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Es gibt nicht nur Larp-Vereine und Spiele-Clubs. Auch Schreibende in der deutschsprachigen Phantastik schließen sich zusammen, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Eine dieser Vereinigungen in der Buchbranche ist das Nornennetz – ein Verband für Phantastikautor:innen.

Das erste Mal begegnet sind wir dem Nornennetz auf dem Literaturcamp Heidelberg 2017. Seitdem sind wir treue Besucherinnen am Stand der Nornen auf der Buchmesse Leipzig.

Wir haben Gründungsnorne Elenor Avelle interviewt, viel über die Geschichte des Netzwerks erfahren und nebenbei einige Tipps bekommen, wie wir unser Bücherregal diverser gestalten können.

Interview

Teilzeithelden: Hallo, erst einmal ganz herzlichen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, einige unserer Fragen zu beantworten. Euch gibt es ja schon drei Jahre! Wow! Erstmal herzlichen Glückwunsch!

Elenor: Vielen lieben Dank. So eine Zeitspanne geht im Nachhinein betrachtet schneller vorbei als gedacht.

Unsere Interviewpartnerin Elenor Avelle auf der BuchBerlin 2018.

Teilzeithelden: Das stimmt. Einmal für unsere Leser:innen, die euch nicht kennen, was ist das Nornennetz?

Elenor: Das Nornennetz ist ein Netzwerk von Autor:innen, mit Schwerpunkt der Förderung von Frauen geschriebener, deutschsprachiger Phantastikliteratur.

Teilzeithelden: Klingt super und wichtig. Warum habt ihr euch nach den drei Schicksalsweberinnen der Edda benannt?

Elenor: Weil die Nornen nach der Vorstellung der nordischen Mythologie die Geschicke der Götter und der Menschen lenken. Genauso lenken Autor:innen die Figuren ihrer Welten. Das fanden wir cool und passend. Weberinnen sind die Nornen allerdings nicht, wie wir festgestellt haben. In der alten nordischen Mythologie schnitzen sie das Schicksal in Stöcke. Dazu werden wir auch demnächst Informationen auf unserer Webseite einstellen. Die griechischen Moiren hingegen weben tatsächlich, daher kommt wahrscheinlich auch die gängige Assoziation mit „gewebtem“ Schicksal.

Teilzeithelden: Lustig, webende oder spinnende Nornen sind doch ein recht verbreitetes Bild – aber ja offensichtlich ein Irrtum. Wie kam es zu der Gründung des Netzwerks? Wie ist dieser Prozess abgelaufen?

Elenor: Nike Leonhard antwortete auf einen Tweet der Mörderischen Schwestern (Anmerkung Teilzeithelden: Verband der Krimiautorinnen), dass eine Gruppe wie ihre in der Phantastik fehlen würde. Schnell fanden sich Autorinnen, die das ändern wollten. Wir eröffneten einen Discord-Server und legten los.

Wer netzwerkt hier wie?

Teilzeithelden: Also gedacht, getan. Wie viele Mitglieder habt ihr aktuell und wie organisiert ihr euch?

Elenor: Wir haben zurzeit etwa fünfzig Mitglieder. Unsere Organisation läuft über unseren Discord-Server und einen internen Newsletter. Wichtige Entscheidungen fällen wir basisdemokratisch über Abstimmungen.

Ein Nornengruppenbild vor dem eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse.

Teilzeithelden: Also können sich alle einbringen. Wie ist der Altersdurchschnitt der Mitglieder?

Elenor: Da müsste ich raten. Wir haben sowohl sehr junge Mitglieder, die gerade erst ihre Ausbildung beenden oder beendet haben, als auch Personen mit tiefer gehender Lebenserfahrung – wobei die ja nicht unbedingt vom Alter abhängt.

Teilzeithelden: Da hast du vollkommen recht. Trefft ihr euch auch außerhalb von Messen und Conventions offline, also in Nicht-Coronazeiten? Gibt es beispielsweise ein Nornentreffen in Hamburg?

Elenor: Wir organisieren untereinander immer wieder mal regionale Treffen. Im direkten Gespräch und ohne den Eventstress ist es nochmal eine andere Art von Austausch unter Phantastikliebhaber:innen. Unsere Norne Anne Zandt reiste sogar schon mehrfach von einer Norne zur anderen durch ganz Deutschland bis in die Schweiz – unter #NornenHopping auf Twitter zu finden.

Teilzeithelden: Ja, direkt ist immer nochmal was anderes als nur auf Events, das ist bei uns Teilzeithelden auch nicht anders. Wer kann Norne, also Mitglied, werden und was hat man davon? Macht ihr so etwas wie Mentoring für Neulinge?

Elenor: Norne werden kann jede Frau, die aktiv mitarbeiten möchte und sich mit den Zielen des Netzwerks identifiziert. An dieser Stelle sei gleich explizit erwähnt, dass trans Frauen Frauen sind und deshalb Norne werden können, wenn sie möchten. Bei uns sind auch inter* und nicht binäre Personen willkommen, die sich unter dem Schirm eines Autorinnennetzwerkes wohlfühlen.

Wir bieten gegenseitige Unterstützung, Inspiration, Coachings und kreative Gemeinschaftsprojekte, sowohl für unveröffentlichte als auch für erfahrene Autor:innen.

Teilzeithelden: Einen Unterschied zwischen Verlagsautor:innen und Selfpublisher:innen macht ihr bei euren Mitgliedern nicht, richtig?

Elenor: Ob unveröffentlicht, Selfpublisher:in oder Verlagsautor:in ist bei uns egal.

Teilzeithelden: Ein Veröffentlichungsweg sagt ja bekanntlich auch nichts über Qualität aus. Macht ihr Gemeinschaftsprojekte, gibt es zum Beispiel eine Nornen-Anthologie? Oder entstehen aus dem Netzwerk welche?

Elenor: Gemeinschaftsprojekte sind quasi der Kern unserer Zusammenarbeit. So haben wir schon unter anderem Videoprojekte, Anthologien und Adventskalender auf die Beine gestellt und es kommen ständig neue Projekte dazu.

Das Nornennetz nach außen

Einige Nornen auf dem Literaturcamp Heidelberg 2019. Wir waren auch da (sind aber nicht hinter der Kamera).

Teilzeithelden: Richtig, ich erinnere mich an den Adventskalender und bin sicher, dass da noch viele spannende Sachen von euch kommen werden. Wie stark setzt sich das Netzwerk mit Intersektionalität auseinander?

Elenor: Stück für Stück wollen wir dazu beitragen, dass jeder Mensch die gleichen Chancen hat. Unser Ausgangspunkt ist dabei erst einmal die von Frauen geschriebene deutschsprachige Phantastikliteratur. Wir arbeiten nebenbei aber auch mit Gruppen zusammen, die einen anderen Schwerpunkt für Gleichberechtigung in den Vordergrund stellen, um schon jetzt möglichst intersektional zu agieren. So waren zum Beispiel auf der BuchBerlin das Queer-Werk und Amalia Zeichnerin Stationen für unsere Messe-Rallye.

Teilzeithelden: Entsprechend schließt das Netzwerk trans Personen und nicht binäre Menschen mit ein.

Elenor: Unser Fokus liegt darauf, Autor:innen zu unterstützen. Die Ausformulierung dieses Ziels ist allerdings gar nicht so einfach, weil es sehr unterschiedliche Ansichten auch innerhalb des Netzwerks dazu gibt, welche sprachliche Formulierung das am besten zum Ausdruck bringt. Wir konzentrieren uns hauptsächlich auf das Ziel, Frauen (egal ob cis oder trans) die gleiche Bühne zu geben, wie sie dya cis Männern selbstverständlich geboten wird.

Leider haben wir noch keine Formulierungsmöglichkeit gefunden, die den Netzwerkzielen gerecht wird und gleichzeitig eine Zwangszuweisung zum binären Geschlecht umgeht. An einer zufriedenstellenden Lösung arbeiten wir noch.

Der Nornenschuber der Schuberchallenge 2020.

Teilzeithelden: So eine Lösung zu finden, stelle ich mir auch nicht gerade einfach vor. Sagt Bescheid, wenn ihr eine gefunden habt. Ihr macht Aktionen wie die Schuberchallenge, wo ihr über das Jahr verteilt zehn Werke der Weltliteratur von Autorinnen lest und darüber auch auf euren Webseiten und in den sozialen Medien berichtet. Wer kann sich daran beteiligen, könnte ich jetzt beispielsweise noch in die Challenge einsteigen? Wie habt ihr die Bücher ausgesucht, sie sind ja nicht alle der Phantastik zuzuordnen?

Elenor: Unsere Aktionen hängen davon ab, was die Nornen für Vorschläge einbringen und woran sie mitarbeiten wollen.

Die Schuberchallenge ist ein Projekt, das offen für alle ist. Einsteigen ist jederzeit möglich.

Dieser Schuber ist tatsächlich nicht ausschließlich fantastisch, weil es um allgemeine Weltliteratur geht. Wir planen aber auch schon einen Schuber der Phantastik und einen Diversitätsschuber.

Die Wahl der Bücher findet intern statt. Jede Norne kann Bücher vorschlagen und wir stimmen dann ab. Die Bücher mit den meisten Stimmen kommen in die Schuber.

Teilzeithelden: Und dann kommen sehr spannende Konstellationen heraus, ihr hattet ja unter anderem Virgina Woolf und Alice Walkers Die Farbe Lila im Schuber. Ich erinnere mich an eure Nornentalks auf der Leipziger Buchmesse, wo sehr leidenschaftlich diskutiert wurde und ihr auch immer ein relativ großes Publikum angezogen habt. Habt ihr das Gefühl, dass sich etwas in der Szene bewegt?

Elenor: Die Frauenbewegung arbeitet schon seit über hundert Jahren an der Gleichberechtigung und wir sind immer noch nicht am Ziel. In den drei Jahren, die wir jetzt gemeinsam aktiv arbeiten, hat sich in der Literaturbranche wenig getan, aber das hält uns nicht davon ab, dran zu bleiben. Auch wir lernen täglich dazu.

Aktivismus ist ein Dauerlauf. Bis Menschen gewohnte Strukturen verlassen und sich tatsächlich etwas bewegt, muss man einen langen Atem beweisen. Wir nehmen allerdings wahr, dass sich Leute verstärkt für die Problematiken interessieren, gemessen am Zulauf bei unseren Talks zum Beispiel.

Die Talkrunde des Nornentalks auf der Buchmesse Leipzig 2019. Von links nach rechts: Michelle Janßen, Eleonore Laubenstein, Anne Zandt, Barbara Weiß.

Teilzeithelden: Das ist gut, wir werden weiterhin gerne zu euren Talks kommen. Überhaupt euer Auftritt auf der Messe in Leipzig, ich liebe euren Stand und die tollen Aktionen, die ihr dafür auf die Beine stellt. Ist das einfach als Verband einen Stand auf der Messe zu mieten? Und wie finanziert ihr solche Aktionen?

Elenor: Genaugenommen sind wir kein Verband, sondern – wie jede Gemeinschaft von mindestens drei Personen, die zu einem bestimmten Zweck zusammenkommt – eine GbR.

Wir finanzieren die Messestände hauptsächlich durch freiwillige Spenden der Nornen selbst. Wenn das nicht ausreicht, bitten wir Leute, unser Ziel über Crowdfunding zu unterstützen. Auf diese Weise ist es uns in der Vergangenheit nicht nur auf der LBM gelungen, gemütliche Stände zu mieten und diese mit viel Elan und Liebe herzurichten.

Einen aktivistischen Stand zu bestücken ist natürlich nochmal was anderes als einen reinen Verkaufsstand, weil wir uns viele Gedanken darüber machen, was für Aktionen wir planen können, um intersektionale Gleichberechtigung in der Literaturbranche zu fördern und auf die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen. Kooperationen erfordern viel Zeit und Koordination. Das ist manchmal nicht so einfach, aber die Ergebnisse waren bislang immer die harte Arbeit wert.

Leider noch viel zu tun

Teilzeithelden: Definitiv. Leider hab ihr ja nicht nur Fans, ich erinnere mich an eine sehr hässliche Geschichte um Löschaktionen auf Wikipedia, der zeitweilig die Liste deutschsprachiger Science-Fiction-Autorinnen zum Opfer fiel und etwas später die Artikel über euch und das PAN (Phantastik-Autoren-Netzwerk). Wie ist der Stand mit der Wikipedia heute, ein Jahr später?

Elenor: An dieser Front hat sich nichts geändert. An den entscheidenden Positionen sitzen immer noch dieselben Leute. Das ist ja auch das gleiche Spiel wie beim Feuilleton.

Wir haben nach Löschung unserer Seite mit einer Liste deutschsprachiger Phantastik-Autorinnen auf unserer Webseite begonnen. Über ein Formular kann jede:r Vorschläge einreichen, die nach und nach in die Liste eingepflegt werden.

Teilzeithelden: Also, alle mal mitmachen und die eigenen Lieblinge in die Liste eintragen! Fehlende Sichtbarkeit ist ja nicht „nur“ ein Wikipedia-Problem, sondern eins, das in der deutschsprachigen Phantastikszene immer wieder aufkommt. Lassen sich die größten Hürden für Frauen in der Phantastik konkret benennen? Eventuell auch in Zahlen ausdrücken?

Elenor: Das größte Problem ist immer noch die vorherrschende Überzeugung, dass bestimmte Themen nur von einem bestimmten Geschlecht gut geschrieben werden können. Gerade die Phantastik, in der es schnell einmal düster, episch oder auch technisch (Science-Fiction) zugehen kann, wird deswegen gerne Männern zugesprochen.

Die Gehaltsunterschiede sind ebenfalls ein fest verankerter Bestandteil der Ungleichbehandlung. Außerdem gibt es verschiedene statistische Erhebungen, denen zufolge Frauen weniger häufig rezensiert, prämiert oder beworben werden.

Die Webseite frauenzählen ist bezüglich Zahlen als initiale Quelle sehr zu empfehlen.

Teilzeithelden: Danke für die Quelle und ja, es ist so ein unfassbarer Unsinn, bestimmte Themen Geschlechtern zuzuschreiben. Was muss eurer Meinung nach passieren, damit Frauen in der Phantastik einen besseren Stand haben als aktuell? Was wünscht ihr euch von den beteiligten Akteuren, Verlagen, Agenturen, Autor:innen und Übersetzer:innen?

Elenor: Es muss ein grundlegendes Umdenken stattfinden. Wünschen würden wir uns ein aktives Bewusstmachen der Problematiken von Verlagen und Agenturen.

Teilzeithelden: Das wäre gut, aber leider sind nicht alle in der Position dazu. Was können wir alle dafür tun, dass Frauen in der Phantastik sichtbarer werden?

Elenor: Phantastische Bücher von Frauen kaufen und rezensieren. Und dazwischen das Buch noch zu lesen wäre auch klasse. Auf Social-Media-Kanälen folgen, Beiträge teilen und die Reichweite von Autor:innen vergrößern.

Teilzeithelden: Wir sind da mit dran. Gibt es ein Buch der Phantastik, dass ihr beziehungsweise du allen ans Herz legen möchtest?

Elenor: Na meine natürlich. Scherz beiseite. Es gibt eine riesige Bandbreite an phantastischen Büchern, die es alle verdient haben, mehr Beachtung zu finden. Ich könnte mich auf keines festlegen.

Teilzeithelden: Das stimmt, es gibt viele gute Bücher, die unbekannt sind. Darum empfehle ich jetzt mal eins von dir, nämlich Infiziert, den ersten Teil der Die verfallene Welt-Reihe.

Vor allem bedanke ich mich bei dir für die spannenden Antworten und hoffe, dass die Situation bald wieder so ist, dass wir uns auch wieder außerhalb des Internets treffen können.

 

Artikelbilder: © Nornennetz, © Majorgaine, © avlntn | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Nina Horbelt

1 Kommentar

  1. Also, ein bißchen widersprüchlich klingt das ja schon:

    „Elenor: Das Nornennetz ist ein Netzwerk von Autor:innen, mit Schwerpunkt der Förderung von Frauen geschriebener, deutschsprachiger Phantastikliteratur.“

    vs.

    „Elenor: (…) Bei uns sind auch inter* und nicht binäre Personen willkommen, die sich unter dem Schirm eines Autorinnennetzwerkes wohlfühlen.“

    Aber ich gehöre ja auch zu denen, die eine weitere Aufsplitterung der hierzulande doch eher kleinen Fantasy (im weitesten Sinne) statt bspw. den PAN zu unterstützen, auch als seltsam bis kontraproduktiv empfinden.

    Dennoch den Damen und „sonstigen“ (ohne dies abfällig zu meinen) alles gute auf ihren Wegen.

    Genug gute Fantasyliteratur kann es schließlich nicht geben.

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