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Wie kam es zu Joachim Annhäusers unerwartetem Tod? In Wuchernder Wahn werden die Spieler*innen auf eine Reise durch das Berlin der 1920er Jahre geschickt, wo sie Informationen sammeln und Verfolger*innen abschütteln müssen. Der gleichnamige Band enthält zudem zwei weitere Geschichten. Was die Abenteuersammlung zu bieten hat, erfahrt ihr hier.

Der mysteriöse Tod eines Berliner Dozenten, die ungewöhnliche Anfrage eines norddeutschen Klienten und mehrere bis heute ungeklärte Morde in der bayerischen Provinz – im Abenteuerband Wuchernder Wahn finden sich drei ungewöhnliche Kriminalfälle im Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik. Abseits des Bezugs zu Deutschland haben die drei Szenarien aber wenig gemeinsam. Das fängt bereits bei der Seitenzahl an, die deutlich zugunsten des ersten Abenteuers gewichtet ist. Daher wird diese Rezension sich hauptsächlich damit beschäftigen und nur einen kleinen Überblick zu den anderen beiden Geschichten geben. Um nicht zu viel zu verraten, wird die Rezension möglichst spoilerfrei erfolgen. Eine detaillierte Analyse der Geschichte wird mit dem passenden Spielbericht nachgereicht.

Wuchernder Wahn – Düstere Schnitzeljagd durch Berlin

Im gleichnamigen Hauptabenteuer treffen die Charaktere auf der Beerdigung eines Berliner Mathematikdozenten aufeinander. Als Studierende, Bekannte oder entfernte Verwandte des kürzlich Verschiedenen werden sie während der Beisetzung Zeug*innen eines mysteriösen Zwischenfalls. Hierbei nimmt ein zunächst unbekanntes Buch eine zentrale Rolle ein. Von Neugier angetrieben entspinnt sich daraus eine kleine Schnitzeljagd durch das Berlin der 20er Jahre. Dabei tauchen die SC während ihrer Recherchen in einige historisch düstere Ecken der Stadt ein, um das Rätsel hinter dem Tod des Dozenten zu lösen. Doch sie scheinen nicht die einzigen Interessierten zu sein – unbekannte Beobachter*innen beginnen sich an ihre Fersen zu heften und sie in immer bedrohlicher werdende Situation zu bringen… Soweit der kurze Abriss der Handlung.

Spielbarkeit aus Spielleitungssicht

Im Abenteuer treffen die Charaktere auf historische Personen, etwa den Künstler George Grosz.

Wuchernder Wahn bietet für die Spielleitung einen Krimi im Kleinformat. Auch wenn Berlin als Ausgangssituation Platz für unterschiedliche Charaktere und Situationen lässt, besteht die eigentliche Rahmenhandlung mehr aus einer stringenten Linie einzelner Schlüsselszenen. Begleittexte empfehlen hin und wieder einige Alltagsmomente auszuspielen, bei denen die Charaktere in ihrem üblichen Familien- oder Arbeitsumfeld auftreten. Das soll zum einen die sonst eher geradlinige Hauptgeschichte etwas ausfächern, zum anderen kann die Spielleitung in diesen Momenten mit übernatürlichen Geschehnissen Spannung aufbauen. Schließlich sind die Charaktere offenbar nicht die einzigen, die mehr über das Ableben des Dozenten herausfinden möchten.

Das Abenteuer bietet sich als Zwischenepisode innerhalb einer laufenden Cthulhu-Kampagne an, sofern die Verbindung zu dem Dozenten und Berlin frühzeitig etabliert wird. Unabhängig davon, ob so oder als Oneshot gespielt, muss festgehalten werden, dass die Umsetzung eine gewisse Vorbereitungszeit für die Spielleitung erfordert. Das gilt sowohl für die möglichen Züge der Antagonist*innen als auch für den allgemeinen Verlauf des Abenteuers. Ohne die richtigen Hinweise können die Charaktere bei den Ermittlungen schnell in eine Sackgasse geraten, was im schlechtesten Fall zu Frust am Spieltisch führt. Es schadet daher nicht, mögliche Alternativen in der Hinterhand vorzubereiten, damit die Gruppe mit dem Abenteuer vorankommt. Gleichzeitig sollte die Spielleitung aber auch darauf achten, immer wieder die Gefahren für die allzu neugierigen Charaktere zu präsentieren. Nicht umsonst trägt die Geschichte den Titel Wuchernder Wahn – allzu viel Wissensdrang kann tödlich enden, wenn der Mythos involviert ist.

Was das Spielmaterial angeht, verfügt der Band für das Abenteuer über einige interessante Handouts in Briefform, mit denen die Spielleitung Knobeleien und Hinweise einstreuen kann. Diese können für längere Charakterdiskussionen sorgen, sofern passend platziert. Leider gibt es abgesehen davon eher wenige Handouts im Szenario. Eine Übersicht zu auftretenden NSC abseits der Beerdigung oder Kartenmaterial für eine grobe Orientierung in Berlin gibt es nicht. Die einzelnen Schauplätze werden zwar gut beschrieben, müssen aber selbst zusammengesucht werden. Positiv hervorzuheben sind noch zwei Zeittafeln: Eine listet die Ereignisse bis zum Beginn des Abenteuers auf, die andere gibt einen möglichen Ablauf der Ereignisse bis zum spannenden Finale vor. Natürlich steht es der Spielleitung frei, einige Szenen vorzuziehen oder zu übergehen, wenn sich dies im Laufe der Runde ergibt.

Spielbarkeit aus Spieler*innensicht

Eine Besonderheit für die Spieler*innen sind die privaten Szenen zwischen den Ermittlungen. Gerade für Gruppen, die bei Call of Cthulhu eher Oneshots spielen, kann es eine neue Erfahrung sein, sich über die Wohn- und Arbeitsverhältnisse des eigenen Charakters Gedanken zu machen. Einige Kaufabenteuer neigen dazu, die Charaktere an neue und fremde Orte zu bringen, die erst nachträglich Konsequenzen für ihr Leben haben. In Wuchernder Wahn können die Alltagssorgen aber einen direkten Einfluss haben – in Form besorgter Familienangehöriger oder Mitarbeitender, die sich über die Abwesenheit des Charakters bei der Arbeit beschweren. Entsprechend sollten die Spieler*innen sich im Vorfeld genügend Gedanken über ihren Hintergrund machen – und diesen frühzeitig der Spielleitung mitteilen. So wird sichergestellt, dass die Spielleitung genügend Ansatzpunkte bei den SC hat, um kleine Zwischenszenen einzustreuen. Andernfalls kann es passieren, dass diese Situationen eher flach ausfallen. Eine ausführlichere Bewertung findet sich im Spielbericht, der demnächst folgt.

Ein Fund vom Meer

Der junge Malte Griebsen fühlt sich verfolgt – und bittet die Charaktere um Hilfe.

Dieses kurze Abenteuer wurde als Prolog für die Kampagne Auf den Inseln geschrieben und soll die Gruppe an die Nordseeküste bringen. Hier sollte angemerkt werden, dass die Kampagne selbst nicht mehr gedruckt wird und nur über Second-Hand-Seiten erworben werden kann. Zu Beginn erhält einer der Charaktere, idealerweise ein*e Privatdetektiv*in, Besuch von einem nervös wirkenden jungen Mann, der sich verfolgt fühlt, und gerne eine Schusswaffe erwerben möchte. Da seine Paranoia sich nicht legt, bittet er kurz darauf die Person zu sich in die Wohnung. Gemeinsam als Gruppe müssen die Charaktere weitere Informationen sammeln, um mehr über die ominösen Verfolger und den Fall des jungen Mannes herauszufinden. Dabei können sie erste Erfahrungen mit dem kosmischen Horror sammeln, die für die anschließende Kampagne Auf den Inseln eine gute Motivation schaffen, die aufgeworfenen Fragen lösen zu wollen. Aber auch als Oneshot bietet das Abenteuer mit seinen Nebenhandlungen und der freien Spurensuche einiges an Abwechslung. Die Handouts bieten Material für anzutreffende Charaktere und Bedrohungen sowie die Darstellung eines okkulten Gegenstands. Hinzu kommen einige hübsche Bebilderungen mit Nordsee-Flair und Kartenmaterial für die erste Szene mit dem Klienten.

Das Blutbat von Hinterkaifeck

Das Szenario greift die ungelösten Mordfälle von Hinterkaifeck auf.

Anders als bei den zwei weiteren Szenarien im Band handelt es sich bei Das Blutbad von Hinterkaifeck nicht um ein fertig ausgeschriebenes Abenteuer. Vielmehr bekommt die Spielleitung eine Übersicht über die Örtlichkeiten, Personen und Hinweise zu den bis heute ungeklärten Mordfällen an die Hand, um daraus selbst das Abenteuer zu bauen. Zusätzlich werden vier Ideen präsentiert, inwiefern der Mythos die Ursache für diese Verbrechen sein könnte. Die sieben Seiten bieten einiges an Informationen, die bei der Erstellung der Handlung helfen. Handouts oder ähnliches müssen allerdings selbst erstellt werden – bis auf einen möglichen Zeitungsartikel nach dem Mord findet sich für die Spielleitung nichts dergleichen. Allgemein hätten für unerfahrenere Spielleitungen neben den verschiedenen Mythos-Vorschlägen mehrere Einstiege in das Abenteuer außerhalb der bewährten finanziellen Belohnung als Grund nicht geschadet. Weitere Unsicherheiten können sich für die SL mit der Art an SC ergeben: Agieren sie nach einer eigenen Agenda oder vertreten sie das Gesetz? Dürfen sie aus der umliegenden Region stammen und eventuell schon von dem Hof gehört haben? Oder sollte es für die Spannung keine direkten Berührungspunkte mit Hinterkaifeck geben? Diese Fragen sollte die Spielleitung idealerweise im Vorfeld mit den Spielenden klären.

Erscheinungsbild

Mit 80 Seiten ist der Abenteuerband Wuchernder Wahn eher kompakt gehalten. Die einzelnen Abenteuer sind mit stilvollen Stimmungsbildern der 1920er aufgewertet, die als Anreiz für Beschreibungen dienen können. Positiv hervorzuheben sind auch die beigefügten Handouts, wenngleich mehr allgemeines Kartenmaterial nicht geschadet hätte. Die Texte und Tabellen sind wie für andere Bände von Call of Cthulhu übersichtlich gestaltet und gut lesbar. Insgesamt eine solide Arbeit, die den üblichen Qualitätsstandard des Systems erreicht. Große Besonderheiten sollten die Lesenden aber nicht erwarten. Nützlich in der getesteten PDF-Version ist, dass die Kapitel als Marker eingepflegt wurden. So kann die Spielleitung vom Inhaltsverzeichnis schnell und unkompliziert zur gewünschten Stelle springen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Press
  • Autor*in(nen): Mirko Bader, Michel Bernhardt, Peter Schott
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover, PDF
  • Seitenanzahl: 80
  • ISBN: –
  • Preis: 9,95 EUR (Softcover), 8,95 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG

 

Fazit

Der Abenteuerband Wuchernder Wahn ist eher für erfahrenere Spielleitungen gedacht, die keine Vorbereitung scheuen. Die drei Krimis mit okkultem Einschlag in der Weimarer Republik der 1920er Jahre sind eher als kurze Einzelrunden konzipiert. Inhaltlich gibt es zwischen den Abenteuern keine Verbindung, sie können daher unabhängig geleitet werden. Wirklich detailliert ausgearbeitet ist nur das namensgebende Abenteuer mit 49 Seiten. Bei der Suche in verschiedensten Ecken Berlins haben die Spieler*innen die Chance, ihren Alltag als Charaktere auszuspielen, der unerwartet vom Mythos beeinflusst werden kann. Gruppen, die kein Problem mit leichtem Railroading und Spaß an Detektivarbeit haben, sollten der Handlung einiges abgewinnen können. Bei Ein Fund im Meer handelt es sich um einen Einstieg für eine anschließende Kampagne. Das Blutbad von Hinterkaifeck ist sogar nur ein Baukasten mit mehreren optionalen Vorschlägen für das Basteln eines eigenen Abenteuers. Falls Spielleitungen kein Interesse an dem ersten Abenteuer haben, sollten sie sich den Kauf entsprechend zwei Mal überlegen. Mit dem beim Pegasus-Verlag vergleichsweise günstigen Preis handelt es sich im Zweifel aber nicht um einen überteuerten Fehlkauf.

  • Erstes Abenteuer interessanter Krimi
  • Möglichkeit Einfluss auf Alltag zu erleben
  • Als Oneshot wie für lange Runden spielbar
 

  • Ein langes Abenteuer, zwei Anhängsel
  • Gefahr von Railroading
  • Viel Vorarbeit durch Spielleitung nötig

 

Artikelbilder: © Pegasus Press
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Susanne Stark
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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