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HOTAS, Chopper-Jockeys! Ab in den getunten Raumjäger, es ist Zeit für markige Oneliner, spektakuläre Kurvenstunts und coole Frisuren – eure Follower*innen und Sponsor*innen wollen schließlich etwas geboten bekommen, und Likes gibt’s nicht umsonst. Aces of Space kombiniert Dogfights im Weltall mit Social Media – und wir schauen dem System unter die Haube.

Kurvenkämpfe, todesmutige Piloten in cooler Kluft, Gangkultur, prollige Sprüche und das Ganze im Weltall? Wer hier an eine Mischung aus Battlestar Galactica und Sons of Anarchy denkt, liegt damit grundsätzlich richtig – aber Aces in Space fügt einen weiteren Aspekt hinzu: die wechselhafte Welt der Social-Media-Stars.

In einer Welt, in der man entweder in den öden Terraforming-Landschaften der Großkonzerne lebt oder in den ebenso anarchischen wie zum Teil lebensgefährlichen Verhältnissen der wenigen freien Raumstationen und ehemaligen Minenasteroiden, ziehen einige wenige einen noch gefährlicheren, aber viel mehr Adrenalin versprechenden Lebensstil vor und schließen sich einer Gang von sogenannten Chopper-Jockeys an. Und genau diese waghalsigen Piloten sind das Hauptthema in dem im Oktober 2019 per Kickstarter finanzierten Rollenspiel. Dieser Artikel soll einen ersten Eindruck geben, wie gut es gelungen ist, die verschiedenen Themen zusammen zu bringen.

Der Kobeni-Gürtel
Der Kobeni-Gürtel

Die Spielwelt

Nicht einmal 30 Seiten nimmt das Kapitel zur Beschreibung der Spielwelt von Aces in Space ein und liefert damit gerade die nötigsten Informationen, um als Spieler*in erste Charakterideen zu bekommen. Die Informationen werden in übersichtlichen Abschnitten präsentiert, danach folgt eine kurze Liste mit passenden Ingame-Slangbegriffen wie Chopper für die aufgemotzten Raumjäger, Jockeys für die Pilot*innen und gleichzeitig Spielcharaktere und HOTAS für den Fliegerausdruck „Hands on throttle and stick“.

Die weiteren Beschreibungen beantworten die wichtigsten Fragen des Settings: Die Erde ist unbewohnbar, die Menschheit lebt im All verteilt auf riesigen Raumschiffen, teilweise auf durch Terraforming für Menschen bewohnbar gemachte Planeten – die trotzdem eher öde sind und durch künstliche Kulissen von den Konzernen aufgewertet werden –, teilweise in Raumstationen und aufgegebenen Habitaten.

Trotz Errungenschaften wie künstlicher Gravitation und Cyberware gibt es keine echte KI mehr, seitdem man damit schlechte Erfahrung gemacht und in Form des Reaper-Virus eine Gegenmaßnahme entwickelt hat. Mit diesem Kunstgriff wird gleichzeitig die Chopper-Gangkultur und die anachronistische Art der Raumkämpfe erklärt, die in erster Linie von den Fertigkeiten der Pilot*innen abhängen statt von automatischen Systemen.

Beispiel eines Choppers
Beispiel eines Choppers

Neben den eigentlichen Raumkämpfen sind Gangkultur und die starken Egos der Pilot*innen sowie die Social-Media-Welt des galaxieweiten Datanets die Hauptthemen: Über Streamingplattformen kämpfen Jockeys und Gangs um Likes und Ruhm und locken damit kaufkräftige Sponsor*innen an, für die sie wiederum spektakuläre Aufträge erledigen, die den Ruhm noch weiter mehren sollen.

Das Setting lebt von gezielt ausgewählten Genre-Versatzstücke und baut auf Extrapolation aus Science-Fiction-Vorlagen wie Firefly, Battlestar Galactica, Star Wars und Sons of Anarchy auf. Zusätzlich zum Setting-Kapitel sind im ganzen Buch kleine, stimmungsvoll geschriebene Ingame-Kurzgeschichten mit anderen Blickwinkeln auf die Spielwelt verstreut.

Die eher grobkörnige Beschreibung ist ein typisches Merkmal von Fate-Settings, die eher selten mit einer detailliert ausgearbeiteten Spielwelt aufwarten, sondern stattdessen ein bestimmtes Spielgefühl vermitteln wollen. Dies gelingt Aces in Space ausgesprochen gut. Wer die Vorlagen kennt, ob durch eigenen Medienkonsum oder durch Erzählungen und Memes, wird mit der Spielwelt keine Probleme haben. Als zusätzliches Werkzeug für das Festlegen bestimmter zentraler Themen in der eigenen Runde wird eine Liste an Spielaspekten angeboten, die mit Beispielen aus TVTropes angereichert ist, und wem die Ingame-Geschichten gefallen, der mag vielleicht einen Blick auf den gleichnamigen Roman werfen.

Die Regeln

Aces in Space setzt auf dem erzählerischen Fate Core-System auf. Die Anpassungen ans Setting umfassen Charakteraspekte, die Fertigkeitenliste und die Zusatzregeln für Likes und Vibes.

Zur Erinnerung: Aspekte sind das zentrale Spielelement von Fate Core. Dabei handelt es sich jeweils um einen kurzen Ausspruch, ein Zitat oder einfach nur ein prägnantes Wort mit beschreibendem Adjektiv wie „Unnahbarer Adrenalinjunkie“. Sie stehen für unterschiedliche Ausprägungen des Charakters und können im Spiel genutzt werden, um Boni auf Proben zu erhalten, wenn der Aspekt eine erzählerische Auswirkung hat. Bei vielen Fate-Settings werden die Aspekte anders genannt, um damit festzulegen, mit welchen Arten von Charakteren man es hier zu tun hat.

Fate-Kenner dürften bei Aces of Space eine Überraschung erleben: In einem Setting, in dem der Kampf mit Raumjägern („Chopper“ genannt) einen wichtigen Teil darstellt, läge es zunächst nahe, diese über Stunts oder anderes Extra abzubilden. Hier hat man sich dagegen entschieden: Weil ein Jockey ohne seinen Raumjäger nur eine „halbe Person“ ist, wird der Chopper über den gleichnamigen Aspekt direkt am Charakter abgebildet. Das bedeutet auch, das jeglicher Schaden auf den Chopper von dessen Pilot*in getragen wird. Diese Regel genügt keinerlei Ansprüchen an Simulation oder Realismus, ergibt aber im eher abstrakten Fate-Kontext Sinn und ist ein exzellentes Beispiel für die Goldene Regel (Fate Core: „Überleg dir erst, was du eigentlich erreichen willst, und suche dir dann eine Regel aus, die dir hilft, es umzusetzen“).

Die Fertigkeitenliste wurde ebenfalls dem Setting entsprechend angepasst. Erwähnenswert sind hier die beiden Fertigkeiten „Kontakte“ und „Ressourcen“. Diese werden über einen variablen „Likes“-Wert abgebildet, der die Unterstützung der Social-Media-Follower*innen darstellt. Vielleicht kennt ja ein*e Follower*in jemanden, der*die jemanden kennt, der*die dir ein einer Situation hilft? Der Like-Wert ist zu Beginn jeder Sitzung gleich, kann sich aber innerhalb des Szenarios verändern und stellt damit eine Fertigkeit mit variablem Wert dar.

Das Regelwerk ist klar strukturiert: Nach dem für die Spieler*innen wichtigen Teil folgen Erläuterungen der Settingregeln für die beiden Raumkampf-Varianten – den taktischen, detaillierten Kurvenkampf mit Manöverscreen und die schnelle Variante über die Chopper-Challenge – und eine knappe, gut verständliche Erläuterung der Fate-Regeln. Damit ist Aces in Space ein komplettes Fate-Regelwerk und man benötigt die Core-Regeln nicht zusätzlich.

Die einzelnen Kapitel sind jeweils durch Doppelseiten mit kurzen Ingame-Geschichten getrennt, die weitere Einblicke in die Welt geben. Am Ende folgen Hinweise für die SL (die hier als „Gamequeen“ bezeichnet wird, angelehnt an den Ingame-Begriff „Queen“ für Staffelanführer*in) zur Gestaltung von Szenarios und Reizen von Aspekten und eine Liste von Protagonist*innen und namenlosen NSC.

Den Abschluss bilden zwei komplett ausgearbeitete Szenarios mit Gegner*innen, Raumschiffen und einer kompletten Antagonist*innen-Gang sowie ein Dutzend Nano- und Warmup-Spiele für den Beginn und/oder Abschluss der Spielsitzung.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung mit den fünf Charakteraspekten, Fertigkeitspyramide und Stunts stellt für Anfänger*innen manchmal eine Herausforderung dar und kann auch mal einen großen Teil der ersten Sitzung einnehmen.

Hotshot – Playbook
Hotshot – Playbook

Aces in Space geht hier neue Wege und nutzt das Konzept der Playbooks aus PbtA–Spielen.

Ein Playbook besteht aus:

  • Name und Kurzbeschreibung
  • Einer kurzen Liste mit Beispielcharakteren aus passenden Serien und Filmen
  • Vier vorgegebene Fertigkeiten
  • Drei Stunts zur Auswahl
  • Vorgaben für Erfahrungspunkte

 

Zusätzlich zur Erschaffung werden im Anhang ein paar sogenannte Nanogames vorgeschlagen, von denen die SL je nach verfügbarer Zeit und Vorliebe ein paar auswählen kann. Diese kurzen Spiele sind zum einen dazu gedacht, sich gemeinsam auf die Spielrunde einzustellen, sind aber auch hervorragend dazu geeignet, gemeinsam Aspekte auszuarbeiten. Mit dem Spiel „Schnapp dir ein Callsign“ erhält man zum Beispiel den Cockpit-Spitznamen von der Person zur Linken, während die zur Rechten die Geschichte dazu erzählt. Vielleicht ergibt sich daraus ja der Toxicity-Aspekt?

Denn Toxicity ist ein wichtiger Bestandteil bei den Weltraumbiker*innen in Aces in Space und ersetzt den Dilemma-Aspekt. Dabei ist die Idee, dass eine gepflegte Gangkultur nicht unbedingt die beste soziale Umgebung ist und Fliegerasse auch mal ganz schön arschig werden können. Der Aspekt fasst den Grund dafür in Worte und liefert Potenzial für brenzlige, zwischenmenschliche Szenen.

Daneben definiert man noch den eigenen Chopper und legt einen Glücksbringer fest, der 5. Aspekt ist frei. Dann werden noch zwei Vibes festgelegt. Ein Vibe ist eine Art lose Verbindung zu einer Person (NSC oder SC), die sich in bestimmten Situationen negativ oder positiv auf eine Probe auswirken können. Bei der Charaktererschaffung bietet sich eine Verbindung zu anderen SC an, um das Band in der Gruppe nochmal zu stärken.

Die Playbooks machen die Charaktererschaffung gleichzeitig einfacher und schneller, lassen aber immer noch genügend Freiraum zur Individualisierung und passen auf dieses Setting, in dem die Charaktertypen sehr klar abgegrenzt sind, wie die Faust aufs Auge.

Erscheinungsbild

Das Buch ist als Hardcover mit knapp 250 Seiten im A5-Taschenbuchformat erhältlich und damit im Vergleich zu typischen Regelbüchern eher kompakt und mit einem Gewicht von knapp unter 500g angenehm leicht und gut zum Mitnehmen geeignet. Die matten, leicht gelblichen Seiten lassen sich sehr angenehm lesen und haben eine schöne Haptik, verzeihen dafür aber keine Unfälle mit Flüssigkeit.

Die erste Illustration ist ein doppelseitiger Comic und stimmt gleich auf die durchgängig verwendete Farbpalette aus Schwarz, Grau und zwei Hellblautönen ein.

Comic zur Einleitung
Comic zur Einleitung

Die stilistischen Anleihen an Comics finden sich auch in den durchweg gelungenen und passenden Illustrationen der Trennseiten, in Charakterportraits und Chopper-Abbildungen wieder. Die Kurzgeschichten sind weiß auf schwarz gedruckt und heben sich beim Blättern deutlich ab, so dass man schnell zum gesuchten Kapitel findet. Das wird durch die Abschnittbeschreibung am Seitenfuß unterstützt. Das Inhaltsverzeichnis ist gut gegliedert und vollständig, so dass man den eingesparten Index gar nicht vermisst.

Farbwahl, Bilder und Layout wirken sehr gut zusammen und unterstützen das Handling des Regelwerks. Der klare Aufbau macht es einfach, sich zurecht zu finden und das Format liegt sehr gut in der Hand.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ach je’sche Verlagsbuchhandlung
  • Autor*innen: Christian Vogt, Judith Vogt, Harald Eckmüller
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: A5 Hardcover
  • Seitenanzahl: 252
  • ISBN: 9783948691004
  • Preis: EUR 30,00
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Der Downloadbereich auf der Homepage glänzt mit einer vorbildlichen Auswahl an praktischer Unterstützung für Spieler*innen und SL: Neben dem Quickstarter-PDF, welches alle Playbooks für Spielercharaktere enthält, obligatorischen Charakterbögen (leider nicht digital ausfüllbar) und einer Sternenkarte finden sich auch vier Anleitungen für Beispiel-Chopper aus Klemmbausteinen.

Aber das ist noch nicht alles: Im Media-Bereich kann man Judith Vogt und ihren Mitspieler*innen bei einer über Twitch aufgenommenen Proberunde zugucken und bekommt auch gleich fünf passende Soundtracks als Spotify-Playlists geliefert.

Fazit

Mit Aces in Space bekommt man ein komplettes Fate-Core-Regelwerk in einer Science-Fiction-Welt, in der draufgängerische Raumjäger-Pilot*innen ihre Follower*innen mit waghalsigen Stunts und Kämpfen beeindrucken und sich zwischen den Missionen herausfordern, streiten und lieben.

Bei den Fate-Regeln wurde an genau den richtigen Schrauben gedreht – Vibes und Likes unterstützen die gewünschten sozialen Aspekte des Settings, und der Kurvenkampf fügt dem System eine taktische Komponente für Raumkämpfe hinzu. Die PbtA-Regelanleihen wie Playbooks, Vibes und dem Mini-XP-System fügen sich so gut in die Fate-Regeln ein, dass man den Eindruck gewinnt, hier wächst zusammen, was zusammengehört. Heraus kommt ein zugängliches, funktionelles, modernes und rundum gelungene Fate-Core-Regelwerk mit einem unverbrauchten, knapp umrissenen Setting und dem richtigen Maß an Anknüpfpunkten für eigene Ideen.

Dazu steckt dieses kleine Buch voller Spielmaterial zum direkten Einsatz am Spieltisch: Von den Slangausdrücken, den Namenslisten und dem Zufallsgenerator für NSC über die ausgearbeiteten Gangs als Gegenspieler*innen, Ideen für Chopper und die Namensliste bis hin zu fertigen Szenarios und Nanogames lässt es keine Wünsche offen. Wer ein Herz für pulpige Science-Fiction hat und auf rasante Raumkämpfe steht, der*die sollte den Chopper bereitmachen und einsteigen. Fate-Fans bietet Aces in Space eine der bisher gelungensten Regeladaptionen, und es steht zu hoffen, dass sich zukünftige Designer*innen davon inspirieren lassen.

Das Produkt lag als Printausgabe vor. Der Ersteindruck basiert auf der ausführlichen Lektüre des deutschsprachigen Regelwerkes und einer kurzen Spielrunde inklusive Charaktererschaffung.

Artikelbilder: Tim Knoche, Ben Maier, Nick Koubash, Hannah Möllmann, Chris Schlicht, Mia Steingräber, Bilder vom Buch fotografiert und aus PDF übernommen
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Simon Burandt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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