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Die Eroberung Südamerikas bietet reichlich Stoff für historische, aber auch phantastische Geschichten. Nach seinem ersten Ausflug in die Urban Fantasy wagt sich Autor Andreas Michels nun von der Stadt in den Urwald und vom Jetzt in die Vergangenheit. Wir sind mit ihm auf die Reise in eine grausame Welt gegangen.

Das Herrschaftsgebiet der Inkas zählte mitunter zu den größten seiner Zeit. Zeitweise umfasste das Reich fast die ganze Westküste Südamerikas. Beeindruckende architektonische Leistungen und nicht minder erstaunliche medizinische Fähigkeiten wohnten dieser Kultur inne. Allein das Straßennetz umfasste 40.000 Kilometer und die Straßen waren war stellenweise 6 bis 8 Meter breit, damit übertraf es sogar das Straßennetz zur Hochzeit des Römischen Reiches. Während das Europa dieser Zeit medizinisch eher zurückhaltend war, führten die Inkas komplizierte Operationen am Schädel durch oder ersetzten kaputte Zähne durch Implantate aus Rosenquarz. Doch wie viele große Reiche scheiterte auch dieses irgendwann an seiner immensen Größe und fiel dann durch die spanische Eroberung dem Untergang anheim. Atahash spielt zur Zeit der großen Expedition von Francisco Pizarro, der mit nur 159 Mann den Untergang eines der größten Reiche seiner Zeit besiegelte.

Story

Don Alejandro Quesada ist ein junger Hidalgo, ein niederer Adliger Spaniens, der sich wie so viele Glücksritter dieser Zeit einer Expedition in die Neue Welt anschloss. Diese neue Welt lockte nicht nur mit reichlich Abenteuer und Ruhm, sondern vor allem unfassbar großen Schätzen. Im Windschatten des berühmt-berüchtigten Generalcapitáns Francisco Pizarro sollte diese Reise zu schier unermesslichen Reichtümern führen, doch haben Alejandro und seine zwei Partner Philippe und Cisco die Rechnung ohne die Launen des Meeres gemacht. Im Sturm getrennt vom Rest der Flotte, schaffen sie es mit letzter Kraft an der südamerikanischen Küste zu einer kleinen deutschen Hafensiedlung. Ohne Aussicht darauf, jemals zur Flotte Pizarros aufzuholen, und mit dem deutschen Gouverneur im Rücken, der für seine Hilfe gerne ein Gegenleistungen sehen würde, entscheiden sich die drei Adligen für ihre ganz eigene Expedition. Immerhin soll eine große und sagenumwobene Stadt der Ureinwohner tiefer im Landesinneren liegen, die nur darauf wartet das Wort Gottes zu hören und nebenbei noch um ihre enormen Reichtümer erleichtert zu werden. Hier beginnt eine nervenaufreibende und ganz und gar unromantische Reise, die viele Widrigkeiten der Konquistadoren jener Zeit aufzeigt. Ungeschönt wird hier auch der menschenverachtende Umgang vieler Eroberer mit den Ureinwohnern dargestellt, die auch unverhohlen als Kreaturen bar jeder Menschlichkeit bezeichnet werden.

Die Geschichte liest sich als ordentlich recherchierter Historien-Roman und spielt gekonnt mit der Mischung aus klassischem Abenteuer und brutalem Realismus einer Expedition durch unwirtliches Terrain, wo einen gefühlt alles töten kann und auch will. Auf phantastische Elemente wird dabei bis weit in die zweite Hälfte des Buches verzichtet, so dass die Leserin oder der Leser sich zweifelsohne fragen, wo denn die Phantastik bleibt. Diese nimmt im letzten Drittel des Romans plötzlich an Fahrt auf, ohne dabei jedoch zu dominant zu werden.

Die Charaktere des Buches sind durchdacht und glaubwürdig in Handlungen und Auftreten. Sei es der offenkundig wahnhafte Inquisitor, der besonnene und indiofreundliche Pater der deutschen Siedlung, oder auch der erfahrene Hidalgo Cisco, der schon viel zu viel Gewalt in seinem Leben gesehen haben muss. Im Mittelpunkt der Handlung jedoch steht der junge Alejandro, der versucht aus der Situation das Beste zu machen und schlicht nicht an der Unternehmung selbst bankrott zu gehen, immerhin hat er fast sein ganzes Vermögen investiert. In seinen Handlungen wirkt er hin und her gerissen zwischen seinen christlichen Überzeugungen und der Tatsache, dass die Indios eigentlich nicht so unmenschlich behandelt werden sollten. Damit steht er im krassen Kontrast zu seinem Antagonisten, dem spanischen Padre der Expedition, der sich recht schnell als Inquisitor zu erkennen gibt, als es scheinbar etwas Ruhm einzustreichen gilt. Dem kann es fast nicht schnell genug gehen, die Indios zu christianisieren oder auf den Scheiterhaufen zu bringen. Beflügelt von den Widrigkeiten der Expedition steigert er sich dabei immer mehr in seinen religiösen Wahn und bringt Alejandro an seine Grenzen. Gegen einen Inquisitor stellt man sich auch nicht als Kommandant der Expedition, zumindest nicht allzu offensiv. Dieses Spannungsfeld prägt weite Teile des Romans und ergibt eine sehr interessante Perspektive.

Schreibstil

Der Roman erzählt die Geschichte aus Sicht von Don Alejandro und lässt Leserinnen und Leser an den Gedanken des jungen Adligen teilhaben. Dabei werden die anderen wichtigen Charaktere des Buches gut durch die Eindrücke Alejandros beschrieben, so dass sie trotz einer Außensicht nachvollziehbar sind. Michels beschreibt nicht nur ausführlich die Gedanken des Hidalgos, sondern auch das ganze Umfeld, sei es die raue Überfahrt, die Tage in der deutschen Kolonie oder auch den Urwald selbst. Er ergießt sich dabei nicht zu sehr in Details, so dass Raum für die eigene Fantasie bleibt. Im Anhang gibt es zudem ein Glossar, das wichtige Begrifflichkeiten klärt.

Michels wechselt im Roman selbst zwischen ruhigen Passagen, die das Leben dieser Zeit einfangen sollen und wohldosierter Action, die einen soliden Spannungsbogen aufbaut, der in einem Finale endet, das man sich durchaus auf einer großen Leinwand vorstellen kann.

Wenn sich eine Autorin oder ein Autor an einen Roman wagt, der sich auch mit der historischen Betrachtung indigener Völker beschäftigt, besteht natürlich die Gefahr, schnell in klischeehafte Darstellungen zu verfallen. Andreas Michels gelingt es gut, diese zu umschiffen und trotzdem ein spannendes Bild einer, für die meisten Leserinnen und Leser, fremden Kultur zu schaffen. Lediglich eine Szene könnte exakt so auch in Indiana Jones vorkommen und ist dann zumindest ein bisschen Klischee. Dies ist aber zwingend für die Geschichte erforderlich und würdigt die beschriebene Kultur keinesfalls herab. Ganz deutlich zeigt Michels sogar den unfassbaren Umgang der Eroberer mit den Indios und erlaubt sich damit ein kleines Stück Kolonialismuskritik, die an der Stelle durchaus wohltuend ist.

Der Roman ist gut und flüssig lesbar und sauber lektoriert, so dass das Lesevergnügen nicht stockt.

Der Autor

Andreas Michels hat unter anderem im Gegenstromschwimmer Verlag den Urban-Fantasy-Roman Esariel veröffentlicht. Sein erstes Werk 111Gründe, Rollenspiel zu lieben brachte ihn auf den Geschmack als Autor tätig zu werden. Als leidenschaftlicher Larper und Rollenspieler vertieft er sich gerne in unterschiedliche Settings. Michels lebt und schreibt in Oberfranken und arbeitet dort in der Industrie.

Erscheinungsbild

Mit 549 Seiten ist das Buch nicht die leichteste Lektüre, liegt aber wertig in der Hand. Das Cover ist liebevoll gestaltet und greift die Geschichte gut auf. Der unendliche dichte Urwald fasziniert gleichermaßen, wie er beängstigt. Der Einband ist Glanzkarton und die Seiten angenehm griffig.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Gegenstromschwimmer Verlag
  • Autor: Andreas Michels
  • Erscheinungsdatum: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch/eBook
  • Seitenanzahl: 549
  • ISBN: 978-3947865185
  • Preis: EUR 14,99 (Softcover)/ EUR 3,99 (eBook)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, Amazon

 

Fazit

Mit Atahash wagt sich Michels aus der Stadt in den weiten und nicht minder gefährlichen Urwald Südamerikas. Man merkt dem Roman dabei an, dass Michels sichtlich Spaß an der Recherche hatte und auch frei erfundene Elemente stimmig in das Gesamtbild passen. Auf den ersten Blick sind die historischen Fakten sauber aufgearbeitet, was sich sowohl in der Beschreibung der Eroberer als auch der Inka wiederfindet.

Das Buch ist ein gelungener historisch angelehnter Roman, der etwas überraschend plötzlich ausgeprägte Elemente der Phantastik auffährt. Das kann etwas irritierend sein, weil diese wirklich sehr plötzlich kommen, gibt auf der anderen Seite jedoch eine interessante Wendung der Geschichte.

Wer also ordentliche Abenteuer mit einem guten Schuss Mystik mag, kann bei dieser Lektüre ganz beherzt zugreifen. Aber auch Freunde von Historienromanen werden nicht zu kurz kommen und den Phantastikanteil gut verschmerzen können.


Artikelbild: © Gegenstromschwimmer Verlag, Foto & Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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