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Eyvor baut auf Geheiß der Göttin Rán ein unträumbares Schiff, die Skjaldmaer (oder Schildmaid), das weitere Frauen anzieht, die keinen Platz haben oder sich nach einem neuen sehnen. Als zusammengewürfelte Gruppe setzen sie die Segel, um ihr Schicksal zu finden. Dabei finden sie mehr, als sie zu Beginn erwartet haben.

Eyvor, die von Rán aufgefordert wird, ein unträumbares Schiff zu ihren Ehren zu bauen. Skade, die sich ihrem gewalttätigen Ehemann entgegenstellt, um ihre Kinder zu schützen. Herdis, die sich weigert, nur zum Zweck anderer zu existieren. Tinna, die Skaldin, obwohl es keine Skaldinnen (mehr) gibt. Dineke, die ertrank und Küstenlinien besser kennt als ihren Handrücken. Diese fünf Frauen bilden das Herzstück der Mannschaft der Skjaldmaer, die den Weg nach Anglia und weiter bis zum Weltenende allen Widrigkeiten zum Trotz bestreitet.

Story

Der Plot von Schildmaid ist ebenso mitreißend wie die Meeresströmung, auf der das gleichnamige Schiff reist, auch wenn er etwas braucht, um in Schwung zu kommen. Sechzehn der achtzig Kapitel werden benötigt, um einen Großteil der Frauen um Eyvor zu versammeln und die Skjaldmaer zu Wasser zu lassen. Dann jedoch geht es sehr schnell. Die Gründe, die die Besatzung der Skjaldmaer antreiben, sind vielfältig und veränderlich. Während die Reise beginnt, um Herdis vor einer Gruppe Berserker zu schützen, sind die Frauen bald auserwählt, einen Eisriesen zu töten und damit Ragnarök, das Weltenende zu verhindern. Dabei lernen sie, was Gemeinschaft und Schwesternschaft bedeutet.

Darin eingewoben sind Neuinterpretationen nordischer Sagen, die die ein oder andere Überraschung für diejenigen bereithalten, die die Sagen bereits kennen, und zum Nachdenken anregen. Gerade die Sage um Doggerlun und der Auslöser von Ragnarök seien an dieser Stelle erwähnt.

Schreibstil

Rückseite des Buches.

Eyvor, Skade, Herdis, Tinna und Dineke, deren Vorgeschichten umfangreicher als die der anderen erzählt werden, fungieren in unterschiedlichen Ausmaßen als Fokus für die Erzählperspektive der dritten Person. Die Besatzung der Schildmaid bietet in ihrer Diversität mehr als genug Möglichkeiten zur Identifizierung. Bodlin kommuniziert vor allem über Gebärdensprache, die sich zum Beispiel Tinna und Herdis aneignen, um sie nicht auszuschließen. Dineke kämpft monatlich mit Endometriose. Skade lernt, dass Mutterschaft nicht durch Blutsverbindung zustande kommt und dass es in Ordnung ist, nicht immer eine perfekte Mutter zu sein. Ulfberth wechselt zwischen den Pronomen und ist nicht weniger Teil dieses Schiffes, das seinen Platz sucht. Tinna hat sich ihren Namen selbst gegeben und verändert ihren Körper mit einer Rune, die sie sich direkt ins Herz ritzt. Es ist faszinierend zu beobachten, dass die Autor*innen es schaffen, die Lebenswelt queerer Charaktere zu beschreiben, ohne unsere heutigen Begriffe dafür nutzen zu müssen.

Judith und Christian Vogt bringen nicht nur ihren Figuren im Einzelnen, sondern auch den größeren Themen in Schildmaid äußerst viel Fingerspitzengefühl entgegen. Insbesondere dann, wenn es um die Frage geht, was eine Frau zur Frau macht. Ein Teil der Frauen ist von Oðinn auserwählt, was ihnen zu einem Preis Kräfte verleiht. Dieser Preis ist für jede anders, je nachdem, über was sie ihr Frau-Sein definieren. Was für die eine das Teuerste ist, das sie geben kann, bedeutet einer anderen nicht dasselbe. Auch hier zeigt sich die Diversität in Schildmaid: Es gibt nicht „die Frau“.

Die Welt fühlt sich greifbar und belebt an und die Magie fügt sich nahtlos ein. Es ist nicht schwer, an von Skaldinnen heraufbeschworene und von Völvur gelesene Bilder zu glauben, an Göttinnen und Riesinnen, die mit Menschen interagieren, an Männer, die sich mithilfe ihrer Wut in Bärenwesen verwandeln. Größtenteils trägt die altnordische Schreibweise mancher Wörter zur Atmosphäre bei; teilweise hemmt sie aber auch den Lesefluss. Es gibt zwar eine Aussprachehilfe, teilweise lenkte mich jedoch das Nachdenken über die richtige Aussprache zu sehr vom eigentlichen Geschehen ab. Die Bilder, die Tinna heraufbeschwört und Herdis deutet, sind in Form von Stabreimen wiedergegeben, die beispielsweise an die Lieder-Edda erinnern. Diese Stellen fügen sich nahtlos in das Gesamtbild.

Die Autor*innen

Judith und Christian Vogt schreiben seit etwa zehn Jahren gemeinsam phantastische und historische Romane sowie Science-Fiction. Die zerbrochene Puppe, ihr erster gemeinsamer Roman, gewann 2013 den Deutschen Phantastik Preis. Außerdem designen sie Pen-and-Paper-Rollenspiele und veröffentlichen Essays. Judith Vogt ist zudem Mitherausgeberin von Queer*Welten, einem quartalsweise erscheinenden Magazin, das Kurzgeschichten und Essays vereint.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt einen Drachenkopf, der sich aus den Wellen erhebt. Das Setting wird damit direkt deutlich gemacht und Skjaldmaer, die stumme, namensgebende Hauptfigur in Schildmaid, wird in Szene gesetzt. Farblich ist das Cover sonst sehr unaufdringlich, lediglich der Titel und die Bemalung des Drachenkopfes springen auf dem ersten Blick ins Auge. Leider wird der Name des*der Künstler*in nicht genannt.

Die Kapitel sind unterschiedlich lang und meist wird nicht extra eine neue Seite begonnen, um das neue Kapitel abzusetzen. Lediglich wenn ein Kapitel einen neuen Abschnitt beginnt, wird dies durch eine neue Seite und eine kurze Zwischenüberschrift deutlich gemacht.

Der Klappentext bereitet auf den Inhalt vor und fasst diesen gut zusammen, ohne zu viel vorwegzunehmen.

Buchcover.

Die harten Fakten:

  • Verlag: PIPER
  • Autor*innen: Judith & Christian Vogt
  • Erscheinungsdatum: 24. Februar 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 448 Seiten
  • ISBN: 978-3492705981
  • Preis: 16,00 EUR (Print) + 3,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonuscontent

Am Ende des Buches findet sich ein Glossar, das altnordische Begriffe kurz erklärt, sowie die bereits zuvor erwähnte Hilfe zur Aussprache. Während des Lesens habe ich immer mal insbesondere das Glossar bemüht. Einige Begriffe lassen sich erschließen, manche jedoch nicht. Das Glossar ziehe ich deutlich absatzlangen Erklärungen vor.

Weiterhin gibt es eine kurze Danksagung sowie ein Nachwort, das sich unter anderem mit der historischen Grundlage beschäftigt. Es ist definitiv einen Blick wert und bietet Titel zum Weiterlesen, sofern Interesse für den aktuellen Forschungsstand besteht.

Fazit

Schildmaid hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Als Gesellschaft wiederholen wir, was wir schon immer getan haben, unfähig oder unwillig auszubrechen, weil uns der Blickwinkel fehlt, etwas anderes zu denken. Aber was, wenn wir uns auf den Weg machen, diesen Blickwinkel zu finden und die Geschichte neu zu schreiben? Ragnarök nicht verhindern, sondern geschehen lassen? Damit etwas Neues beginnen kann, muss etwas Altes sterben.

Ein paar der Charaktere habe ich sehr in mein Herz geschlossen. Tinna, beispielsweise, oder Dineke, der ich mich näher gefühlt habe, als ich es zunächst vermutet hätte. Skade dagegen hat es mir mit ihrem Starrsinn zuweilen schwer gemacht, Sympathien für sie zu entwickeln, obwohl ich mit ihr fühle.

Auch wenn die altnordische Schreibweise manchmal meinen Lesefluss stocken ließ, bin ich gerne mit der Schildmaid in See gestochen und habe die Reise zu neuen Ufern angetreten.

  • Starke, individuelle und diverse Frauenfiguren
  • Neuinterpretation nordischer Sagen
  • Glossar
 

  • Altnordische Schreibweise mancher Wörter erschwert Lesbarkeit

 

Artikelbilder: © PIPER Verlag
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Giovanna Pirillo
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

1 Kommentar

  1. Klingt sehr interessant…und ein wenig nach dem Setting, was die Vogts für die deutsche Version von Charmante Schwertlesben geschrieben haben. Ich bin seeehr gespannt 😊

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