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Nicht nur in den Eisenlanden – auch in weit entfernten Sternensystemen schwört man noch auf Eisen und folgt dem Ruf seines Eides. Zu dritt probieren wir die Nachfolge von Ironsworn aus und erkunden gemeinsam, was die verstreute Menschheit am anderen Ende des Universums noch zusammenhält.

Backern des Crowdfundings von Ironsworn Starforged steht mittlerweile das komplette Spielmaterial als PDF zur Verfügung. Das steigert einerseits die Vorfreude auf die gedruckte Variante, lässt aber auch die neugierige Spielendenseele unruhig werden. Man will nach dem ersten Schmökern unbedingt wissen, wie sich das um viele neue Bestandteile erweiterte System im Vergleich zum Vorgänger Ironsworn schlägt. Da sich der Versand der Bücher leider weiter verzögert, habe ich mich mit zwei Mitspielern in die unbekannten Weiten der Eidgebundenen zwischen den Sternen aufgemacht. 

Unsere Spielrunden dauerten jeweils ca. 2 Stunden, fanden wöchentlich über einen Zeitraum von mehreren Monaten statt und umfassen insgesamt eine Spieldauer von etwa 20 Stunden inklusive Welt- und Charaktererschaffung. Der Spielbericht umfasst etwa die erste Hälfte der Kampagne.

Die Sitzungen fanden zum Teil mit Unterstützung der Roll20– und Foundry-Plattformen online statt, später wurde am Tisch gespielt.

Wir haben uns für den kooperativen Spielmodus entschlossen, so dass wir alle als Spieler an der Runde teilnahmen, unterstützt durch die zahlreichen Zufallstabellen.

Die Spielwelt, Regeln und Charaktererschaffung

Wie auch Ironsworn kommt Ironsworn Starforged ohne ein detailliert beschriebenes Setting aus. Stattdessen gibt es ein paar zentrale Satzungen, auf deren Basis man mit einem Auswahlkatalog zu bestimmten, zentralen Themen ein eigenes, an die Gruppe angepasstes Setting erschafft.

Unsere Welt

Einer der Spieler liebäugelte schon früh mit der Idee eines Inquisitors als Charakter und so war klar, dass Religion ein zentrales Thema unserer Kampagne werden sollte. Der Kataklysmus, welcher die Menschheit entwurzelte, folgte demnach aus religiösen Motiven.

Eine Gruppe gläubiger Fanatiker*innen entsagte sich der zunehmenden und als dekadent verrufenen, fortschreitenden Technisierung, Automatisierung mittels einer künstlichen Intelligenz. und Entmenschlichung durch Cyberware auf der Erde. Als ein gewaltiges Tor im All entdeckt wurde, welches ein Wurmloch an einen unbekannten Ort öffnete, beschlossen die Anhänger*innen der „Reinen Lehre” sich mit einer Flotte von Archen durch das Tor in den Exodus zu begeben. Nach ihrer Durchreise haben sie das Tor (und damit den einzigen Rückweg) zerstört, die Teile unter den ersten Siedler*innen verteilt und es entstanden kleine, voneinander isolierte Gemeinschaften in Siedlungen, die aus Überresten der Schiffe gebaut wurden.

Die aus speziellen Eisen bestehenden Teile des zerstörten Sternentors sind bis heute Insignien der Kirche und Erbstücke, auf welche man heilige und bindende Eide leistet.

Das Verwenden von Technologie ist den herrschenden und zum Teil verfeindeten Kasten vorbehalten:

  • Die Kirche der Ursprünglichen, die das Verwenden von Technologie durch andere sanktioniert
  • Die Bioniker, die sich der fortgeschrittenen, genetischen Modifikation von Menschen und Tieren widmen
  • Der Klan der Assassinen, die der Kirche dienen und die Exekutive stellen
  • Der neutrale Orden der Heiler

Die Gebote der Kirche werden durchgesetzt von Arbiter*innen, die stets als Paar mit einem*einer fest zugewiesenen und über das eingeschworene Eisen verbundenen Exekutor*innen unterwegs sind. Letztere werden vom Klan ausgebildet.

Brainstorming unserer Welterschaffung mit allen Stichpunkten

Die Spielercharaktere

Arbiter Takara Savela

Streng gläubiger Arbiter-Hardliner und als solcher Träger von Sterntoreisen. Er wird zu Anfang der Kampagne verleumdet und von der eigenen Kirche verraten – warum, werden wir im Spiel herausfinden.

Schwur: Ich gelobe, den Namen meiner Familie wiederherzustellen und herauszufinden, wer hinter unserer Exkommunikation steckt.

Exekutor Rudloff Seymore

Ein schweigsamer, wenig nachsichtiger Klan-Assassine, der als Exekutor auf Takara Savela eingeschworen ist. 

Schwur: Ich werde beweisen, dass der KLAN fremdgesteuert war und unseren Namen reinwaschen.

Händlerin Max Bishop

Freihändlerin, die mit ihrer Crew und dem kleinen Raumschiff „Barbarella” zwischen den Kolonien handelt, dabei auch nicht registrierte Waren schmuggelt und oft und wissentlich gegen die Gebote der Kirche verstößt. Insbesondere letzteres wird initial dazu führen, dass sie von den beiden anderen SC verhaftet wird, nachdem sie ihr Schiff und ihre Crew verloren hat.

Schwur: Ich schwöre, den Tod meiner Crew und die Zerstörung der Barbarella zu rächen.

Die Regeln in Kürze

Das auf PbtA-Regeln basierende System wurde in unserem Ersteindruck schon genauer unter die Lupe genommen, daher folgt hier nur ein kurzer Überblick.

Grundsätzlich wird so lange frei erzählt und gehandelt, bis eine Aktion einen der zahlreichen Moves erzeugt – Spielzüge, die genau definierte, narrative Aktionen (wie beispielsweise Gather Information) abbilden. Daraus folgt der erforderliche Action Roll, die Probe, aus der sich der Erfolgsgrad der Aktion ergibt.

Da das System in erster Linie auf Solospiel ausgelegt ist, wird mit 1W6 plus Attributswert plus weitere Boni durch Unterstützungen, Gegenstände oder besonderen Charakterfähigkeiten (Action Score) gegen die zufällig bestimmte Schwierigkeit von 2W10 (den Challenge Dice) geprobt.

Erklärung des Action Rolls

Ist der gewürfelte Action Score kleiner als beide W10, gilt das als Misserfolg.

Übertrifft er nur einen W10, ist die Aktion teilweise erfolgreich (Weak Hit).

Wenn er über beiden W10 liegt, ist die Aktion vollständig geglückt (Strong Hit).

Je nach Move erfolgen daraus unterschiedliche narrative und regelseitige Konsequenzen.

Das zweite Kernelement sind die Oracle genannten Zufallstabellen, die in unterschiedliche Anwendungszwecke aufgeteilt sind. Für Starforged wurde eine komplexe Sammlung von Tabellen zur zufälligen Erstellung von ganzen Weltraumsektoren eingeführt, die wir für unsere Runden ebenfalls verwendet haben.

Beispiel für verkettete Oracle-Tabellen bei der Planetenerstellung

Spielbericht: Inquisitoren auf Abwegen

Prolog auf Evenfall

Max Bishop, ihres Zeichens sektorenweit bekannte und berüchtigte Freihändlerin, sollte wegen Verrats gegen die Statuten der Kirche als Schmugglerin exkommuniziert werden. Der Auftrag wurde Arbiter Savela und seinem Exekutor übertragen, die auch bald die „Barbarella” (das Raumschiff von Max) auf Evenfall, einem Planeten in einem Randsystem, lokalisieren konnten. Dort konnten sie Max in der Gemeinde von Praetor Thomas ausfindig machen und festnehmen. Der Praetor nutzte die Gelegenheit und wollte den Kirchenoberen ins Vertrauen ziehen bezüglich einer „Verschwörung bis ins Triumvirat“. Er berichtete von einem Kontakt namens „Sage Valenus” im Hollow Pit-System, der mehr wissen sollte. Als er weitererzählen wollte, wurde ihm plötzlich „die Luft entrissen” – eine Technik, die eigentlich nur Arbiter beherrschen – dabei war das nicht das Werk von Arbiter Savela. 

Kurz darauf trat ein Diener des Praetors ein und sah noch, wie dieser vor Arbiter Savela kniend starb.

Der Foundry-Charakterbogen von Max

Überhastet flohen Arbiter und Exekutor vor dem Mob, der durch die panischen Schreie des Dieners angelockt wurde und sahen aus dem Fenster eine Gestalt auf dem Landefeld zu einem kleinen Schiff rennen. Kurz bevor die drei zu Max’ abflugbereiten Schiff stürmen konnten, wurde diese Zeugin, wie ihr Schiff in die Luft gesprengt wurde. Dadurch war eine direkte Verfolgung nicht mehr möglich und Arbiter und Exekutor brachten Max stattdessen daraufhin an Bord des Kirchenraumschiffs St. Claire. Mittlerweile war das andere Schiff bereits auf einer unbekannten, schnellen Drift-Route (einer Art Hypperraum-Schnellstraße) verschwunden.

Während Max den Verlust ihrer Crew und Schiffs betrauerte, beschlossen die beiden anderen, zunächst ins Hollow Pit-System zu fliegen und die erwähnte Assassinin dort zu suchen, bevor diese auch noch umgebracht würde. 

Max wurde kurzerhand per Eid zum Dienst an der Kirche verpflichtet als Wiedergutmachung für ihre Vergehen – zusätzlich schwört sie aber, ihre Crew und ihr Schiff zu rächen.

Auf Eris

Der mit Oracle gebaute Hollow-Pit Sektor

In der aufgegebenen Bergbaukolonie lebten ausgestoßene, an Mutationen erkrankte Menschen, die aus der Kirche exkommuniziert wurden und sich in den tiefen, aufgegebenen Bergbauschächten des von Höhlen durchzogenen Vulkanplaneten versteckten.

Tief unten in einem der Schächte fanden die drei die gesuchte Person – kurz vor der kirchlichen Exekution durch Arbiterin Velez nebst Exekutor! Im folgenden Kampf konnten sie Sage Valenus aus den Händen ihrer Henker retten und verhindern, dass die anderen zwei sie verfolgten.

Zurück auf der St Claire

Von ihren unverhofften Rettern wurde Sage Valenus direkt nach Preator Thomas befragt. Sie berichtete, dass Thomas chronisch erkrankt war und traf mit Sage eine Vereinbarung: Sie lindert seine Krankheit und er sorgt dafür, dass Gemeinschaft in Ruhe gelassen wird. 

Sage bietet ihren Rettern Unterstützung – aber zu einem Preis: Sie benötigte zunächst Zugang zur Leiche von Preator Thomas, die bis zur rituellen Verbrennung noch eine Nacht in einer Kathedrale auf Evenfall aufgebahrt liegt.

Zurück auf Evenfall

Nach einer Landung weit weg von der Siedlung des Preators schlichen sich Max und Sage zur Dämmerung an die Kathedrale heran und während Max den Totenwache haltenden Mönch ablenkte, stahl sich Sage vorbei und schnitt der Leiche einen Finger ab.
Das Ganze dauerte nur wenige Minuten und lief sehr glatt ab – bis Max auf dem Rückweg von ihrem alten Bekannten Loyd erkannt wurde. Dieser wollte wissen, wie Max die Ware seinen Chefs ersetzen will, die sich auf der gesprengten Barbarella befand.
Max beschwichtigte ihn und gab Sage als „Heilende Schwester“ aus, die sie extra für den Boss hergebracht hatte, um seine Verletzung zu heilen. Zurück in der Siedlung konnte Max aus einem Versteck ein paar Dinge bergen, die sie durch ihre Festnahme und Flucht zurücklassen musste, wurde aber von Loyd fast dabei erwischt und floh erneut mit Sage.
Auf dem Weg über den Markt stahl Sage noch einen defekten Gen-Decoder, den sie für die Analyse des Fingers benötigen würde.

Erschütterung des Glaubens

An Bord der St. Claire hielt der Arbiter eine Messe, während Max den Gen-Decoder reparierte. Mit diesem konnte Sage den Finger untersuchen und fand etwas Unglaubliches heraus: Praetor Thomas war von derselben Mutationskrankheit befallen wie auch die Aussätzigen auf Eris.

Diese Information erschütterte den gläubigen Arbiter, war man doch bisher davon ausgegangen, dass die Krankheit eine Strafe des Herrn sei und nur Häretiker*innen und Ungläubige befiele – und der Praetor war keiner von beiden gewesen! Sollte die Kirche gelogen haben? Aber warum?

Der Arbiter schwor sich, dieses Geheimnis zu lüften und die Wahrheit ans Licht zu bringen – und wenn es die Grundfesten der Kirche erschüttern sollte!

Spielbarkeit 

Die vielen Moves und zahlreichen Oracle-Tabellen können den Einstieg etwas erschweren, da man zunächst lernen muss, welche Aktionen einen Move auslösen. Es ist auch schwierig einzuschätzen, ab wann man einen Move nutzen sollte und welche Szenen man besser frei gestaltet. Generell sollte die Richtlinie gelten, dass man so lange frei erzählt, bis der Ausgang unklar ist (Move) oder die Ideen ausgehen (Oracle) – aber ein Blick auf die Übersicht und die gut designte Mechanik verlocken manchmal zu sehr, diese auch bei jeder Gelegenheit nutzen zu wollen. Diesem Drang sollte man widerstehen, da sonst das System schnell viel Raum einnimmt. Schließlich lautet das mit Abstand am häufigsten genannten Wort in den Beschreibungen der Moves Envision – also das Imaginieren dessen, was in der Spielwelt passiert. Dies sollte immer im Vordergrund stehen. 

Der Einstieg wird ein wenig erleichtert durch das Kapitel „Prepare for Liftoff“ was mit einer Übersichtsseite einen guten Leitfaden für das Spiel bildet. Im Testspiel hat es gut funktioniert, sich an der Übersicht zu orientieren und mit den PDF-Sprungmarken von Bereich zu Bereich zu navigieren und alle Teile nacheinander abzuhandeln.

So sollte man am besten vorgehen.

Viele Moves steigern den Momentum-Wert um +1. Ist der Wert hoch genug, kann man ihn wieder zurücksetzen und damit den gewürfelten W6 ersetzen (= Momentum verbrennen) um eine Probe doch noch zu schaffen. Durch den relativ langsamen Anstieg neigt man dazu, Momentum für besonders wichtige Würfel anzusammeln. Das Ausnutzen des Momentums findet daher zeitlich und narrativ entkoppelt vom Gewinn statt. Somit bleibt es ein rein strategischer Wert, der eigentlich keine wirkliche Entsprechung im Spiel hat und wirkt dadurch wie in Fremdköper in einem ansonsten sehr nah an der Story orientierten System.

An dieser Übersicht sieht man gut, wie viele Moves es gibt

Bonus/Downloadcontent

Die verwendete Foundry-Umsetzung ist hier zu finden. Das Playkit, Regelübersichten und Asset Cards finden sich im Downloadbereich auf https://www.ironswornrpg.com/downloads.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Shawn Tomkin und Absolute Tabletop
  • Autor: Shawn Tomkin
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 404
  • ISBN: 978-1-944517-21-2
  • Preis: 20 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG

Fazit

Ironsworn Starforged ist in jeglicher Hinsicht eine würdige Nachfolge. Das vorhandene Grundsystem und die Oracle-Tabellen wurden auf Science-Fiction angepasst. Zusätzlich gibt es jetzt umfangreiche Tabellen zur Erschaffung von Sternensystemen, erkundbare Schiffswracks, Gemeinschaften und vieles mehr. Auch die Moves wurden sinnvoll erweitert. Dadurch steigt der Umfang des Spielmaterials allerdings auf ein hohes Maß und es braucht viel Zeit und Geduld, um sich mit allen Werkzeugen vertraut zu machen und ein Gefühl zu entwickeln, welche davon man wann am besten einsetzt.

Die Geduld zahlt sich aber aus und die ersten, durch Würfelergebnisse erzeugten, überraschenden Wendungen können einen direkt ins Spielgeschehen ziehen.

Wer Freude an Ironsworn hatte und für Science-Fiction zu begeistern ist, sollte unbedingt einen genaueren Blick auf Ironsworn Starforged werfen.

Die im Ersteindruck genannten Befürchtungen konnten im mittelfristen Testspiel nicht bestätigt werden. Es ist zwar umfangreich und benötigt Zeit zur Einarbeitung – das tun aber andere, komplexere Systeme in deutlich höherem Umfang.

Daneben sorgen das exzellente Layout, Aufbau und Struktur sowie die für den Spieltisch aufbereiteten Spielhilfen dafür, dass man schnell nachschlagen kann und beispielsweise die Moves nicht auswendig können muss.

Ironsworn Starforged leistet genau das, was es will: Ein narratives, für Solo-Rollenspiel konzipiertes, aber auch in der Gruppe gut funktionierendes System, zum Spiel in einer an Serien wie Mandalorian oder Firefly angelehnten Science-Fiction-Spielwelt, deren Inhalte durch extrem funktionale Zufallstabellen im Laufe des Spiels zu einer reichhaltigen, eigenen Spielwelt anwachsen.

Unseren Ersteindruck findet ihr hier.

 

  • Völlig freie Charaktererschaffung
  • Orakel fördern Kreativität
  • Direktes Losspielen aus dem Buch möglich
 

  • Eide ab drei Spielenden schwierig zu nutzen
  • Viele Spielelemente zu Beginn einschüchternd

 

Artikelbilder: © Shawn Tomkin/Absolute Tabletop
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Jessica Albert
Fotografien: Scans und Screenshot von Benjamin Dose
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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