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1952, ein Meteorit schlägt vor Amerikas Ostküste ein und wird die Erde in wenigen Jahrzehnten unbewohnbar machen. Kolonien auf dem Mond sind die einzige Lösung, um die Menschheit zu retten. Dr. Elma York, Pilotin und Mathematikerin, tut alles, um zu beweisen, dass Frauen nicht das schwächere Geschlecht sind.

Die Berechnung der Sterne beginnt mit einem Naturereignis, das Elma und ihr Mann Nathaniel nur knapp überleben. Ein Meteoriteneinschlag löscht die US-amerikanische Hauptstadt aus und verursacht einen Tsunami, der die Städte an der Ostküste überflutet. Berechnungen ergeben, dass die Erde sich zunächst für wenige Jahre abkühlen wird, bevor der Wasserdampf einen Treibhauseffekt verursachen und die Erde unumkehrbar aufheizen wird. Der einzige Weg, um die Menschheit zu retten, ist das All.

Nathaniel York, Elmas Ehemann, ist der leitende Ingenieur des Raumfahrtprogrammes. Elma, die eine brillante Mathematikerin und WASP (Women Airforce Service Pilot im Zweiten Weltkrieg) ist, tritt dem Team der Rechnerinnen bei, ohne die keine Rakete der Welt starten könnte. Als Pilotin mit Leib und Seele sehnt sie sich jedoch danach, selbst ins Weltall zu fliegen und die Erde von oben zu sehen. Als Frau in den Fünfzigern wird ihr das jedoch nicht gerade leicht gemacht.

Story

Der Roman ist in zwei Teile geteilt. Kapitel eins bis neun bilden den ersten Teil und stellen eine Art Prolog zum Rest des Romans dar. Der Meteoriteneinschlag findet hier statt sowie die Ereignisse, die im Monat danach spielen. Der zweite Teil beinhaltet die restlichen zwanzig Kapitel und beginnt vier Jahre nach dem Einschlag des Meteoriten, zu einer Zeit, als die International Aerospace Coalition den ersten Mann in den Weltraum befördert. Die Kapitel haben jeweils eine angenehme Länge, um nicht zu überladen zu wirken; gerade, wenn die Raumfahrt-Fachausdrücke zum Ende hin stark zunehmen. Jedes der Kapitel beginnt zudem mit einer Radiodurchsage oder dem Teaser eines Zeitungsartikels, um auf das Thema des Kapitels einzustimmen.

Die Berechnung der Sterne wird als Science-Fiction in alternativer Geschichtsschreibung beschrieben. So gewinnt Brannan statt Truman die Wahl zum Präsidenten und das Raumfahrtprogramm beginnt früher als in unserer Zeitlinie. Die ungleiche Behandlung der Geschlechter und der Alltagsrassismus finden jedoch auch in der alternativen Geschichtsschreibung statt. So werden Schwarze zunächst vom Raumfahrtprogramm ausgeschlossen, ohne dass sie explizit ausgeschlossen werden. Auch Elma ist nicht dagegen gefeit und muss immer wieder feststellen, dass sie in rassistische Denkmuster zurückfällt, obwohl ihr bewusst ist, dass sie Menschen lediglich aufgrund ihrer Hautfarbe anders behandelt.

Die Spannungskurve steigt stetig an, mit kleineren Höhepunkten im Verlauf, die auf das Ende vorbereiten. Bis zum Ende war ich mir nicht sicher, ob Elma ihr Ziel erreicht oder nicht, und mit den Problemen, die ihr während Die Berechnung der Sterne begegnen, sind diese Zweifel begründet und lassen somit nicht zu, dass die Spannung endgültig vor der letzten Seite fällt.

Die Rollen sind glaubhaft. Elmas Frustration, nicht mehr tun und nicht viel helfen zu können, nur weil sie eine Frau ist, liest sich sehr nah und wütend. Vor allem durch Elmas emotionale Reaktionen wird die Geschichte nahbar. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, einen Meteoriteneinschlag mitzuerleben, nichts tun zu können und absolut hilflos zu sein. Aber Elma nimmt die Lesenden an die Hand und zeigt ihnen ihre neue Welt. Die Beklemmung, die ihre Schilderung des Meteoriteneinschlags und der Tage danach verursacht, brachte mich dazu, Die Berechnung der Sterne immer wieder aus der Hand zu legen, um kurz durchzuatmen. Die Schilderung ihrer Trauer, als sie ihre komplette Familie an der Ostküste tot glaubt, rührte mich zu Tränen. Seit ihrer Collegezeit leidet Elma an Panikattacken, sobald die Aufmerksamkeit einer Gruppe (fremder) Menschen auf ihr liegt. Diese sind ebenfalls sehr eindrücklich geschildert.

Es ist schön zu lesen, dass Nathaniel, ihr Ehemann, sie unterstützt, auch wenn er keineswegs perfekt ist. Die Kolleg*innen der beiden am Raumfahrtzentrum haben ebenfalls Wünsche und Ziele und Fehler, und auch wenn es so manche Figuren gibt, die man nicht unbedingt mag (ja, ich meine euch, Parker und Betty), so sind ihre Motivationen und Handlungen doch nachvollziehbar.

Schreibstil

Die Berechnung der Sterne wird von Elma York aus der Ich-Perspektive erzählt. Dadurch erhalten ihre emotionalen Reaktionen eine besondere Wucht und ich konnte nicht anders als mit ihr mitzufiebern. Elmas jüdische Herkunft zeigt sich nicht nur darin, wie sie um ihre Familie trauert oder dass ihr antisemitische Anfeindungen und Vorurteile begegnen. Hin und wieder nutzt sie jiddische Ausdrücke, um ihre Gefühle auszudrücken.

Der Stil ist flüssig und gut lesbar und auch die teilweise überhandnehmenden Raumfahrt-Fachausdrücke tun dem keinen Abbruch. Lediglich der Vergleich von Sex mit startenden Raketen ist irgendwann eher ermüdend als amüsant. Im Hinblick auf die Übersetzung wird den Lesenden jedoch einiges zugetraut. „Grandma“ und „Daddy“ sind zwar Wörter, die selbst Personen mit wenig Englischkenntnissen verstehen können. Ich verstehe auch, dass man die Bezeichnung hinter der Abkürzung, wie zum Beispiel bei IAC (International Aerospace Coalition), nicht unbedingt übersetzt. Ob das jedoch diejenigen, die über komplexere englische Begriffe (wie zum Beispiel „Aerospace“) stolpern, beim Lesen irritiert, bleibt hier die Frage. Abgesehen davon gibt es an der Übersetzung aber absolut nichts zu bemängeln.

Mary Robinette Kowal legt Wert darauf, die Lesenden immer wieder daran zu erinnern, dass die Geschichte in Die Berechnung der Sterne in den USA der 1950er Jahre stattfindet. Es ist noch ein langer Weg bis zur Gleichberechtigung; sowohl in Bezug auf die Geschlechter als auch Hautfarben. Elmas Bemühungen, Frauen als Astronautinnen zuzulassen, ebnen auch den Weg, um Schwarzen Pilot*innen den Weg in eine Rakete zu ermöglichen. Auch wie auf psychische Erkrankungen und deren Behandlung reagiert wird, hat sich (glücklicherweise) im Laufe der Zeit gewandelt. Elma muss jedoch befürchten, dass sie noch weniger ernst genommen wird als ohnehin schon und dass ihr der Weg zum Mond dadurch verweigert wird.

Die Autorin

Mary Robinette Kowal wurde am 08. Februar 1969 in North Carolina geboren.

Die Berechnung der Sterne ist keineswegs Mary Robinette Kowals erster Roman. Bevor sie für diesen Roman mit dem Hugo Award und dem Nebula Award ausgezeichnet wurde, veröffentlichte sie bereits mehrere Buchreihen und Kurzgeschichten. Weiterhin arbeitet sie als Puppenspielerin und Synchronsprecherin und hat beispielsweise Romane von Seanan McGuire, John Scalzi und Kage Baker eingesprochen.

Ursprünglich als Einzelband geplant, sind inzwischen zwei Folgebände zu Die Berechnung der Sterne erschienen. Ein vierter Band für die Lady Astronaut-Reihe ist im Englischen für 2022 angekündigt.

Erscheinungsbild

Ich sag es, wie es ist: das Cover ist wunderschön. Die schimmernden die Blautöne greifen das Weltall-Thema ohne Probleme auf und wenn man etwas genauer hinsieht, erkennt man die Umlaufbahnen von Planeten und Monden sowie Gleichungen, die sich auf die Raumfahrt zu beziehen scheinen. Sieben Frauenfiguren sind lediglich als Silhouette davon abgehoben und scheinen auf denjenigen, der das Buch in der Hand hält, zuzulaufen. Leider ist der*die Künstler*in nicht genannt.

Der Klappentext beinhaltet eine kurze Inhaltszusammenfassung und besteht nicht aus Phrasen von Autor*innen, die helfen sollen, das Buch zu verkaufen. Das Papier hat eine ordentliche Qualität und der Druck ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

 Die harten Fakten:

  • Verlag: Piper
  • Autor*in: Mary Robinette Kowal
  • Erscheinungsdatum: Januar 2022
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Judith C. Vogt)
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 512 Seiten
  • ISBN: 978-3-492-70597-4
  • Preis: 18,00 EUR (Print) + 9,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon (Deutsch und Englisch), idealo

Bonus/Downloadcontent

Abgesehen von einem Nachwort bereitet die Autorin in einem weiteren kurzen Abschnitt auf, an welchen Stellen sie aus welchen Gründen von der Geschichtsschreibung abweicht. Nach der Lektüre von Die Berechnung der Sterne hat mich dieser Teil besonders interessiert. Weiterhin gibt es eine Liste von Buchtiteln, die Mary Robinette Kowal entweder inspiriert haben oder auf die sie bei der Recherche zurückgriff.

Fazit

Ich taste mich immer noch nur langsam und zögernd in Science-Fiction vor, aber Die Berechnung der Sterne hat mich sofort mitgerissen. Elma ist eine sympathische und starke Figur, die gegen interne und externe Schwierigkeiten ankämpft, um ihren Traum vom Flug zum Mond zu erfüllen. Die Rollen sind glaubhaft und die Beziehungen zwischen den Figuren sind eine der großen Stärken des Romans. Zu keiner Zeit fühlte ich mich beim Lesen gelangweilt und auch, wenn die Mathematik und Physik innerhalb der Geschichte eine große Rolle spielen, so ist der Roman keineswegs eine wissenschaftliche Abhandlung und für Laien kaum zu verstehen. Wie Kowal im Nachwort schreibt, war Die Berechnung der Sterne zunächst als Einzelband geplant, bevor schnell zwei Bände daraus wurden. Das merkt man dem Roman nicht an. Sicher werden nicht alle Fragen beantwortet, aber wer mit Elma und den 1950ern doch nicht so recht warm wurde, findet ein befriedigendes Ende, um das Buch anschließend zu Seite zu legen.

Der Humor war stellenweise nicht ganz mein Geschmack („Raketenstarts“) und teilweise war der Fachjargon sehr gehäuft. Dennoch werde ich mir definitiv die weiteren Bände der Reihe anschauen und vom Mond träumen.

 

  • Starke Frauenfiguren
  • Aktuelle Themen verarbeitet
  • Wunderschönes Cover
 

  • Viel Raumfahrt-Fachsprache
  • Platte Wortwitze

Artikelbilder: © depositphotos | nirutdps
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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