es ist zwar keine direkte Allegorie auf die zunehmende rassistische Gewalt in den USA, setzt sich aber intensiv mit Themen wie Diskriminierung auf Basis körperlicher Merkmale auseinander, ohne auf den Charakter eines spaßigen Abenteuers zu verzichten. Diese Gratwanderung zwischen ernsten Themen und leichter Unterhaltung ist durchaus eine spezifische Stärke von Jugendbüchern und wird hier voll ausgekostet.

Leider hat die Story gelegentlich ein paar kleinere Aussetzer, die man aber durchaus überlesen kann. Die Sprache ist recht einfach gehalten, und man muss schon bereit sein, sich auf eine Ich-Erzählung im Präsens einzulassen. Wer Young-Adult-Genrekonventionen aber generell mag, sollte Goldener Zorn unbedingt eine Chance geben.

Artikelbild: Fischer FJB, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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