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Infinity von Corvus Belli ist dafür bekannt, ein eher komplexes Spielsystem zu sein. Bevor im Sommer die vierte Edition des Science-Fiction-Skirmishers erscheinen soll, ist mit CodeOne nun eine vereinfachte Einstiegsvariante des Spiels erhältlich. Wir haben geprüft, ob der Spagat zwischen einfachen Regeln und komplexen Spielabläufen gelungen ist.

Die Box Operation: Kaldstrøm enthält alles, was zum Spielen benötigt wird.

Gespannt wurde das Release von CodeOne von der Community erwartet, nachdem sie bereits seit Längerem von Corvus Belli mit ausführlichen Informationen versorgt wurde. So wurde das System als Variante für Neueinsteiger und Gelegenheitsspieler angekündigt, welchen der Zugang zum Infinity-Universum so erleichtert werden sollte.

Zum Start von CodeOne wurde mit Operation: Kaldstrøm eine für Infinity übliche Zwei-Spieler-Box mit Gelände und Zubehör veröffentlicht. In diesem Artikel widmen wir uns aber nur den Regeln, welche auf Englisch und Spanisch als kostenloser Download verfügbar sind.

Alles gleich, nur anders

Wer von CodeOne ein kurzes Regelwerk erwartet hat, wird leider enttäuscht. Das Regelbuch umfasst 104 Seiten und schnell wird klar, dass es sich um kein eigenständiges Regelwerk handelt, sondern um eine Grundfassung der Infinity-Regeln, welches einen Vorgeschmack auf die bevorstehende neue Regeledition N4 gibt.

Wer bereits die noch aktuellen N3-Regeln kennt, findet sich schnell zurecht. Weiterhin wird mit kleinen Kampfgruppen gespielt, innerhalb derer sich jedes Modell eigenständig bewegen kann und besondere Eigenschaften mitbringt. Ein Modell generiert am Anfang des eigenen Zuges einen Befehl, welcher dem Befehlspool hinzugefügt wird. Dieser Pool gilt immer nur für die aktuelle Runde, und durch das Ausgeben eine Befehles kann ein Modell der Kampfgruppe aktiviert werden. Die Anzahl der Aktivierungen eines Modells ist nur durch die Menge der vorhandenen Befehle limitiert. Eine Aktivierung besteht aus zwei kurzen oder einer langen Aktion, wobei bei der Nutzung von zwei kurzen Aktionen wenigstens eine davon eine Bewegung sein muss.

Auch die Möglichkeit, im gegnerischen Zug auf Aktionen zu reagieren, wenn sie in Sichtlinie oder im Kontrollbereich einer eigenen Miniatur geschehen, bleibt eines der besonderen Merkmale des Systems. Gerade aufgrund solcher Interventionen spielt Gelände und somit Deckung eine wichtige Rolle.

Regeln werden bildlich erläutert.

Auch wenn der Regelumfang zunächst sehr groß erscheint, so nehmen die ausführlichen Beschreibungen von Spielsituationen und Beispielen viel Raum ein. Durch mit mehreren Bildern beschriebene Abläufe wird das System dem Spieler sehr anschaulich nähergebracht. Wie schon bei Infinity ist das Regelwerk gut gegliedert und verschiedene Passagen sind deutlich abgesetzt, was die Übersichtlichkeit unterstützt.

Der Armeeaufbau

CodeOne bietet die Möglichkeit, in drei unterschiedlichen Punktegrößen zu spielen, wobei abhängig von den Punktzahlen auch das Spielfeld angeglichen wird. Man hat also die Option, als Einsteiger oder mit wenig Zeit mit wenigen Modellen auf einem verkleinerten Spielfeld zu spielen. Die Punktekosten der Einheiten wurden gegenüber den N3-Regeln um eine Dezimalstelle verkleinert, so dass ein großes Spiel nun mit 30 statt mit 300 Punkten gespielt wird. Bei dieser Spielgröße wird auch weiterhin ein Spielfeld mit 48“ x 48“ genutzt. Die beiden anderen Spielgrößen sind 25 Punkte auf 32“ x 48“ und 15 Punkte auf 24“ x 32“. Letzteres entspricht der Größe der Spielfeldposter, welche den Zwei-Spieler-Boxen beiliegen.

Der Armeeaufbau wird neben der Punktegröße durch die zum Teil durch das Profil begrenzte Verfügbarkeit einiger Modelle und die sogenannte Support Weapons Cost (SWC), welche für schwerere Waffen aufgebracht werden muss, beschränkt. Pro zehn Punkte kann jeder Spieler zwei SWC-Punkte ausgeben. Eine Armee kann außerdem nur aus einer Kampfgruppe mit maximal zehn Modellen bestehen. Mehrere Kampfgruppen sind nicht vorgesehen. Als Anführer muss wie gewohnt ein Modell mit dem Lieutenant-Skill gewählt werden.

Das Regelbuch.

Bei CodeOne hat man derzeit nur auf vier Fraktionen Zugriff. Dabei handelt es sich um PanOceania, Yu Jing, die Combined Army und die O-12. Sektorarmeen, also Unterfraktionen der Hauptfraktionen, sind nicht vorgesehen, und es sind auch nicht alle bekannten Modelle verfügbar. Für Spieler der nicht enthaltenen Fraktionen ist dies natürlich ärgerlich.

Das Regelbuch selbst enthält keine Einheitenprofile. Diese erhält man über die Infinity Army CodeOne App, welche für Android, iOS und als Browserversion verfügbar ist.

Die Profiltests

Profiltest werden mit einem W20 durchgeführt, wobei der angegebene Wert erreicht oder unterwürfelt werden muss. Zum Profilwert werden mögliche Modifikatoren hinzugefügt, zum Beispiel für Deckung und Entfernung. Reagiert ein Gegner auf eine Aktion, welche einen Profiltest erfordert, ebenfalls mit einer solchen Aktion, kommt es zu einem sogenannten vergleichenden Wurf. Beide Spieler würfeln nun auf ihren modifizierten Profilwert. Sollten beide Spieler erfolgreich sind, wird allerdings nur die Aktion durchgeführt, welche den höheren Wert erwürfelt hat. Eine Ausnahme ist ein sogenannter kritischer Erfolg, welcher erzielt wird, wenn man genau den modifizierten Profilwert trifft. Ein kritischer Erfolg gewinnt immer, außer gegen einen ebenfalls kritischen Erfolg. Bei einem Unentschieden wird keine der Aktionen durchgeführt.

Die Profile sind erfahrenen Infinity-Spielern bereit bekannt.

Die Befehle

Wie bereits erwähnt, läuft auch bei CodeOne alles über von den Miniaturen generierte Befehle ab, wobei ein Modell wie gehabt beliebig oft aktiviert werden kann, solange es noch ungenutzte Befehle im Pool gibt. Bei CodeOne wurde aber auf irreguläre Befehle verzichtet, welche nur von Miniatur genutzt werden können, die sie generiert. Stattdessen generiert jedes Modell einen regulären Befehl, welcher frei genutzt werden kann. Die einzige Ausnahme ist der vom Lieutenant zusätzlich generierte Lieutenant-Befehl, welchen nur er selbst verwenden kann.

Aktiviert man ein Modell mit einem Befehl, kann dieses wahlweise eine komplexe Fertigkeit nutzen, welche den ganzen Befehl verbraucht, oder zwei kurze Aktionen durchführen. Führt man zwei Aktionen durch, muss eine davon zwingend eine Bewegung sein. Der aktive Spieler kündigt zunächst mit dem vorgesehenen Laufweg seine erste Aktion an und gibt dann dem Gegner die Möglichkeit, auf die Aktion zu reagieren, sofern gegnerische Modelle eine Sichtlinie ziehen können oder die Aktivierung innerhalb eines 8“-Zylinders um ein gegnerisches Modell stattfindet. Hat der Gegner seine Reaktionen angekündigt, benennt der aktive Spieler seine zweite Aktion. Dem aktiven Spieler ist es somit immer möglich, seine zweite Aktion an die Reaktion des Gegners anzupassen, so dass der inaktive Spieler seine Reaktion mit taktischer Überlegung wählen muss.

Ein Beispiel für einen vergleichenden Wurf.

Ein typischer Ablauf: Spieler1 sagt eine Bewegung eines Modells an. Während der Bewegung wird das Modell für eine gegnerische Figur sichtbar, und Spieler2 sagt eine Reaktion an. Da Spieler2 einen Angriff befürchtet, entschließt er sich, als Reaktion ebenfalls anzugreifen. Nun kann Spieler1 die zweite Aktion ansagen und sagt tatsächlich einen Angriff an. Spieler1 darf mit seinem Combi Rifle drei Attacken durchführen. Mit einer Ballistischen Fertigkeit von 12, +3 für die Entfernung und –3 für die Deckung von Spieler2, benötigt er für einen Erfolg eine 12 oder niedriger. In einer Reaktion steht nur eine Attacke zur Verfügung, obwohl auch das Modell von Spieler2 mit einem Combi Rifle ausgerüstet ist. Er benötigt bei BF 11 nach Modifikation durch Entfernung und Deckung eine 11 für einen Erfolg. Spieler1 würfelt drei Erfolge mit 6, 4 und 1. Spieler2 würfelt ebenfalls einen Erfolg mit einer 7. Da die 7 höher ist als die Würfe von Spieler1, negiert Spieler2 die Angriffe und zwingt Spieler1 zu einem Rüstungswurf.

Die Fähigkeiten

Längst nicht alle aus Infinity bekannten Fähigkeiten werden auch in CodeOne genutzt. Hier wurde zu Gunsten der Übersicht und Lernbarkeit auf einiges verzichtet. Dennoch ist mit elf gewöhnlichen Fähigkeiten, welche jedes Modell nutzen kann, und 26 speziellen Fähigkeiten, über die nur bestimmte Modelle verfügen, noch ein hoher Grad an Komplexität gegeben. Um die zum Teil sehr ausufernden Sonderfähigkeiten zu entzerren, wurden einige in mehrere getrennte Fähigkeiten unterteilt. Dies erleichtert es nicht nur, sich bestimmte Dinge zu merken, es ermöglicht auch mehr Flexibilität bei den Modellen.

Besonders fällt dies bei der Fähigkeit Camouflaged auf, welche nicht länger in verschiedene Stufen unterteilt ist. War sie vorher sehr verschachtelt, weist nun jedes Einheitenprofil verschiedene, gesonderte Fähigkeiten auf, was aber im Spiel ähnliche Effekte wie noch im N3-Regelwerk erzeugt. Camouflaged ermöglicht nur noch das Aufstellen eines Modells als Tarnmarker, der vom Gegner zuerst mittels eines Profiltest aufgedeckt werden muss. Abzüge für Entdecken, Beschuss und so weiter werden über die gesonderte Regel Mimetismus abgewickelt, welche im Profil mit einem Wert für einen Malus von –3 oder –6 angegeben wird.

Sonderregeln sind im bekannten Kastenformat erklärt.

Dies wirkt sich im Spiel gegenüber den N3-Regeln insofern anders aus, als dass bei höherer Fähigkeit auch nach dem Entdecken der volle Malus zum Tragen kommt. Vorher verlieh die Starke Tarnung einen Malus von –6, welcher nach dem Entdecken auf das –3 der alten Mimetismus-Regel reduziert wurde. Dies macht starke Tarnung nun deutlich effektiver.

Das Hacken, welches in N3 eine der komplexesten Fähigkeiten darstellt, wurde auf zwei einfache Einsatzmöglichkeiten reduziert: zum einen das Lähmen einer hackbaren Einheit, zum anderen das Markieren eines Gegners, um bei Beschuss einen Bonus zu erlangen. Bei CodeOne muss man sich also nicht durch einen großen Katalog von Hackerprogrammen wälzen.

Ausrüstung und Waffen

Auch die Ausrüstung wurde deutlich übersichtlicher gestaltet. Es kommen nur fünf Ausrüstungsgegenstände im Regelwerk vor. Das Hackermodul ermöglicht es einem Modell, die bereits erwähnten Hackeraktionen durchzuführen. Mit dem Medikit kann man bewusstlose Modelle zurück ins Spiel holen. Der 360°-Visor verleiht Rundumsicht, und der Multispectralvisor reduziert oder negiert Modifikatoren durch Mimetismus. Der Nanoscreen verleiht einem Modell grundsätzlich Deckung gegen Fernangriffe.

Spezialmunition ist eine weitere Form von Ausrüstung bei Infinity. In CodeOne kommen neben normaler Munition vier spezielle Formen zum Einsatz: die Armour-Piercing-Munition (AP), welche die gegnerische Rüstung halbiert, die Double-Action-Munition (DA), welche den Gegner bei jedem Treffer zu zwei Rüstungswürfen zwingt, die Explosive-Munition-(EXP), welche bei jedem Treffer drei Rüstungswürfe erzwingt, und die Paralysis-Munition-(Para), welche einen Gegner lähmt.

Die verwendeten Waffen unterscheiden sich durch verschiedene Reichweitenmodifikatoren, Feuerraten, Schaden und natürlich die verwendete Munition.

Ein Ausschnitt aus der Waffenliste.

Neben normalen Feuerwaffen gibt es auch solche, welche Flächenschaden mit einer runden oder tropfenförmigen Schablone verursachen. Auch Nahkampfwaffen, welche nur in Basekontakt mit einem Gegner genutzt werden können, gibt es. Pistolen sind eine Mischung aus beidem und können sowohl im Nah- als auch im Fernkampf eingesetzt werden. Die letzte Sonderform sind Minen, die auf dem Spielfeld platziert werden und ausgelöst werden, wenn ein Gegner in ihren Wirkungskreis eintritt.

Die Missionen

CodeOne liefert im Regelwerk vier Missionen, welche jeweils in den drei verschiedenen Punktegrößen beschrieben sind. Bei Annihilation erhält man Punkte für das Ausschalten gegnerischer Modelle sowie für überlebende eigene Einheiten am Ende der Mission. Es ist also ein klassischer Schlagabtausch ohne besondere Anforderungen. Ähnlich verläuft es bei Firefight, nur dass es hier zusätzliche Punkte für das Töten und das Überleben von Spezialtruppen und Lieutenants gibt.

Der Aufbau der Mission Domination.

Die Mission Domination dreht sich um das Erobern und Halten von Spielfeldvierteln. Zusätzliche Punkte kann man durch das Hacken von vier Konsolen auf dem Spielfeld erlangen.

Um das Aufnehmen und Sichern von Ausrüstung geht es in Supplies. Auf der Spielfeldmittellinie werden dazu drei Ausrüstungskisten aufgestellt, welche von Spezialtruppen aufgenommen werden können.

Fazit

CodeOne ist eine reduzierte Version von Infinity, wobei dennoch ein hoher Grad an Komplexität gegeben ist. Es erleichtert den Einstieg in das System, und auch für Gelegenheitsspieler ist der reduzierte Sonderregelumfang sicherlich eine Hilfe. Für einige Spieler wird sich vielleicht gar nicht so viel ändern, wenn sie zu eher simpleren Armeelisten neigen. Durch die unterschiedlichen Spielgrößen hat man die Option, klein zu beginnen und darauf aufzubauen. Aber auch für kürzere Spiele bieten sich Möglichkeiten. Einzig der Umstand, dass nur vier der Fraktionen aus dem Infinity-Universum berücksichtigt wurden, könnte für Spieler derselben frustrierend sein. Da die Regeln kostenlos zur Verfügung stehen, sollten Interessierte einfach selbst einen Blick darauf werfen und sich ein eigenes Urteil bilden.

 

Artikelbilder: © Corvus Belli, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

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