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Du hast einen Eid geschworen, einen Eisernen Eid, den zu erfüllen dir mehr bedeutet, als alles andere. Gemeinsam mit Gleichgesinnten brichst du auf in die Weiten des Sternenclusters Forge, um euer Schicksal zu erfüllen. Asteroiden, Pirat*innen, Monstrositäten – die zahlreichen Gefahren sind keine Ausrede für euch.

Seit vor einigen Jahren das Designprinzip der Powered by the Apocalypse Einzug ins Rollenspiel hielt, brachte es immer neue Fortentwicklungen hervor. Eine der beliebtesten ist das Low Fantasy Rollenspiel Ironsworn. Mittlerweile hat der Spieledesigner Shawn Tomkin die eigenständige Science-Fiction-Variante Ironsworn: Starforged herausgebracht. Wie sich Geschichten über von ihren eigenen Eiden Getriebene ins All übertragen lassen, versucht diese Rezension herauszufinden. Wie die ursprüngliche Version wirbt auch Starforged damit, dass man es „Guided“, also mit Spielleiter*in (Guide), spielleitungslos im Co-op oder sogar ganz Solo spielen kann.

Die Rezension basiert auf dem Durchlesen des Regelwerks und einer Charaktererschaffung. Es lag die PDF-Version vor.

Die Spielwelt

Das Grundsetting von Starforged ist recht simpel gehalten: Die Vorfahren der Menschen dieser Spielwelt flohen vor einer gewaltigen Katastrophe aus ihrer Galaxie in die sogenannte Forge, ein nahegelegenes Sternencluster. Die Forge ist grob in vier Bereiche geteilt: von Terminus, in dem der Großteil der Leute siedelt, über die immer dünner bewohnten Outlands und Expanse bis zum fast leeren und unkartographierten Void. Die SC bilden eine mehr oder minder zusammengewürfelte Raumschiffcrew, die getrieben werden von Schwüren, was sie zu den namensgebenden Ironsworn macht.

Truths

Alles darüber hinaus wird gemeinsam von der Gruppe festgelegt, es sein denn natürlich, man spielt allein. Dazu werden zu Beginn der Kampagne die Truths (Wahrheiten) über die Spielwelt festgelegt, um sie nach eigenem Geschmack zu formen. Aus den verschiedenen Kategorien kann man sich dann etwas aussuchen oder es zufällig mit einem Oracle Roll bestimmen. Manche der Elemente werden eher im Hintergrund bleiben, z.B. was der Kataklysmus war, vor dem die Menschen geflohen sind, andere sind essentiell, beispielsweise wie fortschrittlich der Datenaustausch zwischen Siedlungen funktioniert. Und manche legen gar fest, wie die Welt von den SC wahrgenommen wird. Gibt es beispielsweise Magie und glaubt man an sie?

Diese gemeinsame Erstellung der Welt ist gleich zu Beginn ein großes Highlight des Spiels, das sich die Gruppe keinesfalls entgehen lassen sollte, auch wenn man mit Spielleitung spielt. Man erhält mit einigen wenigen Punkten eine sehr solide Grundlage, auf der man alles Weitere aufbauen kann.

Alles hat einen Anfang

© Shawn Tomkin/Absolute Tabletop

Genau wie die Grundlage für das Setting und die Charaktererschaffung, wird ein Weltraumsektor gemeinsam erstellt, von dem aus die Crew startet. Als erstes sucht man sich die Region der Forge aus, in der der Sektor liegen soll: Terminus, Outlands oder Expanse. Da diese Regionen zum Rand der Forge hin immer spärlicher besiedelt und gröber kartographiert sind, legt man damit auch fest, was für eine Art von Story man spielen will. Terminus ist potenziell besser für Geschichten, die viel soziale Interaktion erfordern, Expanse eher für Entdecker*innen geeignet.

Nach dieser ersten Entscheidung wird die Gruppe durch einen Prozess geleitet, bei dem gemeinsam Siedlungen erstellt werden, die Planeten, auf denen sie liegen und alles auf einer Hexkarte festgehalten wird. Stets mit dabei sind die erwähnten Oracles, eine ganze Reihe thematisch spezialisierter Zufallstabellen, die der Gestaltung des Sektors ein Zufallselement verleihen und deren Umfang kaum Wünsche offenlässt: vom Wüstenplaneten zum Namen einer Siedlung kann man fast alles damit bestimmen. Eine solche Gestaltung der Spielwelt hilft allgemein sehr, dass alle eine Vorstellung von ihr etablieren und sie ist hier toll umgesetzt.

Allgemein sind alle Prozesse zur Gestaltung der Welt gut durchdacht und intuitiv. Sie sind frei genug, das Setting auf die Geschmäcker der Gruppe anzupassen, bieten aber gleichzeitig genug Hilfestellungen, dass man sich nicht mit den endlosen Möglichkeiten der Science-Fiction alleingelassen fühlt. Klar ist allerdings, dass sich Starforged nicht an Leute richtet, die definierte Welten brauchen und, dass aktive Teilnahme von Spieler*innen am Worldbuilding vorausgesetzt wird.

Die Regeln

Moves

© Shawn Tomkin/Absolute Tabletop

Wie eigentlich alle Spiele, die sich aus Powered by the Apocalypse entwickelt haben, basieren auch die Regeln von Starforged auf sogenannten Moves. Das sind Spielzüge, die ausgelöst werden, wenn bestimmte Dinge in der erzählten Handlung passieren, beziehungsweise versucht werden. Der Grundidee treu bleibend, würfeln ausschließlich Spieler*innen auf Moves, wobei die Würfelmechaniken sich in Starforged oft leicht voneinander unterscheiden. Je nachdem, wie erfolgreich der Wurf war, treten unterschiedliche positive und/oder negative Effekte auf.

Grundsätzlich muss man sagen, dass Starforged ziemlich viele Moves hat – über 90 Seiten inklusive Erklärungen – die in verschiedene thematische Kategorien (z.B. Combat, Exploration, Suffer) eingeteilt sind. Diese Einteilung macht es etwas leichter, aber die reine Anzahl stellt schon eine gewisse Einstiegshürde dar.

Mitten rein! – Action Roll

Für die meisten Moves wird ein Action Roll genutzt. Dazu wird ein W6, der Action Die, geworfen und auf das Ergebnis der Wert eines Attributs (die Attribute des Spiels: Edge, Heart, Iron, Shadow, Wits) addiert, das der Move vorgibt. Das ergibt den Action Score. Zusätzlich werden zwei W10, die Challenge Dice, gewürfelt. Jetzt wird der Action Score mit deren Ergebnissen einzeln verglichen. Ist der Action Score höher als beide W10, ist es ein Strong Hit, ist er nur höher als einer, gilt das Ergebnis als Weak Hit und sind beide W10 höher gilt es als Miss. Was diese Ergebnisse für die Erzählung und spielmechanisch bedeuten, legen die einzelnen Moves fest.

Die wichtigste Möglichkeit den Action Score zu beeinflussen ist der Momentum Score, ein sich stetig wandelnder Wert zwischen +10 und -6. Das Ergebnis des Action Die kann durch den eines positiven Momentum Score ersetzt werden, um einen besseren Action Score zu bekommen. Hat man jedoch einen negativen Momentum Score und würfelt die gleiche Zahl, wird der Wert des Action Die aufgehoben.

© Shawn Tomkin/Absolute Tabletop

Gut Ding will Weile haben – Progress Tracks

Wichtige und komplexere Aufgaben werden als Progress Tracks dargestellt. Das sind zehn Boxen, die jeweils mit vier Ticks gefüllt werden müssen. Die Schwierigkeit eines Tracks bestimmt sich dadurch, wie viele Boxen bei jedem Fortschritt gefüllt werden. Bei relativ einfachen sind gleich drei ganze Boxen, bei den langfristigsten nur ein einzelner Tick. Eine ganz raffinierte Variante einer aus vielen Spielen bekannten Mechanik, bei der man sich nicht merken muss, wie viele Boxen zu füllen sind und die gute Skalierung der Schwierigkeit erlaubt.

Es gibt spezielle Moves, die sich Progress Moves nennen. Weil sie innerhalb der Erzählung passieren, die zu einem Progress Track gehören, werden sie anderes abgehandelt: Es werden Challenge Dice geworfen, aber statt mit einem Action Score, werden sie mit dem Progress Score verglichen. Dieser ist gleich der Anzahl vollständig ausgefüllter Boxen des zugehörigen Tracks. Durch den Vergleich dieser Werte werden wie gewohnt Strong Hit, Weak Hit oder Miss ermittelt.

Was die Zeichen sagen – Oracles und Oracle Rolls

Die Oracles nehmen nicht nur beim Worldbuildung einen hohen Stellenwert im Spiel ein. Diese speziell auf Situation und Zweck zugeschnittene Zufallstabelle, auf die man mit einem W100 würfelt, taucht immer wieder als Konsequenz eines Moves auf. Ihr Ergebnis bestimmt entweder direkt die Konsequenzen oder gibt Inspiration, wie die Geschichte weitergeht. Letzteres ist besonders im Solo und Co-op von Bedeutung, in denen keine Spielleitung etwas vorbereitet hat.

Wenn’s wehtut – Condition Meters und Impacts

Condition Meters legen fest, wie viel Schaden und/oder Rückschläge die SC in verschiedenen Kategorien verkraften können, eingeteilt in Health, Spirit und Supply. Stress, wie der Schaden genannt wird, erleidet man durch Suffer Moves, die entweder durch andere Moves oder direkt durch das Spiel am Tisch ausgelöst werden. Sie haben einen Rang von 5 bis 0.

Wer bei 0 landet und weiteren Stress abbekommt, erleidet Impacts, die es in unterschiedlichen Schweregraden und vor allem von unterschiedlicher Dauer gibt.

Assets

© Shawn Tomkin/Absolute Tabletop

Assets sind ein elementarer Bestandteil von Starforged. Es sind Karten, die verschiedene Dinge repräsentieren. Meistens sind das physische Dinge wie das Command Vehicle (das gemeinsame Raumschiff der Gruppe), Modules, um selbiges zu erweitern, Support Vehicles und Gefährten. Aber auch Paths, die bestimmte Fähigkeiten, Wissen und Talente eines Ironsworn repräsentieren, und Deeds, die für Errungenschaften und wichtige Taten stehen, sind durch Karten repräsentiert. Assets werden bei der Charaktererschaffung oder später durch Erfahrung erworben.

Andere Ausrüstung wird nicht durch Assets dargestellt, sondern abstrakt durch den Supply Meter oder in Zweifelsfällen durch den Move „Check Your Gear“.

Obwohl die Grundideen hinter dem Regelsystem nicht kompliziert sind, ist es recht umständlich zu lesen. Es werden früh eine Menge Begriffe benutzt, die man sich nach und nach erschließt und so erst richtig versteht, wenn man einige Moves durchgelesen hat, von denen es wiederrum sehr viele gibt. Auch existieren vielfach kleine Varianten derselben Mechaniken, die man erstmal durchschauen muss, um sie an der richtigen Stelle anwenden zu können.

Charaktererschaffung

Recht ungewöhnlich ist, dass die Charaktererschaffung erst spät kommt, quasi nach allen Regeln, aber vor den Moves. Normalerweise ist dies einer der ersten Abschnitte von Regelwerken. Das scheint hier vor allem deshalb so zu sein, weil vorher der gemeinsame Weltenbau stattgefunden haben soll, der zuvor im Buch beschrieben wird. Denn die Charaktere sollen natürlich auch zu den selbst erstellten Vorgaben passen. Wie der Weltenbau sollte auch die Erstellung der Charaktere gemeinsam stattfinden.

© Shawn Tomkin/Absolute Tabletop

Im ersten Schritt wählt jeder zwei Paths aus den zur Verfügung stehenden Assets aus. Hier wird auch der Bezug zum Weltenbau deutlich, denn wenn beispielweise gesagt wurde, dass keine Magie existiert, dann fallen Paths mit mystischen Fähigkeiten natürlich raus.

Als nächstes denkt man sich einen Charakterhintergrund aus, auf dessen Grundlage man wiederum die wichtigste Setzung für den Charakter macht: den Background Vow. Das ist der namensgebende Schwur auf Eisen. Ein Ziel, dass sich der SC gesetzt und das ihn auf die Reise geschickt hat. Es wird viele Handlungen antreiben.

Gemeinsam legt die Gruppe anschließend fest, wie ihr Schiff heißt, was für eine Vergangenheit es hat, wem es gehört und wie es aussieht. Unterschiedliche Schiffstypen gibt es nicht.

Nachdem ein weiteres Asset gewählt wurde, diesmal nicht nur aus Paths, sondern auch Modules, Companions und Support Vehicles, werden Punkte nach dem Schlüssel 3, 2, 2, 1, 1 auf die fünf Stats Edge, Heart, Iron, Shadow und Wits verteilt. Nachdem dann noch alle Condition Meters auf Maximum gesetzt wurden und Momentum festgelegt wurde, ist der Charakter regelseitig schon fertig.

Das System ist einfach und schnell, auch wenn sich die Frage stellt, warum das Schiff mitten reingeschrieben wurde.

Erscheinungsbild

Das Layout des Regelbuchs ist simpel und aufgeräumt. Herausragend ästhetisch ist es nicht, aber im besten Sinne des Wortes zweckmäßig, was eine erfrischende Abwechslung zu manch anderer, überbordender Gestaltung ist. Gerade im Regelteil gibt es viele kleine Grafiken, die die Erklärungen gut unterstützen. Ein großes Plus sind auch die Illustrationen, die sehr stimmungsvoll sind und eine klare stilistische Linie haben. Weniger Linie hat allerdings, was sie zeigen: Von Blue Collar à la Alien, über Firefly Space Western zu riesigen Weltraumwürmern und Tiefseemonster wie in Star Wars ist vieles dabei. Da das Setting aber entsprechend flexibel ist, passt das wieder. Mit Ladezeiten des PDFs gab es keine Schwierigkeiten. Ebenfalls sehr positiv hervorzuheben ist, dass eigentlich alle Querverweise im Buch verlinkt sind, was bei dem Umfang hilfreich ist.

© Shawn Tomkin/Absolute Tabletop

Die harten Fakten:

  • Verlag: Shawn Tomkin und Absolute Tabletop
  • Autor: Shawn Tomkin
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 404
  • ISBN: 978-1-944517-21-2
  • Preis: 20 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG

 

Bonus/Downloadcontent

Mit der PDF-Version von Starforged bekommt man nicht allein das Regelwerk nebst Version mit Doppelseiten (engl. Spreads), sondern auch die Assets als Bogen, um sie als Karten auszudrucken, und zusätzlich in Einzelseiten. Besonders praktisch sind aber zwei beigefügte Schnellübersichten: Das Player’s Kit enthält neben Charakterbogen und den notwendigen Blättern zur Dokumentation des Spiels auch eine Übersicht über alle Moves. Sie auf 17 Seiten übersichtlich zu haben, ist definitiv eine Hilfe. Eine solche Übersicht enthält auch der Reference Guide, der dazu alle Oracles und eine knappe Zusammenfassung der Regeln enthält.

Fazit

Es ist nicht ganz einfach, Ironsworn: Starforged richtig einzuordnen. Es ist an sich ein narratives Spiel, es hat aber den Anschein, dass die Regeln dem etwas im Wege stehen könnten. Die Zahl der Moves ist vergleichsweise groß, auch wenn der Reference Guide dankbarerweise Übersichtlichkeit reinbringt. Schwerer wiegt aber, dass es viele Kleinigkeiten gibt, an die man ständig denken muss. Es gibt viele Varianten der Grundmechanik, die je nach Situation angewendet werden. Wie bei den meisten Spielen wird sich ein Gewöhnungseffekt einstellen, aber ein geschmeidiger Einstieg wird schwer, besonders mit Spieler*innen, die die Regeln nicht selbst gelesen haben.

Unter den narrativen Rollenspielen gehört es eher zu den regelschwergewichten. Auch gibt es wenig Anleitung zu den Spielmodi Solo und Co-op. Während das bei letzterem noch ok ist, da sich die Gruppe gegenseitig die Bälle zuspielen kann, ist man recht verloren, möchte man den Solo-Modus allein auf dieser Grundlage ausprobieren.

Während der Regelteil teilweise ein Krampf zu lesen war, ist alles, was die Worldbuilding-Elemente betrifft, eine ziemliche Freude. Gerade wer Zufallstabellen mag, wird diesen Teil von Starforged schnell ins Herz schließen. Die Oracles lassen wenig zu wünschen übrig, wenn sich damit nicht nur ganze Sternensysteme schnell erstellen lassen, sondern sie auch aus kreativen Sackgassen herausführen.

Letztlich ist Starforged ein gutes Spiel, dass mehr verregelt, als es müsste und das erstmal durchgearbeitet sein will. Weiß man aber, was eine*n erwartet und ist erstmal in den Fluss gekommen, kann es sicher ein belohnendes System sein. Aber für ungeübte Rollenspieler*innen ist es weniger zu empfehlen.

  • Spontanes Worldbuilding effektiv unterstützt
  • Elemente greifen ineinander
 

  • Umständlich zu lesende Regeln
  • Viele Variationen ähnlicher Mechaniken
  • Solo-Spiel nicht wirklich erklärt

 

Artikelbilder: © Shawn Tomkin/Absolute Tabletop
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Giovanna Pirillo
Dieses Produkt wurde durch die Einnahmen auf Patreon finanziert.

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