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Judith Vogt hat in den letzten Jahren mit phantastischen Romanen wie Die 13 Gezeichneten auf sich aufmerksam gemacht und in Roma Nova Römer ins All geschickt. In der deutschen Rollenspielszene ist sie als Autorin schon deutlich länger bekannt. Wir haben mit ihr über Rollenspiel, Bücher, Politik und Schmieden gesprochen.


Ohne Autorinnen und Autoren gäbe es keine Romane und auch keine Rollenspieltexte. Einige von ihnen schreiben auch beides, unter anderem die Eifler Autorin Judith Vogt. Wir haben mit ihr gesprochen. Die gelernte Buchhändlerin berichtet im Interview wie ihr Arbeitstag aussieht, was sie zurzeit spielt und wie politisch Phantastik ist.

 

Interview

Teilzeithelden: Hallo Judith, erst einmal ganz herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, den Teilzeithelden einige Fragen zu beantworten.

Viele unserer Leser und Leserinnen kommen ebenso wie Du aus dem Rollenspielbereich, weswegen sie sicher auch Deine Bezüge zu diesem Hobbyinteressieren dürfte.

Für Deine Karriere war ja das Rollenspiel Das Schwarze Augevon großer Bedeutung, deswegen werfen wir mal einen Blick zurück auf den Abenteuerwettbewerb zu den Dunklen Zeiten. Wir haben beide an diesem Wettbewerb teilgenommen, ebenso wie mein Kollege Marc aus dem Rollenspiel-Ressort, und sogar den fünften Platz geteilt. Wie kam es bei dir dazu, dass Du an dem Wettbewerb teilgenommen hast?

Judith: Hallo Marie, das stimmt, darüber haben wir uns kennengelernt! Christian und ich hatten gerade bei unserem alljährlichen privaten Rollenspielwochenende ein Abenteuer in den Dunklen Zeiten mit zwei Gruppen geleitet, als die Ausschreibung kam. Da haben wir unsere gespielten Ideen ein bisschen umgewandelt und zu Papier gebracht.

Teilzeithelden: Du spielst ja auch nach wie vor Rollenspiele, aber wie findest Du neben dem Schreiben Zeit zum Spielen? Oder wird immer Dein aktueller Roman bespielt?

Judith: Haha, nein, ich glaube, meine Rollenspielrunde würde mich fragen, ob ich noch sauber ticke. Rollenspiel als Hobby ist mir sehr wichtig, und da ich abends eigentlich nicht schreibe (Ausnahmen gibt es immer), habe ich da Zeit für meine wöchentliche Runde. Ab und an spielen wir trotzdem in meinen Romansettings, aber eher, wenn der Roman schon raus ist und meine Mitspieler*innen gern möchten.

Teilzeithelden: Bist Du dann eher Spielleiterin oder Spielerin?

Judith: Das wechselt bei uns relativ gleichmäßig zwischen zwei Mitspielern und mir. Ich übernehme beide Rollen sehr gerne.

Teilzeithelden: Welche Systeme spielst du aktuell?

Judith: Wir spielen ja normalerweise einfach wechselnde, oft selbst erdachte Settings mit FateCore-Regeln, aber im Moment spielt meine regelmäßige Runde Blades in the Dark. Außerdem haben wir noch ein paar sich unregelmäßig treffende Runden, mit denen wir Scherbenland, City of Mist und Star Wars (mit Fate-Regeln) spielen.

Teilzeithelden: Eins deiner aktuellen Projekte hat einen Rollenspielbezug, nämlich Roll Inclusive, das Du und einige andere Autor*innen angeschoben haben. Was verbirgt sich dahinter?

Judith: Roll Inclusive wird ein Essayband zum Thema Diversity und Repräsentation im Pen&Paper-Rollenspiel. Wir greifen darin mit 16 Autor*innen ganz unterschiedliche Themen populärwissenschaftlich auf und möchten gern ein Bewusstsein dafür schaffen, was mediale Repräsentation in diesem Hobby ist und sein könnte und gleichzeitig Spieler*innen, Spielleiter*innen und Spielschaffenden die Möglichkeit geben, auf ein paar Gedanken und Hilfestellungen zu dem Thema zurückzugreifen. Die ersten Essays sind schon fertig und sind wirklich fabelhaft, ich freu mich sehr auf das fertige Buch!

"Die ersten Essays sind schon fertig und sind wirklich fabelhaft..."
„Die ersten Essays sind schon fertig und sind wirklich fabelhaft…“ © Schwert&Feder

Teilzeithelden: Wir sind auch sehr gespannt. Schreiben für Rollenspiele zieht sich durch Deine Karriere. Darum mal ganz neugierig: Wo siehst Du die Unterschiede zwischen dem Schreiben eines Abenteuers oder eines ganzen Rollenspielsettings und eines Romans?

Judith: Ein Rollenspiel schreibt sich wie ein Sachbuch. Es muss übersichtlich sein, nicht zu verschnörkelt, die Struktur muss klar sein. Bei einem Roman kann ich natürlich schon freier und kreativer sein. Ich schreibe sehr gern Dialoge und Actionszenen, darauf muss ich in Rollenspielen eher verzichten.

Teilzeithelden: Ja, da kämen dann unpassende Vorlesetexte bei heraus. Du hast zusammen mit deinem Mann mehr als ein Rollenspielsetting verfasst. Wie kam es dazu?

Judith: Wir haben zwei Fate-Settings herausgegeben: Zum einen Eis&Dampf beim Uhrwerk-Verlag und zum anderen Scherbenland bei drivethruRPG. Bei Eis&Dampf existierten schon Die zerbrochene Puppe und der Kurzgeschichtenband Eis und Dampf, und Fate Core war auf Deutsch bei Uhrwerk angekündigt. Wir haben einfach mal nachgefragt, ob wir den ersten deutschsprachigen Band dazu verfassen können, und die Antwort fiel positiv aus. Es gibt auch noch ein paar nachfolgende Bücher mit Kampagnenideen und Mysterien.

Scherbenland war ein Romanprojekt von uns, das abgelehnt wurde, das wir aber einfach nicht aufgeben wollten, also haben wir uns auch da entschieden, es als Setting herauszugeben. Grund für die Absagen war, dass der deutsche Fantasymarkt nicht bereit sei für Fantasy, die in einer „napoleonesken“ Ära spielt und baltische und slawische Mythen zum Thema hat. Dass das Setting 2018 den Deutschen Rollenspielpreis bekommen hat, heißt ja eigentlich, dass es nicht sooo abwegig ist, sich für den Kulturkreis und die Zeit zu interessieren …

Schreiben und Schmieden

Teilzeithelden: Stichwort Dein Mann: einige Sachen hast du ja mit Deinem Mann Christian verfasst. Manche haben auch schon angenommen, dass das C in Judith C. Vogt für Christian steht. Stimmt das? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen euch beiden?

Judith: Haha, nein, ich hab tatsächlich einen Zweitnamen mit C. Ein Freund sagte mir irgendwann Anfang der 2000er, wenn ich mal was werden wolle, müsse ich als Fantasy-Autorin meinen Zweitnamen abkürzen. Christian und ich schreiben seit 2012 zusammen – er schreibt nicht bei jedem Buch mit, aber eigentlich mittlerweile bei den meisten. Wenn er mit auf dem Cover steht, heißt das, wir haben den Roman zusammen geplant, er hat einige Szenen geschrieben und wir haben uns gegenseitig überarbeitet. Bei einem Buch, auf dem Judith C. draufsteht, habe ich es allein geplant, allein geschrieben und Christian hat mir seine knallharte Meinung gesagt und es testgelesen. (Und mir aus der narrativen Patsche geholfen, wenn ich feststeckte!)

Zuerst war das Hobby, dann die Figur.
„Zuerst war das Hobby, dann die Figur.“

Teilzeithelden: Ihr beide widmet euch ja in der Freizeit auch dem Schmieden, und Zita, die Hauptfigur in zwei deiner Romanen, nämlich Im Schatten der Esse und Im Feuer der Esse, ist Schmiedin. Was war zuerst da, das Hobby oder die Recherche für die Figur?

Judith: Zuerst war das Hobby, dann die Figur. Beziehungsweise ein Schmiedeseminar war zuerst. Eine Schmiede im Garten haben wir tatsächlich noch nicht so lange.

Teilzeithelden: Die wird ja auch nicht jeden Tag gebraucht. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Dir denn überhaupt aus? Oder gibt es das nicht?

Judith: Meistens bin ich früh morgens schrecklich unkreativ, muss aber wegen meiner Kinder früh aufstehen. Da häng ich dann so rum und versuche, mich zumindest zum Mails-Beantworten zu kriegen. Gegen zehn Uhr werde ich dann munterer und arbeite am aktuellen Projekt, um zwei kommen die Kinder aus der Schule und meistens kann ich mich nachmittags dann noch mal an Kram setzen, der sonst so anfällt. Artikel, Mails, Lesungsvorbereitungen und so weiter.

Teilzeithelden: In Roma Nova schickst Du die antiken Römer ins Weltall. Woher kommt deine Römerbegeisterung, die schon bei Legenden aus Dunklen Zeiten zu erkennen war?

Judith: Wenn ich das wüsste! Ich glaube, ich bin einfach mittelalterüberdrüssig, und was davor und danach war, interessiert mich mittlerweile mehr?

Teilzeithelden: Und wie bist Du darauf gekommen, sie ins All zu schicken? Und, ganz wichtig, wird Roma Nova ein Einzeltitel bleiben oder eine Reihe?

Judith: Die Idee, sie ins All zu schicken, hatte Philip Schulz-Deyle, ein Filmproduzent aus München, von dem die Buch-Idee stammt. Er hatte auch schon Artwork dazu in Auftrag gegeben, bevor er mich ins Boot holte – als ich das gesehen habe, war ich mir einfach nur sehr, sehr sicher, dass ich das machen muss! Ich war dann sehr frei bei der Ausgestaltung, und der Gedanke, dass das Mare Nostrum ein Sternenhaufen ist und die von Rom eroberten Gebiete Planeten, erschien mir einfach sehr passend.

Und ob es eine Reihe wird, weiß ich noch gar nicht. Dazu müsste ich mich wohl mal an den Verlag wenden! (Es ist ja gerade für den Seraph nominiert, wer weiß, vielleicht ist es ein Argument, wenn es von der Longlist auf die Shortlist kommt?)

Teilzeithelden: Wir sind gespannt. Wie ist es überhaupt mit Deinen Inspirationsquellen, woraus fließt Inspiration in Deine Bücher ein? Serien, Filme, andere Bücher?

Judith: Ja, klar, so ziemlich alles, was ich in die Finger kriege. Inspiration sucht man sich ja auch eher nicht aus, die kommt halt so. Ich versuche, in der Hinsicht viel zu lesen und zu schauen – auch Sachtexte finde ich inspirierend. Der Roman, an dem ich gerade sitze, Wasteland, entstand, weil ich einen Artikel darüber gelesen habe, wie psychische Erkrankungen sich in vorzeitlichen Kulturen ausgeprägt haben könnten und dass sie alles andere als „Zivilisationskrankheiten“ sind. Ich kann ihn leider nicht mehr finden, um ihn noch mal zu lesen!

Die 13 Gezeichneten
Die 13 Gezeichneten

Teilzeithelden: Schade, wäre sicher spannend. Wer ihn findet, bitte verlinken! Kommen wir zu etwas, das sich besser greifen lässt als ein verschwundener Artikel, nämlich zu Schwertern. Du bist in Deiner Freizeit auch Schwertkämpferin. Welchen Schwerttyp bevorzugst Du? Deckt sich das mit den Vorlieben Deiner Buchfiguren?

Judith: Ich fechte seit einigen Jahren mit dem Langen Schwert, also dem neuzeitlichen Anderthalbhänder. Ich finde aber auch Säbel und Rapiere sehr schick. Und Lichtschwerter!

Dawyd, einer der Protagonist*innen aus Die 13 Gezeichneten, kämpft demzufolge auch mit dem Anderthalbhänder. Der Schwertgeselle aus dem oben erwähnten DSA-Roman mit der Schmiedin ebenfalls. Also, hm, ja, offenbar deckt sich da meine Vorliebe schon so ein wenig!

Das Phantastische ist politisch

Teilzeithelden: Du bist, wie viele Autoren der Phantastik-Szene, Mitglied bei PAN, dem Phantastik-Autoren-Netzwerk. Was ist Dir dort eine Herzensangelegenheit?

Judith: Ich finde es gut, dass die Phantastik sich dadurch gesamtgesellschaftlich in Deutschland mehr Gehör verschafft. Das klappt nicht immer, aber es ist durchaus wahrnehmbar, dass wir mit PAN eine relevante Stimme erhalten haben, und das finde ich toll. Dicke kudos an die Organisatorinnen, die das möglich machen!

Teilzeithelden: Beim letztjährigen PAN-Branchentreffen ging es um Gesellschaft und Politik in der Phantastik. Du positionierst dich in den sozialen Medien politisch und Roll Inclusive ist ja auch ein politisches Projekt. Welche Chancen siehst Du in der Phantastik zu diesen Themen?

Judith: Ich denke ja, dass jeder ein politischer Mensch ist. Entweder man betrachtet sich als „unpolitisch“, dann erhält man den Status Quo, oder man engagiert sich, dann versucht man ihn zu verändern. Das Gleiche gilt für die Phantastik. Wir können versuchen, Relevantes in unseren Büchern zu sagen – oder halt nicht. Die Entscheidung steht allen offen, aber politisch ist sie immer. Der Phantastik stehen dabei, denke ich, die gleichen Chancen offen wie jeder Kunst- und Literaturform. Durch das Weltenerfinden vielleicht sogar noch ein, zwei Chancen mehr, wer weiß …

Teilzeithelden: Beeinflussen Dich gesellschaftliche Themen beim Schreiben deiner Romane?

Judith: Oh, na klar. In Roma Nova geht es viel um Inszenierung und Medien, um öffentliche und private Macht und Ohnmacht und bei allen Unterschieden, finde ich, finden sich da viele Ähnlichkeiten zwischen dem antiken Rom und unserer heutigen Gesellschaft.

In Die 13 Gezeichneten versucht eine Gruppe ganz unterschiedlicher Leute gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, die zufälligerweise unseren eigenen Herausforderungen ähneln. Dass Veränderung nicht die Sache eines einzelnen „Auserwählten“, sondern einer heterogenen Gruppe ist, ein Team Effort sozusagen, ist dabei für mich so das Kernelement. Ich denke, die Zeit der großen, genialen, von der Öffentlichkeit verehrten Einzelkämpfer geht gerade ganz real zu Ende und die Zukunft ist so eine Art … dezentralisierte Bewegung der gesellschaftlichen Veränderung. Das hoffe ich zumindest. Ist meine kleine große Privatutopie.

Teilzeithelden: Auf der letzten Frankfurter Buchmesse hast Du auch an dem leider etwas misslungenen Event „Think Ursula“ teilgenommen, das nach einer der Größen der Phantastik benannt war, Ursula K. Le Guin. Was verbindest Du mit der Autorin und ihren Büchern?

Judith: Le Guin war eine wortgewaltige Utopistin mit einem klaren Blick für die Realität und sogar einem klaren Blick auf diesen klaren Blick – also darauf, inwieweit unsere Perspektive an unser eigenes Erleben gebunden ist und wie wir daraus ausbrechen können und wie nicht. Das bewundere ich an ihr.

Teilzeithelden: Das geht mir ähnlich. Gibt es ein Buch der Phantastik, dass Du allen ans Herz legen möchtest?

Judith: Im Moment ist meine Antwort darauf einfach immer Zerrissene Erde von N.K. Jemisin. Es ist ja leider so, dass „Immer die gleichen Geschichten erzählen“ dazu führt, dass wir … immer die gleichen Geschichten erzählen, das ist so eine Art sich selbst verstärkender Kreislauf. Jemisin bricht daraus aus, in ihrer Bildsprache, im Thema, in der Art, wie sie Genres sprengt, im Unbehagen, das sie teilweise hervorruft, in der hohen Kunst, eine Rassismus-Metapher zu mehr als einer Metapher zu machen – es ist ein phantastisches Buch im besten Wortsinne.

Teilzeithelden: Gibt es etwas, dass Du Nachwuchsautorinnen und -autoren mit auf den Weg geben möchtest?

Judith: Der Buchmarkt ist im Moment nicht einfach, die Verlage hadern mit ihren Verkaufszahlen und verlassen sich gerne auf Altbewährtes. Lasst euch nicht entmutigen. Nein, das sagt sich so leicht, natürlich ist es oft entmutigend. Lasst euch ab und an entmutigen, aber kommt wieder auf die Beine!

Teilzeithelden: Das ist ein motivierendes Schlusswort. Ich bedanke mich im Namen von Teilzeithelden ganz herzlich bei Dir für dieses Interview und wir sehen uns hoffentlich auf einer Con, Buchmesse oder dem nächsten PAN-Branchentreffen.

Judith: Ich danke dir für das schöne Interview und die interessanten Fragen! Bis bald!

Artikelbild: ©Judith Vogt, © Schwert&Feder, Bearbeitet von Jennifer Stramm

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